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Anreize sind immer falsch

Was läuft schief mit den Bonussystemen?

Die Entlohnung der Manager ist ein Stein des Anstosses. Dabei steht weniger die Höhe der Gelder im Vordergrund. Vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Struktur der Belohnungssysteme, vor allem auf die Verhaltensanreize. Diese seien in der Vergangenheit «falsch» gewesen, gar «pervers» und dienten lediglich der Selbstbereicherung. Hektisch strickt man an neuen Systemen, die vermeintlich «richtige» Anreize setzen.

Doch erinnern wir uns: erscheint eine Handlung einem Menschen vernünftig, so wird er sie ausführen; erscheint sie ihm unvernünftig, so unterlässt er sie. Wenn nun Management und Politik dieser Vernunft misstrauen und das Verhalten dieses Menschen in eine bestimmte Richtung lenken wollen, dann greifen sie zu jener Strategie, die sich in sechs Worten zusammenfassen lässt: «Tu dies, dann bekommst du das.» Sie belohnen, bestrafen und bestechen, oder, sachlicher: die ursprünglich logisch-natürlichen Konsequenzen einer Handlung werden pädagogisch-willkürlich manipuliert.

Anreize, wie Boni und die in Steuergesetze eingelagerten Lenkungsnormen, verlangen also, dass wir unsere Fähigkeit aufgeben, vernünftig und sachorientiert zu entscheiden. Anreize gleichen damit einem Dopingsystem, und das so manipulierte Verhalten ist ein «fremdes», auf das «ich» nicht stolz sein kann. Es entfremdet mich von einem Leben, das nicht mein eigenes ist. Und für das ich mich «auszahlen» lasse – weil jemand mich nötigt, etwas zu tun, was ich offenbar eigentlich nicht will. Wir agieren immer weniger selbstbestimmt, erleben uns immer mehr fremdbestimmt. Deshalb fühle ich mich berechtigt, dieses System auszubeuten – wann und wo immer es geht. Immer höhere Reizniveaus, Belohnungssucht und ein schlechtes Kooperationsklima sind die Folgen. So stirbt der Eigenantrieb. Und mit ihm die Würde.

Es gibt keine «richtigen» Anreize. Jeder Anreiz unterläuft die natürliche Rationalität des Handelnden und erzeugt entsprechende Umgehungs- bzw. Ausbeutungsenergien. So wie der Staat vielerorts zur Beute von Sozialhilfeempfängern geworden ist, so wurden viele Unternehmen Beute von Managern. Nicht von Unternehmern, wohlgemerkt.

Das kann man individualpsychologisch anschauen oder strukturell. Die nüchterne Perspektive wird die Frage nach den Strukturen von Haftung und Eigentum stellen und sich nicht kulturnostalgisch über moralische Kategorien auslassen. Zu fragen ist also: Warum gewähren sich gerade jene Manager die üppigsten Gehälter, denen keine Eigentümerfamilie als Grossaktionäre auf die Finger schaut? Weshalb sind zum Beispiel bei Daimler-Benz die Gesamteinkommen durchschnittlich deutlich höher als bei BMW? So simpel es ist: es ist einfach nicht ihr eigenes Geld, das da auf dem Tisch liegt und verteilt wird. Es ist anonymes Geld. Auf diese Weise haben Manager die Möglichkeit, ohne grosses persönliches Risiko Einkommen zu erzielen, die früher nur Unternehmern vorbehalten waren. Das habe ich vor nun fast schon 20 Jahren in «Mythos Motivation» beschrieben – mit grosser publizistischer Resonanz, aber nur kleiner betriebswirtschaftlicher: die Bezahlungssysteme wurden immer komplexer, zudringlicher, konditionierender.

Nun wirken ja Krisen, wie der schottische Nationalökonom John Law einst bemerkte, «katalytisch für unorthodoxe Ideen, die in fetten Jahren schlecht ankommen». Nutzen wir also die unverhoffte Chance. Ein Gehaltssystem, das die grössten Kollateralschäden vermeidet, könnte umrisshaft so aussehen: ein Fixgehalt, in das der Arbeitsplatzwert, der Arbeitsmarktwert und die Seniorität einfliessen. Ich sehe grosse Vorteile dabei, auch die individuelle Leistung als viertes Element der Einkommensgerechtigkeit dem Fixgehalt zuzuschlagen. Die entsprechende Vergütung sollte an einen breitgefächerten Leistungsbegriff gebunden sein. Sie setzt also auf Bewertung, nicht (nur) Messung, und gehört daher in das Interpretationsmonopol der Führungskraft. Hinzu kann ein variabler Einkommensbestandteil (Bonus) kommen, der das Unternehmen als Leistungs- und Solidargemeinschaft abbildet: «Wenn wir gut gearbeitet haben, dann haben wir alle gut gearbeitet.» Dieser Bestandteil kann auch als Krisenreaktionsventil funktionieren. Das wäre dann eine Partnerschaft im Plus und Minus, ohne dass das Unternehmerrisiko unangemessen auf die Mitarbeiter verlagert würde.

Wer hingegen an individualisierten Anreizsystemen festhält, hat nicht verstanden, worum es im Unternehmen eigentlich geht: Zusammenarbeit zu niedrigen Transaktionskosten. Und die ist nicht zu haben ohne Vertrauen und Respekt vor dem Anderssein des anderen. Man mag Theorie ohne Praxis für leer halten. Aber Praxis ohne Theorie ist blind.

Reinhard K. Sprenger, geboren 1953, ist promovierter Philosoph, Unternehmensberater und Autor von «Vertrauen führt» und «Mythos Motivation» (beide Campus-Verlag).

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