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Arrival Cities:  Konkurrenz für die Entwicklungshilfe!
Bis zu 10.000 Flüchtlinge leben im syrischen Flüchtlingscamp Nizip in der Nähe der türkischen Stadt Gaziantep. Bild: Andrew Parsons / Polaris / laif.

Arrival Cities:
Konkurrenz für die Entwicklungshilfe!

Entwicklungshilfe ist oft wirkungslos, und die Ärmsten haben wenig davon: materielle Not bleibt die globale Fluchtursache Nummer eins. Dabei könnte man mit speziell zugeschnittenen Einwanderungsstädten aus dieser Lose-lose- eine Win-win-Situation machen.

Viele öffentliche Meinungsmacher und die Mehrheit aller Mitbürger sind davon überzeugt: je mehr in Entwicklungshilfe investiert wird, desto besser entwickeln sich die armen Empfängerländer. Zwischen 1970 und 2013 sind deshalb allein nach Afrika rund 300 Milliarden US-Dollar geflossen1 – mit äusserst bescheidenem Erfolg. Etliche Studien weisen die Wirkungslosigkeit, sogar die Schädlichkeit der Entwicklungshilfe nach. Erst kürzlich wertete Martin Paldam, emeritierter Ökonomieprofessor an der Universität Aarhus, 141 Studien aus, die die Effekte der Entwicklungshilfe auf das Wirtschaftswachstum seit den 1970er Jahren untersuchten. Sein Fazit: die Korrelation zwischen Entwicklungshilfe und Entwicklung liegt praktisch bei null, mehr noch: Die Bestrebungen lokaler (Klein-)Unternehmer werden mitunter zunichte gemacht, weil lokale Märkte mit Gratisimporten und -arbeit zugeschüttet und dadurch massiv verzerrt werden. Entwicklungshilfe sorgt also paradoxerweise dafür, dass mehr Leute in Entwicklungsländern ohne Arbeit bleiben.

Prominente Kritiker dieser Politik, etwa der bekannte Migrationsforscher Paul Collier2, regen seit Jahren an, das ganze System zu reformieren und die Hilfe lokal konzentrierter und effizienter zu machen – bisher ohne Erfolg. In Anbetracht dieser Perspektivlosigkeit erstaunt es nicht, dass derzeit rund 700 Millionen Menschen, vorwiegend aus afrikanischen und arabischen Ländern, ihre Heimat verlassen wollen. Ihr Ziel: die reicheren Regionen der Welt. Die westlichen Industrieländer mit ihren Wohlfahrtsstaaten sind schon mit dem Gedanken an die Ankunft einer solchen Anzahl Menschen hoffnungslos überfordert, Konflikte sind vorprogrammiert. Trotz alledem betreibt auch die Schweiz weiterhin eine aktivistische Entwicklungshilfepolitik und steuerte in den Jahren von 2000 bis 2015 einen Beitrag von insgesamt 25,5 Milliarden Franken bei. Wenn es um Hilfe geht, setzt die Schweiz also lieber auf ineffiziente Symbolpolitik als auf die Entwicklung neuer Ideen und potentiell geeigneterer Modelle. Ein solches könnten friedliche Sonderzonen zur ökonomischen Entwicklung sein – auf privatwirtschaftlicher Basis.3

Attraktive Konditionen

Gänzlich neu ist die Idee eigentlich nicht: China hat seinen Aufstieg zu einem grossen Teil der Zulassung von Sonderwirtschaftszonen zu verdanken, die dank verhältnismässig geringer Regulierungsdichte und tiefen Steuern besonders attraktiv für wirt-­schaftliche Aktivität waren. Viele vormals arme Menschen migrierten in Sonderverwaltungszonen wie Hongkong oder Macau, weil sie dort ihr volles Potenzial ausschöpfen konnten, derweil im sozialistischen China noch Millionen von Menschen verhungerten. In heutigen Sonderwirtschaftszonen wie Shenzen, Xiamen oder der Provinz Hainan boomt bis heute die Wirtschaft. China ist damit zur grössten Exportnation der Welt geworden. Was also spricht dagegen, das Konzept Sonderzone auch andernorts – und im Hinblick auf die Bedürfnisse von vor bitterer Armut fliehenden Menschen – anzuwenden? Um es vorwegzunehmen: nicht viel.

Nehmen wir beispielsweise die Flüchtlingslager im Libanon4, in denen rund 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem benachbarten Syrien untergekommen sind. Mehr als fünf Jahre leben einige nun schon hier: in Zelten. Die Politik ist mit der Situation hoffnungslos überfordert. Immer wieder werden von der Armee mühevoll aufgebaute Zelte abgerissen, Razzien durchgeführt und Unsicherheit in Camps verbreitet, wo man Flüchtlingen trotz prekärer Lage in Syrien nahelegt, sie sollten wieder in ihr Land zurückkehren. Syrer finden im Libanon kaum eine legale Arbeit und ihre Ersparnisse haben viele bereits aufgebraucht. Immerhin lassen einige Landbesitzer die Flüchtlinge auf ihren Grundstücken zelten. Im Gegenzug verlangen sie jedoch, dass jene, die arbeiten können – auch Kinder –, zu einem extrem niedrigen Lohn landwirtschaftliche Arbeit verrichten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Errichtung einer Einwanderungssonderzone sowohl für den Libanon als auch für die flüchtenden Syrer sinnvoller gewesen wäre als solche Flüchtlingscamps, in denen die Menschen bis heute in bitterer Armut dahinvegetieren. Wie könnte die Alternative konkret aussehen?

Erste und zentrale Voraussetzung für die Schaffung einer solchen Sonderzone ist, dass das Gastgeberland – das Land, auf dessen Territorium die Zone betrieben wird – die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen für solche Projekte schafft. Der Sonderzone sollte etwa im Bereich der Verwaltung, der Sicherheit, des Steuerregimes und der Einwanderungspolitik grösstmögliche Autonomie zugesprochen werden. Auf diesem Wege könnten innerhalb dieser Zonen rasch attraktivere Regelwerke als in den Gast- und Nachbarländern etabliert und durchgesetzt werden. Gleichwohl müssten die Zonen sich verpflichten, die Menschenrechte zu achten usw. Weder das Gastgeberland noch irgendein anderes Land allein sollten also Betreiber der Sonderzone sein, sondern ein privater Anbieter, der zuallererst einen persönlichen Anreiz hat, die Zone zu einer rechtlich und politisch stabilen Gegend zu machen und somit von steigenden Bodenpreisen zu profitieren. Herkömmliche Staaten, NGOs, aber auch internationale Organisationen sind dazu aufgrund ihrer Anreizstrukturen nur bedingt geeignet – gleichwohl könnten sie als temporäre Partner solcher Projekte auftreten, gegebenenfalls finanzielle Starthilfe oder Know-how bereitstellen, bis das entsprechende Unternehmen (oder ein Konsortium) sich privatwirtschaftlich trägt.

Die Herausforderungen einer Zuwanderungssonderzone

Das ökonomische Ziel dieses Unternehmens ist es, Firmen und Investitionen anzulocken, die Arbeitsplätze und Wohngelegenheiten für die Zugezogenen schaffen. Letztlich hängen seine Reputation und sein Firmenwert vom Erfolg ab; das ist wirtschaftlicher Anreiz genug, um zu prosperieren. Dass der Betreiber schon ab Tag eins bis anhin mittellosen Menschen Schutz gewährt, ihnen Ausbildungsmöglichkeiten offeriert und eine bessere Per­spektive bietet als ihr Heimatland, sind zunächst nur schöne, regionale Nebeneffekte – macht das Projekt aber Schule, ist es also unter Einsatz von Kreativität und Arbeitskraft erfolgreich, sollten viele Nachahmer mittelfristig eine signifikante Reduktion der weltweiten Armut bewirken können.

Sind die ersten, rechtlichen Weichen gestellt5, müsste die Betreibergesellschaft mit Menschen, die in die Zone ziehen wollen, Bürgerverträge abschliessen, in denen etwa die Höhe eines jährlichen Mitgliederbeitrags (sofern dieser nicht über die Unternehmen respektive die von ihnen ausgezahlten Löhne abgegolten wird) und die Leistungen des Betreibers – z.B. Sicherheit, Streitschlichtung, Wasserversorgung, Strom, Müllentsorgung etc. – geregelt sind. Auch könnten darin eine Art Hausordnung für die Stadt und mögliche Gründe zur Vertragskündigung festgehalten werden. Mit besonders bedürftigen Neubürgern könnte vereinbart werden, dass ihnen der Mitgliederbeitrag zunächst erlassen wird oder sie ihn erst später an den Betreiber zahlen müssen, wenn sie die entsprechenden Mittel durch eine produktive Tätigkeit erarbeitet haben.

«Verglichen mit offiziellen Flüchtlingslagern oder wilden Camps wird die Lebensqualität in diesen Zonen enorm viel höher sein.»

Was ist mit der Sicherheit? Zu ihrer Gewährleistung nach aussen und innen könnte die Betreibergesellschaft weitere Verträge mit dem Gastgeberstaat abschliessen oder Sicherheitsfirmen beauftragen, deren Ruf für eine qualitativ gute Leistung bürgt. Notfalls könnten diese auch ausgewechselt werden, sollten sie ihren Job nicht erledigen. Im Innern hat sie nämlich die sicherlich herausfordernde Aufgabe, das friedliche Zusammenleben verschiedener Gruppen von Einwanderern sicherzustellen: Religiöser Extremismus, (Aufrufe zur) Gewalt gegen Andersdenkende o. ä. müssten strikt geahndet werden. Die Bürgerverträge mit jenen, die dagegen verstossen, sollten aufgekündigt und die Täter der Stadt – zurück in ihr Herkunftsland – verwiesen werden. Andersherum gilt: wenn der Betreiber der Zuwanderungssonderzone seiner Schutzfunktion nicht nachkommt, besteht ein Anrecht auf Schadenersatz. Im Gegensatz zu herkömmlichen Staaten, die für solche Verfehlungen keinerlei Verantwortung tragen, schafft ein simpler Mechanismus für die private Betreibergesellschaft den Anreiz, die Sicherheitslage für die eigenen Bewohner mit geeigneten Mitteln laufend zu verbessern.

Zuwanderungssonderzonen sollten zudem darauf bedacht sein, eine Kultur der institutionalisierten Umverteilung zu vermeiden und von ihren Stadtbewohnern auch entsprechendes Engagement einzufordern: Wer beispielsweise innerhalb einer gewissen Frist noch keine Arbeits- oder Ausbildungsstelle gefunden oder keine selbständige Tätigkeit, die die eigene Finanzierung sichert, aufgenommen hat, muss die Stadt wieder verlassen. Mit dem Beispiel Chinas vor Augen ist aber davon auszugehen, dass das kaum je der Fall sein wird: Zuwanderungssonderzonen dürften mit einer verschwindend geringen Arbeitslosenquote aufwarten. Mehr noch: verglichen mit offiziellen Flüchtlingslagern oder wilden Camps6 wird die Lebensqualität in diesen Zonen enorm viel höher sein, auch die Perspektiven für Ankommende sind von vornherein deutlich besser.

Auch das Gastgeberland profitiert

Eine weitere Voraussetzung für eine nachhaltig funktionierende Zuwanderungssonderzone ist eine langfristige Vereinbarung der Stadtbetreiber mit der entsprechenden Regierung des Gastgeberlandes und gegebenenfalls mit weiteren Staaten, die die territoriale Integrität des Gebiets garantieren. Investitionsschutzabkommen sind dabei unverzichtbar. Für den Fall eines Gesinnungswandels des Gastgeberlandes sollte ein internationales Schiedsgericht für Streitigkeiten definiert werden – zum Beispiel das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) der Weltbank oder die International Chamber of Commerce (ICC). Das Gastgeberland, auf dessen Territorium die Einwanderungsstadt entstehen soll, wird dem Vorhaben wahrscheinlich deshalb zustimmen, weil die gemachten Erfahrungen an vielen Orten der Welt – etwa in Singapur, Hongkong oder Monaco – gezeigt haben, dass auch das umliegende Gebiet einer Stadt mit liberalem Regelwerk profitiert. Die neue Prosperität schafft schliesslich auch für die Bevölkerung im grenznahen Territorium Arbeitsplätze und Wohlstand – und damit nicht zuletzt höhere Steuereinnahmen für das Gastgeberland, wenn nicht sogar freiheitliche Reformanreize für dasjenige Land in der Nähe, aus dem die Menschen ursprünglich flüchteten.

Letztlich wäre die Errichtung solcher «Arrival Cities» als weitgehendes Substitut der bisherigen, erfolglosen Entwicklungshilfe nicht nur für die Ärmsten der Welt, sondern auch für die Steuerzahler in Industrieländern ein Gewinn. Während sie heute hilflos dabei zusehen müssen, wie ihre Steuergelder in korrupten Strukturen versickern, könnten sie neu über einen grösseren Teil ihrer Einkommen frei verfügen oder gar selbst unternehmerisch in einer Sonderzone tätig werden und damit direkt statt indirekt zur Abschaffung der Armut beitragen. Auch Investments für den Aufbau solcher Einwanderungsstädte wären wahrscheinlicher, schliesslich könnten Menschen überall auf der Welt vom er­warteten künftigen Wachstum profitieren. Im Gegensatz zumheutigen Lose-lose-Dilemma könnten Zuwanderungssonderzonen eine echte Win-win-Lösung darstellen.

  1. Vgl. René Zeyer: Armut ist Diebstahl. Frankfurt am Main: Campus, 2013, S. 35.

  2. «Ohne Effizienz wird manch nationaler Effort zur Symbolhandlung: ein paar
    tausend Flüchtlinge werden umgesiedelt, Millionen dafür dem Verfall überlassen. Im Fall eines Konflikts sind es meist die Nachbarländer, die sich als sicherer Hafen anbieten. Sie sind am einfachsten zu erreichen, und nicht selten pflegen sie dieselbe Muttersprache. Die meisten Flüchtlinge weltweit konzentrieren sich heute an zehn solcher Fluchtorte. Üblicherweise überqueren auf der Flucht zwei Drittel der Menschen nicht einmal ihre eigene Landesgrenze.»

  3. Noch einmal Collier: «Wir sollten Anreize schaffen, damit Unternehmen Jobs anbieten.»

  4. Vgl. Monika Bolliger: Syrische Flüchtlinge werden zur Rückkehr gedrängt – aber ein Zurück gibt es für sie kaum. In: Neue Zürcher Zeitung vom 17. August 2017.

  5. Einen Hinweis auf die elementaren Notwendigkeiten gibt der Unternehmer Titus Gebel in seinem neuen Buch «Freie Privatstädte».

  6. Vgl. David Klaubert (Text) und Ricardo Wiesinger (Fotos): Die Piste. Reportage über das grösste illegale Flüchtlingscamp in Apulien, erschienen auf FAZ.net am 30.7.2018.

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Freiheit mit Blick aufs Meer. Erste Versuche, privatstadtähnliche Gemeinwesen einzurichten, gibt es auf der Karibikinsel Roatan, photographiert von Titus Gebel.
Markt des Zusammenlebens

Ihre Bürger sind Kunden und Dienstleister, Obrigkeiten und Untertanen gehören der Vergangenheit an: die «Freie Privatstadt» könnte das menschliche Zusammenleben revolutionieren. In Honduras wird diese vermeintliche Utopie gerade Realität.

Bis zu 10.000 Flüchtlinge leben im syrischen Flüchtlingscamp Nizip in der Nähe der türkischen Stadt Gaziantep. Bild: Andrew Parsons / Polaris / laif.
Arrival Cities:
Konkurrenz für die Entwicklungshilfe!

Entwicklungshilfe ist oft wirkungslos, und die Ärmsten haben wenig davon: materielle Not bleibt die globale Fluchtursache Nummer eins. Dabei könnte man mit speziell zugeschnittenen Einwanderungsstädten aus dieser Lose-lose- eine Win-win-Situation machen.

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