Architektur am Bau
Alles ist Dienstleistung! Genauer: alles soll als Dienstleistung ausgewiesen werden. Nicht nur der Postbote, der im Dienste und im Dienstanzug alltäglich die Post abliefert, erbringt eine Dienstleistung. Auch Lehrer und Professoren tun es. Wer möchte da noch an die altmodischen Aufgaben von «Bilden» und «Erziehen» denken! Es reichen nicht länger Sinn oder Sinnstiftung. Nein, Leistung […]
Alles ist Dienstleistung! Genauer: alles soll als Dienstleistung ausgewiesen werden. Nicht nur der Postbote, der im Dienste und im Dienstanzug alltäglich die Post abliefert, erbringt eine Dienstleistung. Auch Lehrer und Professoren tun es. Wer möchte da noch an die altmodischen Aufgaben von «Bilden» und «Erziehen» denken! Es reichen nicht länger Sinn oder Sinnstiftung. Nein, Leistung muss her, genauer: Dienstleistung, das eine gekoppelt an das andere, Dienst als Leistung und Leistung als Dienst und wohl auch Dienst an der Leistung, ein «Hendiadyoin», doppelt gemoppelt, oder eine Tautologie und wohl auch ein Trugschluss.
Der alte Grimm zitiert bei dem Wort «Dienstleistung» («dienste wozu man verpflichtet ist, oder die man freiwillig lei-stet») zum einen das Opfer Isaaks und andererseits aus Wielands «Agathon» die Wiederbegegnung mit einem Mann, «den er zu Athen vertraulich gekannt und durch beträchtliche dienstleistungen sich zu verbinden gelegenheit gehabt hatte». Mit der Freiwilligkeit der Dienstleistung ist es also so eine Sache. Es geht um eine Einschränkung der Freiheit des Handelns: durch Gottergebenheit oder Fatalismus, durch die «Prüfung» am Totschlag des eigenen Sohns; oder weniger biblisch, aus der umgekehrten Sicht des «Lenkenden», durch das Sich-Gefügigmachen, das Sich-einer-Gunst-Vergewissern, kurzum: Filz.
Dienstleistung vernetzt uns aufs beste. Fragt sich noch, wie die Leistung in diesem Zusammenhang zu bewerten sei. Ist die Dienstleistung die Währung, in der man in der Leistungsgesellschaft bezahlt? Verhält sich Dienstleistung und Leistungsgesellschaft wie Akt und Potenz? Alle sind wir, damit das Ganze zusammenhält, zur Dienstleistung verpflichtet. Der moralische Imperativ steckt in dem Wörtchen Dienst. Und dieser als Leistung. Viel zu eindeutig ist die Mitteilung. Leistung ist imperativ und der Dienst ohnehin zu leisten.
Soll da noch Phantasie und Kreativität aufkommen? Kann sich Kunst auf Dienstleistung einlassen? Ist sie darauf angewiesen, um sich «daneben», heimlich, versteckt in einer Nische, ihr «eigentliches», freies Leben zu bewahren? Wie halten wir es mit der Freiheit der Kunst und ihrer vielgeschmähten Autonomie?
Nicht halb so schlimm! Es ist kein Nadelöhr, sondern ein mainstream, in dem scheinbar alles fliesst und durch den alles geschleust werden soll. Dienstleistung – auch in Sachen Kunst! Wie gehabt! Kunst am Bau, wie Kunst am Baum, aufgehängt, mit einem Aufhänger versehen, aufhängbar also. Man kann dies ausdehnen auf den Bereich, der sich schon immer einem Zweck zugeordnet empfand, auf die Architektur. Da diese im Zuge des alles ergreifenden iconic turn längst auch Teil der Bildwelt und Gegenstand der Bildwissenschaft geworden ist, kann man also auch von Architektur am Bau sprechen. Das architektonische Bildzeichen als Dienstleistung, aufgehängt am Bau!
Da merke ich eben, dass ich schreibend auf einem Stuhl sitze und dieser – so wünschte es sich Adolf Loos – vom Tischler gefertigt wurde: zum Sitzen nämlich. Mit derselben «einfältigen» Logik komme ich nie auf den Gedanken, dass mir der Tischler eine Dienstleistung erbracht hat, wodurch ich zum Sitzen befähigt oder angeleitet würde; und noch weniger denke ich, dass mir der Stuhl selbst eine Dienstlei-stung erbringt, indem er mir seine Sitzfläche zum Sitzen anbietet; und noch abwegiger ist der Gedanke, ich oder mein Po würden dem Stuhl durch das Sitzen eine Dienstleistung erweisen, selbst wenn es sich auch hier unbestreitbar um Wiederbegegnung handelt.
Es empfiehlt sich daher, schon aus Gründen des einfachen Denkens und zielgerichteten Nutzens, auf den Umweg über Dienstleistungen zu verzichten. Wir sitzen, wie wir Kunst und Architektur machen, aus Not oder ohne Not, weil wir es gerade tun… lange bevor uns die Dienstleistungsgesellschaft einholt und alles und jedes mit ihrem label versieht, bloss weil wir die Sache selbst nicht mehr zu erkennen vermögen, weil Kunst uns erst als Kunst erscheint, nachdem wir sie im Museum gesehen haben. Déjà-vu! –darauf ist heute jede Vermarktungsstrategie angelegt, präzis abgestimmt auf die Bedürfnisse des Dienstleistungsbürgers. Dieser hat den Bildungsbürger längst abgelöst. Was jetzt? Kunst-Dienstleister aller Welt, ihr Museen und Kunstgesellschaften, vereinigt euch! Keine Angst! Die Kunst, die wahre und freie wird immer eine Nische finden, bevor man sie immer wieder aufs neue durch Dienstleistung nötigt. Keine Kunst am Bau und noch weniger Architektur am Bau!
Prof. Dr. Werner Oechslin ist Vorsteher des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich.