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Aus weniger mach mehr

Die Schätze der Erde sind grösser, als wir meinen – vor allem aber unsere Fähigkeit, aus ihnen immer Besseres zu entwickeln.

 

Als am 7. Dezember 1972 der amerikanische Astronaut Harrison Schmitt auf dem Weg zum Mond die Erde aus einer Entfernung von 45 000 Kilometern fotografierte, ahnte er wohl kaum, dass sein Foto zu einem der wirkmächtigsten Bilder der kommenden Jahrzehnte werden würde. Schmitts Foto der «blauen Murmel» (Blue Marble) wurde schnell zu einer Ikone der damals noch jungen Umweltbewegung und zum Sinnbild für ein neues globales Bewusstsein. Die «blaue Murmel» veranschaulichte gleichzeitig Schönheit, Zerbrechlichkeit und Begrenztheit unseres Planeten.

Im selben Jahr, in dem Schmitt sein Foto schoss, fand das dritte St. Gallen Symposium statt, auf dem die Studie «Grenzen des Wachstums» des Club of Rome präsentiert wurde. Auf der Basis von Systemanalysen und Computermodellen wurden darin verschiedene Zukunftsszenarien analysiert und Prognosen erstellt. Die pessimistischsten davon sagten einen vollständigen Kollaps der menschlichen Zivilisation für das Jahr 2072 voraus. Danach müsste spätestens ab dem Jahr 2020 die Weltwirtschaftsleistung – unter anderem wegen Rohstoffmangels – rapide zurückgehen. Was derzeit offensichtlich nicht der Fall ist.

Die optimistischeren Modelle prophezeiten eine Stagnation. Dann hätten allerdings Weltbevölkerung und Industrieproduktion schon vor einigen Jahren zum Stillstand kommen müssen. Was auf die reale Welt ebenfalls nicht zutrifft.

Die Grenze bildet die Technologie

Warum sind uns die Rohstoffe noch nicht ausgegangen? Warum hat die prophezeite Apokalypse – wie all die vielen anderen vorher – nicht stattgefunden? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten.

Zum einen ist die Erde um einiges grösser und robuster, als es beim Studium des Bildes der «blauen Murmel» erscheinen mag. Für die Rohstoffproblematik entscheidend ist die rund 35 Kilometer dünne Erdkruste. Und obwohl auf sie lediglich 0,4 Prozent der Erdmasse entfallen, ergibt das die unvorstellbare Masse von fast fünfundzwanzig Trillionen (2,4 x 1019) Tonnen.

Legt man den Masseanteil der verschiedenen Elemente zugrunde, so finden sich in der Kruste fast 2 Trillionen Tonnen Aluminium und etwa 1,4 Trillionen Tonnen Eisen – allerdings meist nicht in wirtschaftlich ausbeutbarer Form, jedenfalls derzeit nicht. Dennoch macht diese Überlegung deutlich, welche Mengen an Rohstoffen die Erde bereithält. Selbst von den «Seltenen Erden» sind in der Erdkruste nach Schätzungen Lagerstätten vorhanden, die unseren Verbrauch noch für Jahrhunderte decken können (falls wir dann überhaupt noch auf sie angewiesen sein werden).

Unser Verbrauch an Rohstoffen wird also weniger durch das Angebot der Erdkruste zum Problem (dieses ist schier unerschöpflich), sondern durch die Grenzen unserer Technologie. Wir kommen schlicht (noch) nicht an alle Vorräte heran. Trotz des gewaltigen Masseanteils an der Erdkruste sind die wirtschaftlich nutzbaren Mengen wesentlich begrenzter – aber grösser als die derzeit als gesichert geltenden Vorräte. Den Ingenieuren wird daher künftig vermehrt die Aufgabe zukommen, mit neuen Verfahren weitere Rohstoffquellen zu erschliessen.

Aber was, wenn uns doch einmal die Rohstoffe auf der «blauen Murmel» ausgehen? «Na und?», antwortet der Astrophysiker Neil deGrasse Tyson. «Wir leben in einem Universum unendlicher Ressourcen. Das Sonnensystem enthält unzählige Asteroiden und Monde, die praktisch unerschöpfliche Mengen an allen nur vorstellbaren Rohstoffen (einschliesslich Wasser) bieten. Es ist nur eine Sache von Geld, Wille und Mut, diese Schätze zu heben.» In der Tat gibt es bereits zahlreiche Unternehmen, die konkrete Projekte zum Asteroidenbergbau entwickeln.

«Unser Verbrauch an Rohstoffen wird weniger durch das Angebot

der Erdkruste zum Problem,

sondern durch die Grenzen unserer Technologie.»

Korrekte Daten, falsche Prognosen

Ausnahmslos erwiesen sich bisher alle misanthropischen Vorhersagen über das Ende des Wohlstands und Wachstums als zu pessimistisch. Als Beispiel kann die Geschichte von Peak Oil dienen, also die Vorhersage für den Zeitpunkt der Erschöpfung der Erdölvorräte.

Erstaunlicherweise reichen die ersten Warnungen vor dem Ende des Öls schon in die ersten Jahrzehnte der Nutzung des fossilen Rohstoffs zurück. Bereits 1874 warnten amerikanische Geologen vor dem Ende der Erdölversorgung, wenn der Rohstoff weiter als Brennstoff für die Beleuchtung der schnell wachsenden Städte genutzt würde. Gerade einmal vier Jahre werde es dauern, bis die damals bekannten Lagerstätten in den USA komplett verbraucht wären. Vier Jahre später war von dieser Warnung nichts mehr übrig, denn die Prospektoren hatten inzwischen riesige neue Erdölfelder erschlossen.

Doch die Ressourcenpessimisten lernten daraus nichts. Immer wieder wurden auf der Basis bekannter Lagerstätten düstere Peak-Oil-Prognosen erstellt. So in den 1950er Jahren, als der massenhafte Einsatz von Autos, Diesellokomotiven und Flugzeugen den Bedarf an Erdöl rasant nach oben trieb. Immer dann, wenn neue Verbrauchssegmente auftauchten, rechnete man das Wachstum hoch und verglich es mit den aktuell bekannten Reserven – jedes Mal auf der Basis von harten Fakten und Daten und nach bestem mathematischem Wissen und Gewissen.

1956 prophezeiten die Geologen Peak Oil in den USA für das Jahr 1973. 1974 wurde dann das Ende aller förderbaren Ölvorräte für das Jahr 1995 vorhergesagt – in guter Übereinstimmung mit den Prognosen des Club of Rome.

Warum lagen die Prognosen trotz korrekter Daten alle weit daneben? Nun: Da die genaue Erschliessung und Vermessung von Rohstoffvorräten hohe technische und finanzielle Aufwendungen erfordert, wäre es für Unternehmen nicht wirtschaftlich, die gesamten Vorräte zu ermitteln. Sie brauchen Planungssicherheit lediglich für einen Zeitraum, für den die Absatzper­spektiven eine gewinnbringende Förderung versprechen – und das sind nicht viel mehr als 20 Jahre.

Ein Rohstoffkonzern wird also nur so viele Lagerstätten eines Stoffes erschliessen, wie nötig sind, um die Nachfrage für einen solchen Zeitraum zu decken. Das erklärt, warum die Prognosen für das Ende der Verfügbarkeit eines Rohstoffs seit den 1970er Jahren so oft um die 30 Jahre herum zu liegen kommen.

Nach derzeitigem Stand würden – dank Fracking und neuen Techniken zur Horizontalbohrung – bei konstanter Nachfrage allein die Öl- und Erdgasvorräte der USA den eigenen Bedarf für mehrere Jahrhunderte decken. Absehbar ist jedoch ein weltweit abnehmender Bedarf an fossilen Brennstoffen durch Nutzung alternativer Energieträger und verbesserte Energieeffizienz. Peak Oil ist also abgesagt und durch Peak Demand ersetzt. In der Tat zeigt ein Index der Preisentwicklung aller Rohstoffe inflationsbereinigt (und von kurzfristigen Anstiegsphasen abgesehen) für die letzten hundert Jahre einen klaren Abwärtstrend.

Eine Utopie wird Realität

Aber nicht nur die Preise für Rohstoffe fallen, sondern auch ihr Verbrauch. Andrew McAfee, Wissenschafter am MIT, zeigt in seinem Buch «More from Less», dass technisch hochentwickelte Gesellschaften tatsächlich einen Zustand erreichen können, bei dem ein Wachstum der Wirtschaft nicht zu einem Mehrverbrauch an Rohstoffen führt. Er weist nach, dass zum Beispiel die US-amerikanische Wirtschaft trotz immensen Wachstums in den vergangenen Jahren weniger Metall, weniger Wasser und weniger Landfläche verbraucht hat. Neue kreative Methoden machten es möglich, mehr und bessere Produkte mit immer weniger Energie und Material zu erzeugen.

Das führt letztlich dazu, dass sich Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit einer Gesellschaft steigern lassen, ohne dass dazu mehr Rohstoffe nötig wären. Ähnliches gilt für Grossbritannien, wo der Verbrauch von Rohstoffen bereits seit Anfang des Jahrtausends nicht mehr steigt. Auch für Deutschland, Frankreich und Italien lässt sich für die letzten Jahre nachweisen, dass dort weniger Dünger, weniger Metall und weniger chemische Grundstoffe verbraucht wurden – trotz weiter steigenden Bruttosozialprodukts.

«Wenn wir unsere Kreativität mit Freiheit kombinieren,

werden wir nie ohne ausreichende Ressourcen dastehen.»

McAfees Erkenntnisse sind vor allem deshalb überraschend, weil bis vor kurzem praktisch Konsens darüber herrschte, dass höhere Produktivität zwar die Preise für Produkte und Dienstleistungen senken kann, aber nicht notwendigerweise zu weniger Energie- und Rohstoffverbrauch führt, weil die Menschen bei sinkenden Preisen eben noch mehr konsumieren. Demnach wird, wenn Automotoren weniger Benzin verbrauchen, mehr gefahren oder es werden grössere Autos gekauft oder das eingesparte Geld wird in Flugreisen investiert, was im Extremfall zu noch mehr Verbrauch führt. Bekannt ist dieses Phänomen als Rebound-Effekt.

Dass dieses 1865 von William Stanley Jevons formulierte Paradox nicht notwendigerweise als ein schicksalhaftes Axiom der modernen Ökonomie angesehen werden muss, hat der Architekt, Designer und Philosoph Buckminster Fuller bereits 1927 erkannt. Sein Prinzip der Ephemerisierung beschreibt die Tendenz, dass die Technisierung letztlich zu immer kleineren, leichteren und effizienteren Maschinen beziehungsweise technischen Anwendungen führen wird. Er glaubte schon damals an die Möglichkeit, Wege zu finden, auf denen man mit immer weniger immer mehr erreichen kann («doing more with less»), so dass am Ende alle Menschen immer wohlhabender werden können. Damals war das eine Utopie. Heute stellen wir fest, dass wir auf diesem Weg schon ein gutes Stück vorangekommen sind.

Folgendes Gedankenexperiment macht dies deutlich. Stellen Sie sich vor, Sie reisten ins Jahr 1990 und besichtigten die Wohnung eines wohlhabenden Bürgers. Was finden Sie? Im Wohnzimmer eine monströse Stereoanlage mit Plattenspieler, Kassettengerät, Verstärker, Radio und CD-Player, ein klobiges Fernsehgerät, eine unhandliche Videokamera, einen Videorecorder, ein rudimentäres Videospiel. Im Arbeitszimmer ein Telefon, ein Faxgerät, einen Taschenrechner, einen Wecker, ein Diktiergerät, ein Funkgerät, eine Spiegelreflexkamera mit unterschiedlichen Objektiven und Filmen. Im Bücherregal Tausende Bücher, ein dickes Lexikon, einen überdimensionalen Atlas, ein Adressbuch, zahlreiche Fotoalben, CDs und Videokassetten. In der Garage finden wir eine Taschenlampe, eine Lupe, eine Stoppuhr, ein gigantisches Autotelefon, eine Wasserwaage, einen Kompass, eine Anlage zur Standortermittlung durch Funkpeilung, einen summenden Computer ohne Internet und USB-Anschluss – auf dem ein pixeliges, langsames Windows 3 läuft. Alle diese Geräte und Dienste und noch viel mehr sind heute in einem winzigen Smartphone vereinigt, das man überallhin mitnehmen kann – und das weniger kostet und nicht mehr Rohstoffe beinhaltet als damals ein gutes Diktiergerät.

Der unterschätzte Rohstoff

Wie haben wir all das erreicht? Zu verdanken ist das der Nutzung eines Rohstoffes, der uns in unerschöpflicher Fülle zur Verfügung steht, der aber in den immer wiederkehrenden Untergangsszenarien regelmässig unterschätzt oder ganz vernachlässigt wird, weil er so wenig quantifizierbar ist, dass er in den Daten und Fakten nicht auftaucht. Dieser Rohstoff ist die menschliche Kreativität.

Bisher haben es die Menschen immer geschafft, die Knappheit traditionell verwendeter Materialien mit Hilfe neuer Stoffe oder Verfahren zu überwinden. Wurden Pech und Wachs knapp, beleuchtete man Strassen mit Lampen aus Tran. Schon damals gab es Warner, die auf die Endlichkeit dieser Ressource hinwiesen, denn der Walbestand ging zurück. Man entdeckte Petroleum und Gas als Ersatzrohstoffe, die im Überfluss vorhanden waren und für eine zuverlässige Helligkeit in den Städten sorgten. Die Wale wurden durch John D. Rockefeller gerettet, nicht durch Naturschützer.

Zum wertvollen Rohstoff wird ein Stoff erst, wenn der Mensch eine kreative Verwendung für ihn entdeckt. Das aus der Erde quellende, übelriechende schwarze Zeug war lange nichts anderes als eine Plage für die Landnutzung, bis kreative Köpfe Verfahren ersannen, mit denen das zähe Rohöl zur Energiegewinnung und Materialherstellung verwendet werden konnte. Das heute für uns zur Herstellung von Hochleistungsstahl so wertvolle Wolfram war einst bei den Bergleuten verhasst, weil es durch seinen extrem hohen Schmelzpunkt die Verhüttung von Zinnerz unmöglich machte. Es frass ihre Ausbeute wie ein Wolf. Sie kippten es auf Abraumhalden. Und was noch hinzukommt: Der Mensch entdeckt und erschafft selbst neue Rohstoffe, wie etwa Kunststoffe, Legierungen oder exotische Werkstoffe wie Graphen.

Technischer Fortschritt, Kapitalismus, öffentliches Bewusstsein und verantwortungsvolles Regieren. Das sind laut McAfee die «vier Reiter des Optimismus», die es ermöglicht hätten, in der vergangenen Dekade die grössten Verbesserungen in der Menschheitsgeschichte zu erreichen. Es gilt nicht nur für die Gewinnung von Rohstoffen, sondern auch für den Umgang mit Umweltbelastungen. Ende des 19. Jahrhunderts prognostizierten mehrere Studien einen Zeitpunkt, an dem der Pferdemist bei konstantem Verkehrswachstum in den überlasteten Strassen der Grossstädte auf eine Höhe angestiegen sein würde, die gar kein Durchkommen mehr gestattet. So wurde für London für das Jahr 1912 vorhergesagt, dass die Bewohner in 60 Zentimeter Mist waten müssten. Der Ausweg aus dieser Misere bestand nicht in Fahrverboten oder Wachstumsstopp, sondern in Innovation: Der Mensch erfand das Automobil.

McAfee weist darauf hin, dass ein heutiges Automobil bei Höchstgeschwindigkeit für die Umwelt weniger schädlich ist als ein geparktes Auto in den 1970ern – einfach deshalb, weil heutige Autos weniger umweltschädliche Stoffe durch Undichtigkeiten verlieren. Unsere Flüsse sind sauberer geworden, und dank ertragreicher Nutzpflanzen und besserer Dünger brauchen wir immer weniger Land, um die Menschen ernähren zu können. Ackerland kann wieder zu Wald werden.

McAfees vier Reiter galoppieren alle auf demselben Untergrund, dem Boden der Freiheit. Es ist die Freiheit, Probleme, Fehler und Bedürfnisse ohne Angst zu identifizieren, bisher undenkbare Lösungen und Konzepte zu entwickeln und sie schnell in profitable Geschäftsideen umzusetzen, die uns Wahlmöglichkeiten für die Befriedigung unserer Bedürfnisse und Bewältigung unserer Probleme zur Verfügung stellen. Freie Märkte sorgen für die Auswahl der besten Konzepte und ihre ressourceneffiziente Umsetzung.

Befürchten sollten wir also nicht, dass uns irgendwann die Rohstoffe ausgehen: Wenn wir unsere Kreativität mit Freiheit kombinieren, werden wir nie ohne ausreichende Ressourcen dastehen. Befürchten sollten wir eher, dass uns Angst und staatliche Diktate unsere erfolgreichsten Ressourcen rauben: Mut und Kreativität. Vor allen anderen waren es nämlich diese «Rohstoffe», die es Harrison Schmitt nur 69 Jahre nach dem Flug der Brüder Wright ermöglichten, auf dem Weg zum Mond die «blaue Murmel» zu fotografieren.

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