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Auf Vertrauen bauen
Ignazio Cassis. Bild: Schweizer Bundeskanzlei.

Auf Vertrauen bauen

Warum nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit keine Einbahnstrasse ist und weshalb die Schweiz in Afrika auf eine starke Wirtschaft und eine dynamische Jugend setzt.

 

Die klassische Entwicklungshilfe steht in der Kritik: Hilfsgelder kämen nicht dort an, wo sie gebraucht würden, oder sie werden gar mit negativen Auswirkungen wie Korruption und einseitiger Abhängigkeit in Verbindung gebracht. Dabei werden Wirkung und Nachhaltigkeit der modernen Entwicklungszusammenarbeit auf eine falsche Fragestellung reduziert. Anstatt sich in Diskussionen darüber zu verlieren, ob klassische Entwicklungshilfe Fluch oder Segen für das Partnerland sei, muss die Frage ins Zen­trum gestellt werden, welche Art der Entwicklungszusammenarbeit den heutigen globalen Gegebenheiten Rechnung trägt. Was früher Entwicklungshilfe genannt wurde, nämlich die einseitige Vergabe von Mitteln, gehört längst der Vergangenheit an. Moderne Entwicklungszusammenarbeit bedeutet Bewusstsein wechselseitiger Abhängigkeiten und Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Gerade die sich rasant entwickelnden afrikanischen Länder sind Beispiele dafür, wie Entwicklungszusammenarbeit im modernen Kontext als Wechselbeziehung gleichberechtigter Partner zu verstehen ist. Insbesondere auch deshalb, weil es nicht das eine Afrika gibt und damit auch nicht die eine Entwicklungszusammenarbeit. Innerhalb Afrikas unterscheiden sich die Pro­blemstellungen einzelner Staaten genauso stark wie die Voraussetzungen der Zusammenarbeit. Es gibt nicht ein homogenes Afrika, sondern 55 Länder mit teilweise grossen Unterschieden – auch innerhalb der Landesgrenzen. Wir tun daher gut daran, sowohl Afrika als auch das Thema der Entwicklungszusammenarbeit differenziert zu betrachten.

Regionale Stabilität dank lokaler Mediation

Als Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) führten mich meine Afrikareisen 2019 nach Südafrika, Mosambik, Simbabwe und Sambia, wo ich mir vor Ort ein Bild des Schweizer Engagements machen konnte. Reisen, die mir die Diversität und die Flexibilität unserer Entwicklungszusammenarbeit eindrücklich aufgezeigt haben. Dabei wurde deutlich, dass nicht alle Länder Afrikas das gleiche Bedürfnis haben, die Schweiz aber in der ganzen Region eine hohe Glaubwürdigkeit geniesst – nicht als Geldgeber, sondern als Vermittler, als Nothelfer und als Wirtschaftspartner.

Nehmen wir das Beispiel Mosambik: Die Glaubwürdigkeit der Schweiz und ihre neutrale Position – sowohl im historischen Kontext als auch in der geopolitischen Gegenwart – haben es uns ermöglicht, im dortigen innenpolitischen Konflikt als Vermittler zu agieren. In einem Konflikt, der über Jahrzehnte angehalten und Millionen von Todesopfern gefordert hat. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen dem Staatspräsidenten und dem Oppositionsführer vor einem Jahr fand dieser schliesslich ein Ende. Als Land, das keine Vergangenheit als Kolonialmacht aufweist, wird die Schweiz als unparteiisch wahrgenommen, was ihr eine vermittelnde Rolle in der Mediation von Konflikten erlaubt. Die neutrale Position ermöglicht es der Schweiz, den Austausch unter verschiedenen Parteien zu fördern und so einen Beitrag zu einer nachhaltigen Friedenssicherung zu leisten. Sicherheit und Ruhe innerhalb eines Landes tragen massgeblich zu regionaler Stabilität bei.

Von humanitärer Hilfe zur langfristigen Entwicklung

Neben der Mediationsrolle gehört insbesondere die schnelle, unkomplizierte und professionelle Hilfe in Notsituationen zum Markenzeichen der Schweiz. Nach zwei verheerenden Zyklonen im Frühjahr des vergangenen Jahres brachten Expertinnen und Experten des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe unverzüglich Hilfsgüter für Notunterkünfte und die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung in die betroffenen Gebiete Mosambiks. Gerade im Anschluss an Naturkatastrophen ist diese wirksame und vor allem unbürokratische Hilfe der Schweiz von hoher Bedeutung für die lokale Bevölkerung. Darüber hinaus nutzten die zwei Schweizer Jungarchitekten Emilie Schmid und Mikhail Broger von der ETH Lausanne modernste Drohnentechnologie, um mittels innovativer Raumplanung aus einem Flüchtlingslager eine kleine Stadt zu entwickeln – aus einem Provisorium wurde dank Digitalisierung und Schweizer Innovation eine neue Heimat für tausende Menschen.

Auf meinen Reisen durfte ich vor Ort erfahren, wie innovativ und wirkungsvoll der koordinierte Einsatz verschiedener Instrumente der Schweizer Aussenpolitik sein kann. Ich habe aber auch gesehen, wie zentral es ist, dass die Wirtschaft als elementarer Bestandteil in eine nachhaltige Entwicklungspolitik einbezogen wird. Wirtschaftsvertreter können etwas, was Länder und Hilfsorganisationen nicht können: Arbeitsplätze schaffen. Mehr als 90 Prozent aller Stellen werden vom Privatsektor erzeugt. Solche Arbeitsplätze sind das A und O, wenn es darum geht, jungen Menschen vor Ort eine Perspektive zu bieten und die rasch wachsende Bevölkerung Afrikas in ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ihrer Heimat einzubinden. Das wirtschaftliche Potenzial dafür ist in den meisten Ländern Afrikas vorhanden; die Frage ist, wie es uns gelingt, dieses vor Ort besser nutzbar zu machen.

«Wirtschaftsvertreter können etwas,

was Länder und Hilfsorganisationen

nicht können: Arbeitsplätze schaffen.

Mehr als 90 Prozent aller Stellen werden vom Privatsektor erzeugt.»

Langfristige Perspektive dank lokalen Arbeitsplätzen

Es ist sowohl im Interesse der afrikanischen Länder als auch der Schweiz, wenn Schweizer Firmen vermehrt in ausgewählten Ländern Afrikas investieren und so vor Ort Wertschöpfungsketten schliessen, neue Märkte eröffnen und Arbeitsplätze schaffen. Zahlreiche Schweizer Unternehmen tun dies bereits erfolgreich: In Südafrika sind über 100 Schweizer Firmen präsent, aber auch in Nigeria, Elfenbeinküste oder Kenia investieren Schweizer Unternehmen in die lokale Wirtschaftsentwicklung. Die Schweiz unterstützt vermehrt öffentlich-private Partnerschaften – vom Wassersektor über die Landwirtschaft bis hin zum Gesundheitswesen. So wurde in Kenia mit einem privaten Partner die Einführung anpassbarer Modelle für eine bezahlbare und qualitativ hochwertige Wasserversorgung auf Dorfebene gefördert. In Mosambik wurde in Zusammenarbeit mit einem lokalen Unternehmen ein wettbewerbsfähiges Marktsystem für die Landwirtschaft geschaffen, welches Kleinbauern ermöglicht, in verbessertes Saatgut zu investieren. Und in Somalia, wo bis zu achtzig Prozent der Gesundheitsversorgung durch kleine informelle Unternehmen geleistet werden, arbeitet die Schweiz in Zusammenarbeit mit Vertretern aus dem Privatsektor an Modellen, die die Qualität und Bezahlbarkeit der privaten Gesundheitsversorgung verbessern sollen.

Kenia schliesslich steht vor grossen Herausforderungen als Aufnahmestaat von beinahe einer halben Million Flüchtlingen. Um die Abhängigkeit der Flüchtlinge von externer Unterstützung zu reduzieren und um ihr Potenzial für die Wirtschaftsentwicklung entlegener Gebiete zu nutzen, testet die Schweiz aktuell eine Partnerschaft mit der Internationalen Finanzkorporation der Weltbankgruppe. Ziel ist es, Firmen des Privatsektors für das Gebiet des Flüchtlingslagers Kakuma zu interessieren und ansässige Firmen zu unterstützen, damit so Arbeitsplätze und Einkommen generiert werden können und ein verbessertes Angebot an Dienstleistungen und Produkten gefördert wird.

Aussenpolitik im Interesse der Schweizer Innenpolitik

Ich bin überzeugt, dass sich solche Investitionen für alle Beteiligten lohnen. Aus diesem Grund nimmt Afrika in der aussenpolitischen Vision des EDA (AVIS28) sowie in der daraus abgeleiteten aussenpolitischen Strategie des Bundesrates (APS 2020–2023) als geografischer Schwerpunkt breiten Raum ein. Noch stärker wird die Entwicklung Afrikas in der neuen Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA-Strategie 2021–2024) ins Zentrum gerückt. Für die Schweiz als ein global vernetztes Land sind gesellschaftspolitische Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität im Ausland in unserem ureigenen Interesse. Krieg, Hungersnöte und ­Naturkatastrophen führen zu Migrationsströmen in Europa, Korruption und wirtschaftliche Instabilität zu fragilen Handelsbeziehungen.

Die Schweiz tut also gut daran, in Afrika nicht nur den Partner in der Entwicklungszusammenarbeit zu sehen, sondern auch das innovative und wirtschaftliche Potenzial dieses jungen Kontinentes zu erkennen und sich als innovativer Wissenschafts- und Wirtschaftspartner einzubringen. Dank ihres Pragmatismus, ihrer Qualität und Effizienz sowie der langjährigen Zusammenarbeit mit lokalen Behörden, Institutionen und Unternehmen profitiert die Schweiz in Afrika von einem guten Ruf; die Schweizer Expertise wird geschätzt und bietet eine vertrauensvolle Basis für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Das Vertrauen in die Schweiz ist in Afrika unser grösstes Kapital.

Entwicklungszusammenarbeit heisst zusammen arbeiten

Die wirtschaftliche und demografische Entwicklung in den afrikanischen Ländern und die langjährige humanitäre Tradition der Schweiz schaffen eine Basis dafür, dass die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und Afrika auch in Zukunft eng miteinander verbunden sind – im Interesse aller Beteiligten. Gleichzeitig ist es an der Zeit, Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr als einseitige Unterstützung, sondern als Zusammenarbeit zu verstehen.

Entwicklungszusammenarbeit ist das gegenseitige Verständnis und Interesse, Voraussetzungen zu schaffen, lokales Potenzial vor Ort nachhaltig zu entwickeln und zusammen an diesem Ziel zu arbeiten. Afrika hat viel wirtschaftliches Potenzial, eine dynamische Jugend und eine heranwachsende Mittelschicht in den Städten, die grundsätzlich offen sind für unsere freiheitlichen Werte. Als wirtschaftlich starkes und innovatives Land sollten wir sie auf ihrem Weg unterstützen, damit sie ihre Lösungen vor Ort umsetzen können. Auch im Interesse der Schweiz.

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