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Ausverkauf der Philosophen

TAG: 8 (letzter Tag)
ZEIT: kurz vor St. Nimmerlein, also frühestens am Ende unseres Jahrhunderts
ORT: im unplatonischen Ideenhimmel des Verfassers, wo Gott und sein Sohn ihren philosophischen Kramladen entrümpeln

GOTT: Den Kerl, der mich impertinenterweise mit der babylonischen Sprachverwirrung gleichgesetzt hat, sind wir los! Hallelu-mich!

JESUS: Ja, gottlob!

GOTT: Heute ist der achte Tag…

JESUS: Das heisst: der Ausverkauf der Philosophen ist zu Ende. Du wolltest ja das Ganze wie schon die Schöpfung in sieben Tagen durchführen.

GOTT: Ich hätte schon gestern, am Sabbat, ruhen wollen. Doch dann bin ich deinen Anhängern gefolgt und habe den Sonntag, den ersten Wochentag, zum Ruhetag gemacht. Wenn nun aber der erste Tag zum siebten wird und gleichwohl der erste bleibt, dann ist er am Ende der achte. Klar?

JESUS: Eine hübsche Mogelei!

GOTT: Im religiösen Bereich ist viel gemogelt. Abgesehen davon wäre die Kuppel im Dom zu Speyer mit nur sieben Ecken nicht so schön wie mit acht. – Heute verkaufen wir übrigens bloss einen Theologen, damit unsere Zahlenspielerei nicht auffällt.

JESUS: Dein Wille geschehe. – Sehet und kaufet diesen Mann des Weltfriedens, der uns mit seiner alle Widersprüche umarmen wollenden Liebe zu souveräner, weltumspannender Grösse nur allzu wesensverwandt ist!

KÜNG: Seid gegrüsst, Weltbewohner! Ich möchte mich euch unbedingt empfehlen, denn seit ich graumelierte Haare habe, bin ich zu besonders wertvollen Erkenntnissen gelangt. Die wertvollste besagt, dass wir ein Weltethos brauchen, also allgemein verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele. Dies allerdings ohne Einheitsreligion oder Einheitsideologie, mehr als… äh… Einheitsbrei.

DER NEUNTE INTERESSENT: Sie wollen also den gemeinsamen Nenner aller Moralvorstellungen ins Zentrum rücken.

KÜNG: Nein, nein, es muss schon eine Zivilreligion sein, wie Rousseau sie gefordert hat. Der allmächtige, allwissende und allgütige Gott muss darin unbedingt vorkommen.

GOTT: (Mein Gott… äh… meine Seele! Schlage vor, wir schweigen dazu – wie immer.)

DER NEUNTE INTERESSENT: Aber dann läuft es im Kern ja doch auf eine Einheitsreligion hinaus.

KÜNG: Ja und nein. Für mich ist sonnenklar, dass nur meine Religion die wahre ist. Ich weiss aber natürlich auch, dass andere gleichfalls wahr sein können. Schauen Sie, es ist wie mit Gottes Wesen: Gott ist, wie ich einmal geschrieben habe, keine Person, aber trotzdem unser aller Vater.

DER NEUNTE INTERESSENT: Das ist aber ein Widerspruch.

KÜNG: Ich bitte Sie: Die Aussage, er sei keine Person, steht doch auf einer anderen Buchseite als die Aussage, er sei unser aller Vater: Sie müssen da schon differenzieren. Abgesehen davon, ist es ja gerade ein Wesensmerkmal Gottes, dass er alle Widersprüche in sich vereint. Und überhaupt lässt sich über Gott gar nichts Stichhaltiges aussagen.

DER NEUNTE INTERESSENT: Eben, und darum seh ich mich lieber nach einem anderen Diener um.

KÜNG: Nein, warten Sie! Damit wir alle in Frieden leben können, müssen wir uns in dieser Angelegenheit einig werden.

DER NEUNTE INTERESSENT: Tschüs!

KÜNG: Halt, im Namen des Weltethos: wir müssen im Dialog bleiben! – Oder wollen Sie Krieg mit mir, Sie trauriger Nihilist?

GOTT: Ach, wie eitel, ach, wie nichtig!

JESUS: Küng?

GOTT: Nein, überhaupt alles. Alles.

JESUS: Du bist alles. Und ich bin das A und O, das Ein und Alles. Sind wir also eitel und nichtig?

GOTT: Sagen wir phantastisch. Das klingt besser. – Doch wenn ich an all die anderen Götter denke, die ich gar nicht neben mir haben will, die aber niemand kauft, weil sie so gut wie niemand mehr kennt, da brodelt in mir der alte Zorn!

JESUS: Immerhin sind wir ein paar Wahrheitsschnüffler losgeworden.

GOTT: Wurde auch Zeit, denn wir brauchen keine Philosophie, wie schon Kirchenvater Tertullian sagte. Aber es tummeln sich immer noch zu viele Seelen um mich herum. Du magst dich immer noch als Messias fühlen, ich aber fühle mich mehr und mehr als Messie…

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