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Armut beseitigen, Umwelt schützen
Michael Shellenberger. Bild: Romain Gaillard / REA / laif.

Armut beseitigen, Umwelt schützen

Reiche Nationen sollten die Industrialisierung armer Nationen vorantreiben. Denn Leben in Armut ist nicht nachhaltig, sondern umweltschädigend.

 

Das Graduiertenkolleg von Santa Cruz, Kalifornien, verliess ich 1996 und kehrte nach San Francisco zurück, um dort an Kampagnen von Global Exchange, Rainforest ­Action Network und anderen progressiven bzw. Umweltschutzorganisationen mitzuwirken. Das war die Zeit, als man sich Gedanken über die Auswirkung der Produktion von Kleidern und anderen Produkten – von Barbiepuppen bis Pralinen – auf Mensch und Umwelt zu machen begann. Wir beschlossen also, eine «Unternehmenskampagne», wie wir es nannten, gegen einen der grössten und profitabelsten globalen Konzerne zu starten. Die Wahl fiel schnell auf Nike.

Damals hatte Nike gerade begonnen, mit seiner Schuhwerbung an das «Women’s Empowerment»-Motiv anzuknüpfen. Meine Kollegen von Global Exchange und ich beschlossen daher, unsere Kampagne auf Frauenrechte auszurichten. Wir schrieben einen offenen Brief an Phil Knight, den Gründer und damaligen Vorstandsvorsitzenden von Nike, schickten ihn an führende Feministinnen und liessen der «New York Times» eine Kopie zukommen. In diesem Brief forderten wir Nike auf, seine Fabriken in Asien durch unabhängige, ortsansässige Kontrolleure inspizieren zu lassen. Nike zahlte damals seinen Arbeitern in Vietnam gerade einmal 1.60 Dollar pro Tag. Im Herbst 1997 erschien in der «New York Times» ein Artikel mit der Überschrift «Nike unterstützt Frauen in seinen Anzeigen, aber nicht in seinen Fabriken, berichten Aktivisten». Der Verfasser schrieb: «Eine Koalition von Frauenrechtsgruppen werfen Nike Heuchelei vor. Dabei beziehen sie sich auf Nikes neue Fernsehwerbung, in der Sportlerinnen auftreten. Nach Meinung der Aktivisten liege etwas im Argen, wenn das Unternehmen sich für das Empowerment amerikanischer Frauen einsetzt, aber seine grossteils weiblichen Belegschaften in Übersee drastisch unterbezahlt.»

Negativkampagne gegen Nike

Unsere Kampagne schien ein Erfolg. Wir hatten so viel negative Publicity generiert, dass die Marke Nike beschädigt war. Auch hatten wir anderen Unternehmen mit unserer Aktion zu verstehen gegeben, dass sie für die Zustände in ihren Produktionsstätten in Übersee zur Verantwortung gezogen würden. Geoffrey Heal, Professor an der Business School der Columbia-Universität, schrieb später: «Der Nike-Boykott von 1997 war, soweit ich mich erinnere, die erste eindeutig auf Unternehmensverantwortung im Sinne von Corporate Social Responsibility zielende Aktion, die einen echten Erfolg verbuchen konnte.»

Ob die Nike-Kampagne wirklich ein Erfolg war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Jeff Ballinger, der sich schon 1988 für indonesische Fabrikarbeiter einsetzte, meint, Nike habe Nachhaltigkeit in grandioser Manier als PR-Tool eingesetzt, um dar­über hinwegzutäuschen, dass es weiterhin seine Arbeitskräfte ausbeutete: «Brutale Outsourcing-Praktiken sind im niedrigqualifizierten Produktionssektor noch immer fast überall gang und gäbe.»

Umweltexperten und Aktivisten werfen Konsumgüterunternehmen vor, kaum etwas in Sachen Umweltschutz getan zu haben. «Die Mission ‹nachhaltige Mode› ist krachend gescheitert. Alle kleinen, inkrementellen Verbesserungen sind von einer massiven Ausweitung von Raubbau, Konsum, Abfallerzeugung und fortgesetzter Ausbeutung von Arbeitskräften in den Schatten gestellt worden», sagten Aktivisten 2019.

Begegnung mit Fabrikarbeiterin Suparti

Im Juni 2015 beschloss ich, nach Indonesien zu reisen und mir selbst ein Bild von der Situation der dortigen Fabrikarbeiter zu verschaffen. Ich heuerte eine 24jährige indonesische Journalistin namens Syarifah Nur Aida an, die sich aber Ipeh nannte. Ipeh hatte Interviews mit verschiedenen Arbeitern und Arbeiterinnen für mich arrangiert – unter anderem mit der 25jährigen Suparti, die aus einem kleinen Dorf an der Küste stammte. Wir trafen uns zweimal: in Supartis Gewerkschaftsbüro und bei ihr zu Hause. Sie trug einen pinken Hijab, zusammengehalten von einer grossen Brosche.

Nach der Schule hatte Suparti gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern auf den Feldern gearbeitet. «Verglichen mit den anderen Haushalten im Dorf waren wir arm. Unser Haus hatte vier Zimmer und war aus Bambus. Wir hatten weder Strom noch Fernsehen. Wir kochten über Feuer aus Reisspelzen.» Supartis Familie baute Reis an und ein wenig Auberginen, Chilis und grüne Bohnen. Sie wechselten diese mit Sojabohnen ab, um den Boden mit Stickstoff anzureichern. Suparti half ihren Eltern, Spinat zu Bündeln zu schnüren, die dann auf dem Markt verkauft wurden.

Wilde Tiere, Krankheiten und Naturkatastrophen waren einige der grössten Gefahren, denen Suparti und ihre Familie ausgesetzt waren. Einmal terrorisierten wilde Hunde das Dorf. «Meine Eltern hatten Angst, die Hunde würden unsere Kaninchen fressen», erklärte Suparti. «Während der Vogelgrippeepidemie fürchteten meine Eltern um unsere Hühner, die blieben aber letztlich verschont. Weil wir so nah am Meer wohnten, hatten alle Angst vor Tsunamis und Erdbeben», sagte Suparti. «Manche waren so verängstigt, dass sie alle Habe in die Berge schafften. Doch dann brach der Vulkan Merapi aus. Die reichen Leute, die ihre Sachen ins Gebirge gebracht hatten, verloren alles durch die Lava. Wir fühlten uns der Natur vollkommen ausgeliefert.»

Irgendwann zog es Suparti in die Stadt. «Als Kind hatte ich von meiner Tante gehört, wie es war, in einer Fabrik zu arbeiten, und ich stellte mir vor, selbst in einer tätig zu sein. Meine Eltern wollten das nicht. ‹Bleib hier, hilf im Haushalt und warte auf eine gute Partie›, sagten sie. Besonders meine Mutter wollte mich nicht gehen lassen. Ich erklärte ihnen, ich wolle ihnen Geld schicken.» Und so, nachdem sie siebzehn geworden war, ging Suparti von zu Hause weg.

Suparti war froh und gespannt, die grosse Stadt kennenzulernen. «Ich weiss noch, wie aufgeregt ich war, dass ich ganz allein mit dem Bus fahren sollte», erzählte sie. «Wir fuhren um fünf Uhr nachmittags los und kamen am nächsten Tag um 8 Uhr früh an. Meine Tante kam gemeinsam mit meiner Schwester, die eine halbe Stunde weiter weg wohnte und in einer Fabrik arbeitete, mich abzuholen.»

Bald hatte Suparti ein Vorstellungsgespräch bei der Mattel-Fabrik. «Ein Teil des Gesprächs war, dass ich einer Barbiepuppe Kleider und Accessoires anlegen musste», erzählte sie. «Wir wurden nach unserer Schnelligkeit beurteilt. Als Kind hatte ich mit nachgemachten Barbies gespielt. Ausserdem hatte ich gewusst, dass dieser Test kommen würde, und war innerlich vorbereitet. Dann musste ich der Barbie noch einen Pferdeschwanz binden und ihr Schuhe anziehen.» Die Tests begannen um zehn Uhr vormittags. Fünf Stunden später kam heraus, wer bestanden hatte. «Ich war schnell und bekam den Job», sagte Suparti. «Ich war glücklich, aber nicht überrascht. Ich hatte gewusst, wozu ich imstande war.»

Doch der Job – wie auch das Arbeitsklima in der Mattel-Fabrik – entsprach nicht den Vorstellungen, die sich Suparti gemacht hatte. «Es gab keine körperlichen Misshandlungen, aber es wurde ständig geschrien», sagte sie, «und ich war noch nie in meinem Leben angeschrien worden. Javaner und Javanerinnen sprechen langsam und ruhig, Menschen aus Sumatra laut. Sie schreien nicht mit Absicht, es ist eben ihre Art zu sprechen. Ich hielt es nicht aus. Ich war gewohnt, um sieben ins Bett zu gehen. Jetzt musste ich noch bis spät arbeiten. Einmal schlief ich am Fliessband ein und ein Manager kam vorbei, hob meinen Stuhl hoch und sagte: ‹Aufwachen!› Ich weinte jeden Tag nach der Arbeit.»

«Hunderte Jahre lang haben junge Mädchen überall auf der Welt

mit den Füssen abgestimmt. Sie sind vom Dorf in die Stadt ge­zogen,

nicht weil sie dort  ein Utopia ­erhofften, sondern weil sie in

der Stadt mehr Möglichkeiten vorfanden, ein besseres Leben zu führen.»

Kurz nachdem Suparti achtzehn geworden war, fand sie Anstellung in einer Schokoladenfabrik. Ihre erste Aufgabe war es, flüssige Schokolade in Formen zu giessen und anschliessend zu verpacken. Später wurde sie mit der Aufgabe betraut, Schokolade und Utensilien mit dem Trolley in der Fabrik hin und her zu transportieren. Schliesslich bekam sie einen Schreibtischjob, wo sie Aufkleber und Plastikverpackungen mit Ablaufdaten und Strichcodes für den Einzelhandel beklebte. Hunderte Jahre lang haben junge Mädchen überall auf der Welt mit den Füssen abgestimmt. Sie sind vom Dorf in die Stadt gezogen, nicht weil sie dort ein Utopia erhofften, sondern weil sie in der Stadt mehr Möglichkeiten vorfanden, ein besseres Leben zu führen.

Starker Rückgang der weltweiten Armut

Urbanisierung, Industrialisierung und Energienutzung haben sich im wesentlichen als positiv für die Menschheit herausgestellt. Von der vorindustriellen Epoche bis heute ist die Lebenserwartung von 30 auf 73 Jahre gestiegen. Die Kleinkindersterblichkeit ist von 43 auf 4 Prozent zurückgegangen. Vor 1800 waren die meisten Menschen bettelarm, wie Harvard-Forscher Steven Pinker anmerkt. «Das Durchschnittseinkommen war äquivalent zu dem der ärmsten afrikanischen Länder von heute (etwa 500 Dollar pro Jahr in internationalen Dollars)», schreibt er. Die industrielle Revolution war, was Armutsforscher Angus Deaton «The Great Escape» – der grosse Ausbruch aus der Armut – nennt. Der grosse Ausbruch dauert bis heute an. Von 1981 bis 2015 ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben müssen, von 44 Prozent auf 10 Prozent gefallen.

Unser Wohlstand wird dadurch ermöglicht, dass wir Energie und Maschinen so einsetzen, dass immer weniger Menschen Nahrungsmittel, Energie und Konsumgüter produzieren müssen und immer mehr Menschen sich Tätigkeiten zuwenden können, für die es Geist braucht und die ihrem Leben Sinn und Zweckempfinden verleihen.

Fragt man Kleinbäuerinnen, wie es sei, mit Holz zu kochen, erwartet man vielleicht, dass sie über die giftigen Dämpfe klagen, die sie dabei einatmen. Immerhin ist derlei Indoor-Luftverschmutzung laut WHO für den Tod von 4 Millionen Menschen pro Jahr verantwortlich. Tatsächlich aber klagen die Frauen weit eher darüber, wie viel Zeit es koste, Holz zu hacken, nach Hause zu transportieren, anzufeuern und das Feuer am Brennen zu halten.

Nachdem Suparti in die Stadt gezogen war, konnte sie Flüssiggas statt Reisspelzen als Brennstoff verwenden. Flüssiggas verursacht weit geringere Verschmutzung, etwa ein Drittel weniger kohlenstoffhaltige Abgase. Vor allem aber ermöglichte es ihr der aufwandarme Brennstoff, wertvolle Zeit für andere Dinge zu verwenden. Wo Kohle in weit entfernten Kraftwerken verfeuert wird, lässt sich die Rauchbelastung im Haus komplett eliminieren – sogar wo Erdgas zum Kochen und Heizen verwendet wird. Ja selbst das Verfeuern von Kohle im Haus, eine entsprechende Feuerstätte vorausgesetzt, erzeugt eine geringere Belastung als durch das Verfeuern von Holz.

Fossile Brennstoffe retten Wälder

Die Abkehr weg von Holz, hin zu fossilen Brennstoffen dauert bereits seit einigen hundert Jahren an. 1850 lieferte Holz noch fast alle Energie, 1920 waren es nur noch 50 Prozent, heute sind es gerade einmal noch 7 Prozent. Indem wir aufhören, Holz zur Energiegewinnung zu verfeuern, können sich Grasflächen und Wälder erholen. Die Tierwelt kehrt zurück. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Nutzung von Holz als Brennstoff zum Kochen und Heizen eine Hauptursache für die Entwaldung Grossbritanniens. In den USA erreichte der Verbrauch von Holz als Brennstoff in den 1840er-Jahren seinen Höhepunkt. Der damalige Pro-Kopf-Verbrauch war 14mal höher als heute. Fossile Brennstoffe haben also während des 18. und des 19. Jahrhunderts entscheidend zur Rettung von Wäldern in den USA und in Europa beigetragen. Während Holz in den 1860er-Jahren noch 80 Prozent des Primärenergieverbrauchs in den USA ausgemacht hatte, waren es 1900 nur noch 20 Prozent. 1920 war der Wert auf 7,5 Prozent gefallen.

«Anders als ich und andere lange geglaubt haben, wiegen

die positiven Auswirkungen verarbeitender Industrie

schwerer als die negativen.»

Der wirtschaftliche und ökologische Nutzen fossiler Brennstoffe ist, dass sie reichlich vorkommen und eine hohe Energiedichte aufweisen. Ein Kilogramm Steinkohle hat etwa doppelt so viel Energie wie ein Kilogramm Holz, während ein Kilogramm von Supartis Flüssiggas dreimal so viel Energie enthält wie die Reisspelzen, mit denen sie zuvor den Herd befeuert hatte.

Indem die Energieerzeugung zentralisiert wurde, gab es mehr Raum auf dem Planeten Erde für unbelassene Landschaften mit Wildtierfauna. Heute beanspruchen alle Wasserkraftanlagen, die gesamte Öl-, Gas- oder Kohleproduktion sowie alle Kernkraftanlagen weniger als 0,2 Prozent aller eisfreien Flächen. Das ist 200mal weniger als die Flächen, die von der Nahrungsmittelproduktion beansprucht werden.

«Die reichen Nationen von heute sollten alles tun, um in den armen

Nationen die Industrialisierung voranzutreiben. Stattdessen tun sie nahezu

das Gegenteil, indem sie versuchen,

Armut zu stabili­sieren, statt sie zu beenden.»

Während die Energiedichte von Steinkohle doppelt so hoch ist wie die von Holz, ist die Leistungsdichte von Kohlelagerstätten bis zu 25 000mal so hoch wie die von Wäldern. Selbst Lagerstätten des 18. Jahrhunderts hatten die 4000fache Leistungsdichte englischer Wälder und die 16 000fache Leistungsdichte von Ernterückständen, wie sie Supartis Familie nutzte. Je mehr Einwohner und je mehr Wohlstand auf einer bestimmten Fläche konzentriert sind, desto höher die Leistungsdichte. Manhattan hat eine um Faktor 20 höhere Energiedichte im Vergleich mit New Yorks Aussenbezirken, und die Leistungsdichte des reichen Inselstaates Singapur ist siebenmal höher als der weltweite urbane Durchschnitt.

Kohle ist sauberer geworden

Dank Düngemitteln, Bewässerung und Landmaschinen hat sich die Leistungsdichte landwirtschaftlicher Betriebe auf dem Weg von den arbeitsintensiven Techniken, wie sie von Supartis Eltern eingesetzt wurden, zu den energieintensiven Praktiken heutiger kalifornischer Reisfarmen verzehnfacht. Leistungsdichte Fabriken und Städte brauchen energiedichte Brennstoffe, da diese einfacher zu transportieren und zu lagern sind. Auch bringen sie weniger Umweltverschmutzung mit sich. Pferdewagen machten New York City nahezu unbewohnbar, bis endlich das Automobil eingeführt wurde. Die Strassen waren schmutzig und staubig und stanken nach Harn und Kot, die Fliegen anzogen und eine Brutstätte für Krankheiten boten. Erdölbetriebene Fahrzeuge liessen eine weit höhere Leistungsdichte zu bei weit geringerer Verschmutzung.

Während der letzten 250 Jahre ist die Leistungsdichte von Fabriken dramatisch gestiegen. Henry Fords River-Rouge-Fabrik in Detroit hatte um 1920 eine 50mal höhere Leistungsdichte als Amerikas erste grosse integrierte Kleidungsfabrik, die Merrimack Manufacturing Company, 100 Jahre früher. Dieser 50fache Anstieg von Merrimack bis River Rouge war durch Elektrizität ermöglicht worden, also das Fliessen von Elektronen – subatomaren Teilchen, die streng genommen Materie sind, jedoch als eine Art reine, masselose Energie agieren. Elektrizität ist genau genommen ein «Energieträger», kein Brennstoff und auch keine Primärenergie. Trotz alledem wird anhand der Steigerung deutlich, wie stark sich der Umstieg von massedichten zu energiedichten Brennstoffen auf die menschliche Entwicklung ausgewirkt hat.

Um des Nutzens von Elektrizität willen nehmen Menschen teils massive Luftverschmutzung hin. 2016 sprach ich in Indien mit Menschen, die um eine alte, schmutzige Kohlekraftanlage herum wohnten. Die Anlage versorgte sie mit kostenloser Energie, stiess aber bisweilen giftige Asche aus, die laut meinen Gesprächspartnern die Haut reizte und verbrannte. Doch so sehr sie die Verschmutzung hassten, war doch keiner von ihnen bereit, für saubere Elektrizität zu zahlen.

Selbst das Verfeuern von Kohle ist über die letzten 200 Jahre eine deutlich sauberere Angelegenheit geworden. Ein einfacher technischer Kniff reduzierte ab 1950 den Ausstoss gefährlichen Feinstaubs um 99 Prozent. Hochtemperaturkohlekraftwerke sind, abgesehen von ihrem CO2-Ausstoss, fast so sauber wie Erdgasanlagen. Erdgas ist Kohle aus physikalischen Gründen immer noch im grossen und ganzen überlegen. Dennoch ist es erstaunlich, um wie vieles sauberer Kohlekraftwerke geworden sind.

Positiver Trend

Mit alledem soll nicht gesagt sein, es sei «gut», Kohle zu verfeuern. Doch ist es – gemessen an den meisten menschlichen und ökologischen Massstäben – besser, als Holz zu verfeuern. Erdgas wiederum ist – gemessen an den meisten Massstäben – besser als Kohle. Wo Menschen sich für Holz statt Kohle entscheiden oder für Kohle statt Erdgas, liegt das daran, dass sie sich den jeweils teureren Brennstoff nicht leisten können, nicht aber an irgendeiner Vorliebe für schmutzige Brennstoffe.

Als Folge von sauberer Kohle, dem Trend zu Erdgas, umweltschonenderen Fahrzeugen und anderen technologischen Entwicklungen hat sich die Luftqualität in den Industrieländern deutlich verbessert. Von 1980 bis 2018 sank in den USA der Kohlenmonoxidgehalt der Luft um 83 Prozent, der Bleigehalt um 99 Prozent, der Stickstoffdioxidgehalt um 61 Prozent, der Ozongehalt um 31 Prozent sowie der Schwefeldioxidgehalt um 91 Prozent. Während die Sterberaten durch Luftverschmutzung im Zuge von Industrialisierung oft steigen, sinken sie mit steigenden Einkommen, besserem Zugang zu Krankenversorgung und Verminderung von Luftverschmutzung. Trotz dieses positiven Trends ist die Abkehr weg von Biomasse, hin zu fossilen Brennstoffen noch lange nicht abgeschlossen. Die Menschen verfeuern heutzutage mehr Holz denn je – auch wenn Holz nur einen kleinen Anteil an der Gesamtenergieproduktion hat. Die Nutzung von Holz als Brennstoff zu beenden, sollte daher höchste Priorität bei Leuten und Organisationen haben, die sowohl nach allgemeinem Wohlstand als auch nach ökologischem Fortschritt streben.

Anders als ich und andere lange geglaubt haben, wiegen die positiven Auswirkungen verarbeitender Industrie schwerer als die negativen. Wir sollten also Stolz empfinden, nicht Scham, wenn wir Produkte kaufen, die von Menschen wie Suparti gemacht worden sind. Auch sollten Umweltschützer und die Medien aufhören zu behaupten, dass Modelabels wie H&M sich unethisch verhalten, insofern sie mit Fabriken in armen Ländern zusammenarbeiten.

Das bedeutet nicht, dass wir Firmen wie Mattel, Nike oder H&M nicht in die Pflicht nehmen sollten, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu verbessern. Verbraucher können Gutes tun, indem sie Druck auf Unternehmen ausüben, ihrerseits Gutes zu tun. Doch die Macht haben sie nur, wenn sie auch weiterhin in Entwicklungsländern hergestellte Produkte kaufen.

Die Industrialisierung vorantreiben

Viele Demografen glauben, dass das weltweite Bevölkerungswachstum seinen Höhepunkt umso schneller überschritten haben wird, je rascher subsaharische Länder wie der Kongo zu Industrienationen werden und je rascher ihre Einwohner in die Städte ziehen, Jobs in Fabriken haben, Geld verdienen und beschliessen, weniger Kinder zu bekommen. Die Einsicht in diesen Prozess führt zu einer scheinbar paradoxen Folgerung. «Will man bis 2070 atmosphärisches CO2 reduziert haben, macht es womöglich Sinn, die Verfeuerung von Kohle im heutigen Indien zu fördern», sagte MIT-Klimaforscher Kerry Emanuel. «Es hört sich seltsam an. Kohle ist eine Katastrophe für das Klima. Doch indem die Menschen in Entwicklungsländern viel Kohle verfeuern, kommen sie schneller zu Wohlstand, und indem sie zu Wohlstand kommen, sinkt die Geburtenrate. Das Bevölkerungswachstum stagniert und es gibt weniger Menschen, die Kohle verfeuern. Es könnte sein, dass wir auf diese Weise 2070 besser dastehen.»

Wirtschaftliche Spätentwickler wie der Kongo haben es weit schwerer, auf globalen Märkten mitzuhalten, als es Frühentwickler wie die USA und Europa hatten. Das bedeutet, dass die Frühentwickler, also die reichen Nationen von heute, alles tun sollten, um in den armen Nationen die Industrialisierung voranzutreiben. Stattdessen tun sie nahezu das Gegenteil, indem sie versuchen, Armut zu stabilisieren, statt sie zu beenden.

Ich fragte Suparti, ob sie einsam sei und darüber nachdachte, in ihr Dorf zurückzukehren. «Ich habe wirklich Heimweh», gestand sie, «besonders danach, mit meiner Mutter zu plaudern, und nach ihrem Essen. Ich habe aber keinerlei Bedürfnis zurückzugehen. Ich bin dankbar, dass ich tun kann, was ich tue.» Ich fragte Suparti, ob sie sich um ihre Eltern sorge. «Noch sorge ich mich nicht um ihren Ruhestand, allerdings spare ich Geld, um ihnen eine Reise nach Mekka zu schenken.»

Bevor wir abreisten, fragte ich Suparti, ob ich sie fotografieren dürfe. «Wo?», fragte sie. Ich sagte, sie könne sich aussuchen, in welchem Teil des Hauses sie am liebsten abgebildet werden wolle. Sie postierte sich neben einer Nähmaschine, die sie nur selten benutzte. Vor und auf der Maschine hatte Suparti gerahmte Bilder ihrer Verwandten und Freunde, Plastikblumen und kleine Spielzeug-E-Gitarren aufgestellt. Auf dem Foto, das ich aufnahm, ruht ihr linker Arm auf ihrem Motorrollerhelm. Über ihr befindet sich ein muslimischer Gebetsteppich. Suparti lächelt stolz.


Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch «Apocalypse Never: Why Environmental Alarmism Hurts Us All» (Harper, 2020). Aus dem Englischen übersetzt von Jan Meyer-Veden.

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