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Atypische Arbeitsmodelle werden zur Norm

Vollzeit angestellt bis zum Pensionsalter: Dieses Modell wird zunehmend zur ­Ausnahme. Das liegt am technologischen Wandel, aber auch an veränderten Bedürfnissen.

 

Frühjahr 2020: Die Coronapandemie ist ausgebrochen, es gilt Social Distancing und gut die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz arbeitet – zumindest teilweise – im Homeoffice. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 leistete nur knapp jeder Fünfte ­regelmässig und nur jeder Zwanzigste hauptsächlich Heimarbeit. Was bisher für viele undenkbar war, wurde innerhalb von wenigen Wochen zu einer weitverbreiteten Realität. Möglich machte es der verstärkte Einsatz digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien, wie VPN-, Cloud- oder Videokonferenz-Lösungen.

Die Coronakrise hat der Schweiz einen Digitalisierungsschub verpasst. Nun stellt sich die Frage, was die längerfristigen Auswirkungen für die Arbeitswelt sein werden. Durch ­digitale Technologien wird Arbeit zunehmend orts- und ­zeitunabhängig. Erhalten dadurch über Homeoffice hinaus weitere flexible Arbeitsformen wie Arbeit auf Abruf, befristete Projekt­arbeit oder internetbasierte Plattformarbeit zusätz­lichen Auftrieb?

Über ein Drittel arbeitet Teilzeit

Die Arbeitswelt befindet sich schon seit längerem im Wandel. Das traditionelle Arbeitsmodell, bei dem jemand Vollzeit und mit einem unbefristeten Vertrag angestellt ist, hat in den vergangenen Jahrzehnten stetig an Bedeutung verloren. Sogenannte nichttraditionelle oder atypische Arbeitsverhältnisse wie Teilzeitarbeit, befristete Arbeit, Freelance-Tätigkeiten oder Gig-Working sind im Gegenzug auf dem Vormarsch. Aber kann überhaupt noch von «atypischen» Arbeitsmodellen die Rede sein? Vor der Coronakrise war bereits jeder zweite Erwerbstätige in der Schweiz in einem solchen nichttraditionellen Arbeitsverhältnis tätig (siehe Abb. 1). Bei den Frauen waren es sogar 70 Prozent, bei den Männern gut ein Drittel.

Die wohl gängigste nichttraditionelle Arbeitsform ist Teilzeitarbeit. Arbeitete Anfang der 1990er-Jahre noch rund ein Viertel der Erwerbstätigen in reduziertem Pensum, beträgt der Anteil inzwischen über 37 Prozent. Dieser Anstieg lässt sich hauptsächlich mit der zunehmenden Arbeitsmarktinte­gration von Frauen und insbesondere Müttern erklären. Teilzeitarbeit ist zwar nach wie vor vorwiegend ein weibliches Phänomen, die Teilzeitquote der Schweizer Männer nahm in den letzten 30 Jahren jedoch stetig zu und liegt zurzeit bei rund 18 Prozent. Selbständigkeit und vor allem Arbeit auf ­Abruf und befristete Arbeitsverträge sind seltener, letztere Arbeitsform hat seit 2010 allerdings an Gewicht gewonnen. Auch die Plattformökonomie («Gig Economy») hält hierzulande langsam Einzug, wenn auch bisher auf sehr tiefem ­Niveau. 2019 boten 1,6 Prozent der Schweizer ihre Dienste oder Dienstleistungen über internetbasierte Plattformen wie Uber, Airbnb oder Clickworker an, meistens nur sporadisch und im Nebenerwerb.

Die Gründe für die Veränderung der Arbeitsverhältnisse sind vielfältig und beschränken sich nicht auf die Verbreitung des ­Internets und neuer IT-Kommunikationsmittel.1 Begünstigt werden nichttraditionelle Arbeitsmodelle auch durch die zunehmende Tertiarisierung der Wirtschaft: Im Dienstleistungssektor zeichnet sich die Nachfrage durch eine geringere Vorhersehbarkeit als in der Industrie aus, und der Arbeitsoutput ist in der ­Regel weder lagerfähig noch transportierbar. Arbeitnehmende sollten daher flexibel und im richtigen Moment verfügbar sein.

Die konjunkturelle Lage spielt ebenfalls eine Rolle: Müssen Unternehmen in Krisenzeiten Kosten sparen, haben sie ­einen verstärkten Anreiz, Arbeitskräfte möglichst flexibel einzusetzen. Temporärbeschäftigungen und Personalverleih ­gewinnen in diesen Zeiten an Bedeutung. Veränderte Anforderungen der Wirtschaft sind somit ein wichtiger Teil der Erklärung für die Zunahme nichttraditioneller Arbeitsformen. Die Coronakrise liefert diesbezüglich gerade ein Beispiel: In unserer im Herbst 2020 durchgeführten KMU-Umfrage gaben 27 Prozent der Schweizer KMU an, dass sie künftig traditionelle Arbeits­verhältnisse (eher) hinterfragen und neue ­Arbeitsformen wie befristete Projektarbeit, den Einsatz von Freelancern oder ­Arbeit auf Abruf vermehrt ins Auge fassen werden.

Jüngere Generationen wollen Flexibilität

Die Flexibilisierung der Arbeitswelt wird zum Teil auch durch politische Faktoren getrieben. In diversen Ländern wurden die Arbeitsmarktregulierungen mit dem Ziel gelockert, bislang ungenutzte Arbeitskräftepotenziale besser auszuschöpfen und damit dem Fachkräftemangel entgegenzu­wirken oder die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

 

Nichttraditionelle Arbeitsmodelle haben sich aber nicht zuletzt auch als Antwort auf neue Bedürfnisse und Einstellungen der Arbeitnehmenden etabliert. Im Laufe der Generationen nahm die Studiendauer zu und der Eintritt ins Erwerbsleben erfolgt immer später. Dies lässt insbesondere bei jungen Menschen den Anteil an Beschäftigungen mit geringem Pensum und/oder mit befristetem Arbeitsvertrag steigen (Stichwort: Praktika). Die jüngeren Generationen sind in der digitalen Welt aufgewachsen, sie wurden von der damit einhergehenden ­Flexibilität geprägt und erheben entsprechende Ansprüche an ihre Arbeitsweise. Die berufliche ­Mobilität ist mit jeder Generation grösser geworden, häufige Jobwechsel sind keine Seltenheit mehr. Die Gleichberechtigung schreitet voran, damit ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen und folglich der Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewachsen. Ausserdem legen die Generationen Y («Millennials) und Z generell mehr Wert auf Work-Life-Balance als die Babyboomer-Generation und die Generation X.

Einen Einblick in die Einstellungen und Wünsche der jungen Schweizer in bezug auf ihre (künftigen) Arbeitsbedingungen liefert das Jugendbarometer der Credit Suisse, eine repräsentative Umfrage unter 16- bis 25-Jährigen. Die Ergebnisse 2020 bestätigen das Bild einer Jugend, die flexibel sein möchte. Knapp drei Viertel der Mitglieder der Generation Z – die Jahrgänge, die allmählich auf den Arbeitsmarkt drängen – erachten Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit demnach als sehr oder eher wichtig (siehe Abb. 2). Auch flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice werden von einer Mehrheit der Befragten gefordert.

«Was die Arbeitsbedingungen ­(Homeoffice und weitere

flexible ­Arbeitsformen) betrifft, erwarten die Schweizer

laut Sorgen­barometer vorwiegend positive Auswirkungen

der ­aktuellen Krise für die Zukunft.»

Mit der Coronakrise steigt in der Schweiz allgemein die Angst vor Arbeitslosigkeit. Die Unsicherheit ist bei den jüngeren Generationen am stärksten ausgeprägt, wie das Sorgenbarometer 2020 der Credit Suisse zeigt. Was die Arbeitsbedingungen (Homeoffice und weitere flexible Arbeitsformen) betrifft, erwarten die Schweizer laut Sorgenbarometer hingegen vorwiegend positive Auswirkungen der aktuellen Krise für die Zukunft. Insgesamt ist die Haltung der Schweizer Bevölkerung gegenüber der Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt grundsätzlich zuversichtlich. Nur gerade 6 Prozent der Um­frageteilnehmer nannten dies 2020 als eine ihrer Hauptsorgen.

Vorsorgesystem hinkt hinterher

Flexible Arbeitsverhältnisse mögen einem Wunsch der Erwerbstätigen nach mehr Flexibilität, mehr Abwechslung und einem erleichterten Arbeitsmarktzugang entsprechen, sie bergen aus Arbeitnehmersicht aber auch Risiken. Dazu gehören Unsicherheiten bezüglich Arbeitsvolumen, Regelmässigkeit und Höhe des Einkommens, Karrieremöglichkeiten oder sozialem Schutz. So ist im Bereich der Plattformökonomie die ­Aufteilung zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden beziehungsweise Angestellten und Selbständigen nicht immer klar geregelt, was vom aktuellen Altersvorsorgesystem, das noch stark auf das traditionelle Arbeitsverhältnis ausgerichtet ist, unzureichend aufgefangen wird. Auch Parameter der ­beruflichen Vorsorge wie die Eintrittsschwelle und der Koordinationsabzug führen heute zu einer Benachteiligung von Erwerbstätigen, die Teilzeit arbeiten oder mehreren Tätigkeiten mit kleinem Arbeitspensum bei unterschiedlichen Arbeit­gebern nachgehen. Erwerbstätige in atypischen Arbeits­verhältnissen laufen im heutigen System daher Gefahr, nicht genügend für das Alter vorsorgen zu können. Es ist eine ­Reform nötig, die diese Aspekte berücksichtigt.

Andererseits könnten flexible Arbeitsmodelle aber auch dazu beitragen, die Problematik der Erhöhung des Pensions­alters und der Verlängerung des Arbeitslebens zu entschärfen, indem sie einen schrittweisen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglichen. Die Akzeptanz für und die Verbreitung von solchen Lösungen ist im Laufe der Generationen gestiegen. Während die Hälfte der Schweizer Babyboomer, die das gesetzliche Pensionsalter noch nicht erreicht haben, sich nicht vorstellen kann, über das Rentenalter hinaus weiter zu arbeiten, sinkt dieser Anteil bei der Generation X auf 39 Prozent und bei den Millennials auf 28 Prozent.2 Die bisher starre Dreiteilung des Lebens in Ausbildung, Erwerbstätigkeit und Ruhestand scheint sich langsam aufzuweichen.

  1. Vgl. Michael Mattmann, Ursula Walther, Julian Frank und Michael Marti: Die Entwicklung atypisch-prekärer Arbeitsverhältnisse in der Schweiz. ­Seco-Publikation: Arbeitsmarktpolitik Nr. 48, 2017.

  2. Credit-Suisse-Fortschrittsbarometer 2019/20; vgl. dazu Credit Suisse ­Research Institute: Rethinking Retirement, 2020.

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