Armut beseitigen, Umwelt schützen
Michael Shellenberger. Bild: Romain Gaillard / REA / laif.

Armut beseitigen, Umwelt schützen

Reiche Nationen sollten die Industrialisierung armer Nationen vorantreiben. Denn Leben in Armut ist nicht nachhaltig, sondern umweltschädigend.

 

Das Graduiertenkolleg von Santa Cruz, Kalifornien, verliess ich 1996 und kehrte nach San Francisco zurück, um dort an Kampagnen von Global Exchange, Rainforest ­Action Network und anderen progressiven bzw. Umweltschutzorganisationen mitzuwirken. Das war die Zeit, als man sich Gedanken über die Auswirkung der Produktion von Kleidern und anderen Produkten – von Barbiepuppen bis Pralinen – auf Mensch und Umwelt zu machen begann. Wir beschlossen also, eine «Unternehmenskampagne», wie wir es nannten, gegen einen der grössten und profitabelsten globalen Konzerne zu starten. Die Wahl fiel schnell auf Nike.

Damals hatte Nike gerade begonnen, mit seiner Schuhwerbung an das «Women’s Empowerment»-Motiv anzuknüpfen. Meine Kollegen von Global Exchange und ich beschlossen daher, unsere Kampagne auf Frauenrechte auszurichten. Wir schrieben einen offenen Brief an Phil Knight, den Gründer und damaligen Vorstandsvorsitzenden von Nike, schickten ihn an führende Feministinnen und liessen der «New York Times» eine Kopie zukommen. In diesem Brief forderten wir Nike auf, seine Fabriken in Asien durch unabhängige, ortsansässige Kontrolleure inspizieren zu lassen. Nike zahlte damals seinen Arbeitern in Vietnam gerade einmal 1.60 Dollar pro Tag. Im Herbst 1997 erschien in der «New York Times» ein Artikel mit der Überschrift «Nike unterstützt Frauen in seinen Anzeigen, aber nicht in seinen Fabriken, berichten Aktivisten». Der Verfasser schrieb: «Eine Koalition von Frauenrechtsgruppen werfen Nike Heuchelei vor. Dabei beziehen sie sich auf Nikes neue Fernsehwerbung, in der Sportlerinnen auftreten. Nach Meinung der Aktivisten liege etwas im Argen, wenn das Unternehmen sich für das Empowerment amerikanischer Frauen einsetzt, aber seine grossteils weiblichen Belegschaften in Übersee drastisch unterbezahlt.»

Negativkampagne gegen Nike

Unsere Kampagne schien ein Erfolg. Wir hatten so viel negative Publicity generiert, dass die Marke Nike beschädigt war. Auch hatten wir anderen Unternehmen mit unserer Aktion zu verstehen gegeben, dass sie für die Zustände in ihren Produktionsstätten in Übersee zur Verantwortung gezogen würden. Geoffrey Heal, Professor an der Business School der Columbia-Universität, schrieb später: «Der Nike-Boykott von 1997 war, soweit ich mich erinnere, die erste eindeutig auf Unternehmensverantwortung im Sinne von Corporate Social Responsibility zielende Aktion, die einen echten Erfolg verbuchen konnte.»

Ob die Nike-Kampagne wirklich ein Erfolg war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Jeff Ballinger, der sich schon 1988 für indonesische Fabrikarbeiter einsetzte, meint, Nike habe Nachhaltigkeit in grandioser Manier als PR-Tool eingesetzt, um dar­über hinwegzutäuschen, dass es weiterhin seine Arbeitskräfte ausbeutete: «Brutale Outsourcing-Praktiken sind im niedrigqualifizierten Produktionssektor noch immer fast überall gang und gäbe.»

Umweltexperten und Aktivisten werfen Konsumgüterunternehmen vor, kaum etwas in Sachen Umweltschutz getan zu haben. «Die Mission ‹nachhaltige Mode› ist krachend gescheitert. Alle kleinen, inkrementellen Verbesserungen sind von einer massiven Ausweitung von Raubbau, Konsum, Abfallerzeugung und fortgesetzter Ausbeutung von Arbeitskräften in den Schatten gestellt worden», sagten Aktivisten 2019.

Begegnung mit Fabrikarbeiterin Suparti

Im Juni 2015 beschloss ich, nach Indonesien zu reisen und mir selbst ein Bild von der Situation der dortigen Fabrikarbeiter zu verschaffen. Ich heuerte eine 24jährige indonesische Journalistin namens Syarifah Nur Aida an, die sich aber Ipeh nannte. Ipeh hatte Interviews mit verschiedenen Arbeitern und Arbeiterinnen für mich arrangiert – unter anderem mit der 25jährigen Suparti, die aus einem kleinen Dorf an der Küste stammte. Wir trafen uns zweimal: in Supartis Gewerkschaftsbüro und bei ihr zu Hause. Sie trug einen pinken Hijab, zusammengehalten von einer grossen Brosche.

Nach der Schule hatte Suparti gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern auf den Feldern gearbeitet. «Verglichen mit den anderen Haushalten im Dorf waren wir arm. Unser Haus hatte vier Zimmer und war aus Bambus. Wir hatten weder Strom noch Fernsehen. Wir kochten über Feuer aus Reisspelzen.» Supartis Familie baute Reis an und ein wenig Auberginen, Chilis und grüne Bohnen. Sie wechselten diese mit Sojabohnen ab, um den Boden mit…