Aus der Grauzone des Denkens
Peter Sloterdijk: Wer noch kein Grau gedacht hat.
Grau scheint die Farbe dieser Ära zu sein. Alles und nichts lässt sich mit ihr beschreiben: das Farbliche oder das Zwischenräumliche, die legale und die moralische Grauzone oder das Resultat, wenn alle Farben des Regenbogens vermengt werden. Das passt zum Zeitgeist, dem «Anything goes» der nach wie vor währenden Postmoderne. Folgerichtig hat Peter Sloterdijk der «Farbe oder Unfarbe» Grau nun ein ganzes Buch gewidmet. Inspiriert hat ihn dazu auch ein Bonmot von Cézanne: «Solange man nicht ein Grau gemalt hat, ist man kein Maler.» Diesen Gedanken überträgt er auf die Philosophie: «Wer noch kein Grau gedacht hat» lautet der Titel seiner jüngsten Überlegungen, die «eine Farbenlehre» sein wollen.
Eben weil Grau so facetten- und nuancenreich ist, befasst sich Sloterdijk mit dessen unterschiedlichen Ausprägungen, zu denen philosophische wie politische Aspekte zählen. Mit Platon, Hegel und Heidegger thematisiert er etwa das theoretische «Ge-Gräu» in der Philosophie. Was Politik angeht, taucht Sloterdijk in die Geschichte parteitypischer Symbolfarben ein, wobei er insbesondere das Verhältnis zwischen politischem Rot und Grau konkretisiert: «Dass aus rot oder rot-grün regierten Gesellschaften auch trübe gemischtfarbige, ja geradewegs graue Verhältnisse hervorgehen können: Diese Empfindung gehört auf deutschem Boden zu den atmosphärischen Ergebnissen der letzten drei bzw. sieben Jahrzehnte.» Ergänzt um Literatur und Kunst, greift Sloterdijk assoziationsreich in den historischen wie zeitgenössischen Autoren- und Künstlertopf, um die Bedeutsamkeit der Farbe Grau am Beispiel einzelner Werke zu verdeutlichen.
Weshalb sich seine Grauanalyse auf bestimmte Philosophen oder Künstler bezieht, erläutert er zwar nicht, muss er aber auch nicht. Wer sein Œuvre kennt, weiss um dessen stilistisch-inhaltliche Melange aus Philosophie und Belletristik, die sich auch in dieser Abhandlung wiederfindet. Wäre das Gesamtwerk Sloterdijks somit eine Farbe, so wäre es sicherlich jene: Grau.