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Auf der Flucht

Als «Steuersünder» und «Steuerflüchtlinge» werden Menschen bezeichnet, die ihr Geld vor dem Fiskus in Sicherheit bringen. Die politische Rhetorik zielt auf moralische Verunglimpfung. Warum nicht illegitim sein muss, was nicht legal ist.

Der tief verschuldete deutsche Staat verzweifelt an seinen überbesteuerten Bürgern. Und bläut ihnen ein, dass Steuerhinterziehung einen Verrat am eigenen Land darstelle. Glaubt man einem deutschen Altfinanzminister, soll Steuerhinterziehung gar eine Bedrohung für die gesamte Zivilisation sein. Solche Statements müsste man komisch nennen, wären sie nicht Ausdruck tragisch verqueren Denkens.

Es wird nämlich unterstellt, dass der Staat – also die Menschen an der Macht – einen unanfechtbaren Anspruch auf die Früchte der Arbeit – mithin auf das Eigentum seiner Mitbürger – habe. Diese Ungerechtigkeit, die allen überbordenden Umverteilungsstaaten eigen ist, wird in der Regel damit relativiert, dass der Bürger in einer politischen Demokratie frei sei und seine Unzufriedenheit an der Urne äussern könne. Schön wär’s. Die Realität sieht leider anders aus.

Die Ansicht ist schon deshalb falsch, weil der einzelne Stimmbürger, rein mathematisch gesehen, keinen wesentlichen politischen Einfluss auf ein Wahlergebnis und noch weniger auf die parlamentarischen Geschäfte hat. Die Mehrheitsregel ist auch keine Garantie gegen Machtmissbrauch, schon gar nicht in einem Umverteilungsstaat, wo ständig Stimmen mit Renten und Subventionen aller Art gekauft werden. Dazu passt, dass die Unterschiede zwischen den Parteien, die allesamt die Zustimmung der grösstmöglichen Zahl der Menschen anstreben, naturgemäss minim sind.

Die Ansicht, dass ein steuerlich ausgepresster Bürger die politischen Verhältnisse im eigenen Land verändern könne und solle, ist auch deshalb realitätsfremd, weil die meisten europäischen Staaten zunehmend zu einer oligarchischen Struktur tendieren. In Deutschland oder Frankreich, wo die politischen Parteien vom Staat finanziert werden, fällt die Selbsterhaltung der politischen Clique mit dem höchsten staatlichen Ziel zusammen. Sogar in der schweizerischen Bundesversammlung bezieht mittlerweile eine Mehrheit der Mitglieder ihr Einkommen primär vom Staat, also vom Steuerzahler. Politische Innovation wird damit praktisch unmöglich gemacht, die Verwaltung kann ungehindert regieren.

So gut sich der Verweis auf das politische Engagement des Bürgers anhört – er bedeutet letztlich, dass dieser sich mit der herrschenden Situation abzufinden habe. Er darf, so wird unterstellt, nur nach jenen Regeln vorgehen, die von anderen diktiert werden, und zwar meistens zu deren Machterhaltung. Das sind Zustände, wie sie vielleicht zu Kuba oder Nordkorea passen. In unseren aufgeklärten Gesellschaften, wo individuelle Rechte an sich anerkannt werden, sollten sie indessen keinesfalls akzeptiert oder gar realisiert werden.

Wird die Verwendung der Steuergelder, auch in der Schweiz, unter die Lupe genommen, zeigt sich: die durch staatlichen Betrieb und Umverteilung verursachten Eingriffe in das Privateigentum sind längst nicht mehr mass-voll und gerechtfertigt. Daher wird der Bürger sich nicht ohne weiteres verpflichtet fühlen, Gesetze zu respektieren, die gegen legitime Freiheiten und Eigentumsrechte verstossen. Zwar wäre ein systematischer «ziviler Ungehorsam» der Bürger gegen den Steuerstaat kaum ein gangbarer Weg. Es ist wohl oft besser, auch verschiedene illegitime Gesetze eines Systems zu ertragen. Solange solche Gesetze keine unmenschlichen Taten fordern, kann deren Einhaltung für eine funktionierende und friedliche Gesellschaft unerlässlich sein. Auch aus Sicht des einzelnen ist es oft günstiger, sich den Frieden mit der Staatsmacht mittels der verlangten Steuersumme zu erkaufen. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass in einer fortschrittlichen Gesellschaft, wo der Staat dem Bürger zu dienen hat, alle staatlichen Exzesse sklavisch geduldet werden. Das käme einer Absage an die menschliche Intelligenz und Willensfreiheit gleich.

Das Schweizer Bankgeheimnis und die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug erlauben es den Bürgern, der zerstörerischen Kraft des Umverteilungsstaates mindestens teilweise zu entgehen. Dadurch werden die Früchte ihrer Arbeit und damit ihre Menschenwürde geschützt. Es ist, als hätte der Staat für die Bürger hier gleichsam eine Möglichkeit zum legitimen Widerstand offengelassen. Jene tun jedenfalls gut daran, diese Möglichkeit nicht leichtfertig preiszugeben.

Ein helvetisches Überlegenheitsgefühl wäre dennoch fehl am Platz, wie eine neue Steuerstudie der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) zeigt. Nach Abzug von Einkommenssteuern und Sozialabgaben bleiben einem Schweizer Arbeitnehmer von einem Durchschnittslohn von 100 Franken noch 70.40 Franken übrig, wovon er selbstverständlich noch weitere Steuern und Zwangsversicherungen entrichten muss. Diesen Betrag viel zu nennen, bloss weil der Fiskus in Deutschland dem Bürger netto noch weniger übrig lässt, dürfte selbst einem

Optimisten schwer fallen.

PIERRE BESSARD, geboren 1975, ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich.

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