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Christoph Luchsinger, zvg.

Auf wie viele Arten können sich zwei Ehepaare streiten?

Eine Anleitung für Fortgeschrittene.

Das berühmte Bonmot aus England «It‘s better to travel hopefully than to arrive» steht nicht nur Pate zu Weihnachten, sondern feiert auch während des Jahres fröhlich Urständ. Wie häufig ist ein sehnlichst erwartetes Treffen in ein wahres, mindestens verbales Gemetzel ausgeartet.

Schauen wir doch mal, in wie vielen Kombinationen zwei Ehepaare sich streiten können. Da gibt es einmal den Klassiker: das eine Ehepaar gegen das andere – langweilig! Warum sich nicht feministisch einen Kampf der Geschlechter bei einem guten Essen liefern: die Männer gegen die Frauen. Oder vielleicht noch fortschrittlicher übers Kreuz: jeweils das eine Geschlecht aus der einen Ehe mit dem anderen Geschlecht des anderen Ehepaares – spannend. Damit haben wir drei Varianten. War’s das schon? Ich bitte Sie: Wir alle hatten während Corona viel Zeit und wenig Alternativen zu privaten Treffen im kleinen Kreis (2 Ehepaare, 4 Leute, sogar legal). Man kann ja am gleichen Abend alle drei Varianten ausprobieren und dies in verschiedener Reihenfolge: Jede der drei Kombinationen kann am Anfang stehen und für die nächste Kombination haben wir dann noch 2 zur Auswahl. Das ergibt total schon mal 3 · 2 = 6 mögliche volle Abendprogramme. Jetzt wird es aber erst richtig spannend: Wie gestaltet man die beiden Übergänge? Wie lösen sich die Koalitionen auf und bilden sich neue? Damit kann man sogar am gleichen Abend die gleichen Koalitionen wieder eingehen – aber eben anders eingefädelt und aufgelöst. Aber warum immer 2 gegen 2? Warum nicht zuerst abwarten, beobachten, anstacheln, wenn sich 2 oder 3 streiten?

Auch wenn die mathematische Fülle von Varianten grenzenlos scheint, die Abgründe des realen Lebens sind reichhaltiger, als dass sie mechanisch-mathematisch abgezählt werden könnten: Man kann dem Partner in den Rücken fallen. Das kann man auch geschickt kaschieren, indem man verständnisvoll eine sehr private Begründung für die schlechte Laune des Lebenspartners liefert (geschäftliche Probleme). Man kann, vor allem nach ein paar Gläschen Wein, das Bedürfnis verspüren, ausnahmsweise mal ehrlich zu sagen, wie es um die Ehe, die Karriere und vor allem die Kinder wirklich steht. Wie reagieren dann die anderen zwei – machen sie mit oder haben sie Mitleid? Drängt sich ein Themenwechsel auf, will man als Harmoniejunkie deeskalieren? Wenn Mann die ganze Zeit das Gespräch besserwisserisch dominiert hat, kann er ja zum Ausgleich in einem Gebiet Schwäche zeigen, das ihm egal ist: «Ich kann nicht kochen» oder «Von Mathe verstehe ich nichts». Und wenn mittlerweile die äusserst fortschrittliche Geschäftsfrau endlich – zwar reichlich spät, aber immerhin – begriffen hat, dass sie damals einen Neandertaler geheiratet hat, und dies allen auch klar zu erkennen gegeben hat, eigener Ehemann eingeschlossen? Warum soll dann dieser dies nicht dahingehend verdanken, dass er die Alkoholprobleme der Ehefrau offen bespricht? Offen, ehrlich, transparent!

Wenn Sie noch nicht genug haben: Roman Polanski hat mit dem Film «Der Gott des Gemetzels» (Originaltitel: «Carnage») mit Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz und John Reilly das gleichnamige Theaterstück der Dramatikerin Yasmina Reza verfilmt. 80 Minuten lang, fast nur im Wohnzimmer, werden hervorragend die mathematischen Kombinationen und die menschlichen Abgründe kombiniert, aufgelöst und wieder von neuem durchdekliniert.

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