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Arbeitsintegration durch Arbeit

Ihre Grundidee ist bestechend einfach: Ob Firmenmanager oder Sozialhilfebezüger – allen geht es besser, wenn sie etwas Sinnvolles zu tun haben. Daniela Merz erläutert, was hinter ihrer Sozialfirma steht, und wie sich die Staatsnähe auf ihr Unternehmertum auswirkt.

Arbeitsintegration durch Arbeit
Daniela Merz, zvg.

Frau Merz, Sie sind seit 12 Jahren CEO einer Sozialfirma. Was ist das, eine Sozialunternehmerin?

In meinem Verständnis ist das jemand, der oder die sich zwei Zielen verpflichtet: betriebswirtschaftlichen auf der einen und sozialen auf der anderen Seite. Natürlich verfolgt grundsätzlich jeder Unternehmer auch soziale Ziele, die Mitarbeiterzufriedenheit ist sicher allen wichtig, die Arbeitsplätze schaffen. Ein Sozialunternehmer arbeitet darüber hinaus aber mit einem Mitarbeitersegment, das spezielle soziale Anforderungen stellt – und deshalb hat er auch soziale Ziele, die über jene eines «normalen» Unternehmers herausgehen.

Und dieses zusätzliche Ziel bestünde darin, die Mitarbeiter in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren – sie also zu verlieren. Das klingt erst einmal ziemlich paradox.

Allem voran geht es in der Arbeitsintegration in einem ersten Schritt um eine soziale Integration, mithin darum, dem einzelnen Menschen einen Arbeitsplatz zu geben, der ihm hilft, an seinen eigenen Selbstwert heranzukommen, sich wieder zu erkennen und seine Fähigkeiten auszubauen. Erst wenn sich jemand seinen Selbstwert wieder zu Eigen gemacht hat und in der Lage ist, seine eigenen Ressourcen wieder gut zu nutzen, kann die berufliche Integration erfolgen. Sie ist gewissermassen die logische Konsequenz der vorangehenden sozialen Integration. Allerdings hat sich heute die Situation verändert. Auch wer gut integriert ist, hat heute Probleme wieder eine Stelle zu bekommen, wenn er oder sie über fünfzig Jahre alt ist und nicht zu den gut ausgebildeten Top-Performern gehört.

Selbstwerterkennung und Ressourcenaufbau sind nicht ganz dasselbe wie Kostenkalkulationen oder Businessstrategien: Sind Sie nun eher Sozialarbeiterin oder eher Unternehmerin?

Ich war zwar früher Sozialvorsteherin von Herisau und kenne das Sozialwesen deshalb von der Pike auf. Sozialarbeiterin bin ich aber keine. Eine Sozialarbeiterin führt einen individuellen Case, betreut also eine Einzelperson. Bei uns geht es dagegen darum, die Leute gemeinsam zu führen, dabei stehen gruppendynamische Prozesse im Vordergrund. Am besten lernt ein Arbeitnehmer von einem anderen Arbeitnehmer. Unsere Aufgabe ist es, diese Lernprozesse zu ermöglichen. Das heisst: eine Struktur zu schaffen, in denen die Leute die Erfahrung von anderen nutzen können, sich an internen Vorbildern – aber eben nicht an mir! – orientieren und sich langsam weiterentwickeln und auch aufsteigen können. Das ist etwas ganz anderes als der Betreuungsprozess, den ein Sozialarbeiter leistet.

Was hat Sie dazu getrieben, diesen Weg zu beschreiten?

Am Anfang: eine gewisse Ohnmacht. Ich bin ursprünglich Primalehrerin und habe bei verschiedenen Vertretungen auf Oberstufenniveau miterlebt, wie schwierig sich die Lehrstellensuche für Menschen mit schlechtem Schulabschluss gestaltet. Das hat mich sehr beschäftigt, und gleichzeitig habe ich gemerkt, dass ich aus meiner Lehrerinnenfunktion heraus nicht viel tun konnte. So habe ich noch einen BWL-Abschluss gemacht, mit dem Ziel, die beiden Seiten – das zielorientierte Führen und das unternehmerische Denken – irgendwann einmal zusammenzubringen.

Das Resultat dieser «Fusion» ist die Dock-Gruppe AG, die dezidiert als Unternehmen und nicht als Beschäftigungsprogramm auftritt. Eine Firma hat immer eine Geschäftsidee: Welches ist, in knappen Worten, das Businessmodell der Dock-Gruppe?

In knappsten Worten: Integration durch sichere und unbefristete Arbeitsplätze für alle, die arbeiten wollen, bis sie eine Stelle gefunden haben.

Und in etwas ausführlicheren Worten?

All die unterschiedlichen Leute, die bei uns sind, haben eines gemeinsam: Sie haben keine Arbeit. Und unsere Idee besteht ganz einfach darin, diesen Menschen in einem Arbeitsumfeld ein Stück Normalität zu geben. Dabei gehen wir davon aus, dass den Langzeitarbeitslosen ganz ähnliche Dinge wichtig sind wie uns: Wir brauchen Bestätigung und Feedback, und wir sind dann motiviert, wenn wir wissen, dass wir etwas Sinnvolles tun. Deshalb bieten wir unseren Leuten echte Arbeit, also Aufträge, die wir in der Wirtschaft akquirieren und termingerecht erfüllen müssen. Auf unserer Seite bedeutet das, dass wir die Arbeit so organisieren und einteilen müssen, dass unsere Leute sie mit ihren vielfach beeinträchtigten Möglichkeiten und Leistungsfähigkeiten erledigen können.

Wenn man eine Firma aufbaut, braucht man zunächst einmal Kapital. Typischerweise verschuldet sich ein Unternehmer, bevor er loslegt. Woher kommt das Kapital Ihrer Firma?

Die Dock-Gruppe AG gehört zu 100 Prozent der Stiftung für Arbeit, die allerdings kein Stiftungskapital hat. Pro Standort haben wir eine Anschubfinanzierung von 400‘000 bis 600‘000 Franken von jenen Seiten erhalten, die die Gründung wünschten: das konnten Kantone, Gemeindeverbünde oder Städte sein. Mit diesen Geldern deckten wir die Infrastrukturkosten, die beim Aufbau eines Betriebs für rund 100 Arbeitsplätze anfielen, und auch das Defizit, das in den ersten zwei Jahren zu erwarten war. Nach zwei Jahren musste der Laden dann aber überall von sich aus laufen – also eine schwarze Null schreiben.

Laufen tun Ihre Betriebe auf dem zweiten, dem staatlich subventionierten Arbeitsmarkt, das bedeutet in Ihrem Fall konkret: die Löhne, die Sie den Langzeitarbeitslosen bezahlen, werden von den einzelnen Gemeinden über die Sozialhilfe refinanziert, sprich bezahlt. Ist es Ihnen als liberal gesinnte Unternehmerin kein Dorn im Auge, in diesem halbstaatlichen Umfeld zu operieren?

Gegen das Wort «halbstaatlich» verwahre ich mich! Wir erhalten – abgesehen von einer einmaligen Anmeldgebühr von 800 Franken pro Kopf – keinerlei Subventionen. Der Umstand, dass ein Lohn refinanziert wird, hat noch nichts mit Parastaatlichkeit zu tun. Das Geld kommt vom Amt zu uns, fliesst aber gewissermassen durch uns hindurch und landet dann als Lohn beim Bezüger. Diese Lohnumlagerung ist volkswirtschaftlich fast neutral. Wir haben uns dafür entschieden, weil wir als lohnsubventionierte Firma dem Konkurrenzverbot unterstehen. Dies bedeutet, dass wir für die Arbeit ähnlich tiefe Preise erhalten wie in Osteuropa, damit kann man bei uns nicht einmal Teillöhne bezahlen. Wichtig ist uns aber, dass wir diese Arbeiten wieder in die Schweiz zurückbringen können, oder sie hierbehalten können, wo sie denjenigen nützen, die keine Arbeit haben.

Das heisst aber: Ihren Betrieb würde es nicht geben, wenn der Staat die Löhne Ihrer Arbeitnehmer nicht bezahlte.

Ich würde das umkehren und sagen: Wenn es unseren Betrieb nicht gäbe, gäbe es keinen Lohn für die Leute. Es gibt ja ganz viele Arbeitsintegrationsprogramme, in denen die Sozialhilfebezüger keinen Lohn kriegen. Sie erhalten weiterhin ihre Sozialhilfe vom Amt, das abgesehen davon noch eine Pauschale dafür bezahlt, dass der Bezüger das fragliche Programm besuchen darf. Wir könnten wie die meisten anderen darauf verzichten, die Sozialhilfe als Lohn auszubezahlen – dann gäbe es auch keine Refinanzierung. Wir wollen diesen Transfer aber machen, erstens, weil wir an den Lohn als Vergütung für eine individuelle Leistung glauben, und zweitens, weil wir an die Sozialversicherungen glauben – denn die Löhne, die wir bezahlen, sind sozialversichert. Für mich geht es dabei um eine Haltung: Ich finde, man soll nicht arbeiten müssen, ohne dafür Geld zu erhalten.

Sind Sie denn, umgekehrt, auch dafür, dass man für Geld eine Leistung erbringen soll, sprich dass der Staat im Sinne eines «workfare»-Ansatzes eine Gegenleistung fordern soll für die Sozialhilfe, die er den Menschen gewährt?

In meinen Augen geht es nicht darum, etwas zu fordern, sondern etwas zu ermöglichen. Ich weiss, dass es einzelne Leute gibt, die nicht arbeiten möchten. Die allermeisten, das habe ich den letzten Jahren erlebt, verbinden Arbeit aber nicht mit müssen, sondern mit dürfen. Dabei geht es nicht nur um den Inhalt der Arbeit, sondern um das ganze Umfeld, die Alltagsstruktur, die damit zusammenhängt. Wer sich gezwungen sieht, all seine Wochentage selbständig zu strukturieren, und es dabei nicht einmal vermag, draussen einen Kaffee zu trinken, steht unter gewaltigem Stress. Arbeitslosigkeit ist wahrscheinlich einer der grössten Stressfaktoren, die es gibt. Deshalb würde ich sagen, das Gegenleistungsprinzip ist eher eine Chance als eine Forderung.

Im ganzen Sozialbereich ist «Entmündigung» ein grosses Thema; die Menschen werden den verschiedenen Programmen vom Sozialamt «zugewiesen», die Wahlmöglichkeiten der Betroffenen sind beschränkt. Wie gehen Sie damit um?

Auch das ist letztlich eine Haltungsfrage. Man kann sich in vielen Situationen entmündigt fühlen, das hat aber immer mit uns selber zu tun. Wenn ich die Steuerrechnung erhalte, finde ich das auch nicht wahnsinnig toll. Aber ich bin Teil eines Ganzen, und in diesem Sinne muss ich, wie wir alle, einen gewissen Beitrag leisten. Den können wir als Entmündigung empfinden oder als Zwang oder einfach als gesellschaftliche Verpflichtung. Im Zusammenhang mit unseren Arbeitnehmern ist aber extrem wichtig, bei der Einstellung sorgfältig zu sein. Die Leute werden nicht in unsere Betriebe reingestopft, sondern nach einem würdigen Anstellungsgespräch mit einem Vertrag eingestellt – wenn unsere Arbeit denn für sie passt. Nicht für alle Langzeitarbeitslosen ist die Dock der richtige Ort.

Wie verläuft denn, ganz grundsätzlich, die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Staat – welchen spezifischen Regulationen ist Ihr Unternehmen unterworfen oder anders gefragt: Wie und wo begrenzt der Staat ihre unternehmerische Freiheit?

Wir haben nur eine beschränkte unternehmerische Freiheit. Weil wir für die Löhne der Zugewiesenen Staatsgelder erhalten, unterstehen wir dem Konkurrenzverbot. Das ist richtig und gut so. Die Staatsnähe macht unser Unternehmertum auch grundsätzlich ein bisschen einfacher, denn sie gibt uns Seriosität und Sicherheit. Und wenn ich nicht immer wieder auf innovative und kooperative Leute in der Verwaltung gestossen wäre, hätte ich unser Modell gar nie umsetzen können. Insofern läuft die Zusammenarbeit sehr gut. Und weil wir keine Subventionen beziehen, die in unsere Betriebskosten fliessen, sind wir dem Staat auch keine Rechenschaft schuldig und geniessen im Rahmen des Konkurrenzverbots maximale unternehmerische Freiheit. Ich bin nicht Dienerin zweier Herren: Reportingpflichtig bin ich einzig gegenüber unseren Kunden aus der Wirtschaft, und zwar mit der Qualität der Arbeit, die wir liefern.

Und wie gestaltet sich diese Kooperation mit der Wirtschaft?

Anfänglich war es für uns schwieriger: Wir hatten grosse Mühe, in der Privatwirtschaft Anerkennung zu bekommen. Überall hat man uns leicht mitleidig als Sozialprojekt belächelt. Das hat sich über die Jahre aber stark geändert – dank der Leistung, die unsere Arbeitnehmer bringen. Inzwischen haben viele Betriebe begriffen, dass wir nicht irgendein schräges Projekt sind, sondern dass die Leute bei uns Qualitätsarbeit für die Schweizer Wirtschaft erbringen. Dafür erhalten wir inzwischen auch sehr viel Lob. Und entsprechend hat sich auch unsere Arbeitspalette verbreitert, sodass wir heute für Branchen arbeiten, von denen wir früher nichts wussten. Wir haben viel über Druckguss und Recycling gelernt, uns auf immer neue Prozesse eingelassen und immer wieder erlebt, dass sich unsere Kunden aus der Industrie extrem viel Mühe dabei geben, ihr Know-how an unsere Leute weiterzugeben.

Von dem Know-how-Transfer profitieren freilich auch die Firmen: Dank Lohnrefinanzierung und tiefen Stundenansätzen sind die Arbeiten, die sie verrichten, günstig zu haben.

Ja, gleich günstig wie im Ausland. Ganz freiwillig lagern die Industriebetriebe jedoch nicht aus, und gerne tun sie das auch nicht, aber der Kostendruck ist enorm. Firmen, die mit uns zusammenarbeiten, suchen uns nicht aus, um uns auszunützen und Lohndumping zu betreiben.

Was motiviert denn die Unternehmen zur Zusammenarbeit mit Ihnen – ist es etwas wie ein erweitertes soziales Gewissen, das sie Aufträge an die Dock Gruppe erteilen lässt?

Viele Unternehmer würden gern mehr in der Schweiz fertigen lassen, aus Kostengründen ist dies jedoch völlig unmöglich. Im Moment ist der Druck so gross, dass auch hochqualifizierte Industriearbeitsplätze bedroht sind. Hier liegen die Chancen für uns und für die Kunden, einen Anbieter zu haben, der in der Schweiz zu osteuropäischen Preisen arbeiten kann. Das hilft den Produktionsbetrieben, ihre Abläufe zu optimieren und unsinnige Transporte zu verhindern. So können beide Seiten profitieren, und so soll es sein.

Profit ist ein gutes Stichwort: Ist der Gewinn Ihrer Firma reglementiert oder begrenzt?

Offiziell begrenzt ist er nicht, aber wenn er plötzlich durch die Decke ginge, würde ganz schnell jemand eingreifen. Wir haben ganz bewusst eine öffentliche Revisionsstelle – die Finanzkontrolle der Stadt St. Gallen –, und alle Zuweiser haben die Möglichkeit, einen Revisionsauftrag zu erteilen. De facto ist aber ausgeschlossen, dass wir plötzlich grosse Gewinne schreiben: Um die Betriebe des ersten Arbeitsmarkts nicht zu konkurrenzieren, nehmen wir nur Aufträge an, die eine Wertschöpfung von maximal 20 Franken pro Stunde generieren; tatsächlich sind wir bei 7 Franken pro Stunde. Wie man daraus grossen Profit machen sollte, das müsste mir erst mal noch einer zeigen.

Im Prinzip ist es aber so, dass die Erträge, die Sie über Recycling-, Druckguss- oder andere Aufträge am Markt erwirtschaften, vollumfänglich in die Firma, das heisst in Ihre Löhne und die Infrastruktur fliessen?

Ja. Wir finanzieren uns aus der Wertschöpfung, und das ist eben auch eine unternehmerische Grundhaltung: Wir sind im Risiko, die Arbeitnehmer sind es nicht – deren Löhne sind ja staatlich gesichert. Das heisst: Wenn wir die 7 Franken nicht mehr erwirtschaften und nur noch 6.50 pro Stunde schaffen, dann müssen wir handeln. Aber eben nicht, indem wir Arbeitnehmer entlassen, sondern indem wir an unseren Löhnen und Strukturkosten schrauben. Wenn wir Mist bauen, müssen wir, und ganz konkret unser Führungsteam, in die Hosen. Dann gibt’s Überstunden für die Chefs. Und so soll es auch sein, denn das ist mein Verständnis von Unternehmertum.

Klassischerweise spielt im Unternehmertum eine Symmetrie zwischen Verlustrisiken und Gewinnchancen: Während ein eigeninvestierter Unternehmer auf der einen Seite Gefahr läuft, alles zu verlieren, winkt ihm auf der anderen Seite die Möglichkeit, schier unbeschränkt viel zu gewinnen. Als Sozialunternehmerin scheinen Sie demgegenüber doppelt beschnitten zu sein: Grosse Gewinne sind nicht drin, verlieren könnten Sie schlimmstenfalls aber auch «nur» Ihren Job.

Das ist aber eben längst viel mehr als ein Job! Ich bin in den letzten Jahren für diesen Weg und diese Haltung eingestanden, habe mich, immer zusammen mit meiner Mitstreiterin Lynn Blattmann, exponiert und mich auch Kritik und Anfeindungen ausgesetzt. Verlieren kann ich also eine ganze Überzeugung und insofern viel mehr, als ich je gewinnen kann. Denn nicht nur die tiefe Wertschöpfung setzt hier Grenzen, sondern auch der Umstand, dass wir steuerbefreit sind und folglich nie Boni oder Dividenden werden bezahlen können. Man muss aber auch sagen, dass wir dafür auf einer anderen Ebene sehr viel gewinnen können.

Das klingt nach Gutmenschentum. Was motiviert Sie im Kern?

Keine Angst, ich leide nicht unter einem Helfer- oder Verzichtsyndrom, und wir bezahlen uns auch anständige Löhne aus. Die «andere Ebene» besteht einerseits darin, dass ich das Gefühl habe, einen Job machen zu können, der mir entspricht und mir die Möglichkeit gibt, Lösungen für ein wichtiges Problem zu suchen und Ideen umzusetzen. Und dann – ich würde jetzt nicht sagen wollen «Ach, der grosse Gewinn, das sind die netten Menschen.» Aber doch ist der Umgang mit unseren Arbeitnehmern ungemein bereichernd und lehrreich.

Inwiefern?

Zum Beispiel sind unsere Leute absolut direkt, «fadegrad». Wenn man einen Führungsfehler gemacht hat, bekommt man den innert 24 Stunden vorgehalten; wenn jemand befördert wird, der das nicht verdient hat, wird niemand ein Blatt vor den Mund nehmen; sind sie unzufrieden, sagen die Arbeitnehmer mir das ins Gesicht. Diese Offenheit gibt mir die Chance, die Dinge wirklich besser zu machen und Fehler auszubügeln. Das kann aber auch in die andere Richtung gehen: In welchem anderen Betrieb würde ein Arbeitnehmer freudestrahlend auf mich zurennen und mir einen Kuss geben, einfach weil er sich freut, mich zu sehen? Solche Momente geben mir sehr viel zurück, und ich habe grössten Respekt davor, wie diese herzensfeinen Menschen, die vielfach in sehr schwierigen Lebensumständen stehen, ihr Leben meistern. Dass sie es schaffen, ihre Probleme vor der Türe zu lassen und bei uns konzentriert zu arbeiten, dafür bewundere ich sie enorm. Sie lehren mich immer wieder, demütig zu sein.

Das ist die sozial-positive Seite. Wie sieht die Bilanz auf betrieblicher Seite aus – vor welche Herausforderungen stellt Sie das tendenziell eher unstete Personal, wenn es um die Einhaltung geschäftlicher Ziele geht?

Ich glaube nicht, dass ich mit grösseren Herausforderungen zu kämpfen habe als andere Unternehmer – nur mit anderen. Und die machen das «social entrepreneurship» gerade aus: Man muss Arbeitssicherheit, Qualitätsmanagement und Planung eben so organisieren, dass sie auf die Zielgruppe passen. Wenn alle Teilzeit arbeiten, können Schwankungen mit Mehrarbeit aufgefangen werden, ohne dass jemand wirklich unmenschliche Überzeit arbeiten muss. Unsere Betriebe umfassen nicht zuletzt deshalb mehr als 100 Personen, weil diese Grösse das Auffangen von Ausfällen einfacher macht. Dabei sind Alter, Kulturen, Sprachen, und Kenntnisse bei uns so vielfältig, dass wir uns einfach alle zusammenraufen müssen, um etwas zu erreichen. Wir richten alle den Blick auf das, was wir gemeinsam erreichen können. Und sehen, dass das gewaltig viel ist, wenn wir uns selber ein bisschen zurücknehmen.

Daniela Merz ist CEO der Dock-Gruppe AG.

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