Auslichten schafft neue Aussichten
Warum hortikulturelle Massnahmen immer wieder nötig sind, um Stiftungen zum Blühen zu bringen.
In der Stiftungslandschaft gibt es ganz verschiedene Stiftungsgärten. Es gibt in die Jahre gekommene Barockgärten, verwunschene, aber charmant blühende Familiengärten, es gibt kaum auffindbare, eingefriedete, den neugierigen Blicken entzogene Gärten, Gärten mit trendigem Trubel, innovationsgetriebene Hipstergärten mit kurzlebigen Bepflanzungen und verschlafene Kleinstgärten in Anwaltspraxen, die eigentlich nur aus einer sterilen Zimmerpflanze bestehen. Die Vielzahl der Gärten ist ein Abbild der Welt der Stiftungen, in der die Anzahl, aber auch die Vielfalt stetig zunimmt. Gemäss neuestem Stiftungsreport entstanden in der Schweiz seit 1990 rund 8110 Stiftungen, Ende 2018 waren es 13 169.
Eines ist jungen wie alten Stiftungen gemeinsam: Sie benötigen viel Pflege mit viel Sachverstand. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass es bei älteren, traditionsreichen Stiftungen zu Verwachsungen kommt, die Sicht durch Wucherungen und Schlingpflanzen eingeschränkt wird. Aber auch bei jungen und schon bei jüngsten Stiftungen schiesst vieles ins Kraut.
Am Beispiel der 133 Jahre alten Christoph Merian Stiftung zeigt sich, welche Förderfallen es gibt, wie Wachstum die Wirkung begrenzen kann, wie Rückbesinnung den Sinn für Neues schärft und ein Rückschnitt Fortschritt ermöglicht respektive den Garten zum Blühen bringt.
«Eines ist jungen wie alten Stiftungen gemeinsam: Sie benötigen viel Pflege mit viel Sachverstand.»
Die Christoph Merian Stiftung (CMS) ist als öffentlich-rechtliche, der Stadt Basel und der Politik verpflichtete Stiftung ein Sonderfall, weil sie sich gegen die Tagespolitik und die staatlichen Begehrlichkeiten behaupten muss, weil sie ihr Vermögen, das vor allem aus Liegenschaften besteht, selber bewirtschaftet, weil sie eine Förderstiftung ist, eine operative und darüber hinaus eine Dachstiftung. Das alles macht sie komplex, in ihrer Funktionsweise ist sie aber trotzdem eine ganz gewöhnliche Stiftung.
Förderfallen führen zu Verwachsungen
Im Laufe ihrer Geschichte hat die CMS verschiedene Formen der Förderung praktiziert. In den 1970er und ’80er Jahren hat sie immer wieder versucht, eine Art Perpetuum mobile zu schaffen: Die Stiftung kaufte und sanierte ein Gebäude und stellte dieses einer kulturellen oder sozialen Institution in Gebrauchsleihe oder mit einem grossen Mietzinsrabatt zur Verfügung. Damit konnte das Betriebsbudget der jeweiligen Organisation um die Infrastrukturkosten entlastet werden, und die CMS musste keine jährlichen Betriebskosten aus Fördermitteln einschiessen. So weit, so gut. Doch das Fördermodell hatte gleich mehrere Haken, denn die unterstützten Institutionen wiesen in der Regel trotzdem ein strukturelles Defizit auf, weshalb die CMS sie bald zusätzlich mit Betriebskostenzuschüssen alimentieren musste. Auch der Gebäudeunterhalt war nicht ausfinanziert. Da dabei keine oder nur geringe Mieteinnahmen erzielt wurden, musste die Stiftung bei anstehenden Renovationen stets wieder in die Förderkasse greifen. Die Perpetuum-mobile-Idee war zwar reiz- und fantasievoll, aber selbsttrügerisch.
Weniger ins Auge stachen kleinere Mietzinsrabatte oder langfristige Baurechtszinsvergünstigungen, welche, einmal vertraglich zugesichert, in der Rechnung nicht als Einnahmenverluste oder als Förderleistung ausgewiesen wurden. Sie gerieten so in Vergessenheit, obwohl sie den Ertrag der Vermögensbewirtschaftung schmälerten.
In den 1990er Jahren erkannte die Stiftung zahlreiche Lücken im sozialen Netz resp. im kulturellen Angebot. Sie füllte diese Lücken mit der Gründung neuer Institutionen wie einem Literaturhaus, einem Kinderbüro, einer Schuldenberatungsstelle. Und: Sie finanzierte diese von Beginn an mit grösseren Betriebskostenbeiträgen. Sie tat dies nicht zuletzt, um dem immer wieder von der Politik erhobenen Vorwurf, Stiftungen würden bloss Projekte anschieben, entgegenzutreten. Mit ihren subventionsähnlichen Betriebskostenbeiträgen verhielt sich die Stiftung also zunehmend staatsähnlich. Je länger die Unterstützung dauerte, desto grösser wurde die gegenseitige Abhängigkeit. Die Stiftung wurde gleichsam systemrelevant und systemerhaltend. Ein Ausstieg schien aus moralischen wie politischen Gründen praktisch unmöglich. Das hatte Folgen: Im Sozialbereich beanspruchten die Dauerverpflichtungen im Jahr 2014 schliesslich 80 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel.
«Je erfolgreicher ein Projekt oder eine Institution ist, desto grösser wird der Mittel- und Personalbedarf. Und wer möchte nicht dem Prinzip der Perfektibilität folgen? Wer nicht Erfolg honorieren?»
Gleichzeitig blieb die Versuchung, den grossen Liegenschaftenbesitz und -erwerb immer wieder auch im Sinne der Förderung einzusetzen, also «Impact Investing» zu betreiben. Die Stiftung kaufte etwa ein ehemaliges Kirchgemeindehaus und baute es zu einem Kultur- und Quartierbegegnungszentrum um. Ein schönes und wichtiges Projekt, das allerdings einen schwerwiegenden Makel aufwies: Die CMS unterstützte nicht nur den Gesamtbetrieb des Zentrums, sondern auch einzelne Sozialinstitutionen, die sich dort ansiedelten, mit Mietzinsrabatten und Betriebskostenbeiträgen. So wurden diese Vereine gleich dreifach gefördert: mit Rabatten, mit Betriebskostenzuschüssen und indirekt über das subventionierte Zentrum.
Neben den genannten Fördermethoden ging die Stiftung auch vermehrt dazu über, Projekte mit eigenem Personal zu betreiben. Sie gründete einen eigenen Verlag, übernahm ein Museum, einen botanischen Garten, startete ein Projekt in der Naturbildung und noch ein zweites, leistete sich eigene Landwirtschaftsbetriebe sowie sechs defizitäre Alterssiedlungen. 2014 verfügte die CMS über neun eigene operative Engagements, wobei deren Finanzierung grösstenteils zulasten der laufenden Stiftungsrechnung erfolgte, womit sowohl die Ertragskraft wie die Förderleistung verunklärt wurden. Zum gesamten Wachstum gesellte sich das systemimmanente Wachstum: Je erfolgreicher ein Projekt oder eine Institution ist, desto grösser wird der Mittel- und Personalbedarf. Und wer möchte nicht dem Prinzip der Perfektibilität folgen? Wer nicht Erfolg honorieren?
Die Folge: steigende Personalkosten und immer schwieriger zu steuernde Gärtchen im grossen CMS-Garten.
Schneiden und pflanzen
Der Stifter Christoph Merian hatte in seinem Testament den bemerkenswerten Satz formuliert, wonach er bewusst keinen engen Stiftungszweck formuliert habe, «um eine bessere und zeitgemässere Verwendung der Mittel nicht zu vereiteln». Genau dies tat aber seine Stiftung, als sie den Einsatz ihrer Fördermittel durch eigene Engagements und Dauerverpflichtungen unflexibel machte. 2014 startete die Stiftung aus dieser Rückbesinnung auf den Stifterwillen eine Standortbestimmung und stellte sich folgende Fragen:
• Unternehmensstruktur und -kultur: Sind wir richtig aufgestellt?
• Politik: Sind wir unabhängig genug?
• Wirtschaftlichkeit: Sind wir genug marktorientiert? Stimmt unsere Rendite, die Grundlage unserer Förderung?
• Intransparenz: Wie lösen wir uns von historischen Verwachsungen?
• Gebundene Fördermittel: Wie kommen wir zu mehr Flexibilität?
Die CMS verfasste daraufhin ein Leitbild, das auf zwei Säulen beruhte: den Kernbegriffen des Swiss Foundation Code (Governance, Impact und Transparenz) sowie auf den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, dem Stiftungsvermögen und der Lebenswelt). Und sie startete einen rollenden Strategieprozess mit klaren Zielvorgaben.
Im Bereich der Governance klärte die Stiftung ihr Verhältnis zur politischen Aufsicht und zum Kanton und führte eine interne Reorganisation durch, indem sie Vermögensbewirtschaftung, Förderung und Dienste neu strukturierte. Weiter vollzog die CMS eine strikte Trennung der Blutkreisläufe, d.h. eine klare Trennung von Vermögensbewirtschaftung und Förderung. Zusätzlich wurden die Renditeliegenschaften und die zweckbestimmten getrennt, wobei für letztere eine Kostenmiete eingeführt wurde, die von nun an aus Fördermitteln zu bezahlen war. Dadurch wurden die Rabatte beseitigt, die Liegenschaftskosten sind langfristig gedeckt und die Renditeliegenschaften können kommerziell bewirtschaftet werden. Gleichzeitig wurden auch erstmals die realen Kosten von Förderengagements eruiert und kommuniziert. Um die Transparenz noch weiter zu erhöhen, führte die CMS 2018 eine neue Rechnungslegung nach Swiss Gaap Fer 21 ein. Dies bedingte eine Neubewertung sämtlicher Liegenschaften und die Abschaffung der stillen Reserven. Durch die Neubewertung wurde das Stiftungsvermögen neu mit CHF 1,5 Mrd. statt wie bisher mit CHF 330 Mio. ausgewiesen. Auch im Bereich der Förderung tat sich einiges: Die Stiftung versteht sich heute als soziale Investorin, die bedarfs- und wirkungsorientiert fördern will. Neben der Formulierung eines vierjährigen Förderprogramms führte sie im Sozialbereich eine umfassende Bedarfsanalyse durch, um dort aktiv werden zu können, wo es die Stiftung mit einer gewissen Dringlichkeit braucht. Sie beendete sozialverträglich zahlreiche Partnerschaften und beschränkte die Beiträge an ihre Förderpartner auf 50 Prozent der Fördermittel. Die Stiftung reduzierte ihre operativen Engagements ausserdem von neun auf drei, verkleinerte damit auch ihren Personalbestand markant und fokussierte ihr Tätigkeitsfeld, indem sie Projekte beendete, ihre beiden Landwirtschaftsbetriebe verpachtete, den Betrieb von zwei Alterssiedlungen einstellte und vier einem externen Partner übertrug.
Organisatorische, strukturelle und inhaltliche Reorganisationen, das Auslichten ist kein schmerzfreier Prozess, aber immer wieder ein notwendiger. Denn Stiftungen sind wertkonservativer, als ihnen lieb ist, und deshalb sind sie der Gefahr der Überwucherung und Vergandung besonders ausgesetzt. Dagegen hilft nur Wachsamkeit und Selbstreflexion, Transparenz und scheuklappenfreies, impactorientiertes Handeln.