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Ein Häufchen akkurat katalogisierten Elends

Gestern war alles besser. Das kann der besonnene, streng rationale Paläontologiedozent Emile Ryffel bestätigen, denn beruflich löffelte er sich mit feiner Akribie durch die Sedimentschichten vorzeitlicher Vulkaneruptionen, privat lebte er noch am Vortag den Stammhirntraum aller Akademiker: eine aparte Kulturschaffende – die Ebenbürtige – als feste Partnerin und eine knackige Studentin – das Kätzchen – […]

Gestern war alles besser. Das kann der besonnene, streng rationale Paläontologiedozent Emile Ryffel bestätigen, denn beruflich löffelte er sich mit feiner Akribie durch die Sedimentschichten vorzeitlicher Vulkaneruptionen, privat lebte er noch am Vortag den Stammhirntraum aller Akademiker: eine aparte Kulturschaffende – die Ebenbürtige – als feste Partnerin und eine knackige Studentin – das Kätzchen – für die freien Abende…

Heute ist alles schrecklich. In seinem feinfühligen Roman «Im Park» stösst der Aargauer Christian Haller seine Hauptperson rabiat aus dem Paradies: Ryffels Lebensgefährtin Lia erleidet im Hier und Jetzt eine Hirnblutung. Viel zu früh, viel zu unerwartet, erfährt der Leser, wenn er mit Ryffel die Wohnung betritt, in der es Lia beim Lesen eines Krimis niederwarf. Schrittweise entfaltet sich das Leben, wie es war und nie mehr sein wird. In klarer, knapper Sprache, einprägsam auf das Nötigste reduziert, muss Ryffel eine neue Haltung für ein neues Leben suchen, als erwachsener Mann zwischen den Extremen seiner zerstörten Existenz, zwischen Pflichtbewusstsein und sexueller Lust mit seiner jungen Klara, zwischen gewachsener Verpflichtung und dem Wunsch eines Vierzigjährigen nach draufgängerischer Unbekümmertheit…

Morgen wird alles anders werden. Emile Ryffel muss erfahren, dass er nirgends mehr richtig dazugehören kann, dass er derjenige ist, der auf der Strecke bleiben wird. Für die verstörte Lia ist er der selbstverständliche Händchenhalter und Gesundbeter, um den sie sich nicht auch noch kümmern kann im Kampf um ihre verlorene Körpermitte, mit einer «linken Hälfte, die an ihr hing, gelähmt und wie ein nasser Sack». Auf der anderen Seite die Geliebte, sein Hoffnungsschimmer und seine grösste Sünde. Sie wird weiterziehen, andere jüngere, ebenbürtigere Männer kennen lernen…

Es ist die ungerechte, aber gleichzeitig spannende Konzentration auf das Leiden des einsamen, zur wissenschaftlichen Abgeklärtheit verdammten Ryffel, die dem Buch seine beeindruckende Stringenz gibt. Ryffel wird nicht schreien oder wüten, nicht einmal unbedacht handeln, er wird tagein tagaus von der Wohnung durch den Park zur Klinik und wieder zurückgehen und wird für den Rest seines Lebens ein Häufchen akkurat katalogisierten Elends sein.

vorgestellt von Michael Harde, Schalkenbach

Christian Haller: «Im Park». München: Luchterhand, 2008

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