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Anything goes – together: Feyerabend & Paracelcus

Paul Feyerabend: «Naturphilosophie», hrsg. v. Helmut Heit & Eric Oberheim. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2009
Gunhild Pörsken (Hrsg.): «Paracelsus. Philosophie der Grossen und der Kleinen Welt». Basel: Schwabe, 2008

Berechtigt allein der Zufall zeitlich benachbarter Neuerscheinungen dazu, scheinbar weit voneinander Entferntes in einer Besprechung vergleichend zu betrachten – Paul Feyerabend und Paracelsus zum Beispiel? Oder verdankt sich derlei gar nur einer Grille des Rezensenten? Anything goes: ganz im Sinne jenes Slogans des 1994 verstorbenen anarchistischen Wissenschaftsphilosophen aus Wien, der nach langen amerikanischen Jahren zuletzt auch an der ETH Zürich unterrichtete? Bei seiner aus dem Nachlass nun erstmals publizierten «Naturphilosophie» handelt es sich um einen Text aus den frühen siebziger Jahren. Nimmt man den solcherart vorliegenden ersten Band dieses ambitionierten Projekts zur Hand, das also just an der Schwelle zu Feyerabends Kritik der Regularien als einer vermeintlich alleinzulässigen Beschreibung der Welt entstand, mit der er berühmt wurde, so stösst man nur im beigegebenen «Short Range Plan», einer Fortsetzung, unter dem Stichwort des «intuitiven Empirismus», auf den Namen des medizinischen Universalgelehrten aus der Innerschweiz. Einen zentralen Baustein aus dessen riesigem Gesamtwerk – das wir übrigens auch fast 470 Jahre nach seinem Tod längst noch nicht vollständig kennen – hat Gunhild Pörksen mit ihrer Übertragung neu erschlossen. Tatsächlich reichen die verborgenen Berührungspunkte tiefer zwischen den zwei eigensinnigen Köpfen, dem Humanisten aus der Reformationszeit hier und dem Vertreter der Postmoderne dort. Wenn man ihre Lektüre überblendet, gerät man unversehens in ein faszinierendes Gespräch über die Jahrhunderte hinweg, um schliesslich bei gegenwartsdiagnostischen Überlegungen zu landen.

Beiden geht es um Verteidigung von Wissenskonzepten jenseits eines Dogmatismus der Vernunft. Feyerabend greift hierfür weit zurück. Er setzt bei der Betrachtung der steinzeitlichen Kunst an und widmet sich ausführlich dem «Aggregat-universum» Homers, um seine Polemik gegen die mit dem Aufstieg des okzidentalen Rationalismus bei den Griechen sich vollziehende Trennung des Menschen von der Natur zu unterfüttern. Parmenides macht er als wirkmächtigen Übeltäter aus, der mit der Entwicklung abstrakt-begrifflicher Ordnungsansprüche und Gesetzmässigkeiten jene anschauliche, dynamische Wirklichkeit unterminiert habe, als deren Teil der Mensch sich noch ganz selbstverständlich, ohne Fremdheitsirritationen, hatte finden können. Die frühe Etablierung des abendländischen Wissenschaftsideals aber markiert den Beginn eines Weges, den das Denken wohl zurücklegen müsse, «einer langen Kette von Irrtümern, bevor es sich der wirklichen Welt wieder nähert und die Züge in ihr wiedererkennt, die Schöpfungs- und Entwicklungsmythen einst so lebendig beschrieben haben». Macht man sich diese Kriterien zu eigen, dann kommt der Weltsicht des Paracelsus in dessen historischer Übergangszeit der Rang eines Vorklangs jener heterogene Zugänge vereinigenden «neuen philosophisch-mythologischen Wissenschaft» zu, «die sich heute erst undeutlich am Horizont abzeichnet». Diese gilt es für Feyerabend zu befördern: als Prozess, der Mensch und Natur wieder zusammenführen soll. In zwei unterschiedlichen Varianten haben wir somit das suggestive Plädoyer für einen Holismus vor uns, der als Unterströmung die westliche Naturaneignung begleitet – und der hat eine solche Kritik ja allemal nötig.

Die Summe seiner eigenen Naturphilosophie hat Paracelsus in den ersten Kapiteln der «Astronomia Magna» niedergelegt. Anders als Feyerabend geht er, mit dem Gedanken eines von Gott in sie hineingelegten Verweischarakters, dabei allerdings über die Natur hinaus, um diese selbst und die Stellung des Menschen in ihr erst richtig zu verstehen: «Der Mensch» nämlich «erkennt aus der Schöpfung, die eine Beschreibung des Menschen ist, wie er gemacht worden ist» – letztlich «aus Himmel und Erde». Grosse Astronomie ist demnach die Lehre von der Beziehung zwischen dem Makrokosmos und dem Mikrokosmos, der unablässigen Gegenwart des Geistes im Stoff.

Gerade aus der Kreuzung beider Lektüren lassen sich Bausteine zum Weiterdenken gewinnen. Zweifellos wäre ein solches Verfahren ganz im Sinne Feyerabends gewesen. Das Anliegen, den Gewissheitsstolz westlich exklusiven Verständnisses von Weltzugang produktiv zu erschüttern, begegnet einem jedenfalls schon in seinem als Fragment abgelegten naturphilosophischen Grossvorhaben. Damit aber ruft er zugleich den bleibenden Wert von weisheitlichen Denkformen in Erinnerung, wie sie etwa bei Paracelsus vorliegen. Entscheidend bleibt jedenfalls, sich in den für den Menschen gemässen Zusammenhängen zu begreifen.

vorgestellt von Hans-Rüdiger Schwab, Münster

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