Auftakt
Wie kann es sein, dass ein Bundesstaat mit vier offiziellen Landessprachen regierbar ist? Die Frage scheint uns, in dieser Deutlichkeit formuliert, nicht wirklich zu betreffen. Wir haben uns an die Anomalität eines Viersprachenstaats gewöhnt. Dabei genügt ein Blick über die Landesgrenzen hinaus, um zu sehen, wie brisant die Sprachenfrage sein kann. Belgien, zerrissen zwischen französischsprachigen […]
Wie kann es sein, dass ein Bundesstaat mit vier offiziellen Landessprachen regierbar ist? Die Frage scheint uns, in dieser Deutlichkeit formuliert, nicht wirklich zu betreffen. Wir haben uns an die Anomalität eines Viersprachenstaats gewöhnt. Dabei genügt ein Blick über die Landesgrenzen hinaus, um zu sehen, wie brisant die Sprachenfrage sein kann.
Belgien, zerrissen zwischen französischsprachigen Wallonen und niederländischsprachigen Flamen, droht an einer solchen Frage gar zu zerbrechen. Das Land wurde 1963 vom Zentralstaat zum Bundesstaat. Erklärtes Ziel: mehr Autonomie für die Regionen, um den Sprachenkonflikt zu entschärfen. Geschehen ist das genaue Gegenteil – Flamen und Wallonen reden gar nicht mehr miteinander.
Anders die Schweiz. Zwar wird in der Öffentlichkeit immer wieder um Sprachenfragen gerungen – zum Glück. Doch werden sie gewöhnlich nicht als nationales Politikum verhandelt. Der Pragmatismus obsiegt – dank helvetischem Föderalismus. Und so können sich die Deutschschweizer, die Romands, Ticinesi und Rätoromanen im Alltag weiterhin um die Sprachen und Mentalitäten ihrer Miteidgenossen bemühen, so gut es eben geht. Die Verständigung ist holprig, aber sie funktioniert.
Um so erstaunlicher ist die jüngst entbrannte Debatte über die Dominanz des Deutschen bzw. des Schweizerdeutschen. Sie hat zu neuen politischen Vorstössen geführt. So sollen beispielsweise die schweizerdeutschen Dialekte einen offiziellen Status als regionale Sprachen erhalten. Zugleich soll festgelegt werden, in welchen Lebensbereichen Hochdeutsch und in welchen Dialekt gesprochen werden darf. Was auf den ersten Blick vielleicht plausibel scheint, wäre eine zutiefst unschweizerische Lösung.
Die Sprachenfrage wäre nicht mehr ein pragmatisches Problem des Gedankenaustauschs unter verschiedensprachigen Miteidgenossen. Sie wäre auch nicht mehr eine Frage des wechselseitigen Respekts und Verständnisses. Sie würde vielmehr von einer Frage der Verständigung zu einer Frage der kulturellen Zugehörigkeit, d.h. Abgrenzung hochgekocht – zu einer politischen Frage also, die allein vom Bund zu lösen wäre. Die Konflikte wären programmiert. Siehe Belgien.
Die Viersprachigkeit ist eine zukunftsweisende Eigenart der Schweiz. Sie hat den Willen zum Zusammenhalt des Landes – und damit diesen selbst – nicht geschwächt, sondern gestärkt. Woher rührt der Erfolg? Und wie bleiben wir erfolgreich? Anregungen dazu finden Sie auf den folgenden Seiten.