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Auch mit Solaranlagen in den Bergen reicht die Leistung im Winter nicht aus
Emanuel Höhener, zvg.

Auch mit Solaranlagen in den Bergen reicht die Leistung im Winter nicht aus

Eine Strommangellage im Winter lässt sich durch Photovoltaikanlagen in den Alpen nicht verhindern. Die Zeitspanne, in der diese Anlagen Energie liefern können, ist zu kurz. Die Netto-Null-Politik wird die Problematik weiter verschärfen.

 

Seit vergangenem Sommer wird eine mögliche Strommangellage im Winter in Medien und Politik diskutiert. Es wäre allerdings eine Illusion, zu glauben, dass das Thema in einem direkten Zusammenhang mit dem Konflikt um die Ukraine stehe. Die Mangellage ist vielmehr hausgemacht, die Ursache liegt in einer völlig missratenen Energiepolitik. Das Winterleistungsdefizit hat in den vergangenen Jahren in beträchtlichen Schritten stets zugenommen. Es ist so weit gekommen, weil in der schweizerischen Energiepolitik seit 2011 Ideologie Vorrang vor Sachverstand hatte. Das Thema des zu erwartenden Strommangels wurde bereits vor rund zehn Jahren in Publikationen dargelegt.1 Beachtung fand solches nicht, zu euphorisch wurde der Aufbruch in ein neues Energiezeitalter gefeiert.

So musste es Sommer 2022 werden, bis die drohende Strommangellage Beachtung in den Medien und in der Politik fand und damit auch Aufmerksamkeit in der Bevölkerung erhielt. Die Politik, die zuvor solche Szenarien vehement in Abrede stellte, präsentierte nun unerwartet schnell Lösungen, wie der Mangellage begegnet werden sollte. Dazu gehörten unter anderem ein markanter Ausbau von Photovoltaikanlagen (PV), besonders auch an und auf Autobahnen, die Bundeshoheit über die zeitliche Verfügung von 10 Prozent der in den Stauseen aufgestauten Energie und «Peaker»-Gas-Kraftwerke (die allerdings gemäss einer offiziellen Mitteilung «hoffentlich nie in Betrieb genommen werden müssen»), um Spitzen im Energieverbrauch (Peaks) aufzufangen.

Auch die Idee von Peter Bodenmann, dem Hotelier in Brig und früheren SP-Präsidenten, PV-Grossanlagen in den Alpen über der Nebelzone zu bauen, fand breite Unterstützung von Politikern verschiedener Couleur. All diese Massnahmen benötigen natürlich massive Subventionen. Dabei sei daran erinnert, dass der Schweizer Bevölkerung vor der Abstimmung über die Energiestrategie im Mai 2017 angekündigt wurde, ab 2022 seien keine Subventionen zum weiteren Ausbau der Stromversorgung mehr notwendig, da die Systeme selbsttragend sein würden.

Die Wintertage sind auch in den Alpen kurz

Auch für alpine PV-Anlagen sind die Tage in der kritischen Winterperiode kürzer, so dass eine tägliche PV-Produktionslücke bleibt. Dies gilt besonders für den Zeitabschnitt von Mitte November bis Mitte Februar. In der Grafik wird über den Zeitraum von 24 Stunden der Leistungsbedarf des Marktes (Verbrauch, schwarze Kurve) mit dem Leistungsbeitrag der diversen Produktionsmittel verglichen. Da sind einerseits die Leistungsträger der Grundlast durch Kernkraft (in Rosarot, Mühleberg bereits ausgeschlossen), durch konventionell thermische Produktion (in Hellblau, durch Kehrichtverbrennung, Biomasse und Wärme-Kraft-Kopplung) und durch Laufwasser (in Dunkelblau, gemäss Statistik für die Winterperiode). Ferner wird ein erheblicher Teil des flexiblen Tagesbedarfs durch Turbinieren des Speicherwassers aus Stauseen abgedeckt (in Braun). Das Tagesleistungsdefizit ergibt sich aus der Differenz zwischen Verbrauch und Produktion und ist durch die schraffierte Fläche gekennzeichnet. Gedeckt wird es aktuell durch Importe von Strom aus dem Ausland. Die Darstellung in der Grafik entspricht statistischen Mittelwerten aus Tagen Anfang Fe­bruar 2022 und ist in den Proportionen korrekt.

Ferner ist in der Grafik auch das Leistungsprofil der geplanten alpinen PV-Anlage Saflischtal-Grengiols auf 2400 Metern über Meer mit maximal 1500 Megawatt Peak-Nennleistung eingetragen (in Grau). Bezüglich Zeitintervall und Profil basiert die Kurve auf periodengerechten Werten der alpinen PV-Versuchsanlage «Totalp» im Parsenngebiet bei Davos. Die hellere graue Kurve entspricht der Annahme von fünf Anlagen dieser Grösse und Lage. Man beachte dabei besonders: Die Steigerung der PV-Leistung erhöht zwar die Amplitude der Produktion, nicht jedoch deren zeitliche Ausdehnung, was generell für PV-Applikationen gilt. Konsequenterweise verbleiben Leistungslücken für den Rest des Tages, die mit sehr aufwendigen Systemen, wie beispielsweise zusätzlichen riesigen Hydropumpspeicheranlagen, überbrückt werden müssen.

Die Befürworter von alpinen PV-Anlagen setzen darauf, dass durch deren Produktion das Entleeren der Speicherseen hinausgezögert werden könnte und sich die Winterstrommangellage damit entschärfen oder gar eliminieren liesse. Dieser Ansatz hat zwei grundsätzliche Fehler: Erstens geht er davon aus, dass es sich bei der Strommangellage primär um einen Energiemangel handelt. Ein Leistungsdefizit im Januar lässt sich aber durch Energieproduktion im Frühjahr nicht lösen – denn die Leistung ist im Januar gefragt. Zweitens tragen die Befürworter der Tatsache zu wenig Rechnung, dass auch in den Alpen die Wintertage kurz sind.

Der Strommarkt braucht Leistung im Moment des Verbrauchs. Aus der Grafik geht hervor, dass eine alpine PV-Anlage in der kritischen Zeitperiode nur während rund 7 Stunden Strom liefern kann. Dagegen braucht der Markt über rund 19 Stunden einen flexiblen Leistungsbeitrag. Es bleibt ein tägliches Produktionsdefizit von rund 12 Stunden. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass es auch in den Alpen Schlechtwetterperioden gibt, also Tage, wo selbst alpine PV-Anlagen nichts produzieren.

Geht man von statistisch ermittelten Mittelwerten der Sonnenstunden von Mitte November bis Mitte Februar aus, berechnet daraus die real effektiven PV-Produktionszeitperioden und vergleicht diese mit der Sollproduktionszeit, so werden 75 bis 80 Prozent der nötigen Zeit nicht abgedeckt. Möchte man dieses Manko an Leistung mit zusätzlicher PV-Produktion und unterstützender Hydrospeicherung kompensieren, braucht es Pumpanlagen von rund 16 000 Megawatt (MW) Leistung, die in 25 Prozent der Zeit so viel Speicherwasser hochpumpen können, dass es reicht, täglich über rund 15 Stunden Turbinen mit 4000 MW Leistung betreiben zu können. Ein Vergleich: Die gesamte elektrische Leistung der Kernkraftwerke in der Schweiz beträgt zurzeit 2960 MW. Quintessenz: Theoretisch wäre dieser Ansatz machbar, ihn in der Praxis umzusetzen, ist jedoch unmöglich.

Bedarf dürfte noch markant steigen

Fragen stellen sich auch beim Landschaftsschutz. Das Modellbild vorne gibt einen Eindruck vom Flächenbedarf des Projekts Saflischtal-Grengiols. Es bräuchte theoretisch rund 14 solcher Anlagen in der Schweiz, um die Leistungslücke im Winter zu kompensieren.

In diesen Überlegungen ist der wachsende Bedarf an elektrischer Leistung, verursacht durch die Netto-Null-Politik, noch nicht berücksichtigt. Würde die gesamte private Autoflotte auf E-Mobile umgestellt (4,7 Millionen Fahrzeuge per Ende 2022) und würde jedes Auto 12 500 Kilometer im Jahr zurücklegen, so wären an den «Zapfstellen» im Jahr 14,7 Terawattstunden an Energie bereitzustellen.2 Da 90 Prozent der E-Mobile nachts geladen werden, müssten 13,3 Terawattstunden in den Stunden von 21 bis 4 Uhr bereitstehen. Diese Energie wäre nachts, wo nie PV-Produktion zur Verfügung steht, zu produzieren. Netto müssten 4600 Megawatt Leistung bereitstehen, was in der Grössenordnung wiederum dem gegenwärtigen Winterleistungsdefizit entspricht.

«Da 90 Prozent der E-Mobile nachts geladen werden, müssten 13,3 Terawattstunden in den Stunden von 21 bis 4 Uhr bereitstehen. Diese Energie wäre nachts, wo nie PV-Produktion zur Verfügung steht, zu produzieren.»

Es ist leider so: Die Politik muss umdenken. Statt riesige Flächen mit Solarparks zu verunstalten, die, um die Sicherung der Versorgung zu gewährleisten, noch mit gewaltigen Anlagen zur Zwischenspeicherung ergänzt werden müssten, ist es ökonomisch und ökologisch sinnvoller, auf alternative Lösungen zu setzen, die ihre Leistung konstant erbringen können. Daher bin ich überzeugt: Man muss die Option neuer Kernkraftwerke seriös prüfen. Alles andere ist Wunschdenken. Und Wunschdenken reicht nicht aus, um die realen anstehenden und noch zu erwartenden Stromversorgungsengpässe zu eliminieren.

  1. «Versorgungssicherheit – vom politischen Kurzschluss zum Blackout», div. Autoren, CCN-Verlag, ISBN-978-033-06869-8.

  2. «Schweizer Monat», Ausgabe Dezember 2022: «Der Solarstrom wird nicht reichen, um alle Autos zu elektrifizieren.»

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