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Bald nur noch verrottendes Holz

Skulpturen von Urs-P. Twellmann

Bald nur noch verrottendes Holz

Kunst, so ist oft zu hören, öffne uns die Augen, unter ihrer Anleitung könnten wir einen anderen, neuen Blick wagen, sie helfe, unsere Sehgewohnheiten zu hinterfragen und Denkschablonen zu erkennen. Auch der Kurator der eben eröffneten Documenta 12 ist auf dieser Linie, wenn er erklärt, er wolle mit seiner Ausstellung «die Leute aus ihrer Lethargie holen» und sie durch «ästhetische Erfahrung aktivieren, die Gegenwart anders zu sehen». Kunst ist, so gesehen, ästhetisch eingekleideter Bildungsauftrag und dekoratives Aufklärungswerkzeug.

Urs Twellmann will das alles nicht – und hat es wohl auch gar nicht nötig. (Vielleicht ein Grund, warum er nicht zur Documenta eingeladen wurde.) Ungeniert sagt er, er sei Künstler aus Eigensinn und Egoismus. Und weil er unfähig sei, unter einem Chef zu arbeiten, was er in jungen Jahren mehrfach ausprobiert habe. Aus ihm spricht kein Sendungsbewusstsein, keine politische Botschaft, kein Deut von Ehrgeiz für ein Manifest, das neue, künstlerische Wege ankündigt. Urs Twellmann genügt sich selbst. Zurückgezogen lebt er in Münsingen in der Nähe von Bern. Ein altes Haus mitten im Dorfkern ist das Basislager, von hier aus bricht er auf in die Freiluftateliers, einige liegen in den Forsten rundherum, andere in den Trockengebieten Australiens, den Wäldern Kanadas, den Eiswüsten Sibiriens oder den Küstengebieten Südafrikas – Hauptsache, es findet sich dort Holz. Denn das ist seit dreissig Jahren sein ausschliesslicher Werkstoff. Den Rucksack bepackt mit Kettensäge und Kamera, streift er durch die Kontinente. Macht eine Pause, um etwa eine umgefallene, schon vertrocknete Kiefer der Länge nach zu spalten. Den so zweigeteilten Baum richtet er wieder auf, photographiert die beiden Baumhälften, die wie ein Theatervorhang einen schmalen Himmelsausschnitt einrahmen. Und geht weiter seiner Wege. Sammelt Schwemm- und Bruchholz, das er in wochenlanger Knochenarbeit zu übermannshohen Kugeln zusammenbaut, die er auf Waldlichtungen oder Bergkuppen zurücklässt. Arrangiert ausgetrocknete Äste des Seebambus, die am Strand zu finden sind, zu Poemen in den nassen Sand, in Schriftzeichen einer Sprache, die niemand kennt. Es dauert nur wenige Stunden, bis die Flut die Botschaften wegspült. Nur wenige Wochen, bis die gespaltene Kiefer vom Wind geschüttelt zu Boden geht. Nur wenige Monate, bis die Fäulnis erste Löcher in das perfekte Rund der Kugeln gefressen hat.

Eine Kritikerin lobte einst an der Kunst Urs Twellmanns (je weniger der Künstler mit seiner Kunst intendiert, desto deutungsoffener wird sie für dritte, aufklärerische und belehrenden Positionen) es sei ihr zentrales Thema, «die kulturelle Trance zu durchbrechen und eine verbindende Beziehung zwischen menschlicher Zivilisation und der Natur aufzubauen». Es liesse sich (um ebenfalls an diesem Spiel teilzunehmen) auch der Um- und Aufbau betonen, der Wechsel vom Natürlichen zum Artifiziellen zum Natürlichen. Bäume werden gefällt, zu Häusern verbaut, diese werden abgerissen, aus dem Abbruchholz entstehen Twellmann-Kugeln, die Überreste werden von Spaziergängern eingesammelt und im Cheminée verfeuert, das dabei entweichenden CO2 wird durch Photosynthese in den Blättern der Bäume wieder zu gebundenem Kohlenstoff und damit zu Holz. Aber es gibt auch die, die jenseits all dieser Überlegungen an den Holzskulpturen allein ihre Schönheit, vielleicht auch Kitschigkeit schätzen, wenn der Künstler etwa Ringe aus Holz, die er einen Fluss hinunterschwimmen lässt, gerade dann photographisch festhält, wenn sich glutrot der Abendhimmel im Wasser spiegelt.

Seine letzte Reise führte Urs Twellmann im vergangenen Sommer nach Peking. Dort sammelte er, als er wochenlang mit einem Fahrrad durch das Strassengewirr fuhr, 17 alte Stühle ein – aus Holz selbstverständlich. Er liess sie in Reih und Glied antreten, baute aus ihnen Leitern, die aussahen wie ein sich verdoppelnder DNA-Strang, und rollende Stuhlsterne. Krönung und Schlusspunkt bildete eine kompakte Kugel aus allen 17 ineinander verbeinten Stühlen. Noch am selben Tag nahm er diese wieder auseinander und stellte die mittlerweile etwas lädierten Stühle vor die Tür seines Arbeitsraums, raus auf die Strasse. Schon am nächsten Morgen waren sie verschwunden. Denkbar ist, dass sie sich inzwischen unter den 1001 Stühlen befinden, die zur Zeit von dem Chinesen Ai Weiwei – zusammen mit 1001 Landsleuten – auf der Documenta vorgestellt werden. (Womit Urs Twellmann doch auf der Documenta vertreten wäre. Inkognito, so wie es nun mal seine Art ist.)

Urs-Peter Twellmann, lebt und arbeitet überall, wo Holz zu finden ist. In Münsingen befindet sich sein Archiv, mit Tausenden von Holzminiaturen, Skizzen und Photographien. Abbildungen seiner Werke finden sich auf den Seiten 7, 12, 36, 37, 41, 49, 67 sowie dem Titelblatt und der Innenklappe. (www.twellmann.ch).

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