Ausprobieren und lernen
Die Drittmittelakquisition stellt die Schweizer Universitäten vor neue praktische Herausforderungen. Und bietet grosse Chancen: Staat, private Stiftungen und Wirtschaft können von einem finanziellen Zusammenspannen in der Hochschulfinanzierung profitieren. Diese Erkenntnis setzt sich jedoch nicht überall gleich durch.
Die Idee hat sich in der Privatwirtschaft erfolgreich etabliert: ambitionierte unternehmerische Projekte locken mit guten Ideen Investoren an, die sich von ihrem Engagement einen Mehrwert in Form einer Rendite oder persönlicher Anerkennung versprechen. Bestenfalls bringen diese Financiers noch ihre unternehmerische Erfahrung ein und helfen auf diese Weise Unternehmen bei der Umschiffung ökonomischer Risiken. Zunehmend werden ähnliche Konzepte auch im Bereich der Schweizer Universitätsfinanzierung ausprobiert – noch mit unterschiedlichem Erfolg, wie ein Blick in die Praxis zeigt.
Kurierte Kinderkrankheiten: Freiburg
Der Generalsekretär der Universität Freiburg ist nicht zu beneiden. Zum x-ten Mal wird er zum gleichen Vorgang befragt, zum x-ten Mal erzählt er die gleiche leidige Geschichte. Trotzdem gelingt es ihm, dem Drama eine neue Facette abzugewinnen, und sei es nur ästhetischer Art. Den Umstand, dass seine Hochschule vor vier Jahren mit einer Schenkung in der Höhe von 100 Millionen Franken bedacht worden ist, kleidet der Mann in folgende Worte: «Jamais vu.» Gemeint ist damit die gewaltige Summe, die der Industrielle Adolphe Merkle über eine Stiftung seiner Alma mater zukommen liess.
Noch nicht gesehen hat die Universität auch jene Erschütterungen, die der Zuwendung folgten. Das Geld war in erster Linie für den Aufbau und den Betrieb eines Instituts für Materialwissenschaften und Nanotechnologie bestimmt. Mit diesen Aussichten konnte Peter Schurtenberger, der erste Direktor der neuen Einrichtung, von einem Wechsel an die ETH Zürich abgehalten werden. Allein, es ist alles etwas schnell gegangen. Die Mittel waren da, die Arbeit konnte beginnen. Zu Beginn war das Institut jedoch nicht Teil der Universität, sondern verfügte über einen Stiftungsrat, der auch über die wissenschaftliche Stossrichtung zu befinden gedachte. Schurtenberger, eine Kapazität auf dem Gebiet der Experimentalphysik, zog im letzten Jahr die Konsequenzen und demissionierte – aus Sorge um seine Glaubwürdigkeit, wie er später zu Protokoll geben sollte.
Die Universität Freiburg reagierte mit Verzögerung, doch sie reagierte. Das Adolphe-Merkle-Institut hat als Kontrollorgan einen Institutsrat erhalten, dem je zwei Vertreter der Stiftung und der Universität angehören. Dem Stiftungsrat stehen keine operativen Kompetenzen zu. Die Unabhängigkeit der akademischen Forschung ist vertraglich verbrieft worden. Seither segelt das Institut wieder in ruhigen Gewässern. Die unglückliche Episode um Professor Schurtenberger ist ein Einzelfall in der Schweizer Hochschullandschaft geblieben. Auch ist der Universität Freiburg nur bedingt vorzuwerfen, sie habe überstürzt gehandelt. Die Nanomaterialwissenschaften sind ein wichtiges Standbein der Hochschule; seit 2006 unterhält sie ein eigenes Zentrum auf dem Gebiet. Das Vorhaben der Merkle-Stiftung passte also in die Strategie. Darüber hinaus ist Nanotechnologie ein Forschungsfeld, das für weitere Förderer attraktiv ist. Die Anschlussfinanzierung – am Merkle-Institut sollen dereinst 120 universitäre Wissenschafter an vier Lehrstühlen beschäftigt sein – liesse sich so auf mehrere Schultern verteilen. Gewiss, das Beispiel der Freiburger Nanomaterialforschung ist ungewöhnlich. 100 Millionen Franken auf einen Schlag aus privater Hand – das hat es in der Schweiz tatsächlich noch nicht gegeben.
Zögerliche Schritte: Basel und Luzern
Eines aber steht fest: Schweizer Universitäten werden zunehmend auf die Gewinnung von Drittmitteln angewiesen sein, wenn sie weiterhin ihren eigenen Standards genügen und im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen wollen. Mehr noch: Ein hoher Drittmittelanteil ist zu einem eigentlichen Ausweis über die Qualität der Forschung an sich geworden.
Geben wir uns aber keinen Illusionen hin: staatliche Fördereinrichtungen spielen nach wie vor die wichtigste Rolle, wenn es um die Forschungsfinanzierung geht. Wer sich um Unterstützung durch den Schweizerischen Nationalfonds bemüht, dem stehen mehrere, zum Teil schwer zu überblickende Beratungsstellen zur Verfügung. Fragen zu europäischen Fördermöglichkeiten werden gemeinhin über das Netzwerk «Eurosearch» abgewickelt, das an allen Uni-versitäten vertreten ist. In dem Kontext ist an der ETH und der Universität Zürich per Anfang 2012 eine neue Online-Plattform geplant, die den Kommunikationsbedürfnissen einer vernetzten Forschergemeinde gerecht werden soll. Die Universität Lausanne arbeitet an einem einheitlichen Internetauftritt, der Informationen über ein breites Spektrum an Förderquellen bündeln soll. Sponsoring ist – im Gegensatz zur Ecole Polytechnique Fédérale, die auf dem gleichen Campus steht – bis anhin kein Thema. Die Freiburger Dienststelle für Forschungsförderung bietet Erfahrung aus erster Hand. Seit 2009 erhalten Forschende an der Saane zudem professionelle Hilfe beim Verfassen von Anträgen.
Zu diesen populären und leicht ausgetretenen Pfaden sind in den letzten Jahren neue hinzugekommen. Drittmittelfinanzierung zugunsten der akademischen Forschung und Lehre wird vermehrt auch über Unternehmen, über Stiftungen und über Privatpersonen aufgegleist. Diese «neuen» Akteure schaffen auch neue organisatorische und kommunikative Herausforderungen. Entscheidend ist, dass zweckmässige Strukturen vorhanden sind, damit beide Seiten überhaupt zusammenfinden: Interne Fundraising-Verantwortliche, wie sie die Universitäten Bern, Lausanne und Luzern aufbieten, sind ein erster Schritt. Auch die Universität Basel hat den Aufbau einer eigenen Fundraising-Organisation ins Auge gefasst. Teilzeitpensen – wie in Freiburg praktiziert – dürften für solche Aufgaben aber kaum ausreichen.
Musterlösung: ETH Zürich
Die ETH Zürich hat das erkannt. Bereits im Jahr 2003 hat sie die ETH Zürich Foundation ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, Lehre und Forschung an der technischen Hochschule mit privaten Mitteln voranzubringen. Die Akquisitionen der Stiftung können sich sehen lassen: 2010 verzeichnete sie 74 Millionen Franken an Zuwendungen, viermal mehr als im Krisenjahr 2009. Für Professuren, für Stipendienprogramme zugunsten hoffnungsvoller Nachwuchskräfte und für weitere Projekte wurden rund 22 Millionen Franken gesprochen. Das Stiftungsvermögen ist auf über 125 Millionen Franken gestiegen; der Betriebsaufwand – die Geschäftsstelle zählt sechs Personen – ist bereits durch die Zinsen gedeckt. Allein, gegenüber einem jährlichen Gesamtbudget der ETH von über 1,3 Milliarden Franken wirken solche Beträge noch immer überschaubar. Lohnt sich also die Mühe überhaupt?
Die ETH Zürich Foundation geht davon aus, dass drittmittelfinanzierte Professuren ihrerseits weitere Fördermittel generieren werden. Ein neuer Lehrstuhl, so die Rechnung, steht hier genauso in der Pflicht wie jene Professuren, die schon lange im ordentlichen Budget figurieren. Die Stiftung versteht sich nicht nur als Beschleuniger, dank dem sich bestimmte Themen an der Hochschule schneller umsetzen lassen, sondern auch als Katalysator. Insofern ist der bisherige Leistungsausweis der Foundation bemerkenswert. Bis heute war sie an der Errichtung von 18 neuen Professuren beteiligt.
Donald Tillman, der Geschäftsführer, gibt sich indes bescheiden. Er sagt: «Nicht wir sind erfolgreich, die ETH ist es.» Die Aussage scheint nachvollziehbar. Eine Hochschule, die sich erklärtermassen an der Weltspitze orientiert, ist für Donatoren mit vergleichbaren Ambitionen besonders attraktiv. Mehr als die Hälfte der von der ETH Zürich Foundation gewonnenen Mittel stammen von privaten Unternehmen. Die meisten davon stehen ebenfalls im globalen Wettbewerb mit den Besten ihrer Zunft. Qualität zieht sich gegenseitig an.
Erfolgreich ist die Stiftung auch wegen klarer Zielsetzungen. Die ETH weiss, was sie will, und die Foundation hat ebenfalls eine eindeutige Vorstellung, wie sie ihren Teil dazu beitragen kann. «Die Schulleitung definiert die Felder, in denen die ETH vorrücken möchte; wir bemühen uns um die entsprechenden Kontakte, die sich für ein Engagement in diesen Gebieten interessieren könnten», erläutert Tillman. Die von der Stiftung gesammelten Gelder kommen einzig Projekten zugute, die für die Hochschule von strategischer Bedeutung sind. Auf der Internetseite der Foundation sind zurzeit acht laufende Initiativen aufgeführt. Aus Sicht von potentiellen Donatoren haben solche Schwerpunkte einen nicht unwesentlichen Vorteil: sie erleichtern es, aktuelle Fördermöglichkeiten zu überblicken.
Freilich, auch die Schulleitung der ETH pflegt gute Beziehungen zur Privatwirtschaft. Auch sie dürfte bereits auf konkrete Anregungen von einzelnen Unternehmen eingegangen sein. Nach Angaben von Tillman ist es aber auch schon vorgekommen, dass eine Spende in der Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages abgelehnt wurde, da der damit verbundene Forschungszweck nicht ins Portfolio der Hochschule passte.
Auf der Suche: Universität Zürich
Die Beiträge von Wirtschaft und Privaten an die Universität Zürich beliefen sich 2010 bei einem Gesamtbudget von rund 1,2 Milliarden Franken auf 81 Millionen Franken, die Drittmittel insgesamt auf 202 Millio-nen. Die Universität Zürich hat ihre Fühler bereits ausgestreckt, um von den Erfahrungen der Nachbarin zu profitieren. Die Gründung einer eigenen Stiftung zum Zwecke der Drittmittelfinanzierung ist noch für 2011 vorgesehen. Über denkbare Koopera-tionen mit der ETH Zürich Foundation sei bereits diskutiert worden, sagt Markus Schaad, der neue Fundraising-Verantwortliche der Universität. Er ist seit Mai im Amt. Schaad sagt aber auch: «Bis zu einem gewissen Grad sind wir Konkurrenten.»
In diesem Verteilkampf um zusätzliche Finanzmittel hat sich die ETH Zürich Foundation eine gute Position erarbeitet. Zu den wichtigsten Erkenntnissen des langjährigen Lernprozesses gehört die Tatsache, dass Fundraising im Hochschulbereich ein gutes Beziehungsmanagement voraussetzt. Entscheidend ist demzufolge, dass Donatoren verfolgen können, was ihr Engagement bewirkt hat, auch wenn dieses bereits Jahre zurückliegen sollte. Professionelle Berichterstattung über angestossene Forschungsprojekte ist unabdingbar – offenbar beherzigen das längst nicht alle Schweizer Hochschulen, wie aus Stiftungskreisen zu vernehmen ist.
Zahlen und Fakten allein reichen jedoch nicht. Gefragt ist eine dauerhafte Bindung zu den Geldgebern, und diese lässt sich nur durch die Intensivierung persönlicher Kontakte bewerkstelligen. Das Team von Tillman setzt auf Besichtigungen, Laborbesuche und auf andere wiederkehrende Anlässe, an denen sich Förderer und Geförderte direkt begegnen. Stiftungen und Mäzene sollen sich ein Bild machen können von der Wissenschaft. Darüber hinaus verfügt die ETH mit ETH Transfer über eine weitere Einrichtung, die als eigentliche Drehscheibe zur Industrie fungiert. Unternehmen erhalten auf diese Weise einen wichtigen Einblick in die Grundlagenforschung. Die ETH-Forschenden profitieren ihrerseits vom Austausch mit Entwicklungsabteilungen, die sich am Markt beweisen müssen.
Avantgarde: St. Gallen
In der Ostschweiz hat man die Weichen im letzten Jahr neu gestellt. Seit Anfang 2010 besitzt die Universität St. Gallen (HSG) eine zentrale Stelle für Universitätsförderung. Die Universität finanziert 96,3 Millionen Franken – knapp die Hälfte ihres Budgets – aus privater Quelle. Der Service richtet sich in erster Linie an Stiftungen und Privatpersonen. Das hat einen guten Grund: die über 40 Institute und Zentren der HSG verstehen es bereits ausgezeichnet, Gelder aus der Privatwirtschaft anzuziehen; dies vor allem in den Bereichen Auftragsforschung (30,7 Millionen) und Weiterbildung (41,5 Millionen). Nun soll es auch auf gesamtuniversitärer Ebene vermehrt gelingen, weitere Mittel anzuziehen, und zwar zugunsten der akademischen Forschung, der Lehre oder um zusätzliche Räumlichkeiten auf dem Campus zu finanzieren.
Die Voraussetzungen sind gut. Zwar stehen der Universitätsförderung lediglich 1,6 Arbeitsstellen zur Verfügung. In St. Gallen aber kann sich die neue Initiative zur Drittmittelfinanzierung auf einen weit verzweigten Partner stützen: die Ehemaligen. HSG-Alumni sind treu. Von den 19 000 Mitgliedern haben laut Alumni-Präsident Urs Landolf rund 12 000 Personen mindestens einmal eine Veranstaltung der Ehemaligenorganisation besucht. Dieses Netzwerk gilt es zu nutzen, zumal die Universitätsförderung bisher reaktiv agiert hat. Deren Dienstleistungen sind als Türöffner für jene konzipiert, die sich intrinsisch für die Weiterentwicklung der Universität St. Gallen interessieren und dafür auch bereit sind, substanzielle Beträge beizusteuern.
Einiges lässt sich aber auch ohne grosses Portemonnaie realisieren. Auf der Homepage der HSG-Alumni gibt es einen Zugang zu einer interaktiven Förderbörse. Auf der Plattform namens «HSG inSite» stehen mehrere Projekte zur Wahl. So zum Beispiel eine Initiative, die ambitionierte Nachwuchswissenschafterinnen der Universität St. Gallen in Karrierefragen beraten möchte. Wer ein Vorhaben unterstützen will, zeichnet Anteilsscheine zu einem Stückpreis von 50 oder 100 Franken. Ein «Sharebarometer» gibt darüber Aufschluss, wie viele Mittel noch benötigt werden bis zur Umsetzung des betreffenden Projekts. Der langfristige Effekt, den sich die Universität St. Gallen mit diesem Instrument zu erzielen erhofft, ist klar: es geht um das zu schaffende Bewusstsein, dass das Engagement von Einzelpersonen durchaus etwas bewirken kann.
Zentrale, professionell geführte Anlaufstellen für Donatoren können Brücken bauen. Sie haben nicht zuletzt die Aufgabe, Wissenschaft verständlich zu machen. Mit Stiftungen und Mäzenen, die nicht vom Fach sind, gilt es anders zu kommunizieren als mit einem Unternehmen, das sich auch für die Details der universitären Grundlagenforschung interessiert. In der Schweiz hat diese Art der Drittmittelfinanzierung noch Potential. Für die hiesigen Stiftungen beispielsweise sind Wissenschaft und Forschung ein wichtiges Thema.
Allein, die Schweizer Stiftungslandschaft ist stark zersplittert. Ein verlässliches Register, das über die Mitglieder der beiden Verbände Swiss Foundations und Pro Fonds hinausweisen würde, gibt es nicht. Die Plattform FoundationFinder, deren Fortbestand nach eigenen Angaben nicht gesichert ist, ist bloss auf die Region Basel fokussiert. Auch das Verzeichnis des Stiftungsforums ist nicht komplett. Die meisten Stiftungen in der Schweiz sind, was kommunikative Schnittstellen angeht, kaum handlungsfähig, da ihnen die notwendigen Strukturen fehlen. Umso mehr sind die Universitäten gefordert, stabile Beziehungen zu solchen Förderquellen aufzubauen. Sei es zum Beispiel über Swiss Fundraising, den hiesigen Verband der Fundraiser, sei es in Zusammenarbeit mit der Fachgruppe Bildung des deutschen Fundraising-Verbandes oder über Case, ein internationales Netzwerk zur Förderung akademischer Bildungsstätten. Die Schweizer Universitäten haben erste Schritte gemacht, weitere müssen folgen. Dornröschen erwacht allmählich aus seinem Schlaf.