Aus Überbehüteten werden keine Unternehmer
Kürzlich sprach ich mit einer jungen Mitarbeiterin einer Kindertagesstätte. Sie betreut Sprösslinge der Elite; die Eltern arbeiten in Zürich und wohnen beispielsweise in Zumikon, Zollikon oder Küsnacht.
Die Mitarbeiterin erzählte, dass fast alle Probleme, die ihr Team habe, von der Unsicherheit einiger Eltern erzeugt würden, die sich auf die Kinder übertrage. Sie erwähnte etwa ein vierjähriges Kind, das Angst hat, «falsch» zu spielen, und deshalb lieber nicht spielt. Und weil die Kita-Mitarbeiterin nicht einsieht, weshalb sie ein Kind anleiten soll, wie man spielt, bleibt das Kind isoliert.
Andere Kinder haben grosse Probleme mit dem Sprechen: Nachwirkungen der Maskenpflicht während Corona; jener Zeit, in der in der Kita jeder Legostein am Abend steril gereinigt werden musste, um den Ängsten der Eltern nachzukommen. Als wären Viren in Kitas irgendwie aufzuhalten.
Wie widerstandsfähig und sozial gesund entwickeln sich Kinder, die gezwungen sind, in Masken zu blicken, und sich nicht mal zutrauen, mit anderen Kindern zu spielen?
Vielleicht erinnern Sie sich an Fritz Zorn, der seinen autobiografischen, posthum erschienenen Roman «Mars» mit dem Satz einleitete: «Ich bin jung und reich und gebildet; und ich bin unglücklich, neurotisch und allein.» Geboren 1944 und aufgewachsen in einer bürgerlichen Familie in Küsnacht, wäre er übermorgen Mittwoch 80 Jahre alt geworden. Doch er ist schon 1976 mit 32 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben.
Zorn, der eigentlich Angst hiess, breitete im Buch Gewaltfantasien gegenüber seiner Mutter aus. Und er schrieb: «Meine neurotischen Eltern haben in mir einen Menschen produziert, der zwar körperlich nicht schwach genug war, um gleich nach der Geburt zu sterben, der aber durch das neurotische Milieu, in dem er aufgewachsen ist, seelisch so zertrümmert wurde, dass er zu einem Dasein, das man menschlich nennen könnte, nicht mehr fähig war. Dreissig Jahre lang habe ich nun zwar körperlich existiert, bin aber ebenso lange seelisch tot gewesen.»
Wer sich nicht zutraut, mit einem anderen Menschen in Interaktion zu treten, wird sich auch nicht zutrauen, ein Unternehmen zu gründen. Etwas zu unternehmen will nämlich schon in der Kindheit gelernt werden. Kinder, die auf eigene Faust oder in der Gruppe die Nachbarschaft erkunden und erobern und dabei schon früh Risiken abschätzen und eingehen, trauen sich auch im Erwachsenenalter mehr zu. Sie vertrauen auf ihre Fähigkeiten, nehmen die Sache selbst in die Hand, erschaffen etwas, übernehmen die Leitung – und gründen später ein Unternehmen.
Eine Studie von 2005 zeigt jedenfalls, dass eine wenig behütete Kindheit, also beispielsweise ein Aufwachsen in chaotischen Verhältnissen mit vielen Umzügen und Unsicherheiten, eher Unternehmensgründer hervorbringt: «Die Anpassungsfähigkeit und das Selbstvertrauen, die sich daraus ergeben, dass man sich an neue Orte und Situationen anpassen muss, oder die Erfahrungen, die man in einer Vielzahl von Situationen gesammelt hat, könnten die Menschen dazu prädisponieren, die Selbstständigkeit als eine machbare Option zu betrachten.»
Die Autorin Lenore Skenazy drängt Eltern dazu, ihre Kinder etwas alleine unternehmen zu lassen: «Lassen Sie ihnen Zeit zum Spielen, denn so haben Kinder schon immer gelernt, miteinander auszukommen, zu tolerieren, zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren.»
Kinder können es auch alleine. Natürlich brauchen sie Eltern, die sie lieben. Aber keine, die sich überall einmischen, immer dabei sein wollen und alles überwachen und beurteilen. Und schon gar nicht brauchen sie Eltern, die ihre eigenen Ängste auf sie übertragen.