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Auch bei der Mobilität sollte das Verursacherprinzip gelten
Beat Hintermann, zvg.

Auch bei der Mobilität sollte das Verursacherprinzip gelten

Transport Pricing kann das Verkehrsproblem lösen. Das Individuum entscheidet weiterhin, neu aber aufgrund vom Staat korrigierter Preise. Die Umsetzung ist allerdings nicht trivial.

 

In der Schweiz hat es, insbesondere in Ballungsräumen, zu viel Verkehr. Diese Meinung teilen eigentlich alle, von den Autofahrern über die ÖV-Nutzer bis zu den Velofahrern und Fussgängern.

Aber was heisst «zu viel Verkehr»? Natürlich hätten wir alle gerne viel Platz auf der Strasse, dem Veloweg oder dem Trottoir. Aber gleichzeitig wollen wir unsere eigene Mobilität nicht einschränken, denn sie hat einen konkreten Nutzen für uns. Wir sind ja meistens nicht unterwegs, weil wir besonders gerne im Zug oder im Auto sitzen, sondern weil wir von A nach B kommen wollen. Die banalste Lösung für das Problem «zu viel Verkehr», nämlich ein allgemeines Fahrverbot, scheitert an dieser Realität: Verkehr ist nämlich auch sehr nützlich. Es ist also gar nicht so einfach zu sagen, ob und welcher Verkehr zu viel ist.

Ökonomen haben eine Antwort auf diese gesellschaftlich hochrelevante Frage. Sie vergleichen die gesamten (oder «sozialen») Kosten und Nutzen. Diese umfassen neben den privaten Kosten und Nutzen, die von den einzelnen Verkehrsteilnehmern selber getragen werden, auch die Kosten, welche die Allgemeinheit trägt. Die Differenz zwischen sozialen und privaten Kosten sind die externen Kosten des Verkehrs. Aus einer gesellschaftlichen Perspektive sollte eine Fahrt nur stattfinden, wenn sie einen sozialen Nettonutzen erzeugt.

Ein Beispiel: Wenn mir eine Autofahrt einen Nutzen von 10 Franken stiftet und meine privaten Kosten dafür 8 Franken betragen, dann lohnt sich die Fahrt für mich persönlich. Wenn ich aber gleichzeitig der Gesellschaft externe Kosten in der Höhe von 4 Franken auferlege, verursacht diese Fahrt einen sozialen Nettoschaden. Die Gesellschaft insgesamt wäre besser bedient, wenn diese Autofahrt gar nicht stattfinden würde. Meine Fahrt ist somit «zu viel».

Die Behebung dieses sogenannten Marktfehlers ist im Prinzip einfach: Wird der externe Teil der Kosten und Nutzen als zusätzlicher Preis veranschlagt, finden nur noch diejenigen Fahrten statt, die einen positiven Nettonutzen haben. Wenn ich im Beispiel einen zusätzlichen Preis von 4 Franken bezahlen müsste, würde sich die Fahrt für mich nicht mehr lohnen – einem Nutzen von 10 Franken stünden dann Kosten von 12 Franken gegenüber.

Diese sogenannte Internalisierung von externen Effekten bzw. Kosten führt (laut Theorie) zu einer Reduktion von Verkehr, und zwar genau dort, wo der gesellschaftliche Nutzen des Verkehrs negativ ist. Der Verkehr, der positive Nutzen generiert, kann und soll weiterhin stattfinden. Und ganz wichtig: Was «wertvoll» ist und was nicht, wird nicht vom Staat bestimmt, denn die private Zahlungsbereitschaft für einen Weg ist Sache der einzelnen Verkehrsteilnehmer. Der Staat korrigiert nur die Preise. Der Entscheid, wie viel wir vom Gut «Verkehr» beziehen wollen, d.h. wann und wohin wir mit welchem Verkehrsmittel reisen, liegt nach wie vor beim Individuum.

Die Theorie der Internalisierung externer Kosten geht zurück auf den englischen Ökonomen Arthur Pigou (1877–1959) und bildet die Grundlage für viele gesellschaftliche Anwendungen. Beispiele sind Lenkungsabgaben, handelbare Emissionszertifikate oder auch Patente (hier geht es um den externen Nutzen von Innovation).

Komplexe Berechnung der externen Kosten

Doch wie lassen sich die externen Kosten des Verkehrs genauer bestimmen? Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) berechnet diese Kosten als Teil seines Auftrags. Die wichtigsten externen Kosten und Nutzen lassen sich in drei Kategorien aufteilen:

 

Klimaschäden: gesellschaftliche Kosten, die bei der Emission von Treibhausgasen (wie z.B. CO2) entstehen. Das ARE rechnet mit 136 Franken pro Tonne CO2, die zusätzlich ausgestossen wird.

 

Gesundheitskosten: die negativen Konsequenzen von lokalen Emissionen (wie z.B. CO, Feinstaub, NOx, aber auch Lärm), die Unfallkosten und der gesundheitliche Nutzen (d.h. negative Kosten), die Velo fahren und zu Fuss gehen bringen. Wichtig ist hervorzuheben, dass es sich immer um die externen Kosten handelt, z.B. um die von der Unfallversicherung übernommenen Behandlungskosten (wogegen der Schmerz intern wäre).

 

Staukosten: Zeitkosten, die ich anderen auferlege, indem ich zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Route benutze. Der äquivalente Begriff im öffentlichen Verkehr ist «Crowding». Dies erfasst die Kosten, die ich anderen auferlege, wenn ich in einen bereits vollen Zug einsteige. Die externen Kosten durch Stau und Crowding sind null, wenn die Kapazität nicht ausgeschöpft wird, können zu Spitzenzeiten aber sehr hoch sein (z.B. 50 Rappen pro km).

 

Die Berechnung der externen Kosten des Verkehrs ist keine triviale Aufgabe und trotz solider Methodik mit einer Reihe von Annahmen verbunden, was zu Abweichungen zwischen Modell und Realität führen kann. Die Schweizer Zahlen sind aber ziemlich ähnlich zu denjenigen, die in der EU verwendet werden. Bestehende Steuern und Subventionen im Verkehrssystem werden dabei berücksichtigt.

Besonders bei den Staukosten wird klar, dass die externen Kosten des Verkehrs nicht nur vom gewählten Verkehrsmittel abhängen, sondern auch von der Route und der Abfahrtszeit. Zu einem gewissen Grad trifft dies auch auf die Gesundheitskosten zu, da z.B. die lokalen Emissionen schädlicher sind, wenn sie in einem dichter besiedelten Gebiet auftreten. Diese Orts- und Zeitabhängigkeit ist der Grund, weshalb man für die korrekte Berechnung der externen Verkehrskosten auf Personenebene auf Informationen über die einzelnen Wege aller Verkehrsteilnehmer angewiesen ist. Dies ist nicht nur für den Datenschutz problematisch, sondern stellte bis vor wenigen Jahren auch eine enorme technische Herausforderung dar.

Mit der universellen Verbreitung des Smartphones hat sich dies jedoch schlagartig geändert. Wir alle haben damit ein GPS-Gerät in der Tasche, und mit der geeigneten Software kann man nicht nur die zurückgelegten Wege aufzeichnen, sondern auch das jeweils verwendete Verkehrsmittel bestimmen.

Die Verkehrsstudie «Mobility in Switzerland» (MOBIS) machte sich diese Technologie zunutze und zeichnete die Wege von rund 3600 Probanden während je 8 Wochen auf. Zudem haben wir für jeden Weg die externen Kosten berechnet. Die beiden Grafiken zeigen die Verteilung der Distanzen und externen Kosten nach Verkehrsmittel, basierend auf den Daten des ARE (Staukosten eigene Schätzung), pro Kopf und hochgerechnet auf ein Jahr.

Auto ist auch im ÖV-Land Schweiz der Spitzenreiter

Auch im ÖV-Land Schweiz werden die meisten Distanzen mit dem Auto zurückgelegt. Im Durchschnitt legten die Probanden pro Jahr 17 400 km zurück, davon 13 900 km mit dem Auto, 3600 km mit dem öffentlichen Verkehr und 850 km mit dem Velo oder zu Fuss. Bei den externen Kosten beträgt der Durchschnitt pro Person 1650 Franken. Der grösste Teil dieser externen Kosten kommt von Autofahrten, aber auch die anderen Verkehrsträger verursachen ­signifikante Kosten für die Allgemeinheit.

Um zu verstehen, was eine Internalisierung der externen Kosten im Verkehr bewirken würde, haben wir ein Experiment durchgeführt, in dem die Probanden während vier Wochen für ihre externen Kosten bezahlen mussten.1

Transport Pricing2 reduzierte die externen Kosten um 5 bis 10 Prozent. Verantwortlich dafür ist eine Kombination von Umsteigen vom Auto auf den öffentlichen Verkehr und einer Verschiebung der Abfahrtszeiten, weg von den teuersten Minuten. Dabei nahm das Crowding im öffentlichen Verkehr nicht zu, vermutlich wegen der gleichzeitigen Bepreisung der Spitzenzeiten auf Strasse und Schiene.

 

«Konkret würden in Städten diejenigen Autopendler, die ­ihrer Fahrt einen tieferen privaten Nutzen beimessen, auf andere Verkehrs­mittel umsteigen oder Stosszeiten meiden.»

 

Die Resultate zeigen, dass Personen auch kurzfristig die Möglichkeit und die Bereitschaft haben, ihre Verkehrsgewohnheiten zu ändern. Konkret würden in Städten diejenigen Autopendler, die ihrer Fahrt einen tieferen privaten Nutzen beimessen, auf andere Verkehrsmittel umsteigen oder Stosszeiten meiden. Die Autopendler mit einem höheren privaten Nutzen würden hingegen ihr Verhalten nicht ändern. Neu müssten sie ihre externen Kosten in Form einer Abgabe begleichen. Dafür würden sie, ebenso wie die übrigen Verkehrsteilnehmer, die weiterhin in der «Rush Hour» unterwegs sein wollen oder müssen, davon profitieren, dass die Strassen weniger verstopft sind. In Städten wie Basel oder Genf müssten zudem auch Nutzer mit Domizil im Ausland erfasst werden, da sich die Verkehrsproblematik ohne die Grenzpendler nicht lösen lässt.

Die langfristige Wirkung wäre vermutlich noch stärker, da zusätzliche Reaktionsmöglichkeiten verfügbar wären, wie Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und -nehmern über Arbeitszeiten oder Veränderungen im Wohn- oder Arbeitsort. Die Erfahrungen mit der «Congestion Charge» in London zeigen jedenfalls, dass die Effekte von Dauer sind.3

Datenschutz ist zu gewährleisten

Unsere Studie impliziert, dass das Verkehrsproblem mit Transport Pricing à la Pigou eigentlich lösbar wäre. Die Technologie dafür existiert, allerdings muss bei der Erfassung der Wege der Datenschutz gewährleistet sein. Dazu müsste man vereinfachen, indem man z.B. die externen Kosten über Raum und Zeit etwas aggregiert. Doch auch die vereinfachten Preise müssen sich unbedingt an den externen Kosten des Verkehrs orientieren. Zur Erinnerung: Das Hauptziel von Transport Pricing ist, dass nur diejenigen Wege wegfallen, die volkswirtschaftlich unsinnig oder eben «zu viel» sind. Stecken hinter dem Pricing hingegen auch andere Motive wie die Maximierung von Steuereinnahmen, wird das Hauptziel höchstwahrscheinlich verfehlt.

Zudem sind Umverteilungsaspekte zu berücksichtigen. Transport Pricing ist regressiv, d.h., ärmere Haushalte zahlen, relativ zu ihrem Einkommen, proportional mehr. Man könnte dem begegnen, indem ein Teil der Einnahmen pro Kopf ausbezahlt wird (wie es auch für die CO2-Lenkungsabgabe gemacht wird), während mit dem Rest bestehende Verkehrssteuern gesenkt oder Verkehrsprojekte finanziert werden könnten. Je nach politischer Präferenz reicht die Palette vom Strassenausbau über Park & Ride bis hin zu Velowegen. Neue Modelle mit Autohaftpflichtversicherungen im Ausland zeigen zudem eine weitere interessante Möglichkeit auf: Personen könnten sich freiwillig für oder gegen Transport Pricing entscheiden. Wer mitmacht, erhält anderswo einen Rabatt, etwa bei der Motorfahrzeugsteuer.

Unabhängig von der genauen Ausgestaltung bietet die Einführung von Transport Pricing eine Chance, das Verkehrsproblem in der Schweiz nachhaltig zu lösen.

  1. Die Resultate der Studie finden Sie unter http://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/500100.

  2. Wir schlagen den Begriff «Transport Pricing» vor, weil er alle externen Kosten abdeckt. Dagegen verwendet der Bundesrat das gebräuchlichere «Mobility Pricing» ausschliesslich für das Bepreisen von Verkehrs­spitzen.

  3. Leape, J. (2006): The London Congestion Charge. In: Journal of ­Economic Perspectives, 20 (4), S. 157–176

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