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Aussenwirtschaftspolitik ohne Führung

Bis 1999 gab es das Bundesamt für Aussenwirtschaft, das Bawi. Mit viel Savoir-faire betrieb es Commercial Diplomacy für die Schweiz. Unter etwas obskuren Umständen wurde es 1999 aufgelöst. Und wer ist nun für diese Politik zuständig? Ein Ausblick auf Alternativen.

Die Schweiz macht auf der internationalen Szene zurzeit keine gute Figur. Der Sündenbock ist jeweils rasch gefunden: alle zeigen auf den Bundesrat, der offenbar nicht mehr in der Lage ist, das Schiff durch die rauhe See zu steuern. In der Tat kommt der Regierung in der Aussenpolitik eine besondere Rolle und Verantwortung zu. Artikel 184 der Bundesverfassung sagt: «Der Bundesrat besorgt die auswärtigen Angelegenheiten.» Dass in erster Linie die Regierung für die Aussenpolitik zuständig ist, ist allerdings keine schweizerische Besonderheit. Überall sind dafür Ministerpräsidenten, Kanzlerinnen, Staatspräsidenten und ihre Aussenminister zuständig. Der Grund dafür liegt darin, dass Innen- und Aussenpolitik unterschiedlichen Regeln gehorchen.

In der Innenpolitik ist man unter sich. Alle sind beteiligt: Regierung und Parlament, Parteien und Verbände, Volk und Kantone. Man kennt in der Regel die Interessen und Strategien aller Kontrahenten. Es gibt reichlich Informationen, die Dinge werden öffentlich verhandelt, und man lässt sich Zeit, bis Entscheide heranreifen und sich die nötigen Mehrheiten finden. In der Regel kommt es zu eher kleinen Veränderungen und Anpassungen, und wenn diese sich nicht bewähren, macht man sie wieder rückgängig. Ganz anders in der Aussenpolitik. Hier sind die Mitspieler andere, teilweise mächtige, Staaten, deren Absichten und Mittel man meist nicht genau kennt. Man bewegt sich auf glattem diplomatischen Parkett, und vieles wird nicht in der Öffentlichkeit, sondern hinter geschlossenen Türen verhandelt. Es bilden sich Koalitionen, zu denen man gehört oder von denen man ausgeschlossen wird. Der Rhythmus von Verhandlungen wird oft von aussen vorgegeben, es gibt jahrelange Verzögerungen und plötzliche Beschleunigungen. Kommt ein völkerrechtlicher Vertrag zustande, kann man nur noch ja oder nein sagen, und um ihn abzuändern, müssen erneut sämtliche Parteien einverstanden sein.

Um auf diesem schwierigen Feld zu bestehen und die Interessen des Landes durchzusetzen, bedarf es umfangreicher Kenntnisse und Erfahrungen, klarer Strategien und flexibler Taktiken, eines geschlossenen Auftretens und eines ausgeprägten Verhandlungsgeschicks. Dazu ist allenfalls die Regierung mit ihrem diplomatischen und administrativen Apparat in der Lage. Die Rolle des Parlaments und des Souveräns ist es, diese Aussenpolitik mit Lob oder Tadel zu begleiten und abgeschlossene Abkommen gutzuheissen oder abzulehnen. Dies ist in jedem Staat so. Im übrigen jedoch sind die aussenpolitischen Handlungsmöglichkeiten von der geographischen Lage, von der Grösse, der wirtschaftlichen Potenz, den Machtmitteln und der Einbindung in Bündnisse abhängig. Die Schweiz lebt vom ungehinderten wirtschaftlichen Austausch zwischen Ländern. Sie verfügt kaum über Machtmittel und ist deshalb ganz besonders auf die rechtliche Regelung internationaler Beziehungen angewiesen. Als Nichtmitglied der Europäischen Union steht sie oft allein. Ihr übergrosser Finanzplatz erzeugt Neid, und ihr Bankgeheimnis setzt sie der Kritik aus. Für sie ist also eine geschickt und kompetent geführte Aussenpolitik von grösster Bedeutung. Doch offenbar ist sie dazu nicht mehr in der Lage.

Wir haben es gesagt: eine solche Politik muss von der Regierung geführt und verantwortet werden. Nun hat aber die Schweiz institutionell gesehen eine der schwächsten Regierungen aller modernen Staaten. Die Konkordanz verlangt, dass in ihr ständig alle grossen Parteien vertreten sind und darüber hinaus kein Landesteil zu kurz kommt. Es gibt keinen Präsidenten mit Richtlinienkompetenz; die Regierung hat keine gesicherte parlamentarische Mehrheit und kein Regierungsprogramm; das Parlament hat jegliche Möglichkeit, die Vorlagen des Bundesrates nach Belieben zu ändern. Politische Führung gibt es deswegen höchstens in dem Sinne, dass der Bundesrat vorausahnt, wann und wofür sich gelegentlich Mehrheiten herausbilden könnten. Die Mitglieder dieser Regierung sind zudem Vorsteher riesiger Departemente und kümmern sich primär um deren Angelegenheiten. Die Schweizer haben eben nie eine starke Regierung gewollt. Was die Innenpolitik betrifft, ergeben sich daraus – wie jeder Vergleich mit andern Ländern zeigt – offensichtlich keine grösseren Probleme; denn dieses politische System hat hochgradig adaptive Fähigkeiten. Es war jedoch schon immer eine heroische Annahme, dass sich dieses heterogen-konkordant-kollegiale Bundesratsgremium dann, wenn es Aussenpolitik mache, plötzlich wie eine führungsstarke, mit allen Wassern gewaschene Regierung verhalten könne.

Wie kommt es nun aber, dass die Schweiz bis in die jüngste Zeit keine grösseren Probleme mit ihrer Aussenpolitik hatte, ja auch hier als recht erfolgreich galt? Gründe dafür sind einerseits die besonderen Umstände nach dem Zweiten Weltkrieg und anderseits ein besonderes institutionelles Arrangement. Ein Ergebnis des Krieges war, dass sich die Schweiz nun wieder zur integralen, bewaffneten Neutralität bekannte und deswegen lange Zeit nicht bereit war, an internationalen politischen oder gar sicherheitspolitischen Organisationen teilzunehmen. Sie beschränkte sich auf gute Dienste und humanitäre Interventionen. Ganz anders jedoch sah es in bezug auf die Aussenwirtschaftspolitik aus; denn derselbe Krieg hatte gezeigt, wie verheerend es war, von den Beschaffungs- und Absatzmärkten abgeschnitten zu sein. Unser Land setzte deshalb beträchtliche Mittel ein, um den Zugang zu den Märkten anderer Staaten wieder zu öffnen. Aus einer Position der Stärke heraus – konvertible Währung, intakter Produktionsapparat, Kreditgewährung – tat es dies vor allem mittels bilateraler Handelsabkommen. Die Schweiz war aber auch bereit, in multilateralen Wirtschaftsorganisationen mitzuwirken: schon 1948 in der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), ab 1958 (provisorisch) im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Gatt), 1960 in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA).

Die Aussenwirtschaftspolitik wurde also zum wesentlichen Teil der Aussenpolitik, der Rest war allenfalls nice to have. Dies gab der Aussenpolitik eine klare Richtung und Leitlinie: Ziel war es, der schweizerischen Wirtschaft die Exporte zu ermöglichen, und dazu war es nötig, komplexe bi- und multilaterale Abkommen auszuhandeln und abzuschliessen. Das politische Departement (das heutige EDA) wurde wegen der Neutralitätspolitik ins Abseits gedrängt, federführend wurde das Volkswirtschaftsdepartement und hier die Handelsabteilung. Die Handelsabteilung arbeitete im Rahmen der Ständigen Verhandlungsdelegation (später: Ständige Wirtschaftsdelegation) eng mit der Wirtschaft zusammen – in erster Linie mit dem Vorort des Handels- und Industrievereins, in zweiter aber auch mit den anderen Spitzenverbänden. Wenn man sich in diesem Kreis einig wurde, dann gab es kaum mehr Einwände von Regierung und Parlament, und die Handelsdiplomaten und Verbandsvertreter hatten auf dem internationalen Parkett freie Hand.

So kam es, dass sich die Handelsabteilung – 1979 in Bundesamt für Aussenwirtschaft (Bawi) umbenannt – einer grossen Autonomie erfreute und gelegentlich sogar «office de la couronne» geheissen wurde. Unter ihren legendären Chefs – Jean Hotz, Hans Schaffner, Paul Jolles, Cornelio Sommaruga, Franz Blankart – wuchs eine ganz besondere Spezies von Handelsdiplomaten heran, die denen jedes anderen Landes mindestens auf Augenhöhe begegneten. «Delegierter für Handelsverträge» zu werden, war eine hohe Ehre. Der Chef des Bawi trug ab 1979 den Titel eines Staatssekretärs. Von 1968 bis 1993 stellte die Schweiz die Generalsekretäre des Gatt, zuerst Olivier Long, dann Arthur Dunkel. Mit andern Worten: durch die weitgehende Orientierung der Aussenpolitik an den Erfordernissen der Wirtschaft und durch die Herausbildung einer hochspezialisierten Institution kompensierte die Schweiz die Führungsschwäche der Regierung. Zu den Zeiten des Freihandelsabkommens mit der EWG soll Bundesrat Ernst Brugger zu Paul Jolles gesagt haben: «Paul, das Ausland machst du, ich kümmere mich ums Inland!» Und der Erfolg stellte sich ein: das Freihandelsabkommen wurde 1972 vom Volk mit 72,5 Prozent der Stimmen und von allen Ständen angenommen!

Doch 1999 wurde das Bundesamt für Aussenwirtschaft aufgelöst und in das neu geschaffene Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) integriert. Dabei spielte eine Rolle, dass das Bawi als Sündenbock für die «verunglückte» Europapolitik – sprich EWR und Beitrittsgesuch – herhalten musste. Das Seco beschäftigt sich nun aber mit sämtlichen Aspekten der Wirtschaftspolitik – von der Konjunktur- bis zur Standortpolitik, von der Wettbewerbs- bis zur Arbeitsmarktpolitik. Die hohe Spezialisierung des früheren Bawi auf Aussenwirtschaft und Handel, seine ausgezeichneten Kontakte und Verhandlungskapazitäten gingen deswegen zum Teil verloren. Nun passiert es eben, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Schweiz auf «graue Listen» setzt, ohne sie zu konsultieren, und dass unser Land zur immer wichtiger werdenden G20-Gruppe keinen Zugang findet. Erschwerend wirkt sich die Nichtmitgliedschaft in der EU aus. Zunehmend wird die Schweiz unter Druck gesetzt, und man hat nicht den Eindruck, unsere Regierung sei jeweils hinreichend darauf vorbereitet, geschweige denn, sie verfüge über eine längerfristige aussenpolitische Strategie zur Verteidigung der Interessen dieses Landes.

Es wäre nun allerdings falsch zu meinen, wenn das Bawi noch existierte, wäre alles viel besser. Nostalgie ist nicht am Platz, denn die Welt hat sich verändert. Seit den achtziger Jahren galoppiert die Globalisierung. Was andere Staaten oder Organisationen tun, wirkt immer direkter und tiefer in jedes Land hinein, die Grenzen zwischen Innen- und Aussenpolitik sind fliessend geworden. Das heisst, beinahe jede Politik hat auch ihre Aussenpolitik, und immer mehr Akteure wollen dabei mitwirken – die Kantone, die Verbände, die Nichtregierungsorganisationen. Ein modernes, auf Austausch angewiesenes Land mitten in Europa kann sich internationalen Regimen nicht mehr entziehen, es kann nur ein Stück weit wählen, wie weit es sie mitgestaltet und wie weit es sie bloss vollzieht.

Diese Veränderungen haben die Anforderungen an die Aussenpolitik massiv ansteigen lassen. Der frühere handelspolitische Kompass hat seine Orientierungskraft weitgehend eingebüsst. Die internationalen Foren haben sich vervielfacht, man muss auf unzähligen Hochzeiten tanzen. Dazu wäre es erforderlich, die aussenpolitischen Aktivitäten aller Politikbereiche zu koordinieren; denn sie beeinflussen sich gegenseitig. Oft braucht es «Kreuzkonzessionen», um die Interessen bestmöglich wahren zu können: zwischen Entwicklungspolitik und Migration; zwischen Umwelt, Verkehr und Energie; zwischen Investitionsschutz und Kreditgewährung, und so weiter. Solches zu leisten wäre auch ein Super-Bawi überfordert, für diese Führungsfunktion kommt nur die Regierung in Frage.

Nur eben, die schweizerische ist dazu nicht in der Lage, und zwar nicht wegen der heutigen personellen Zusammensetzung, sondern aus den erwähnten strukturellen Gründen. Es fehlt an allem: Analysefähigkeit, strategischer Planung, interdepartementaler Koordination und eben, schlicht, an Führung, Entscheidung und Durchsetzung. Wäre dies nicht die Aufgabe des Departements für auswärtige Angelegenheiten? Das kann es nicht sein und ist auch in andern Ländern nicht so; denn dieses Ministerium ist in erster Linie für die Pflege der Beziehungen zu andern Staaten zuständig – für die Diplomatie im herkömmlichen Sinne. Ihm die Kapazitäten zu geben, Kompetenzen in all den erwähnten Politikbereichen zu entwickeln und sich im Zweifelsfall in aussenpolitischen Fragen gegen die Fachministerien durchzusetzen, hiesse das ganze Gefüge der Regierung ins Wanken bringen. Nein, diese Aufgabe kann nur die Regierung als gesamte wahrnehmen. Tatsächlich wahrgenommen wird sie in den meisten Staaten aber von der hierarchischen Spitze, der Person also, die mittels ihrer Richtlinienkompetenz die Ministerien zur Raison bringen kann.

Das heisst für die Schweiz: Entweder werden dem Bundespräsidenten solche Kompetenzen und Kapazitäten zugeteilt, oder der Gesamtbundesrat wird in die Lage versetzt, diese Aufgabe wahrzunehmen. Gegen einen mächtigen Regierungschef spricht lange schweizerische Tradition. Um das Gremium als ganzes zur Führung zu befähigen, brauchte es zuerst eine massive Entlastung der Bundesräte als Departementsvorsteher. Ein Modell bestünde darin, die Regierung auf fünf Personen zu verkleinern und die Leitung von – sagen wir einmal zwölf – Departementen politischen Direktoren zu übertragen. Die Hauptaufgabe des Kollegiums wäre dann die politische Führung und die Koordination aller Sachpolitiken. Die Brüsseler Kommission ist dafür ein Modell. Eine solch radikale Reform der schweizerischen Staatsleitung ist vor dem Hintergrund der bisherigen diesbezüglichen Erfahrungen aber ebenfalls wenig wahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass irgendwann der EU-Beitritt Erleichterung bringt; denn bedeutende Teile der Aussenpolitik würden dann an sie übertragen.

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Auftakt

«Commercial Diplomacy». Ein schillernder Begriff, nicht nur weil die Diplomatie mit im Spiel ist, deren Protagonisten sich kaum je in die Karten schauen lassen. Eine gängige Definition gibt das amerikanische Institute for Trade & Commercial Diplomacy. Commercial Diplomacy sei Diplomatie mit einem kommerziellen Drall und beeinflusse all die regulatorischen Entscheide sowie Aspekte der Aussenpolitik, die […]

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