Die Macht der Ja-Sager
Sie schafften die WTO ab, verkündeten das Ende des Irak-Krieges schon 2008 und verkauften Rettungskapseln gegen den Klimawandel: die beiden amerikanischen Kunstaktivisten Andy Bichlbaum und Mike Bonanno parodieren die zeitgenössische Medien- und Geschäftswelt. Welche Ziele verfolgen sie?
Was ist ein «Yes Man»?
Ein «Yes Man» ist ein Ja-Sager, ein Angestellter, der in allen Punkten mit seinem Boss übereinstimmt. Ein – Pardon! – Arschkriecher. Und genau das sind wir in unseren Rollen: wir sind trojanische Pferde in Grosskonzernen, geben uns als gewissenlose, gierige und trotzdem innovative Klischeekapitalisten aus, nehmen unsere Auftritte auf Kongressen oder im TV auf und stellen so die Mentalitäten in der jeweiligen Runde bloss. Wir bieten Anschauungsmaterial. Die Betrachter sollen dann ihre eigenen Schlüsse ziehen.
Konkret: ihr schleicht euch als Repräsentanten internationaler Konzerne oder Institutionen auf Veranstaltungen der WTO, Exxon oder Halliburton oder in Fernsehstudios von CNBC oder BBC, um dort mit kapitalistischen Motiven zu spielen und Missstände anzuprangern…
…und sind damit erschreckend erfolgreich! Vor allem die, die vergessen haben, dass es für menschliches Zusammenleben Regeln gibt, gehen uns auf den Leim: auf Kongressen bekommen wir immer wieder Beifall und jede Menge Visitenkarten von Interessierten. Man lädt uns aufgrund von Unachtsamkeit ein. Und dann verkaufen wir da zum Beispiel die Idee von Kerzen für mehr «Licht in der Dritten Welt», die aus Talg von vormals an Hunger gestorbenen Menschen hergestellt werden. Wir stellen die Produkte im Kapitalistensprech der «effizienten Ressourcennutzung» vor, was für viele Ohren «gut» klingt, für jeden halbwegs klardenkenden Menschen aber völlig absurd ist. Wir sind dabei alles, was sich ein Klischeekapitalist wünschen kann: vordergründig innovativ und fortschrittlich. Und wir nicken freundlich.
Ihr nennt das selbst auch «Identitätskorrektur». Wieso habt ihr euch gerade die Grossunternehmen dafür ausgewählt – naive Menschen gibt es doch überall?
Weil hier diejenigen, die in der Anonymität gern abkassieren, am einfachsten zu kriegen sind: sie stimmen allem zu, weil sie glauben, dass wir ein mächtiger Verbündeter auf dem Weg nach oben sein könnten. Dieser blinde Glaube sorgt in Institutionen und Betrieben zunehmend dafür, dass man bereit ist, den Kopf auszuschalten, wenn der Profit stimmt. Für eine Gesellschaft ist das auf lange Sicht fatal.
2004 hat einer von euch als Vertreter von Union Carbide, einer Tochterfirma von Dow Chemical, vor laufenden BBC-Kameras versprochen, den Opfern der Chemiekatastrophe von Bhopal eine Entschädigung auszuzahlen. Wie kam es dazu?
Schon einige Jahre vor dem Fernsehevent hatten wir eine Internetseite aufgeschaltet, die den Eindruck erweckte, als sei sie eine Unterseite von Dow Chemical. Sie wirkte ziemlich seriös und setzte sich mit den Themen unternehmerische Ethik und Umweltverschmutzung auseinander. Als sich die Bhopal-Katastrophe, bei der 1984 in Indien eine toxische Wolke aus einer Union-Carbide-Chemiefabrik freigesetzt wurde und mehrere Tausend Menschen unmittelbar an Verätzungen starben, zum 20. Mal jährte, plante die BBC eine Sendung zum Thema und schrieb uns über unsere falsche Website an. Man bat uns anstelle von Dow Chemical, eine Erklärung abzugeben und zu erklären, wieso viele der Opfer und ihre Angehörigen bis heute keine Entschädigung bekommen haben. Und natürlich sagten wir gern zu. Wir überlegten, was die Geschädigten in Indien wohl von Dow verlangen würden – und bauten genau das in die geplante Rede ein. Wir stellten uns ausserdem vor, dass man bei der BBC, dem Fernseh-Todesstern, wie wir gern sagen, unsere Ausweise kontrollieren, unbequeme Fragen stellen und andere Hürden für eventuelle Trojaner aufbauen würde. Nichts davon sollte zutreffen: ein feiner Anzug und eine Aktentasche genügten, und die BBC-Studios in Paris stellten sich als tristes kleines Büro mit genau einem Techniker und einem Bluescreen heraus. Wir kamen uns vor, als wolle man uns auf den Arm nehmen.
Zwanzig Minuten später ging der Dow-Aktienkurs auf Talfahrt.
Richtig. Andy hielt seine Rede, übernahm im Namen Dows die volle Verantwortung für die Katastrophe und sprach den Opfern 12 Milliarden Dollar zu, was etwa dem gesamten Firmenwert entsprach. Dann ging das Licht an, wir schüttelten die Hände des Technikers und einer Redakteurin, die Andy dafür dankte, dass das Unternehmen seinen geschädigten Arbeitnehmern nun endlich Reparation versprach – und dann waren wir wieder draussen. Wir atmeten einmal tief durch, kurz danach ging die Nachricht schon über alle Ticker und sorgte für einen Kurssturz von Dow Chemical.
Ärger gemacht, Arbeit erledigt?
Nein, darum ging es nicht. Wir stellten mit der gesamten Welt gemeinsam fest: wenn ein Grossunternehmen heute die Verantwortung für einen unglaublichen Unfall übernimmt, also etwas tut, was man gemeinhin von ihm erwarten und als moralisch richtig bezeichnen würde, so entziehen ihm die Gläubiger das Kapital! Nach einer halben Stunde dementierte Dow die Meldung, und bei uns lief das Telefon heiss. Die Sache flog natürlich auf, aber der Schwindel war das Thema Nummer eins – und damit auch Dow und seine Unternehmensethik.
Das kann man so sehen, aber auch andersherum: was ist mit all jenen Indern, die sich in diesem Moment auf ihre Entschädigung gefreut haben?
Wir haben im vorhinein mit Leuten in Bhopal gesprochen, mit Vertretern von Verbänden, die sich für die Opfer der Katastrophe bis heute einsetzen. Letztlich sind wir zum Schluss gekommen, dass ihr materieller Schaden durch die Aktion nicht grösser wird, ihre Medienpräsenz und -macht aber sehr wohl.
Wie wäre es mit dieser Lesart: Ihr habt sie instrumentalisiert?
Ob man jetzt den einen Lügner im offiziellen Kleid des Pressevertreters vor der BBC-Kamera sitzen hat oder den anderen – was spielt das schon für eine Rolle? In Indien haben sich die Leute anfangs sehr gefreut, später wich diese Freude erneut der Frustration. Wir haben das in Kauf genommen und fühlten uns diesbezüglich auch nicht besonders wohl – aber die Medienöffentlichkeit ist nach der Sache eindeutig aufseiten der Benachteiligten in Indien.
Man sollte annehmen, dass es Leute gibt, die euch aufgrund des oft absurden Inhalts enttarnen und möglichst rasch aus den jeweiligen Runden und Fernsehstudios entfernen wollen.
Ja, die gibt es. Aber allzu oft kommt das nicht vor. Wir sind auch noch selten irgendwo für unsere Aktionen gesetzlich belangt worden. Vor kurzem wurden wir von der US-Handelskammer angeklagt, der grössten Lobbyistenvereinigung der Welt. Und vielleicht werden wir ja hier endlich einmal verurteilt.
Ihr wünscht euch eine Strafe?
Leider ist es so, dass die meisten Unternehmen ungern Geld wegwerfen: wenn sie uns belangen, kostet das Geld, Zeit und ein paar andere Ressourcen. Deswegen tun sie es nicht. Und natürlich wollen sie nicht, dass die Missstände breitenwirksam thematisiert werden. Sie wissen, dass wir nur darauf warten – und nichts zu verlieren haben. Denn unsere Währung ist die Aufmerksamkeit. Damit können wir zwar niemanden bestechen – aber Aufmerksamkeit ist immerhin inflationssicher. (lacht) Dass nämlich viele sogenannte «Leader» schon heute nicht allzu weit von ihren eigenen Karikaturen entfernt sind, ist die Erkenntnis der Betrachter unserer gesammelten «Beweismittel».
Verkauft ihr diese «Beweise» auch auf dem Kunstmarkt?
Wer unsere «Werke» kaufen will, der soll das bitte tun. Wir sind nichts anderes als Kapitalisten, ja. (lacht) Aber wir kümmern uns nicht darum, unseren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Werken zu sichern. Es gibt da draussen einige Leute, die schätzen, was wir tun. Einen Grossteil unserer Finanzierung kommt denn auch von sogenannten Crowdsourcing- und Funding-Plattformen. Das ist ein effizienter Ersatz für staatliche Kultursubventionen. Denn welcher Staat der Welt finanziert schon eine Revolution vor der eigenen Haustür?
In der Schweiz werden Provokationskünstler sehr wohl auch staatlich unterstützt. Aber nicht jeder Scherz ist auch gleichzeitig Kunst.
Es ist immer schwierig, den Schwindel so lustig und einprägsam wie möglich zu gestalten – das ist Teil der künstlerischen Komponente. Wir lernten uns übrigens auch über die Kunst kennen, schrieben uns ab 1999 Mails über unsere Interventionen. Wir gründeten gemeinsam die Onlineplattform «®TMark», eine Art Vorläufer des heutigen «Yes Lab», das der Ausbildung neuer «Yes Men» dient. Das Ziel: man sollte in unsere Firma investieren, um andere Firmen gezielt zum Gegenstand von politischen Kunstkampagnen zu machen.
Was hatten denn diese Firmen verbrochen, um sich für eure künstlerischen Dienstleistungen zu «qualifizieren»?
Es waren grosse Firmen, die gegen geltende Gesetze verstossen hatten: Firmen, die ihren Müll einfach im Wald nebenan entsorgten, Firmen, die ihre Angestellten schlecht behandelten, Firmen, die sich auf unerlaubtem Weg bereicherten. Wir hatten einen einfachen Plan: mit den Mitteln einer eigenen, eingetragenen Firma – Schutz der eigenen Geldgeber, guter Rechtsbeistand, seriöser Auftritt – wollten wir diesen Strolchen das Leben schwermachen, wenn diese sich nicht an die Spielregeln hielten. Wir arbeiteten, wenn man das so nennen mag, mit den kapitalistischen Mitteln der Arbeitsteilung gegen die sogenannten Auswüchse des Kapitalismus.
Kapitalismuskritik ist en vogue: aber geht es euch nicht vielmehr um die Einflussnahme der grossen Player auf die Politik? Wäre «Korporatismus» als Feindbild nicht präziser?
Alle grossen Wohlfahrtsstaaten, die sich «kapitalistisch» nennen, sind «korporatistisch». Sobald die Macht der Konzerne auf die Politik wächst, wird aus einem kapitalistischen ein korporatistischer Staat. Es gibt keine gänzlich freien Märkte ohne Korruption. Das ist genauso weltfremd wie die sozialistisch-antikapitalistische Seite, die behauptet, man könne die Wirtschaft politisch planen, und alles werde schon gut. Denn sobald es einen Staat gibt, von dem die Wirtschaft sich Vorteile verspricht oder der zumindest die Macht hat, einigen Wirtschaftszweigen Vorteile zu verschaffen, wird dieser auch dazu benutzt.
Ihr seid «Hacker» dessen, was ihr als «System» bezeichnet, und macht damit selbst Karriere in Kunstmedien und im Aufmerksamkeitssystem. Letztlich stärkt ihr sogar das «System», indem ihr seine Schwachstellen aufdeckt.
Das ist eine Art 90er-Jahre-Blick auf die Sache. Heute weht ein anderer Wind. Mike unterrichtet am Rensselaer Polytechnic Institute in Troy, New York. Es ist eine der ältesten Technischen Universitäten, und die Leute waren dort schon immer ziemliche «Geeks»: Typen, die fasziniert sind von Computern, Systemen und Technik. Heute aber sind sie auch und vor allem an Politik, Wirtschaft und Kunst interessiert. Wikileaks, Anonymous und ähnliche Initiativen denken nicht mehr entschuldigend an den Aufklärungs- und Verbesserungseffekt, den sie erzielen, wenn sie Sicherungssysteme umgehen und prekäre Details von Mächtigen veröffentlichen. Letztlich sind sie einfach unzufrieden mit der herrschenden Ordnung: und sie torpedieren sie.
Frust als Motiv einer neuen Generation – das birgt viel sozialen Zündstoff.
Ja, aber es geht weiter. Die Occupy-Leute sind ein gutes Beispiel: zunächst war da nur Frust. Kurz darauf sass man in Diskussionsrunden zusammen, und verschiedene politische Lager diskutierten über Sachthemen. Ich bin der Meinung, dass man diesen Ideenaustausch als ambitioniertes Projekt ernst nehmen sollte. So unpraktisch die Bewegung im Grossen ist, so fruchtbar ist sie im Kleinen. Sachthemen! Im kleinen Kreis eine Stimme haben! Dann engagieren sich die Menschen auch. Das alte Blockdenken und das US-amerikanische Zweiparteiensystem haben uns schliesslich dahin geführt, wo wir heute resigniert stehen. In der Schweiz, wo zwar ebenfalls immer noch in alten Kategorien von links und rechts gedacht wird, ist das Föderale immerhin Bestandteil der politischen Kultur…
Ihr behauptet, die Leute seien zu naiv – und glaubt gleichzeitig an die Basisdemokratie?
Wir glauben, Demokratie könnte funktionieren. In den USA haben wir vielmehr eine Art Oligarchie. Ob da ein Demokrat oder ein Republikaner an der Macht ist, spielt für uns kaum eine Rolle mehr, denn korrumpiert werden sie alle. Unsere US-Demokratie ist also eigentlich eine Demokratieparodie…
Das sollte euch doch eigentlich gefallen?
Ja und nein, denn die Leute durchschauen diese Parodie leider nicht. Um sie zu verstehen, müssten sie jenseits der alten politischen Fronten denken. Da ist nicht einerseits die gute Wirtschaft oder andererseits die gute Politik. Da ist nicht einerseits nur der freie Markt und andererseits nur der gerechte Sozialismus. Es gibt keine Heilslehre mehr, an die wir uns bedingungslos klammern könnten. Wir versuchen einfach Scheinheiligkeit und ideologische Verkrustung da aufzudecken, wo wir sie vorfinden. Und bringen sie dann von dort ins Kino und in die Wohnzimmer.
Das Gespräch mit Mike Bonanno fand anlässlich des «Coffeebreak for a Revolution» im Zürcher Cabaret Voltaire statt
Weblinks:
www.theyesmen.org
www.yeslab.org
www.rtmark.com
Filme:
The Yes Men (2003)
The Yes Men Fix the World (2009)