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(5) Ansprüche an die Hochschulen

mit Thomas Straubhaar und Alexander Zehnder Die Hochschulen sind im Prinzip für die Wachs-tumsfaktoren Bildung und Forschung zuständig und für einen Teil des Wissenstransfers verantwortlich. Europa scheint auf diesen Feldern weniger effizient zu sein als die USA, unter anderem, weil auf dem alten Kontinent das Proporzdenken dominiert.

«Die gute Nachricht zuerst: Es kann niemand etwas dafür, dass die «Lissabon»-Strategie gescheitert ist. Diese Versprechen konnte man gar nicht halten.» Mit dieser Einleitung hat Prof. Walther Zimmerli (Auto-Uni Wolfsburg) für einige Sekunden etwas Spannung aus dem «Lissabon»-Thema genommen, um sie aber sogleich wieder aufzubauen; denn die schlechte Nachricht lautete: Die Ziele müssen dennoch verfolgt werden. «Versprechen soll man halten» lautete denn auch der Titel seines Referats, der freilich konstruktiver tönte als der mehrdeutig interpretierbare Untertitel «Der Beitrag von Hochschule und Wissenschaft zur Verfehlung des «Lissabon»ziels». Seine Einschätzung des deutschen Hochschulwesens war ziemlich pointiert; er stufte Deutschland «bestenfalls als Bildungs-Schwellenland» ein. Die Universitäten, die früher zum Spitzenruf des Landes beigetragen hatten, sind nach Zimmerlis Einschätzung untauglich geworden, in Bildung und Forschung mit den Besten mitzuhalten. Das schlechte Abschneiden der Deutschen im Rennen um Innovationen liegt seiner Ansicht nach nicht am Erfindergeist, denn bei Patenten liege Deutschland nach den USA an zweiter Stelle der Weltrangliste. Aber das allgemeine Klima hemme die weiteren Schritte der Innovation; nur 6 Prozent der Patente fänden beispielsweise den Weg in die Produktion. Beim Umsetzen der Ideen in vermarktbare Produkte gebe es zu viele Hindernisse, und zwar sei ganz Europa in dieser Hinsicht schwach. Die Wirtschaft müsse ausgleichen, wo Schulen und Hochschulen versagt hätten. Zimmerli sah mögliche Lösungen unter anderem in neuen Varianten von Bildungs- und Forschungseinrichtungen, die das Wissen zügiger in die Wirtschaft transportieren und besser darauf achten würden, dass das Wissen für praktische Anwendungen einen Wert hat und zu vermarktbaren Produkten und Geschäftsideen führen kann.

Die neuen, flexibler agierenden Institutionen der Wissensvermittlung müssten sich deshalb nicht auf Studierende, sondern auf Leute im Alter von 18 bis 80 Jahren ausrichten, nicht einzelne Disziplinen pflegen, sondern «transdisziplinäre Kompetenzen» vermitteln und dem aus der Praxis stammenden Wissen genug Platz einräumen. Dazu gehört seiner Meinung nach eine bessere, «gleichberechtigte» Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wirtschaft. Es lag nahe, dass Zimmerli in der Auto-Uni von Volkswagen in Wolfsburg, an deren Aufbau er beteiligt war, eine schlagkräftige Vertreterin dieses neuen Typs von Privat-Initiative und Wissens-Institution sah. Mit Blick auf die Argumente für eine andere Arbeitsteilung zwischen Staat und Privat erhielt Zimmerli Unterstützung von Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Institut, der sich ebenfalls für eine Stärkung der Eigenverantwortung und privaten Investitionstätigkeit in der Bildung aussprach.

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Nur ein entfesseltes Bildungssystem schafft Wohlstand und Wachstum

Der Europäische Rat von «Lissabon» hatte ja so recht: Bildung und Wissen sind die wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren des 21. Jahrhunderts. Der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten wird zu der sozialen Frage der Zukunft werden. Wer nur standardisiertes oder standardisierbares Allgemeinwissen im Rucksack hat, wird in der Wissensgesellschaft hinten Platz nehmen müssen. Wer einen höheren Berufsabschluss besitzt oder gar ein Studium abgeschlossen hat, wird besser verdienen und seltener ohne Beschäftigung bleiben – dies ist die mikroökonomische Bildungsbotschaft. Volkswirtschaften mit einem «Pool» gut ausgebildeter Arbeitskräfte und attraktiven Rahmenbedingungen für hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte werden stärker wachsen – dies ist die makroökonomische Konsequenz positiver externer Effekte von Bildung und Wissen. Eine ganz andere Frage ist, wie man das richtige Ziel erreicht, «der wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt» zu werden. Die «Schaffung eines europäischen Raums der Forschung und Innovation» ist dabei nur eine notwendige, keinesfalls aber eine hinreichende Voraussetzung. Viel entscheidender ist es, das europäische Bildungssystem von den staatlichen Fesseln zu befreien und es in die Freiheit zu entlassen.

Die (neue) Wachstumstheorie sieht in der Grundlagenforschung oder besser im Humankapital eine Triebfeder der wirtschaftlichen Dynamik. Mit der Akkumulation von Humankapital sind positive Externalitäten verbunden, die auf eine Volkswirtschaft überschwappen und zu mehr Wachstum führen. Die Empirie hat etwas mehr Mühe, den stimulierenden Einfluss des Humankapitals auf das Wirtschaftswachstum nachzuweisen.

Ein wesentlicher Grund für die Schwierigkeit, den positiven Zusammenhang von Humankapital und wirtschaftlichem Wachstum empirisch nachzuweisen, liegt darin, dass es weniger um die Verfügbarkeit als vielmehr um Nutzung von Wissen geht. Was oder wem nützt es, Biochemiker(innen) oder Stammzellenforscher(innen) teuer auszubilden, sie dann aber verschiedener Vorbehalte und Vorurteile wegen nicht in Europa, Deutschland oder der Schweiz forschen und arbeiten zu lassen? Ebenso garantiert eine input-orientierte Sicht noch lange nicht, dass auch ein Output entsteht, der sich gesamtwirtschaftlich positiv auswirkt. Es geht weniger darum, wie viel Geld in ein Bildungssystem gesteckt wird als darum, was an Ergebnissen erzielt wird. Mehr Geld in ein schlechtes System zu pumpen, vergrössert nur die Verschwendung und verbessert eben gerade nicht die Wachstumschancen einer Volkswirtschaft.

Trotz der eingeschränkten empirischen Evidenz scheint gültig zu bleiben, dass «mehr Humankapital» in der einen oder anderen Form zu «mehr Wachstum» führt. Aus- und Weiterbildung macht Menschen produktiver. Kluge Köpfe und findige Forscher sorgen für neues Wissen und technologischen Fortschritt. Eine Strategie, die nach besseren Studienbedingungen, Exzellenz und Nobelpreisen strebt, ist somit zielführend. Sie verbreitert die Basis, auf der Wachstum aufbauen kann. Nicht zuletzt auch, weil ein Pool qualifizierter Arbeitskräfte ein attraktiver Standortfaktor ist. Er hilft Sach- und Finanzkapital anzuziehen. So kann Humankapital zum Kern eines «Clusters» werden. Beispielsweise liess sich in verschiedenen Fallstudien ein «Silicon Valley»-Effekt finden – also eine lokal konzentrierte positive Wechselwirkung von Universitäten und Forschungsinstitutionen (Humankapital), Finanzkapital (Wagnis-Kapital für Neugründungen) und bereits bestehenden Firmen, die neues Wissen in moderne Produkte und innovative Dienstleistungen umsetzen.

Sicher geht es auch im Forschungsbereich oder im Aus- und Weiterbildungswesen zunächst ums Geld. Verfügt eine Hochschule über mehr Geld, kann sie zusätzliche Professoren und Lehrkräfte einstellen, aber die Forderung nach besseren Universitäten kann nicht einfach nur mit mehr Geld erfüllt werden. Gute Universitäten sind vor allem auch das Ergebnis einer Bildungsideologie, die auf Freiräume für die Universitäten, Eigeninitiative, Eigenverantwortung sowie Wettbewerb setzt. Nicht von ungefähr stehen mit Harvard, Stanford, Princeton oder Yale private amerikanische Universitäten ganz zuoberst an der Weltspitze.

Von einer Bildungspolitik, die von privaten und nicht von politischen Entscheidungen geprägt ist, die vom Wettbewerb und nicht von gesellschaftlichen Normen oder staatlichen Regeln gelenkt wird, sind Kontinentaleuropa, Deutschland und die Schweiz meilenweit entfernt. Während im Verkehrs-, Energie-, Post- und Telekommunikationssektor ein Staatsmonopol nach dem anderen fällt, bleiben die Universitäten fest in staatlicher Hand. «Privatisierung», sonst bei Post, Bahn, Telefon und Versorgungseinrichtungen «in», bleibt bei der Bildung nach wie vor «out». Eine historisch begründete, für die Gegenwart oft nicht näher in Frage gestellte, diffuse Angst vor dem Markt beherrscht die heutige Bildungsdiskussion noch immer.

Dabei verlangt die Zukunft eine Neuorientierung. Spitzen-Universitäten brauchen zuallererst die Freiheit, ohne langwierigen Aufwand Studierende selbständig auszuwählen. Sie brauchen den Freiraum, wissenschaftliches Personal schnell und unbürokratisch einzustellen und nach Leistung und Erfolg, nicht nach standardisierten Tarifen, zu entlöhnen. Sie sollten Studiengänge rasch einführen und an wechselnde Bedürfnisse anpassen dürfen, ohne auf die Zustimmung von Behörden warten zu müssen. Amerikanische Elite-Universitäten stehen deshalb ganz oben, weil sie sich ihre Studierenden auswählen dürfen. Sie erheben Studiengebühren, sorgen dafür aber für eine herausragende Ausbildungs- und Betreuungsqualität. Sie bieten ihren Professoren hohe Leistungsanreize und ein stimulierendes Umfeld.

Wer Spitzen-Universitäten will, muss zu einem fundamentalen bildungspolitischen Richtungswechsel bereit sein. Es gilt, das Bildungssystem in die Freiheit zu entlassen. «Markt» muss den «Staat» ersetzen. Gute Universitäten brauchen nicht mehr staatliches Geld, sondern die Erlaubnis, Studiengebühren zu erheben. Das heisst nicht, dass sich der Staat aus der universitären Bildung und der Forschung zurückziehen soll. Im Gegenteil: weil «mehr Humankapital» im Prinzip «mehr Wachstum für alle» bedeutet, ist es richtig, dass Steuergelder mit im Spiel bleiben. Der Staat soll weiterhin finanziell Gerechtigkeitsziele verfolgen, Chancengleichheit schaffen und Investitionen in Humankapital anregen. Er soll dies jedoch nicht über Präsenz auf der Angebotsseite und über staatliche Universitäten, sondern über die Nachfrage und direkte Hilfen an finanziell minderbemittelte Studierende und erfolgreiche Forscher anpeilen.

Private Universitäten sind nicht das Ende der staatlichen Universitäten, sondern der Anfang von mehr Wettbewerb und Selbstbestimmung. Damit aber alle Institutionen gleich lange Spiesse haben, dürfen öffentliche Hochschulen in keiner Weise gegenüber privaten Konkurrenten finanziell privilegiert werden. Keine Bildungs- oder Forschungseinrichtung sollte Steuergeld direkt erhalten, sondern einzig noch indirekt über den Nachfragekanal. Wollen staatliche Universitäten öffentliches Geld, müssen sie genauso wie ihre privaten Konkurrenten um Studierende und deren Studiengebühren, (staatliche) Forschungsaufträge und (staatliche) Kunden ihrer Dienstleistungen werben. Je früher Freiheit und Wettbewerb, und nicht Behörden und Plan, zum Massstab werden, desto rascher wird es auch in Deutschland und der Schweiz wieder Spitzen-Universitäten geben und desto eher erhält die vollmundige «Lissabon»-Strategie wenigstens den Hauch einer Realisierungschance.

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Kann die EU nicht vielleicht doch etwas mehr hoheitliche Unterstützung leisten, als in der ganzen «Lissabon»-Debatte zum Ausdruck kommt? Bringt möglicherweise der Bologna-Prozess mit der Schaffung einer einigermassen einheitlichen Universitätslandschaft eine Belebung? Zimmerlis Hoffnung jedenfalls galt nicht nur privaten Hochschulen, sondern auch der hoheitlichen Initiative des sogenannten Bologna-Prozesses, der zu einer europaweiten Abstimmung der nationalen Hochschulsysteme führen soll. Nach seiner Überzeugung sollte dieser Prozess so viel an Flexibilität, Wettbewerb und Vielfalt in die Universitätslandschaft bringen, dass die Europäer besser gerüstet in die Epoche der Wissensgesellschaft eintreten werden. Damit rief er freilich Widerspruch hervor. Besonders energisch trat ihm Thomas Straubhaar entgegen, der den Bologna-Prozess als zentralistische, einengende Harmonisierung einstufte, die den Wettbewerb um Qualität erst recht abwürgen werde. Zimmerli betonte, dass er nicht die Probleme, sondern die Chancen des Bologna-Prozesses zeigen wollte, aber die Diskussion war entfesselt, und da dominierten, auch von der Leidenschaft her, die Voten gegen «Bologna». Vor allem an den deutschen Universitäten, die bereits im Alltag eine umfangreiche Bürokratie zu ertragen haben, scheint man die Bologna-Vorgaben als weitere Einengung zu empfinden, die eine Spezialisierung auf besondere Fächer und Studiengänge erst recht erschweren werde. An Schweizer Hochschulen, vor allem an der ETH, scheint man die Dinge gelassener zu sehen, da man sich offenbar flexibler fühlt. Alexander Zehnder, Präsident des ETH-Rats skizziert im folgenden die Strategie der Schule.

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«Klein, aber fein und agil agieren ist das beste Erfolgsrezept»

Welchen Auftrag haben die ETH, das heisst die Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne?

Die ETH haben als Auftrag, Lehre und Forschung zu betreiben und Dienstleistung anzubieten, die von öffentlichem Interesse sind und von der Privatwirtschaft nicht erbracht werden können. Dies alles soll auf einem internationalen Spitzenniveau stattfinden. Mit einer, im globalen Vergleich, ausgezeichneten Lehre und Forschung sollen für unsere Studierenden optimale Startchancen für ihre zukünftigen Karrieren geschaffen werden. Wir haben das Ziel, unsere Studierenden zu sogenannten «polytechniciens» auszubilden, das heisst zu Persönlichkeiten, die basiert auf Grundlagen der exakten Wissenschaften (vor allem Mathematik und Physik) komplexe Probleme lösen können. Dies gilt nicht nur für die Ingenieure, sondern ebenso für unsere Naturwissenschafter.

Es wird immer wieder der Vorwurf laut, die ETH sei nicht mehr für die Ingenieure da, sondern entferne sich zunehmend in Richtung Biologie und Medizin.

Die ETH bildet 95 Prozent der Ingenieure und etwa 50 Prozent der Naturwissenschafter im schweizerischen Universitätsbereich aus. Die Ingenieure machen die Hälfte unserer Studierenden aus. Nur sind es eben nicht mehr die klassischen Richtungen wie Maschinen-, Elektro- oder Bauingenieure, sondern neue Entwicklungen, etwa in Materialwissenschaften oder Informationstechnologie; dies sind heute ganz typische Ingenieurbereiche.

Aber bei der Positionierung der ETH haben Sie vor allem die Forschungswelt im Blick?

Alle drei Aspekte – Lehre, Forschung und Dienstleistungen – sind uns gleich wichtig. Aber ohne exzellente Forschung wird auch die Ausbildung an Qualität einbüssen und unsere Dienstleistungen werden zweit- oder drittklassig. Nur wer mit den Besten konkurrieren kann, wird ernst genommen. Wichtig ist auch die Partnerschaft mit der Industrie, um mit Innovationen und Erfindungen neue Impulse zu geben.

Ist die lokale Umgebung so wichtig?

Nehmen wir ein Beispiel aus der Pharmaindustrie. Die grossen Pharmafirmen arbeiten nur mit Universitäten zusammen, die weltweit Spitze sind. Falls diese nicht in der Schweiz zu finden sind, geht die Industrie ins Ausland; die Globalisierung funktioniert hundertprozentig. Wenn unsere Qualität weltweit konkurrenzfähig ist, steht der Zusammenarbeit nichts im Wege, und wir können gemeinsam an Produkten und neuen Ideen arbeiten, die dann den Weg in die Märkte finden. Im Ingenieurbereich verhält es sich genauso.

Dann ist die Präsenz von Firmen in der Nähe der Hochschulen für Sie ein Erfolgsmesser?

Absolut. Ich habe nicht alle Beispiele auf Papier, aber wir arbeiten das auf, auch auf Grund der Diskussion in Zermatt. Google ist zum Beispiel wegen der ETH nach Zürich gekommen. Dow Chemical hat ihr europäisches Forschungslabor in Horgen und nicht anderswo hingestellt, und zwar wegen des Hochschulplatzes Zürich. Dass die grossen pharmazeutischen Firmen noch in der Schweiz sind, ist nicht nur der Heimatverbundenheit zu verdanken; die Präsenz der wissenschaftlichen universitären Partner ist wichtig.

Was bedeutet «Nähe zu einer Hochschule» in Kilometern ausgedrückt?

Da gibt es unterschiedliche Ansichten, und diese hängen sicher auch vom Einzelfall ab. Die einen finden, man müsse unbedingt unter dem gleichen Dach sitzen. Sobald man das Gebäude verlassen muss, sind Basel-Zürich oder Zürich-Lausanne keine Distanzen mehr.

Kann es auch Zürich-Kalifornien sein?

In speziellen Fällen sicher. Regelmässige persönliche Begegnungen sind aber unerlässlich und erhöhen die Erfolgschancen.

Dann bringt der Weltruf der ETH der lokalen Umgebung vielleicht doch nicht sehr viel.

Doch. Es gibt Studien von der Harvard University, der Universität St. Gallen und jüngst auch der ETH Lausanne, in denen der direkte, kurzfristige Ertrag aus den Investitionen geschätzt wird. Für jeden Franken, der hier in die Forschung investiert wird, erhält die Schweiz demnach etwa zwei bis zweieinhalb Franken zurück, und zwar innerhalb von etwa fünf Jahren.

Und langfristig?

Betrachtet man den Horizont von etwa zehn Jahren, ist der return on investment viel höher. Internationale Schätzungen deuten auf einen Faktor 4 bis 6 hin. Das sind wahrscheinlich sogar konservative Schätzungen; denn nicht für jeden investierten Franken lassen sich alle Auswirkungen direkt beobachten. Aber wenn man die heutigen industrialisierten Gebiete im Vergleich anschaut, zeigt sich, dass diese mehr oder weniger rund um die Hochschulen entstanden sind. Für den Staat müssten Investitionen in seine Universitäten also interessant sein, er würde dadurch wohlhabender.

In der Forschungswelt gelten aber andere Mass-stäbe. Welches sind Ihre Messkriterien für Spitzen-leistungen?

Zunächst einmal die Standardkriterien: Anzahl Publikationen, Impact, Qualität der Zeitschriften. Im sogenannten Schanghai-Ranking werden auch die Nobelpreisträger berücksichtigt. Eine jüngere Universität oder eine ETH Lausanne haben es da natürlich schwieriger, da sie in der kurzen Vergangenheit nicht Nobelpreisträger hervorbringen konnten wie eine ETH Zürich. Hinzu kommen zunehmend auch die Zufriedenheit der Studierenden, die Quote der Doktorierenden, der internationale Ruf der Professoren, auch Preise – das alles sind die wichtigsten internationalen Messkriterien.

Das erlaubt vielfältige Interpretationen.

In Europa sind wir noch nicht auf dem Wissensstand der Vereinigten Staaten. Unter all den verschiedenen Initiativen zum Erstellen von Universitäts-Rankings scheint sich im Moment das Schanghai-Ranking durchzusetzen. Dieses misst nur die Spitzenleistungen und sagt nichts aus über die Durchschnittsleistung einer Universität. Damit wird es einem universitären System nicht ganz gerecht. Unter den verschiedenen Rankings wird sich in Zukunft dasjenige durchsetzen, das dem universitären Bereich am angemessensten ist.

Gibt es vom ETH-Rat aus Regeln, wann bei schlechten Leistungen der Schule einzugreifen ist?

Wir wollen vom ETH-Rat aus in den nächsten Jahren die Budgets auf Grund von Leistung verteilen. Wir haben uns gemeinsam mit den Institutionen auf Beurteilungsfaktoren und Gewichtungen geeinigt. Das ist neu in der akademischen Landschaft. Umgesetzt wird dies ab 2006, und im Moment sind wir am Einüben. Der wissenschaftliche Output und dessen Qualität spielen eine Rolle, aber auch Fragen, welche Mittel eine Institution eingebracht hat und was die Qualität der Drittmittel ist. Zudem ist die Zufriedenheit der Studierenden von Bedeutung, die Anzahl der Doktoranden, aber auch das Ranking. Wir beziehen sechs bis sieben Indikatoren in unsere Beurteilung mit ein.

Und wenn es irgendwann Zeichen allgemein nachlassender Qualität gibt?

Wir versuchen uns intern zu Höchstleistungen anzustacheln. Der ETH-Bereich muss es mit den Besten der Welt aufnehmen können. Unsere Indikatoren zusammen mit den Erfahrungen der Ratsmitglieder, der Institutionen und externen Beurteilungen ergeben eine sehr umfassende Qualitätssicherung. Ein grosses Problem besteht heute in der Finanzierung des Hochschulplatzes Schweiz. Die Investitionen stagnieren seit über zehn Jahren. In den achtziger und anfangs der neunziger Jahre konnten wir weltweit noch mit den Besten konkurrieren, was Saläre und Einrichtungskredite anlangt. Wenn wir aber die besten Leute nicht mehr bekommen, wird die Qualität abnehmen. Erste Anzeichen sind vorhanden.

Die Investitionen in Hochschulen liegen also unter dem wirtschaftlichen Optimum?

Absolut. Die internationalen Erfahrungswerte zeigen ja, dass für jeden investierten Franken mehr zurückkommt, und zwar auch kurzfristig. Das ist doch der Punkt. Wenn die Rendite nur langfristig wäre, wäre die Zurückhaltung verständlich, aber wenn kurzfristig schon zwei bis drei Franken zurückkommen, bezahlt dies ja schon die Steuern und kurbelt darüber hinaus die Wirtschaft an.

Öffentliche Budgets können nicht beliebig wachsen.

Das Problem liegt eben genau in der jährlichen Betrachtung von Budgets. Bund und Kantone möchten schwarze Zahlen schreiben, und mit dem gesamten Druck, der auf diesen Budgets lastet, verliert auch der Forschungs- und Bildungsbereich finanzielle Mittel. Die längerfristige Entwicklung wird den Tagesproblemen geopfert. Das ist fatal.

Sie haben in Zermatt die Re-Industrialisierung der Schweiz thematisiert. Liegt das Industriezeitalter nicht hinter uns?

Meiner Ansicht nach sollte man sich in der Schweiz überlegen, wie eine Re-Industrialisierung aussehen könnte, vor allem in der früher so stolzen Maschinen- und Energiebranche. Die Uhrenindustrie hat es ja auch geschafft. In den kritischen Industriebereichen ist alles im Fluss. In der Schweiz können wir uns nicht nur auf Dienstleistungen verlassen, wenn längerfristig Mehrwert geschaffen und erhalten werden soll.

Was wären denn richtige Proportionen?

Heute stammen ungefähr 25 Prozent der Wertschöpfung aus intelligenten Dienstleistungen – beispielsweise im Finanzsektor; hinzu kommen etwa 25 Prozent aus dem Tourismus. Die Technologie trägt nur etwa 7 bis 10 Prozent bei. Da gibt es noch Wachstumspotential. Ein guter Mix macht unsere Volkswirtschaft gegenüber Schwankungen auf dem Weltmarkt stabiler. Eine güterproduzierende Industrie ist wichtig. Klein aber fein, und agil agieren, ist wahrscheinlich für uns immer noch das beste Erfolgsrezept.

Will die ETH eine solche Re-Industrialisierung unterstützen?

Wir haben fünf Kompetenzzentren für eine Zusammenarbeit mit der Industrie eingerichtet – seien dies Kleinunternehmen oder die Grossindustrie. Vier Zentren sind auf eine direkte wirtschaftliche Umsetzung von Forschungsarbeiten ausgerichtet. Ein erstes Zentrum gilt Energiefragen, Themen wie Fusion, Spaltung, alternative Energie, Effizienz und Energiezukunft. Ein anderes Zentrum ist auf die Mikro- und Nanotechnologie spezialisiert, auf Materialwissenschaften, die in der Schweiz über Uhrenindustrie und Mikrotechnologie eine lange Tradition haben. Das Life Sciences System X – zusammen mit den Universitäten Zürich und Basel – wird wahrscheinlich ein schweizerisches Kompetenzzentrum werden. Im Umwelt- und Nachhaltigkeits-Kompetenzzentrum schliesslich geht es darum, jeweils mit dem Nachhaltigkeitsgedanken im Hinterkopf neue Technologien zu entwickeln.

Und was ist weniger auf direkte Umsetzung ausgerichtet?

Das fünfte Zentrum betrifft die bildverarbeitenden Systeme, die zurzeit wahrscheinlich keine unmittelbare grosse wirtschaftliche Bedeutung haben, ausser in der Medizin und in der Forschung. Aber wir hoffen, Technologien entwickeln zu können, die irgendwann die Märkte erobern werden, vielleicht in zehn bis zwanzig Jahren. Was nachher kommt, wissen wir ohnehin nicht. Darum sind diese Zentren auch nicht für die Ewigkeit angelegt; nach fünf Jahren werden wir sie gründlich begutachten und die nötigen Konsequenzen ziehen. Der Lebenszyklus eines solchen Zentrums sollte zehn bis zwölf Jahre nicht überschreiten.

Bricht man früher ab, wenn ein Zentrum ganz schlecht rentiert?

Diese Zentren sind nicht nur zum Eigennutz da, sie sollen als Plattform für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und deren Umfeld dienen, sollen Kristallisationspunkte bilden, um Firmen aus dem Ausland in die Schweiz zu locken. Dadurch soll ganz im Sinne von Paul Krugman ein Umfeld geschaffen werden , das die Besten auch geographisch zusammenbringt.

Dann wird die ETH ziemlich anwendungsorientiert.

Diese Zentren werden 15, maximal 20 Prozent unseres Budgets erhalten. Sie dienen dem Lösen gesellschaftlicher Probleme mit grossem Wertschöpfungspotential. Die restlichen Mittel wollen wir für die Lehre und die Grundlagenforschung einsetzten. Diese beiden Elemente bilden ja schliesslich das Substrat für alle anderen Aktivitäten und Entwicklungen.

Sie haben in Zermatt im Zusammenhang mit dem Wissens- und Technologietransfer die Frage gestellt: Warum fahren wir trotz allen guten Bedingungen nicht besser? Was ist Ihre Antwort?

Ein bisschen salopp ausgedrückt, ist der «mindset» nicht richtig. Unser unternehmerisches und innovatives Denken ist noch ungenügend. Wir sehen da selbst einen Handlungsbedarf. Ein Zahlenbeispiel aus einer Untersuchung an der ETH-Lausanne: Am Anfang der Ausbildung denken 8 Prozent der Studierenden an die Gründung einer eigenen Firma, am Ende des Studiums sind es nur noch 2 Prozent. Da läuft etwas falsch. Es müsste gerade umgekehrt sein, wir müssten die Quote von 8 auf 16 Prozent erhöhen können. Es fehlt in der Schweiz an Risikobereitschaft, das Sicherheitsdenken ist zu stark. Auch im Studium wird Risiko wahrscheinlich zu wenig belohnt, das muss sich ändern.

Alexander J.B. Zehnder, geboren 1946, ist ETH-Professor für Umweltbiotechnologie und Präsident des ETH-Rats.

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Lassen sich Innovationen planen? Kurt Wüthrich, Schweizer Nobelpreisträger der Chemie 2002, gab in einer Diskussionsrunde eine negative Antwort. Wüthrich ist mit den Arbeitsweisen in Lehre und Forschung in den USA wie in Europa vertraut, an beiden Orten ist er heute mit seinen Gruppen am Arbeiten, er leitet Teams an der ETH Zürich wie auch am Scripps Institute in Kalifornien (La Jolla). In beiden Regionen hat er reiche Erfahrung mit der Akquisition von Mitteln für die Grundlagenforschung.

Sein Urteil über die Steuerung und Mittelvergabe in der Forschung in Europa, vor allem in der EU, fiel vernichtend aus: die Wirksamkeit der Forschungsförderung in der EU sei minimal, die Art und Weise, wie die Mittel verteilt würden, verfehlt. In den USA sei in der Forschung Qualität das Ziel, in Europa suche man Demokratie. In der EU stünden bei der Vergabe von Forschungsgeldern nicht die einzelnen herausragenden Forscher im Vordergrund, sondern Forschungs-Netzwerke, in denen dann das Geld mit geringem Effekt verschwinde. In der EU dominiere bei der Mittelverteilung das Proporzprinzip: wer mit seinen Forschungsanträgen erfolgreich sein will, muss auch auf die geographische Verteilung der Partner auf seiner Liste achten – Süden und Osten der EU seien immer Argument für Mittelzuteilung. In diesem Zusammenhang erhielt Wüthrich sozusagen Unterstützung aus dem deutschen Wirtschaftsministerium; Claudia Dörr bekräftigte, dass die Vergabe von EU-Mitteln häufignicht nach Qualitätskriterien, sondern zu einem guten Teil nach dem Giesskannenprinzip erfolge, so dass die Forschungsförderung praktisch zu einem Bestandteil der Strukturförderung werde.

Wüthrichs Kritik galt nicht nur der Praxis der Mittelvergabe, sondern auch der inhaltlichen Suche nach Forschungsschwerpunkten. Europäische Universitäten begännen beim Entwerfen neuer Forschungsschwerpunkte oft mit der Suche nach jenen Gebieten, in denen sich die Zitate in der Fachliteratur häuften. In dieser Richtung würden dann Stellen ausgeschrieben und besetzt, und damit sei es sehr wahrscheinlich, dass es keine Innovationen geben werde.

Nur Nachteile haben die europäischen Sitten und Gebräuche aber offenbar nicht. Wüthrich sah die US-Forschung zwar im Vorsprung, weil da die Mittel im Wettbewerb, aber dann ziemlich konzentriert an die Besteingestuften vergeben werden. Forscher könnten so lange arbeiten, wie sie sich im Rennen halten könnten, eine Altersgrenze wäre verfassungswidrig. Da die Mittel aber in der Regel auf einen Zeithorizont von fünf Jahren vergeben werden, sind die Bedingungen für langfristige Arbeiten schlechter, als wenn die Professoren – wie in Europa – für lange Zeit, samt zugesicherter Ausstattung, angestellt werden. Nach Wüthrichs Einschätzung bringt die langfristige Anstellung Vorteile, solange sich der Professor aufs Forschen und Lehren konzentriert. Wüthrich wies darauf hin, dass es in seiner Zeit an der ETH (seit 1969) auch Phasen gegeben habe, in denen Geduld notwendig gewesen sei; um die 15 Jahre hätten er und seine Mitarbeiter gebraucht, um in Zürich die Grundlagen für den späteren Erfolg zu erarbeiten. In anderer Hinsicht ist die ETH nach seiner Einschätzung jedoch nicht typisch für die europäische Universitätslandschaft, denn die ETH sei überdurchschnittlich offen für ausländische Wissenschafter, was der Qualität der Institution zugute komme. Gerade heute, da die USA mit verschärften Visumspflichten ihren Wissenschaftern den internationalen Austausch erschwerten, könne die ETH von einer erhöhten Attraktivität profitieren.

Und die Studenten? «Wenn deutsche Studenten an ausländische Universitäten gehen, sind sie oft bei den Besten; ausländische Studenten, die zu uns kommen, sind eher mittelmässig. Es kann also nicht an den Studenten liegen, wenn unsere Universitäten nicht an der Spitze mithalten können.» Diese Beurteilung aus deutscher Sicht mochte in gewisser Hinsicht zwar beruhigend wirken, erinnerte aber zugleich deutlich an den Kontrast zwischen der nivellierten europäischen Hochschullandschaft und dem amerikanischen System der Eliteuniversitäten. Warum bringen die Amerikaner zustande, was in Europa so schwierig erreichbar scheint? Wüthrich betonte, dass die besten Universitäten der USA eben auch nur die besten Studenten aufnähmen. Vor allem deutsche Hochschulvertreter wiesen darauf hin, dass sie ob all der Bürokratie und den Gleichheitsvorgaben im Universitätssektor wenig Spielraum für solche Regeln sehen, aber es dominierte im Publikum die Meinung, dass es in Europa Eliteuniversitäten geben müsse, die ihre Studenten frei auswählen könnten.

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(3) Konsumenten, Produktivität und Zuwanderer

mit Reiner Münz Europas Wachstumsschwäche ist eine relativ junge Erscheinung. Ein wichtiger Unterschied zwischen Europa und den USA besteht darin – so die These von William Lewis –, dass die US-Konsumenten mehr zu sagen haben. Zudem wird man in Europa angesichts der Alterung der Gesellschaft länger arbeiten und Zuwanderer integrieren müssen.

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