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Das grosse Schweigen

Was kann gegen die Entwertung der Zukunft getan werden? Vorschlag zuhanden der Schweizerischen Nationalbank.

Das grosse Schweigen
Nominale Negativzinsen, das mag viele überraschen, sind eine Schweizer Erfindung der Neuzeit, erstmals eingesetzt 19721, allerdings nur für kurze Zeit. Bis vor gut zwei Jahren handelte es sich bei nominalen Negativzinsen also um ein einmaliges Kuriosum aus der Wirtschaftsgeschichte, dann gab die Schweizerische Nationalbank (SNB) bekannt, dass sie ab dem 22. Januar 2015 – und «bis auf Weiteres» – auf den Guthaben der Banken bei der SNB ab einer gewissen Freigrenze Negativzinsen von 0,25 Prozent einführen werde. Am 15. Januar 2015 hob die SNB auch die Bindung des Frankens an den Euro auf und erhöhte den Negativzins auf 0,75 Prozent pro Jahr, wo er seither verharrt. Einzelne Banken belasten ihren Kunden die Negativzinsen weiter, andere überlegen sich diesen Schritt. Was bedeutet das nun für Politik, Wirtschaft und Bürger?

 

Die Rolle des Zinses in der Wirtschaft

Zinsen erfüllen als Preise eine zentrale volkswirtschaftliche Funktion auf allen Märkten. Der Zins ist die Entschädigung des Gläubigers für seinen zeitweisen Konsumverzicht beziehungsweise der Preis, den der Schuldner für das vorgezogene Verfügungsrecht über Güter oder die Nutzung von Kapital zahlt. Der Zins enthält einen Zuschlag für das Risiko, dass der Schuldner den Kredit in Zukunft nicht zurückzahlen wird, und stellt auf diesen Wegen die ökonomische Verbindung zwischen Gegenwart und Zukunft her. Tiefe Zinsen deuten also grundsätzlich auf eine niedrige Nachfrage nach Investitionen oder ein Überangebot an Geld hin. Eine wichtige Rolle dabei spielt die Inflation, der Realzins errechnet sich schliesslich aus der Differenz zwischen Nominalzinssatz und Inflationsrate. Negative Realzinsen waren in der Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg keine Seltenheit, negative Nominalzinsen als Teil der Geldpolitik allerdings sind tatsächlich neu – begründet wird ihre Notwendigkeit mit dem anhaltend schwachen Wachstum bei gedämpfter Inflationserwartung.

Das Vorgehen der Nationalbank leuchtet also auf den ersten Blick ein, aber schon die vorgängige, extreme Geldexpansion seit der Finanzkrise von 2008 konnte das Wachstum nicht nachhaltig ankurbeln, und spätestens heute muss man umgekehrt feststellen: Die Notenbanken sind mit ihrem damals ausgelösten (und seither ungebremsten) Geld-Tsunami für die anhaltend negative Zinsentwicklung verantwortlich, denn je mehr Geld sie produzieren, desto weniger kostet es. Ende 2016 wiesen weltweit Anleihen im Wert von über 10 Billionen Franken negative Renditen aus, darunter rund 30 Prozent aller Staatsanleihen. Selbst für Anleihen des faktisch bankrotten EU-Landes Italien mussten Anleger 2016 negative Renditen in Kauf nehmen. Durch dieses wirtschaftspolitisch perverse Umfeld ist auch die Schweizerische Nationalbank in ihrem Handeln stark eingeschränkt, obschon sie politisch unabhängig ist. Was soll – und was kann – sie nun tun?

Die Schweizerische Nationalbank und die Gesamtinteressen des Landes

Gemäss Bundesverfassung und Nationalbankgesetz führt die SNB «eine Geld- und Währungspolitik, die dem Gesamtinteresse des Landes dient». Das Nationalbankgesetz präzisiert den Auftrag sogar: Die SNB hat die Preisstabilität zu gewährleisten und der konjunkturellen Entwicklung Rechnung zu tragen. SNB-Präsident Thomas Jordan erläuterte Mitte Dezember 2016 die expansive Geldpolitik der SNB. Ziel sei es, so Jordan, die Preisentwicklung zu stabilisieren und die Wirtschaftsaktivität zu unterstützen. Der Negativzins und Interventionen am Devisenmarkt dienten dazu, Anlagen in Schweizer Franken weniger attraktiv zu machen. Dann folgte das Mantra vom «weiterhin deutlich überbewerteten Franken». Mit Hilfe des Negativzinses will also die SNB die frühere Zinsdifferenz zum Ausland künstlich wiederherstellen. Auf die Nebenwirkungen des Negativzinses ging das Direktorium der SNB am Mediengespräch allerdings nicht ein. Auch der Bundesrat äusserte sich Mitte Dezember 2016 zu Tiefzinsumfeld und Frankenstärke. Dasselbe Spiel hier: nichts gesagt wurde zu den Nebenwirkungen der Politik der negativen Zinsen. SNB und Bundesrat scheinen die «Gesamtinteressen des Landes» also momentan mit den Interessen der Exportindustrie gleichzusetzen. Konkret bedeutet das: der Wechselkurs des Frankens gegenüber der Problemwährung Euro ist allen anderen Aspekten übergeordnet.

Natürlich ist der Schweizer Franken gemessen an der Kaufkraft im Vergleich zur Europäischen Union (EU) «überbewertet». Ein Big Mac kostet in Zürich rund 50 Prozent mehr als im EU-Schnitt. Aber auch die Einkommen sind in der Schweiz entsprechend höher. Die Schweiz ist ein leistungsfähiges Land mit gesunder Wirtschaft und gesunden Staatsfinanzen. Unsere Wirtschaft erarbeitet nachhaltig hohe Exportüberschüsse im Waren- und Dienstleistungsverkehr. Das zeigt, dass der Schweizer Franken durchaus konkurrenzfähig ist – hoch bewertet heisst also nicht unbedingt überbewertet. Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht das: In den letzten 40 Jahren hat der reale Wert des Frankens exportgewichtet durchschnittlich um 0,6 Prozent pro Jahr zugelegt. Damit können die Exportunternehmen in der Schweiz offensichtlich leben. Es ist nicht zwingend, dass ihnen die Aufmerksamkeit von SNB und Regierung exklusiv zukommen muss. Die harte Währung bringt der Schweiz insgesamt denn auch mehr Vor- als Nachteile. Gefährlicher als eine hoch bewertete Währung sind aus ökonomischer Sicht kurzfristige, heftige Wechselkursschwankungen. Warum? Sie sind Gift für die Unternehmen, denn sie können in einem solchen Umfeld nicht mehr sinnvoll planen.

Die Folgen tiefer und negativer Zinsen

Wenn also SNB und Bundesrat schweigen, so soll an dieser Stelle daran erinnert werden, welche Folgen tiefe und negative Zinsen für die «Gesamtinteressen des Landes» haben: Auf kurze Frist begünstigen sie die Schuldner, die sich zu günstig und zu hoch verschulden können. Wenn sich die Zinsen dereinst aber normalisieren, wird die Zinslast der Schuldner sehr schnell sehr hoch – und treibt viele dann gleich in den Konkurs. Das gilt nicht nur für Firmen, sondern auch für Private und vor allem für Staaten. Die tiefen und negativen Zinsen belohnen letztere für verantwortungslose Schuldenmacherei und entbinden die Politik gleichzeitig von der unangenehmen Pflicht, die Staatshaushalte zu sanieren und die Wirtschaft zu liberalisieren. Die Schweiz bildete in Europa diesbezüglich bisher eine einsame Ausnahme.

Tiefe und negative Zinsen benachteiligen aber auch die Gläubiger. Das sind nun vor allem Privatpersonen, Versicherungsgesellschaften und Vorsorgeeinrichtungen. In der Schweiz sind die Pensionskassen besonders betroffen: Zwar erhöhen sich durch sinkende Zinsen kurzfristig die Marktwerte festverzinslicher Anlagen, der laufende Ertrag zur Finanzierung der Renten sinkt dagegen. Auch steigen die Vorsorgeverpflichtungen durch die Diskontierung zu sinkenden Zinssätzen und führen zu Vorsorgedefiziten. Bei der künftigen Zinswende werden die festverzinslichen Anlagen die Substanz der Pensionskassen durch Buchverluste schwächen. Die Banken verlieren durch niedrige und negative Zinsen teilweise die Fähigkeit, mit der traditionellen Zinsarbitrage regelmässige Erträge zu generieren. Zudem setzen sich Banken durch die sehr kurzfristige Refinanzierung langlaufender Hypotheken Fristentransformationsrisiken aus, die sich bei einer Zinswende in Form hoher Einbrüche des Cashflows auswirken werden. Generell gilt: zu tiefe Zinsen führen an den Finanzmärkten zu Preisblasen, vor allem bei Anleihen und auf dem Immobilienmarkt.

Wir haben ein Kommunikationsproblem

Je länger Negativzinsen gelten, desto schlimmer werden die Schäden – dahingehend ist sich die Ökonomie weitgehend einig. Am besten wäre also ihre sofortige Aufhebung. Das könnte die SNB tun, sie wird es aus Rücksicht auf den Frankenkurs und zur Verhinderung einer weiteren Aufblähung ihrer Bilanz allerdings unterlassen. Ein schrittweises Anheben des Frankenkurses dagegen wäre gangbar, allerdings müsste die SNB dieses im Interesse aller Beteiligten auch klar ankündigen und begründen. Das hat sie nicht getan. Und hier sind wir beim Kern der Sache: Anlässlich der Ankündigung der Negativzinsen am 18. Dezember 2014 sagte die SNB, diese gälten «bis auf Weiteres». Dieser lapidare Hinweis aber reicht nicht, wenn man gebührend auf eine künftig zwingende Änderung der Politik aufmerksam machen und die Märkte vorbereiten will. Er erläutert weder die langfristige Politik der SNB, noch schafft er klärende Anreize für Gläubiger und Schuldner. Was sollte die SNB stattdessen kommunizieren? Mein Vorschlag im Sinne ihres Auftrags lautet:

«Wir verhindern kurzfristige, starke Schwankungen des Frankenkurses. Unsere Wechselkurspolitik ist langfristig ausgelegt. Damit geben wir der Wirtschaft solide Planungsgrundlagen. Wir befürworten einen starken Franken und orientieren uns an starken Währungen, zurzeit namentlich am US-Dollar. Neben einer klaren Kommunikation der Politik sind Käufe und Verkäufe ausländischer Währungen das hauptsächliche Interventionsinstrument. Die Negativzinsen werden baldmöglichst aufgehoben. Der Franken wird sich auch in Zukunft durch tiefe nominale und reale Zinssätze von anderen Währungen abheben.»

Das gäbe immerhin einen Hinweis darauf, wohin die Reise gehen sollte – und damit Schuldnern und Gläubigern Zeit, sich auf die Zukunft einzustellen, die Marktmechanismen wirken zu lassen. Denn nicht nur die SNB, sondern auch die anderen Akteure müssen handeln: Firmen und Private sollten langfristige Festzinsanlagen meiden. Anlagen in Realwerte sind vorzuziehen, vorzugsweise in Aktien dividendenstarker Firmen mit robusten Bilanzen. Falls es die Finanzlage erlaubt, sollten langfristige Schulden eingegangen und kurzfristige länger refinanziert werden. Für Private eignen sich zur Finanzierung langlaufende Hypotheken, als Notgroschen Schweizer Banknoten und Edelmetalle. Vorsorgeeinrichtungen müssten bei ihren Anlagen die gesetzlichen Limiten ausschöpfen und den Anteil an langfristigen Festzinsanlagen minimieren. Zulässig hingegen sind langfristige Hypothekaranlagen. Auch Wohnimmobilien in guten Lagen generieren einen zuverlässigen Cashflow, führen bei Neuanlagen allerdings zu knappen Renditen. Nicht nur wegen der zu tiefen Zinsen, sondern auch aus demographischen Gründen steht die berufliche Vorsorge der Schweiz heute auf unsicheren Füssen. Dies erfordert Reformentscheidungen der Politik. Und die Pensionskassen müssten ihre Pensionspläne und Anlagestrategien überdenken.


 

«Wer hat’s erfunden?»

Nominale Negativzinsen

Mitte 1972 führte die Schweiz einen Negativzins auf dem Zufluss ausländischer Kundenguthaben von 2 Prozent pro Quartal ein. Er wurde später auf 10 Prozent erhöht. Mit der Massnahme sollten der spekulative Zufluss ausländischer Kundengelder und die damit verbundene Aufwertung des Schweizer Frankens verhindert werden. 1979 wurde der Negativzins wieder abgeschafft. Die Massnahme war ein Misserfolg – zu einfach war ihre Umgehung. Hierin liegt ein Hauptunterschied zu den Negativzinsen seit 2015.

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