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Freispruch für das Doping!

Die heutige Dopingpolitik mit ihrer angeblichen Sorge um die Gesundheitsgefährdung von Spitzensportlern ist von Widersprüchen geprägt und möglicherweise verfassungswidrig. Eine Dopingfreigabe würde die Chancengleichheit unter den Sportlern erhöhen.

Freispruch für das Doping!
Thomas Rihm, photographiert von Günter Bolzern.

Seit den 1990er Jahren gibt es fast keinen Tour-de-France-Sieger, der nie in Verbindung mit Doping gebracht wurde. Der 2001 und 2006 des Dopings überführte Sprinter Justin Gatlin sieht sich mit neuen Dopingvorwürfen konfrontiert, obwohl er seither nie positiv getestet wurde. Und jüngst wurden 25 russische Athleten für die Olympischen Spiele auf Lebenszeit gesperrt, während die übrigen an den kurz bevorstehenden Winterspielen in Südkorea nur unter neutraler Flagge antreten dürfen. Kurzum: das Thema Doping ist allgegenwärtig, es erregt die Gemüter in Redaktionen, bei Sportlern und Fans. Bemerkenswert ist dabei die Einigkeit in der moralischen, ethischen und rechtlichen Einschätzung des Dopings: Leistungssteigerung via Doping sei gesundheitsgefährdend und stelle Betrug gegenüber Mitathleten und vor allem gegenüber den Zuschauern dar. Während unsere liberalen Gesellschaften fast alles zur Debatte stellen, bleibt die heutige Dopingpolitik jeglicher rationalen Begründung und Kritik entzogen. Das muss sich ändern. Warum?

Suchtgiftfreie Insel des Spitzensports

Doping ist im Arbeitsalltag weit verbreitet und durchaus akzeptiert. Die Legalisierung oder zumindest die Entkriminalisierung von Drogen wird oft diskutiert und gefordert. Bemerkenswert ist deshalb, dass die Dopingdiskussion nur im Hinblick auf den organisierten Spitzensport geführt wird. Die Wölfe von der Wallstreet und der Bahnhofstrasse, Vertreter der Managementelite, examensgeplagte Schüler und Studentinnen oder sogar Balletttänzer unter dem Einfluss von sogenannten Neuro-Enhancern bleiben von der Dopingdiskussion verschont. Auch im Breitensport ist die Einnahme leistungssteigernder Substanzen verbreitet. Unter den Alpinisten etwa ist es ein offenes Geheimnis, dass Ronicol, Diamox, Dexamethason oder gar Viagra eingenommen werden – letztere drei sollen die Symptome der Höhenkrankheit lindern.

Heute nehmen in der Schweiz rund 800 000 Personen Benzodiazepine wie Temesta, Xanax, Stilnox oder Zolpidem ein. Hoffmann-La Roche erlebte in den 1960er Jahren mit Librium und Valium, von den Rolling Stones damals als «Mother’s little helpers» besungen, kommerziell goldene Zeiten. Niemandem käme es in den Sinn, das in harter Tages- und Nachtarbeit verfertigte Architekturprojekt aus einem Ausschreibungsverfahren zu verbannen, nur weil womöglich Doping im Spiel war. Schüler und Studenten müssen bei der Abgabe ihrer Semesterarbeiten geloben, keine fremde Hilfe in Anspruch genommen zu haben – medizinische Helfer zur Leistungsverbesserung, von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) grösstenteils geächtet, sind damit nicht gemeint.

Doppelmoral bei der «Gesundheitsförderung»

Das Dopingverbot wird gemeinhin unter dem Banner der Gesundheitsförderung verteidigt. Als Mittel zur Gesundheitsförderung ist es aktuell unbestritten, andere Bedrohungen von Leben und Gesundheit der wettkämpfenden Spitzensportler werden bedenkenloser hingenommen: Unfälle in gewissen Sportarten (z.B. Skiabfahrt, Eishockey, Boxen oder Kunstturnen) fordern Jahr für Jahr Tote und Verstümmelte, ohne dass dort das Doping ursächlich wäre. Alleine der sportrechtlich organisierte Motorsport fordert jährlich um die 100 Todesopfer. Wenn die Sportwelt es mit der Gesundheitsförderung also ernst meinte, müssten solche und weitere Sportveranstaltungen verboten werden.

Doch Spitzensport ist nicht nur akut, sondern auch chronisch ungesund. Roger Federer mag mit seiner Konkurrenzfähigkeit im Alter von 36 Jahren eine Ausnahme sein, die dauerverletzten Konkurrenten Djokovic, Nadal, Murray und Wawrinka die Regel: Die Karriere der meisten Spitzensportler neigt sich ab 30 Jahren dem Ende zu, ihre Körper sind ausgelaugt – und 20 Jahre älter als jene gleichaltriger fitter Menschen. Die Zahl der öffentlich bekannt gewordenen Dopingtoten oder Dopinggeschädigten der letzten zwei Jahrzehnte lässt sich in der westlichen Welt dagegen an einer Hand abzählen. Die Anti-Doping-Gemeinde misst also die selbstverordnete Aufgabe der Gesundheitsförderung mit zwei Ellen.

Sport für den Weltfrieden?

Anti-Doping-Programme sollen gemäss dem von der WADA verfassten Kodex die «Wahrung des Sportsgeists» garantieren. Sport verkörpere Ethik, Fairness, Ehrlichkeit, Streben nach Exzellenz, Respekt für den Mitmenschen und für sich selbst sowie für die Rechtsordnung, Charakterbildung und letztlich auch Freude und Vergnügen.1 Doping widerspreche dem so definierten Sportsgeist fundamental. Das UNESCO-Übereinkommen gegen Doping von 2005 verortet beim Sport sogar zusätzlich die Förderung von Völkerverständigung und Weltfrieden. Diese hohen Ziele geniessen in unserer Gesellschaft zu Recht ungeteilten Zuspruch. Doch ist es fraglich, ob die Verfolgung dieser Ziele nicht weiterhin der Politik, der Vielzahl von Vereinen, anderen zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen überlassen werden sollte.

Unfassbares Doping

Ein weiteres Kernthema bereitet den Dopingverhütern grosse Schwierigkeiten: die eigentliche Definition des Dopings. Nach gängiger Auffassung ist mit Doping der Einsatz leistungssteigernder und/oder gesundheitsgefährdender Substanzen gemeint. Das war bis 2008 auch die Auffassung der WADA (und bleibt es teilweise bis heute bei anderen internationalen und nationalen Sportverbänden). Dann realisierte sie, dass der Begriff der Leistungssteigerung nichts taugt, weil es eben auch leistungssteigernde Substanzen gibt, die gar nicht gesundheitsgefährdend sind. Es waren Plädoyers zugunsten von Dopingsubstanzen zu hören, die der Sicherheit der Spitzensportler sogar dienlich sind, z.B. durch das Ski-Ass Bode Miller, das in einem vielgeschmähten Interview schon 2005 die Freigabe von EPO (zwecks besserer Versorgung des Hirns mit Sauerstoff) im Skirennsport forderte. Eine generell-abstrakte Erfassung des Dopings erwies sich also als unmöglich.

Entsprechend verlegte sich die WADA ab dem Kodex 2008 darauf, einzelfallweise zu verbieten. Konkret: eine Substanz wird seither in die Verbotsliste aufgenommen, wenn sie zwei der drei folgenden Kriterien erfüllt2:

1. Sie hat das Potenzial, die Leistung zu erhöhen.

2. Sie stellt ein potenzielles Gesundheitsrisiko dar.

3. Ihre Verwendung verletzt den Sportsgeist gemäss WADA.

Ohne Gesundheitsgefährdung ist eine leistungssteigernde Substanz also verboten, wenn sie den Sportsgeist verletzt, und ob sie den Sportsgeist verletzt, definiert die WADA. Kurz: verboten ist, was verboten ist. Ein klassischer Zirkelschluss.

Widersprüchlich beurteilte Substanzen

Diese Ad-hoc-Definition des Dopings führt zu zahlreichen Inkonsistenzen und Widersprüchen: Ein Grossteil der gemäss WADA zunächst verbotenen Substanzen ist mit einer Ausnahmebewilligung für therapeutische Zwecke zugänglich. Damit gestehen die globalen Antidopinghüter ein, dass von ihnen geächtete Substanzen therapeutischen Zwecken dienen können. Die Grenzen zwischen therapeutischem Leistungserhalt und verbotener Leistungssteigerung verschwimmen hier. Alkohol ist gemäss WADA nur in bestimmten Sportarten wie Bogenschiessen oder im Motorsport verboten. Dort ist die entspannendeuphorisierende und selbstredend gesundheitsschädliche Wirkung von Alkohol verpönt, während man in allen anderen Sportarten damit durchkommt – wovon z.B. die nordirische Fussballlegende George Best ein Lied singen konnte.

Die Einnahme verschiedener Suchtgifte wird von der WADA nur während des eigentlichen Wettkampfs verboten. Der Konsum von Morphium, Heroin, Haschisch oder Marihuana ist vor oder nach dem Wettkampf erlaubt. Bei der Gesundheitsgefährdung mit diesen und weiteren Suchtgiften, die ausserhalb des Wettkampfs passiert, schauen die internationalen Sportverbände weg. Diese Haltung ist gleichermassen zynisch wie widersprüchlich, denn zahlreiche neben dem Sportplatz geduldete Narkotika, vor allem die schmerzlindernden Opioide, erlauben nach einem Wettkampfeinsatz die raschere, weil schmerzfreie Wiederaufnahme des Trainings und tragen damit durchaus zur Leistungssteigerung bei.

Die Liste der Widersprüche liesse sich verlängern, klar wird aber: Die von den Dopingverhütern propagierte Gesundheitsförderung muss anders aussehen, ihre aktuelle Dopingpolitik ist von Willkür geprägt.

Leistungssteigerung vs. Leistungserhalt vs. Therapie

Das Hauptaugenmerk der Dopingverhüter gilt aktuell den anabolen und hormonellen Substanzen, dem Gendoping und den weiteren nur im Wettkampf verbotenen Stimulanzen. Viele dieser Medikamente sind von Gesundheitsbehörden in aller Welt nach Durchlaufen rigider Zulassungsprüfungen für den medizinischen Markt zugelassen. Die Anti-Doping-Agenturen regulieren also in einem Bereich, der bei den nationalen und internationalen Gesundheitsbehörden bereits in guten Händen ist.

Teile der verpönten anabolen Steroide betreffen körpereigene, also vom menschlichen Körper selbst produzierte und deshalb bis auf weiteres erlaubte Substanzen, wo die körpereigene Produktion dank Doping nur verstärkt wird. Die Grenzen zu erlaubten «Doping»-Methoden wie dem seit Jahrzehnten betriebenen Höhentraining von Laufathleten, das die körpereigene Produktion der für die Sauerstoffaufnahme so wichtigen roten Blutkörper anregt, verwischen sich auch hier. Nicht umsonst sprechen die Mediziner beim Höhentraining von erlaubtem Blutdoping, das ansonsten von der Weltagentur geächtet wird. Gleiches gilt dort, wo die Technik des Verabreichens erlaubter leistungssteigernder Substanzen deren Wirkung nochmals erhöht oder erleichtert (z.B. Spritzen von Vitaminen vs. orale Einnahme von Vitaminpillen; oder AltiTrainers vs. Höhentraining).

In diese Kategorie fällt auch die vergleichsweise junge medizinische Disziplin des Gendopings. Gendoping verändert die menschliche Genstruktur durch Einschleusen von DNA- und RNA-Molekülen zwecks Anregung des Muskel- oder Blutgefässwachstums oder der zusätzlichen Bildung von roten Blutkörperchen. Bereits mit der Verwendung des Begriffs Gendoping tappt man in die semantische Falle: richtigerweise muss von der seit den 1990er Jahren in Forschung und Praxis betriebenen Gentherapie gesprochen werden, die u.a. der Behandlung von Krebs, HIV-Infektionen oder Blutkreislaufstörungen dient. Die globalen Dopinghüter machen sich hingegen daran, die gentherapeutische Stärkung der im Sport so wichtigen Organe wie Herz, Lunge oder Muskulatur zu verbieten.

Auch die bereits mehrfach erwähnte Leistungssteigerung selbst lässt sich oft nur schwer definieren. Diverse erlaubte medizinische Techniken tragen zur blossen Erhaltung bestehender Leistungsfähigkeit bei. Der grob gefoulte Fussballer, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Stadionrasen windet, wird mit Eisspray behandelt; er kann dann sogleich wieder einigermassen schmerzfrei weiterspielen (womöglich unter erheblicher Gesundheitsgefährdung). Niemandem käme es in den Sinn, hier ein exogen verabreichtes Doping zwecks Leistungserhalts zu verorten, das verboten gehört. Anders verhält es sich mit schmerzstillenden Opioiden, die während des Wettkampfs verboten sind. Hier wird schmerzstillender Leistungserhalt als verbotene Leistungsverbesserung gebrandmarkt.

Die heutige Antidopingpolitik mit ihrer angeblichen Sorge um unerlaubte Leistungssteigerung und die damit einhergehende Gesundheitsgefährdung von Spitzensportlern entpuppen sich als Konstrukt voller Widersprüche und Unzulänglichkeiten.

Erstaunlich ist, dass ein Grossteil des sportbegeisterten Publikums die Doppelmoral und all die anderen Widersprüche nicht ansatzweise erkennt. Bei jedem neu aufgedeckten Dopingfall verfällt es in tiefe Enttäuschung über sein Sportidol, oder es labt sich in selbstgerechter Empörung an der Dopingverfehlung eines schon zuvor ungeliebten Sportlers. Dieses Narrativ – Doping sei Betrug am zahlenden Publikum – wird nicht zuletzt von den Dopingverhütern gerne beschworen. Auch die erwähnten 800 000 Konsumenten von Benzos in der Schweiz sollten sich bei ihrer Bewertung des Dopings beim Spitzensport künftig Zurückhaltung auferlegen.

Dopingverbot verfassungswidrig?

Die schweizerische Bundesverfassung verankert den menschlichen Anspruch auf Unversehrtheit von Leben, Körper und Geist. Das schliesst auch das Recht ein, auf diesen Anspruch punktuell zu verzichten. Es gibt demnach ein Grundrecht auf Selbstschädigung, also z.B. ein Recht auf den Rausch, auf die Ausübung von Risikosportarten, auf Tätowierungen und auf Piercings. Man könnte daher Doping durchaus als eine Ausübung des verfassungsmässig geschützten Rechts auf Selbstschädigung bezeichnen.

Ausserdem sind die rechtsstaatsfernen Praktiken der Antidopingbehörden zu kritisieren: Verzicht auf subjektive Schuldmomente bei der Eruierung des Dopingtatbestandes, datenschutzrechtlich unzulässige Präsenz- und Rapportierungspflichten sowie drakonische, mittelalterlich anmutende Berufsverbote.

Dopingfreigabe erhöht Chancengleichheit

Die Befürworter der heutigen Dopingpolitik führen als letztes Argument ins Feld, Doping verzerre den sportlichen Wettbewerb und stelle demnach nichts anderes als strafwürdigen Betrug dar. Diese Begründung hält gerade so lange stand, wie Doping eben nicht freigegeben wird und der gleichverteilte Zugang aller Spitzen- und Breitensportler zu Doping verhindert wird. Sie ist wieder nur ein Stück der schon beschriebenen Tautologie: Doping ist verboten, weil es verboten ist – und deshalb sei es auch strafrechtlich zu verfolgen.

Mit dem Plädoyer für eine Dopingfreigabe wird nicht das Wort für eine bedingungslose Liberalisierung geredet. Die freiverantwortlich getroffene Einwilligung des Sportlers oder der Sportlerin zur Verwendung leistungssteigernder Substanzen – mit all ihren möglicherweise auch negativen Konsequenzen – wird mit professionell-verantwortlicher Supervision durch Ärzte einhergehen (wie es heute schon beim therapeutischen Dopingeinsatz von der WADA praktiziert wird). Damit können die Spitzensportler aus den Fängen teilweise obskurer und gewissenloser Medizinmänner befreit werden.

Eine Liberalisierung der Dopingpolitik würde den Wettkampf zwischen den Spitzensportlern nicht unfairer machen, sondern ganz im Gegenteil die Wettbewerbsgleichheit sogar erhöhen. Denn: heute gewinnen womöglich jene, die die raffiniertesten und skrupellosesten Doktoren finanzieren können. Oder jene, die sich teure, legale Massnahmen wie ein mehrwöchiges Höhentraining zwecks Produktionssteigerung von roten Blutkörperchen leisten können, während wesentlich günstigere Techniken mit dem gleichen Zweck – wie AltiTrainers oder EPO – aufgrund ihres Verbots den finanziell schwächeren Spitzensportlern verwehrt bleiben. Spätestens hier verkehrt sich die heutige Antidopingpolitik mit ihrer angeblichen Wahrung der Wettbewerbsneutralität komplett. Eine Freigabe des Dopings würde die Länge der Spiesse angleichen: physische Grundkonstitution und Fleiss wären wieder ausschlaggebender für Sieg oder Niederlage.

Notwendigkeit einer modern-aufgeklärten Dopingpolitik

Für eine künftige Dopingpolitik müssen die Grundsätze gelten, die von den Befürwortern einer liberalen Drogenpolitik seit langem formuliert werden: Legalisierung der Substanzen und dies, wo angezeigt, unter ärztlicher Begleitung. Man befreit sich damit auch von einer romantisierenden Verklärung eines früheren Sportverständnisses à la Baron Pierre de Coubertin, um damit den Weg für eine moderne und aufgeklärte Dopingpolitik freizumachen.


1 World Anti-Doping Code 2015, S. 14.
2
World Anti-Doping Code 2015, Art. 4.3, S. 32.


Thomas Rihm
ist international tätiger Wirtschaftsanwalt. Er führt seine eigene Kanzlei Rihm Rechtsanwälte in Zürich.

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