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Antike Anreize

Von modernem und von schlechtem Management

Es waren also die Römer. Vor über 2000 Jahren haben sie jene Managementtechniken entwickelt, auf die wir uns heute noch verlassen. Tatsächlich zeigt Jerry Toner (siehe S. 32) in seinem Essay erstaunliche Parallelen auf zwischen erfolgreicher Sklavenhaltung im alten Rom und dem, was moderne Lohnsklaven heute täglich bei der Arbeit erfahren.

Allein die Tatsache, dass die Analogie so erstaunlich gut funktioniert, zeigt, dass Jerry Toner recht hat. Die interessantere Frage ist aber: Waren die Römer tatsächlich so genial, eine zeitlose, universelle Managementtechnik zu erfinden? Oder sollten wir uns nicht umgekehrt an die Nase fassen und uns fragen, weshalb wir uns in den vergangenen zwei Jahrtausenden managementtechnisch so wenig weiterentwickelt haben?

Denn was bei den Römern und auch in der Industriellen Revolution gut funktioniert haben mag – klare Hierarchien und Motivation der «Mitarbeiter» durch Zuckerbrot und Peitsche –, ist heute einfach nur: schlechtes Management. Wenn auch weit verbreitet.

Die Römer hatten, wie auch die ersten grossen Unternehmen im Zeitalter der Industriellen Revolution, wenn es darum ging, die Arbeit einer grossen Zahl von Menschen zu organisieren, nur ein Vorbild: die Armee. Deshalb die Hierarchien. Deshalb «command and control». Deshalb ein paar wenige Denker an der Spitze und eine grosse Masse Ausführender.

In einer überschaubaren, stabilen und einigermassen planbaren Welt hat das auch gut funktioniert. Für die Führung von Massen an schlecht oder gar nicht ausgebildeten Arbeitskräften war es wohl auch der einzig richtige Ansatz. Der Mensch, das war nur eine von vielen Produktionsressourcen.

Heute leben wir allerdings in einer ganz anderen Welt. Unser Umfeld ist volatil, unsicher, komplex und ambivalent (VUCA). Planbarkeit ist eine Illusion. Dass einige wenige an der Spitze alle Antworten kennen und damit die grosse Masse an Ausführenden instruieren können, ist eine noch grössere Illusion. Arbeitskräfte sind heute nicht nur hervorragend ausgebildet, auch die Natur der Arbeit hat sich fundamental verändert, weg von einfachen manuellen Tätigkeiten und hin zu komplexer Wissensarbeit und kreativer Problemlösung zur Gestaltung von stetig besseren Produkten und Dienstleistungen.

In dieser Welt sind Menschen nicht einfach nur eine Produktionsressource, sondern die Quelle von Wertschöpfung. Das Management von Sklaven oder Fliessbandarbeitern ist hier ein denkbar schlechtes Vorbild. Trotzdem sind die meisten Unternehmen und Führungskräfte noch nicht viel weiter als Vedius Pollio und seine römischen Kollegen, und das, obwohl längst klar ist, dass der Ansatz nicht funktioniert: 87 Prozent der Angestellten weltweit haben nur eine geringe oder gar keine emotionale Bindung zu ihrer Arbeit, leisten also bestenfalls Dienst nach Vorschrift (Gallup). Die Produktivität von Unternehmen ist seit Jahrzehnten rückläufig, die durchschnittliche Gesamtkapitalrendite (RoA) von US-Unternehmen beträgt heute lediglich ein Viertel von jener von 1965 (Deloitte Center for the Edge). Auch Innovation sucht man in den meisten Grossunternehmen vergebens. Engagement, Produktivität und Innovation können nicht einfach angeordnet werden.

Dabei ist es längst kein Geheimnis mehr, welche Art von Führung erfolgreicher wäre. Schon in den 1970er Jahren hat uns der (wirkliche) Vater des modernen Managements, Peter Drucker, gelehrt, dass Wissensarbeiter einen hohen Grad an Autonomie benötigen, um produktiv zu sein. Und noch wichtiger: dass sie freiwillig und mit vollster Überzeugung für ihr Unternehmen arbeiten. «Akzeptieren wir die Tatsache, dass wir beinahe jeden als Freiwilligen behandeln müssen.»

Management ist eben genau nicht die Kunst, Menschen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie aus freien Stücken nie tun würden. Vielmehr verfolgt das Management einen noblen, konstruktiven Zweck. Wie es der Managementdenker Gary Hamel sagt: «Management ist die soziale Technologie, welche menschliche Errungenschaft ermöglicht.» Die Kernaufgabe des Managements ist nicht mehr und nicht weniger, als ein Umfeld zu schaffen, in welchem Menschen ihre Talente entfalten und gemeinsam grossartige Leistungen erbringen können.

Sklavenhaltung dient da kaum als Vorbild. Nicht einmal mehr Armeen funktionieren heute nach römischen Prinzipien. Mindestens nicht jene, die sich erfolgreich bewähren. General Stanley McChrystals Buch «Team of Teams» sei hier wärmstens empfohlen.

Es ist an der Zeit, dass sich Führungskräfte mit den veränderten Anforderungen an ihren Job auseinandersetzen und nicht gedankenlos praktizieren, was vor 100 oder gar 2000 Jahren gut und richtig war. In der Hinsicht waren uns die Römer einiges voraus, denn, wie Jerry Toner im Artikel sagt: «Die Römer begriffen, dass jeder, der dazu genügend begabt war und ausreichend Führungstraining erhielt, zu einem guten Herrn werden konnte.»


 

Raymond Hofmann
ist unabhängiger Managementberater und Herausgeber des Newsletters «Monthly Management Inspiration». Sein beruflicher Fokus gilt dem Design von Führung und Organisation für das 21. Jahrhundert.

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