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Auf zur «neuen Eidgenossenschaft»!

Stärkere EU-Integration oder Abschottung? Das ist nicht die Frage. Es gibt einen dritten Weg: eine «neue Eidgenossenschaft». Sie macht die Schweiz wohlhabender, gerechter und unabhängiger. Sie erhöht die Standortattraktivität. Und sie regelt die Zuwanderung neu. Ein konstruktiver Vorschlag.

Der Wohlstand der Schweiz beruht auf zwei Pfeilern: guten Standortbedingungen und grosser Offenheit für den internationalen wirtschaftlichen Austausch. Im folgenden diskutiere ich zuerst, weshalb das heutige Regime der Personenfreizügigkeit den breiten Wohlstand trotzdem senkt. Sodann lege ich die Kernelemente der «neuen Eidgenossenschaft dar: zuerst zwei wichtige Massnahmen für mehr Standortattraktivität und wirtschaftliche Öffnung, dann die institutionelle Regelung, die die Zuwanderung wohlfahrtserhöhend macht und auf ein sinnvolles Mass reduziert, und dabei mit den Zielen der Initiative gegen Masseneinwanderung sowie den bilateralen Verträgen vereinbar ist.

Viele meinen, Personenfreizügigkeit sei so wie Freihandel wirtschaftlich grundsätzlich vorteilhaft. Doch das ist falsch. Freihandel erhöht das gesamtwirtschaftliche Einkommen bei kon­stanter Einwohnerzahl, Personenfreizügigkeit hingegen bei steigender Einwohnerzahl. Das Prokopfeinkommen der bisherigen Einwohner steigert sie deshalb nicht. Das zeigen auch alle teils vom Bund bestellten Studien.1 Die Zuwanderung verknappt aber zwangsläufig die natur- und politikbedingt schwer vermehrbaren Faktoren wie Umwelt, Infrastruktur und Boden. Dadurch steigen die Wohn-, Energie- und Infrastrukturkosten, womit der reale Wohlstand sinkt. Die hohe Zuwanderung geht so lange weiter, bis ein Gleichgewicht erreicht ist und der Wohlstand nur noch um die Wanderungskosten über demjenigen der EU liegt. Tatsächlich ist die Welt voller solcher Wanderungsgleichgewichte. So sind der Kanton Zug oder der Grossraum München enorm attraktiv für Wohnen und Arbeit. Aber weshalb ziehen nicht noch mehr Leute dorthin und viele auch wieder weg? Ganz einfach, weil – wenigstens für Normalverdiener – die hohen Wohnkosten die Vorteile  vollständig kompensieren.

Weil die Bodenpreise schnell auf Veränderung des Zuwanderungsdrucks reagieren, nützt gute Politik und hohe Standortattraktivität längerfristig nicht mehr den Beschäftigten, sondern vor allem den Bodenbesitzern. Dagegen wird oft eingewandt, die Immobilienwertsteigerungen könnten über höhere Liegenschaftssteuern und tiefere Einkommenssteuern umverteilt werden. Leider trifft das unter den heutigen Bedingungen nicht zu. Die Senkung der Einkommenssteuern würde den Zuwanderungsdruck weiter erhöhen und liesse die Immobilienwerte weiter steigen, wodurch die Abschöpfung wieder an die Hausbesitzer zurückflösse. Die «neue Eidgenossenschaft» bezweckt deshalb zweierlei: eine höhere Standortattraktivität durch Kostenwahrheit, tiefere Steuern und wirtschaftliche Öffnung sowie einen neuen Umgang mit Zuwanderung.

 

Kostenwahrheit bringt Budgetspielraum

Heute werden viele Branchen und private Tätigkeiten zulasten der Allgemeinheit hoch subventioniert, entweder ganz explizit mit öffentlichen Mitteln oder nur implizit, indem sie die von ihnen verursachten Kosten nicht selbst tragen müssen, sondern irgendwie anderen überantworten können. Das gewichtigste und teuerste Beispiel für beide Spielarten der Politik ist die Subventionierung des privaten und öffentlichen Verkehrs – wahrlich unsere dümmste heilige Kuh. Für den privaten Verkehr schätzt das Bundesamt für Raumentwicklung ARE die nicht gedeckten Umwelt-, Lärm- und Unfallkosten auf wenigstens 8,5 Milliarden Franken jährlich. Dazu kommen Staukosten von 2 Milliarden Franken. Diese Kosten sollten nicht von den Geschädigten, sondern von den Verursachern getragen werden. Dazu bedarf es eines flächendeckenden Mobility Pricing.2 Entsprechende elektronische Systeme sind heute technisch problemlos und günstig.

Sobald aber die Kosten des Privatverkehrs voll von den Benutzern getragen werden, gibt es keinen vernünftigen Grund mehr, den öffentlichen Verkehr wie heute zu subventionieren. Seine heutigen expliziten Subventionen in Form von jährlich rund 8 Milliarden Franken öffentlichen Geldern3 sowie die beträchtlichen impliziten Subventionen durch die bisher nicht abgegoltenen Umwelt- und Lärmbelastungen müssen dann ebenfalls gestrichen und von den Benutzern getragen werden.

Die Kostenwahrheit im Verkehr gibt den Verkehrsteilnehmern und Fahrzeugherstellern Anreize, weniger zu fahren sowie umweltfreundliche Fahrzeuge zu entwickeln und einzusetzen. Das nützt der Umwelt und mindert die Zersiedelung. Die Verkehrsmittelwahl kann dem freien Wettbewerb überlassen werden, was mehr Effizienz im öffentlichen Verkehr bringt. Die Mehrbelastung der Benutzer ist deshalb weit kleiner als die Entlastung für den Staat.

 

Abschaffung der Mehrwertsteuer und Marktöffnung

Die Kostenwahrheit im Verkehr bringt den öffentlichen Haushalten Überschüsse von 16 bis 18 Milliarden Franken. Damit kann die Mehrwertsteuer abgeschafft werden. Sie bringt zwar heute gut 22 Milliarden Franken, aber auch hohe Erhebungskosten für den Bund und die Wirtschaft. Zudem verursacht sie riesige volkswirtschaftliche Kosten, indem sie den Konsum vermindert. Eine Studie des Bundes schätzt allein diese Kosten auf 46 bis 72 Prozent des Steuerertrags.4 Überdies öffnet die Abschaffung der Mehrwertsteuer die Schweiz für Direktimporte und lässt so die überhöhten Preise sinken. Viele Hersteller und Händler können ihre Schweizer Preise nur so hoch halten, weil die Gebühren zur Erhebung der Mehrwertsteuer die Direktimporte via Versandhandel stark verteuern.

Diese und viele weitere mögliche Massnahmen zur Steigerung der Standortqualität und Marktöffnung – etwa im Bereich der Landwirtschaftspolitik – bringen der Schweiz einen Wachstumsschub und zusätzliche Steuereinnahmen, wodurch der Entfall der Mehrwertsteuer mehr als kompensiert wird. Die Wohlfahrt der bisherigen Einwohner wächst aber nur, wenn der Zuwanderungsdruck die Gewinne nicht wieder neutralisiert. Wie aber kann dies entsprechend gelenkt werden?

 

So wird Zuwanderung wohlfahrtssteigernd

Eine Mengensteuerung der Zuwanderung taugt dazu wenig. Viel besser ist eine Preissteuerung, die auf drei Grundgedanken beruht: Erstens soll frei zuwandern dürfen, wem das selbst viel nützt und wer der Schweiz viel bringt. Da von der Zuwanderung vor allem die Zuwanderer selbst sowie diejenigen profitieren, die viel Boden besitzen, wird – zweitens – ein Teil ihrer Wanderungsgewinne zugunsten der bisherigen Einwohner umverteilt. Das soll – drittens – durch folgenden Mechanismus geschehen. Die Schweiz verfügt über ein riesiges Vermögen in Form von Boden, Immobilien, staatsnahen Betrieben (wie Swisscom, Post, Kantonalbanken und Verkehrsbetrieben) sowie überschüssigen Reserven von Nationalbank und Suva. Zudem besteuert sie mobile und immobile Vermögen der Einheimischen höher als die EU-Länder. Heute fliessen die entsprechenden Erträge direkt oder indirekt in den allgemeinen Einnahmentopf. Für Normalverdiener sind deshalb die Einkommenssteuern verhältnismässig tief und die Leistungen hoch, was vor allem Zuwanderung von Normalverdienern bringt. Diese Erträge sollen nicht mehr in den allgemeinen Staatshaushalt, sondern gezielt an die bisherigen Einwohner der Schweiz fliessen. Dazu muss das alte Staatsvermögen und die Steuererträge auf Immobilien und Vermögen in die Bürgergenossenschaft, eine Art Bürgergemeinde oder eben eine «neue Eidgenossenschaft» eingebracht werden. Genossenschaftsmitglied wird, wer mehrere Jahre hier gewohnt hat. Die Mitglieder erhalten aus den Genossenschaftserträgen eine jährliche Dividende von vielleicht etwa 2000 bis 2500 Franken, Stipendien und Sozialhilfezulagen in Form von Zuschüssen zu tiefen Arbeitseinkommen.

Kopfprämie als Steuerungsinstrument

Im Gegenzug kann der Einwohnerstaat, also die bisherigen Bund, Kantone und Gemeinden, denen alle Landesbewohner angehören, stärker auf möglichst hohe Effizienz ausgerichtet werden. Als Kernelemente werden eine Kopfprämie als Grundbeitrag für die Nutzung der Staatsleistungen eingeführt und die Steuersätze auf höheren Einkommensteilen gesenkt. Zugleich werden – als Beispiele – die Studiengebühren kostengerechter ausgestaltet, die Sozialhilfe dem europäischen Niveau angenähert sowie die flankierenden Massnahmen gelockert. Damit wird die Schweiz für hochqualifizierte Zuwanderer mehr und für unqualifizierte weniger attraktiv. Über die Kopfprämie – jährlich vielleicht 1000 bis 2000 Franken – kann die Zuwanderung quantitativ und qualitativ gesteuert werden. Und entscheidend ist: weil die Bürgergenossenschaft die Umverteilung unter den bisherigen Einwohnern stärkt und sie zu Gewinnern der Zuwanderung macht, lohnt sich im Einwohnerstaat eine freiheitlichere Politik erst recht.

Die Effizienzorientierung des Einwohnerstaates bringt grosse Wohlfahrtsgewinne. Für die langjährigen Einwohner werden die Belastungen durch Kopfprämie und Sparmassnahmen durch die Auszahlungen der «neuen Eidgenossenschaft» überkompensiert. Der Aufwand zur Gründung der «neuen Eidgenossenschaft» ist verglichen mit den realen Alternativen – Zuwanderungskontingente oder Personenfreizügigkeit mit einschneidenden flankierenden Massnahmen – klein.

Dieser Vorschlag erfüllt die Ziele der EU und der Masseneinwanderungsinitiative zugleich. Er ist nicht diskriminierend, weil EU-Bürger frei und ohne bürokratische Hürden zuwandern können, im Einwohnerstaat gleich behandelt werden wie Einheimische und Mitglieder der Bürgergenossenschaft werden können. Kontingente erübrigen sich, können aber als Sicherheitsventil festgelegt werden. Abschliessend gilt es nochmals zu betonen: Dieser Vorschlag will der Öffnung und nicht der Abschottung dienen. Er gibt Volk und Regierung beste Anreize, für eine möglichst attraktive, effiziente und offene Schweiz einzustehen. Davon profitieren alle.

 


1  Z.B. Tobias Müller, Noé Asensio und Roman Graf: Die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Löhne der Schweiz. In: Die Volkswirtschaft 1/2, 2013. S. 43–47. Sandro Favre, Rafael Lalive und Josef Zweimüller: Verdrängungseffekte auf dem Schweizer Arbeitsmarkt bleiben gering. In: Die Volkswirtschaft 6 (2013). S. 43–47.

2  Eichenberger, Reiner und Mark Schelker: Freie Fahrt, weniger Steuern. In: Weltwoche 7 (2004). S. 14–15.
3 Verband öffentlicher Verkehr VöV: Fakten und Argumente zum öffentlichen Verkehr der Schweiz. Bern: VöV, 2012.
4  Frank Bodmer: Globalisierung und Steuersystem in der Schweiz. In: Die Volkswirtschaft 11 (2002). S. 31–35.

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