Auf den Kopf gestellt
Das Kunstmuseum Bern zeigt Baselitz
Rund vierzig Arbeiten von Georg Baselitz hat der Weinproduzent und Sammler Donald Hess über eine Zeitspanne von mehr als 25 Jahren erworben. «In meinen Augen ist Baselitz ein extrem besessener, rebellischer, kreativer und gefühlsbetonter Künstler, der seine germanischen (keltischen) Wurzeln nicht verhehlt und mich immer wieder mit seinen ständig wechselnden Farben und Techniken überrascht, obwohl er unentwegt an seinen frühen Themen weiterarbeitet», sagt Hess und begründet damit seine permanente Auseinandersetzung mit dem Künstler und Menschen Baselitz.
Zwar will «Upside down, boy you turn me» nicht als Retrospektive verstanden sein, doch werden alle wichtigen Entwicklungsschritte des Künstlers aufgezeigt. 1961 nahm der 1938 geborene Hans-Georg Kern den Künstlernamen Georg Baselitz an, in Anlehnung an seinen Geburtsort. Mit der ersten Einzelausstellung, 1963 in Berlin, wo zwei seiner Bilder von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurden, wurde er über Nacht bekannt. Das früheste Bild der Berner Ausstellung, 1963 entstanden, ist eine finstere Gouache. «Ohne Titel» zeigt ein beinloses, verkrüppeltes Kind in verbrannter Landschaft, Baselitz’ Sicht vom Deutschland der Nachkriegsjahre. Helden in diesem Land waren für ihn lediglich die Waldarbeiter – als Metapher für die Künstler, die sich aus dem Krieg heraushalten konnten. «Der Waldarbeiter» (1967) erscheint wohl deshalb im goldenen Sonnenlicht. Symbolik und Metaphern sind allgegenwärtig in Baselitz’ Werk: Im Doggenbild «Ein grosser Hund» verliert das Tier seine Bedrohlichkeit durch eine optische Brechung der Darstellung. Der Reichsadler wird in der Darstellung von Baselitz nicht nur heruntergestürzt, sondern durch das Auf-den-Kopf-Stellen zusätzlich seiner Monumentalität beraubt.
Seit 1969 stehen Baselitz’ Motive konsequent upside down. Vor allem bei den farbigen Werken, wie bei dem zarten Porträt seiner Frau Elke, ist der Betrachter irritiert und herausgefordert. Es ist jedoch die Autonomie der Leinwand, die Baselitz mit einem gewissen
Schalk vorführt, oder, wie es Léonard Cuénod, Kurator der Hess Collection ausdrückt: «Ein verkehrt gemalter Adler ist nicht etwa kein Adler, bloss weil er verkehrt herum gemalt wurde.» Wie sehr diese Leinwand für Baselitz lebt, kommt in den letzten Jahren noch deutlicher zum Ausdruck: Das erstmals in der Berner Ausstellung gezeigte Gemälde «Wo ist der Doktor?» gibt nicht nur Rätsel auf, sondern bietet gleich auch Lösungen an. In dem mit DDR-Stoff eingerahmten Bild verbirgt sich im abgedrehten weissen Sofa ein Lenin/Stalin-Konterfei.
Einen eigenen Raum in der Ausstellung erhielt die rohe Holzskulptur «Frau Paganismus» (1994), eine mit Axthieben, Messern und Meisseln verstümmelte, zwei Meter hohe Figur. Ihre roten blutigen Brüste und die mit roter Farbe angemalten Gesichtszüge schockieren, lösen aber bei näherer Betrachtung eine fast sakrale Betroffenheit aus. Baselitz’ Kunst ist nicht schön, sondern schonungslos direkt und erdhaft. Das ist auch sein Suchen nach neuen Formen der menschlichen Darstellung und seine Affinität zu den heidnischen, nordeuropäischen Gnomen. Gefragt nach der Grund-idee seiner Bildhauerei, bricht er 1998 im Aufsatz «Engel und Zwerge – German Tribal Art» eine Lanze für die hässlich-schönen Zwerge und lehnt die «schön-schönen» Engel ab.
Die Ausstellung «‹Upside down, boy you turn me›. Baselitz in der Hess Collection»
dauert bis zum 20. Juni 2004.
Die Juristin Juliana Schwager-Jebbink berichtet für die «Schweizer Monatshefte» über Kunstausstellungen. Sie lebt und arbeitet in St. Gallen und Zürich.