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Aufseher im Nebenamt
Claudio Kuster, zvg.

Aufseher im Nebenamt

Die Parlamentarier haben zwar ein griffiges Instrumentarium für die Oberaufsicht über Bundesrat und Verwaltung. Oft fehlen ihnen aber die Ressourcen, um dieses tatsächlich zu nutzen.

 

Auf kommunaler Ebene ist die Kontrolle des Gemeinderats unmittelbar erlebbar – anlässlich der regelmässig stattfindenden Gemeindeversammlung. Hier können Stimmberechtigte ihrer Lokalregierung Fragen stellen zu hängigen Projekten, Kritik an der Geschäftsführung üben, Budgetpositionen streichen oder Verbesserungsvorschläge skizzieren. Auf Bundesebene ist demgegenüber die Verwaltung für den gemeinen Bürger weit entfernt, unnahbar und opak, und damit auch kaum einer Kontrolle durch ihn zugänglich. Hier springt die ­Bundesversammlung ein als oberste Behörde im Bund, der – nebst der Gesetzgebungs- und Wahlfunktion – die Oberaufsicht über die Regierung und die komplette Bundesverwaltung obliegt. Diese Funktion ist ein wichtiges Element der gegenseitigen Gewaltenhemmung. Welche Instrumente, Kompetenzen und Organe stehen Nationalrat und Ständerat konkret zur Verfügung? Und werden diese sinnvoll genutzt?

Interpellation statt Telefon

Zunächst steht allen Parlamentarierinnen und Parlamentariern ein individuelles Informationsrecht gegenüber der Exekutive zur Verfügung, das sie mit der Interpellation und der Fragestunde einsetzen können. Im vergangenen Jahr wurden im Nationalrat und Ständerat 902 Interpellationen und 1254 Fragen im Rahmen der Fragestunde eingereicht. Der Bundesrat ist verpflichtet, die Antworten zügig zu liefern, womit aktuelle Probleme relativ schnell auf­gegriffen werden können. Ein weiteres wichtiges, da ergebnisoffenes Instrument ist das Postulat, mit dem der Bundesrat zur Berichterstattung über ein spezifisches Thema oder heikle Vorkommnisse aufgefordert werden kann. Auf diese Weise werden jährlich grob 100 Berichte ausgelöst.

Diese Vorstossflut wird häufig kritisiert und den Ur­hebern andere Motive wie das Erheischen medialer Aufmerksamkeit unterstellt, schliesslich könnten die Ratsmitglieder ihre gewünschten Informationen auch oft direkt bei der zuständigen Verwaltungsstelle anfordern. Dieser Vorwurf verkennt einerseits, dass eine offizielle bundesrätliche Stellungnahme oder gar ein Bericht ein ganz anderes Gewicht hat als die telefonische Beantwortung durch eine Verwaltungsmitarbeiterin. Andererseits wird durch die Publizität von Anfrage und Antwort Öffentlichkeit geschaffen und Rechenschaft abgelegt. Gesamthaft ist die parlamentarische Kontrolle durch Vorstösse dennoch stark limitiert, da die Kontrollierte regelmässig das Amtsgeheimnis, andere überwiegende Interessen oder «laufende Arbeiten» vorschieben kann. Die häufig etwas verzettelten Parlamentarier lassen sich so meistens gut abwimmeln.

«Dem Verfassungsauftrag kommen die Volksvertreter kaum nach,

denn faktisch sind es nicht sie, die die Kontrolle ausüben.»

Kommission lädt Bundesräte vor

Tiefere Einsicht in den Verwaltungsapparat wird den parlamentarischen Sachkommissionen gewährt, so etwa der Sicherheitspolitischen Kommission (wenn sie das VBS und die Ruag unter die Lupe nimmt) oder der Urek (die sich um die Energieversorgung kümmert), denen hierfür Auskunfts- und Einsichtsrechte sowie Untersuchungsbefugnisse zustehen. Konkret fordern die Kommissionen häufig Berichte an, laden die Verantwortlichen sowie zuständigen Bundesräte vor, hören externe Expertinnen an und führen Augenscheine vor Ort durch. Die Erkenntnisse können in Empfehlungen zuhanden der Regierung münden, nötigenfalls aber auch in neue Vorstösse, wenn etwa gesetzgeberischer Handlungsbedarf geortet worden ist. Letztlich beschäftigen sich die «gewöhnlichen» Kommissionen aber nur nebenbei mit der Oberaufsicht, und auch sie sind weitgehend von den ihnen durch die Exekutive gewährten Informationen abhängig. Die Aufsicht erfolgt hier also nicht nur sehr punktuell, sondern zumeist auch erst nachträglich (statt begleitend) und ist damit eher schwach.

Detailliertere Einsichtsrechte kommen den Aufsichtskommissionen zuteil, insbesondere den zwei Geschäfts­prüfungskommissionen (GPK) und den zwei Finanzkommissionen (FK) der beiden Kammern. Die GPK üben die ständige Oberaufsicht aus über die Geschäftsführung des Bundesrats, der Bundesverwaltung und anderer Träger von Aufgaben des Bundes. Hierzu obliegt ihnen traditionellerweise die Prüfung und Vorbereitung der Geschäftsberichte der Bundesbehörden zuhanden des Plenums, sie führen aber auch schwerpunktmässige Inspektionen durch. Sie erhalten Einblick in Unterlagen, die der unmittelbaren Entscheidfindung des Bundesrats dienen, etwa in die Mitberichte der Departemente. Wollen die GPK fehlbare beaufsichtigte Organe zur Remedur auffordern, so stehen ihnen politische Mittel zur Verfügung: Die GPK schliessen ihre Untersuchungen meistens mit einem öffentlichen Bericht ab, der Empfehlungen zuhanden des Bundesrats enthält. Jener muss zu den Verbesserungs­vorschlägen Stellung nehmen, wodurch er zur Rechenschaft über seine Tätigkeiten verpflichtet wird.

Es erscheint jedoch äusserst fraglich, ob die «Miliz»-Parlamentarier, die in den Aufsichtskommissionen einsitzen, überhaupt die notwendigen Ressourcen – insbesondere Zeit und breites Fachwissen – aufbringen, die zahlreichen an sie herangetragenen Akten, Berichte und Studien vertieft zu lesen, zu hinterfragen und nachzuhaken, um gegebenenfalls nötige Korrekturen oder Verbesserungsmassnahmen zu veranlassen. Hält man sich vor Augen, dass etwa die Mitglieder der ständerätlichen GPK noch in vier weiteren, also in total je fünf (!) Parlamentskommis­sionen einsitzen, kann für die Aufsichtsfunktion von vornherein nur wenig Zeit übrigbleiben. Erstaunlich ist in dieser Hinsicht auch, dass derzeit sogar zwei vielbeschäftigte Parteipräsidenten – von der SVP und der FDP – in der GPK sitzen. Höchst fragwürdig mutet überdies an, wenn solche Parteipräsidenten gar noch zusätzlich jene FK- oder GPK-Subkommission präsidieren, die just «ihre eigene» Bundesrätin beziehungsweise Bundesrat beaufsichtigen sollte.

Einblick in Bundesratsprotokolle

An der Spitze der kaskadenhaften Ordnung der Informa­tionsrechte stehen die Delegationen der GPK und FK, die ­Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) und die Finanzdelegation (FinDel), denen ein unbeschränktes verfassungs­unmittelbares Informationsrecht zusteht, wobei die GPDel primär für den Staatsschutz und die Nachrichtendienste zuständig ist. Ihnen dürfen keinerlei Informationen aus dem Zuständigkeitsbereich der kontrollierten Organe vorenthalten werden, womit sie selbst Einblick in die Bundesratsprotokolle und andere hochsensible Akten erhalten. Fachliche, wissenschaftliche Unterstützung erhalten die GPK von der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK), die in ihrem Auftrag Aufgabenüberprüfungen und Evaluationen durchführt. Aktuelle Studien untersuchen so unterschiedliche Bereiche wie die Offset-Geschäfte, die Covid-Kurzarbeitsentschädigung oder den Grundwasserschutz.

In seltenen, ausserordentlichen Fällen kann die Bundesversammlung überdies eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) einsetzen, um «Vorkommnisse von grosser Tragweite» abzuklären. Dieses schillerndste aller Kontrollorgane hat zwar ebenfalls weit­reichendste Kompetenzen und nötigenfalls gut ausgestattete personelle Ressourcen, ist aber ausschliesslich zur Klärung einer klar umrissenen Problematik befugt. Eine PUK wird im politischen Alltag häufig gefordert, aber praktisch nie eingesetzt, die letzte (zur Pensionskasse des Bundes) datiert von 1995.

Wie ist nun die Kontrolle über die Bundesverwaltung durch das Parlament in der gelebten Praxis gesamthaft zu bewerten? Es sind unterschiedliche Tendenzen auszu­machen: Einerseits überrascht, wie viele institutionelle Akteure alleine des Parlaments parallel mit der Aufsicht, Kontrolle und Evaluation des Verwaltungshandelns betraut sind. Die Koordination ist anspruchsvoll und könnte womöglich noch verbessert werden, um etwaige Doppelspurigkeiten zu verhindern. Noch mehr Aufsichtsorgane, wie sie gerade seit der Pandemie gefordert werden, sind nicht nötig. Auch sind heute die rechtlichen Rahmen­bedingungen und Einsichtsrechte griffig genug.

Dem Verfassungsauftrag («Die Bundesversammlung übt die Oberaufsicht aus über den Bundesrat und die Bundesverwaltung», Art. 169 BV) kommen die Volksvertreter aber kaum nach, denn faktisch sind es nicht sie, die die Kontrolle ausüben. Zumindest wäre eine umfassendere politische Verwertung der Resultate der Oberaufsichts­tätigkeit angezeigt. Auch das wachsende Übergewicht von Regierung und Verwaltung gegenüber der Legislative verlangt nach einer Stärkung der Aufsicht.

Wenigstens die GPK-Mitglieder sollten sich daher exklusiv auf diese Funktion konzentrieren und vom Einsitz in anderen Kommissionen ausgeschlossen werden, so wie dies von städtischen Parlamenten bekannt ist. Kompensiert werden könnte dies, indem die GPK-Mitglieder ­Sukkurs von persönlichen Mitarbeitern erhielten, die sie in der Aufsicht unterstützen.

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