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«Arbeit ist immer der Anfang»

Um auf die Beine und vorwärtszukommen, braucht Afrika Unternehmer, die Stellen schaffen. Denn mit Mitleid und Charity-Aktionen kann sich niemand etwas kaufen.

«Arbeit ist immer der Anfang»
Bethlehem Alemu, photographiert von Giorgio von Arb.

Sie haben 2004 eine – inzwischen weltweit erfolgreiche – Schuhproduktionsfirma gegründet, und zwar unter dem Namen Sole Rebel. Wie die Sohle in den Namen kommt, ist klar, was aber hat es mit der Rebellin auf sich: Gegen wen oder was begehr(t)en Sie mit Ihrer Firma auf?

Der «Rebel»-Teil verweist auf die Leute, die einst für die Freiheit kämpften in Äthiopien. Die trugen eine spezielle Art von Schuhen. Ihnen zu Ehren heisst die Firma so. Das Kämpferische ist aber auch etwas Heutiges und hängt mit unserer Firmenphilosophie zusammen. Wir wollen das Geschäft, den Handel, nutzen, um den Leuten zu helfen – nicht im Sinne einer Hilfsorganisation, die irgendwo Geld verteilt, sondern konkret: mit Arbeit. Wir bieten den Menschen Jobs an, und zwar in den Dörfern, in denen sie leben. Wir bezahlen sie fair, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich allmählich selber weiterzuentwickeln. Auf diese Weise «rebellieren» wir. Allzu lange ist es in Afrika um «Aid» statt um «Trade» gegangen. Wir verfolgen demgegenüber ein Businessmodell, das auf die Leute und den Markt fokussiert, um die Armut zu bekämpfen.

Sie sind nun seit etwas mehr als 10 Jahren im Geschäft. Welche (Zwischen-)Bilanz ziehen Sie aus dem Kampf gegen die Armut?

Es ist überwältigend, was alles in Bewegung gekommen ist und wie viel sich in den Dorfgemeinschaften verändert hat. Ich beobachte, wie die Leute dort ihre Kinder heute – anders als vor 10 Jahren – in die Schule schicken und zum Teil sogar selber Kurse besuchen. Einige kaufen sich Autos, andere bauen ein Haus – das sind Leute, die sich bis vor kurzem nie hätten vorstellen können, dass sie jemals in eine so «komfortable» Lage kommen würden. Das Wichtigste ist aber, dass sich nicht nur die materielle Situation, sondern die Mentalität der Menschen ändert: Sie erfahren, was mit Arbeit möglich ist, und beginnen ihr Leben neu auszurichten und zu strukturieren – freiwillig, ohne dass sie jemand dazu drängen würde; einfach weil sie sehen, was es ihnen bringt.

Zurzeit fliessen zwar viele Investitionen nach Afrika und gerade auch nach Äthiopien, viele lokale Unternehmungen haben aber Mühe, eine Finanzierung zu finden. Sie stammen selbst aus einer armen Familie: Mit welchen Mitteln haben Sie die Firma aufgebaut?

Ich komme eher aus einer Mittelklassefamilie. Mein Vater und meine Mutter haben sehr hart gearbeitet; an sie, aber auch an meinen Mann habe ich mich gewandt, als ich die Firma aufbauen wollte. Ich habe sie gebeten, mir für den Start Geld zu leihen. Bis heute habe ich nie Kredite von der Bank aufgenommen, das ganze Unternehmen ist selbstfinanziert – und quasi aus dem Nichts entstanden und langsam, organisch gewachsen. Von einem kleinen Garagengeschäft sind wir zu einem Betrieb geworden, der über 100 direkte Angestellte und mehr als 200 Zulieferer beschäftigt.

Von Anfang an haben Sie aber konsequent auf den Aussenmarkt gesetzt; Ihre Produkte werden zum allergrössten Teil ins Ausland geliefert – vegane Schuhe für 80 $ können sich vermutlich nicht viele Äthiopier leisten…

Unsere Produkte werden schon auch von Einheimischen gekauft, aber grundsätzlich ist unser Modell darauf ausgerichtet, ein grösseres Umfeld zu beobachten, Trends zu erkennen und dann auch rauszugehen und das Produkt in dieser Welt zu testen, anstatt es in der lokalen Nische zu belassen.

Mit welchen Klischees sahen oder sehen Sie sich auf dieser globalen Bühne als Anbieterin eines «afrikanischen Produkts» konfrontiert?

Was mir lange Zeit Mühe bereitet hat, ist die ewige «Charity»-Wahrnehmung. Die Leute draussen kommen gar nicht auf die Idee, dass wir ein hervorragendes Produkt bieten, eine gute Marke, die mit anderen in Konkurrenz tritt, sondern immer war da die Annahme, dass wir irgendetwas Rührendes basteln und das dann mit Hilfe irgendeiner Stiftung teuer verkaufen – unter dem Label: «Unterstützen Sie Afrika!» Es dauerte eine Weile, bis wir dieses Bedürftigen-Image loswerden und uns als reale, ernstzunehmende und ernstgenommene globale Marke positionieren konnten. Aber jetzt haben wir es geschafft. Und das ist der einzige Weg, der wirklich nachhaltig ist. Ramsch gegen Mitleid zu verkaufen ist auf mittlere Sicht kontraproduktiv.

Apropos Nachhaltigkeit: die schreibt sich nicht nur Ihr Businessmodell, sondern auch Ihr Produkt auf die Fahne. Die Schuhe, die Sie produzieren, werden von Hand aus rezykliertem Material und ohne tierische Stoffe gefertigt. Damit sprechen Sie möglicherweise nicht die «Charity for Africa»-Fraktion an, dafür aber das Gewissen einer zahlungskräftigen westlichen Klientel. Sind Ihre rebellischen Sohlen Resultat klugen Kalküls?

Unsere Art zu produzieren ist Teil unserer Philosophie. Äthiopien wächst stark, es ist viel Industrialisierung zu sehen, und das ist gut. Aber es ist auch wichtig, dass wir nicht die gleichen Fehler mit der Umwelt machen wie zum Beispiel China. Wir müssen vorsichtig sein und schon jetzt beginnen, auf die Umwelt zu achten, und uns Gedanken darüber machen, was wir unseren Kindern hinterlassen.

Klar. Inwiefern ist dieses Modell aber zukunftstauglich? Sie verwenden keinerlei Maschinen…

Doch: Nähmaschinen haben wir!

… gut, aber Sie setzen keine Technik ein, sondern verkaufen Handgefertigtes. Kritisch gesehen ist das ein rückwärtsgewandtes Konzept, das eine gewisse nostalgische Regung bedient, aber Moderne und Entwicklung nicht eben fördert. Sehen Sie das als Problem?

Was die Herstellung betrifft, ist das Modell rückwärtsorientiert, das stimmt. Das ist aber nur die eine Seite. Daneben benutzen wir die moderne Technologie durchaus: nämlich um uns weiterzuentwickeln, um die Märkte und die Trends zu beobachten, setzen wir selbstverständlich aufs Internet. Das Internet ist ja auch für den Verkauf essentiell – der Online-Handel ist für uns von enormer Wichtigkeit. Hier benutzen wir also die aktuellsten Techniken, die aber eben keinen Schaden anrichten, da sie weitgehend virtuell sind.

Sie haben unzählige internationale Business-Awards gewonnen und gelten als eine der erfolgreichsten Unternehmerinnen Afrikas. Ihre Karriere klingt nachgerade traumhaft. Inwiefern ist Ihr Erfolg repräsentativ für die ökonomische Entwicklung, die in Afrika stattfindet?

Ich konzentriere mich auf mein eigenes Business und stehe für nichts ausser meine Firma.

Einverstanden. Die Frage war ja auch sehr vage: Von «Afrika» zu sprechen, ist vermutlich etwas vermessen.

Absolut. Immer vergessen die Leute, dass wir 54 Länder mit 54 völlig verschiedenen Hintergründen, Kulturen und Vorzügen und Problemen haben. Allgemein kann man eigentlich nur – aber doch immerhin! – sagen, dass Afrika eine sehr junge und sehr grosse Bevölkerung hat, die ein gewaltiger Bonus für jeden sein kann, der hierherkommt und investiert.

Lange Zeit waren es vorwiegend Chinesen, die kamen und investierten. In Europa wird deren Engagement zuweilen kritisch als moderne Form von Kolonialismus beäugt. Wie nehmen Sie die chinesische Präsenz wahr?

Von Kolonialismus würde ich überhaupt nicht sprechen. Sehen Sie mal: Wir hatten in Äthiopien zu sehr vielen Dingen überhaupt keinen Zugang – begonnen bei den Strassen. Die ganze grundlegende Infrastruktur, die es braucht, um überhaupt wirtschaftlich aktiv zu werden, hatten wir bis vor kurzen nicht: Verkehrswege, Telekommunikationsnetze – wie wollen Sie ohne das geschäften? Um einen Wandel im Land anzustossen, war es nötig, zuerst diese Grundlagen zu schaffen, und dafür waren die Chinesen wichtig. Natürlich haben sie eine Zeitlang ganze Crews mitgebracht und insofern für uns wenig Arbeitsplätze generiert. Aber das hat sich jetzt geändert, heute kommen häufig nur noch die Supervisoren aus China, um dann hier lokale Leute einzustellen – was sehr gut ist. Die meisten Infrastruktureinrichtungen werden jetzt von Äthiopiern geleitet. Die Chinesen haben uns also nicht kolonialisiert, sondern vorgezeigt, wie die Dinge gemacht werden können. Und nur dank der Einrichtungen, die sie gebaut haben, kommen jetzt auch Firmen und Investoren aus anderen Ländern nach Äthiopien und werden hier aktiv.

Ausländische Grossinvestoren sind auch zu einem schönen Teil verantwortlich für das gewaltige Wirtschaftswachstum, das Äthiopien verzeichnet – das Land legt jährlich um rund 10 Prozent zu. Selbstverständlich finden so zahlreiche Äthiopier Arbeit, trägt dieses ausländische Investment aber auch «nachhaltig» zur lokalen Entwicklung bei?

Der Rückgang der Arbeitslosenquote ist schon einmal ein ganz wichtiger, ja entscheidender Schritt: Arbeit ist immer der Anfang. Sie «durchdringt» gewissermassen die Mentalität der jungen Leute. Deren Haltung verändert sich langsam, aber stetig, wenn sie erkennen, dass sie in ihrem eigenen Land für ihr Geld arbeiten und so ihre Situation verändern können. Das ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass die Leute später auch eigene Firmen ins Leben rufen. Eines ergibt sich aus dem anderen.

Gleich neben Ihnen hat in Addis Abeba eine riesige chinesische Schuhfabrik ihre Tore geöffnet. Finden Sie auch dieses ausländische Engagement begrüssenswert?

Absolut. Wir brauchen solche Unternehmen, die Leute anstellen. Wir brauchen noch hunderte solcher Firmen in Äthiopien! Sie sind keine Bedrohung, sondern genau das, was wir wollen: uns selber helfen durch Arbeit.

Bethlehem Alemu stammt aus Äthiopien und führt in Addis Abeba ein erfolgreiches, nach ökologischen Kriterien produzierendes Schuhunternehmen.

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