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Amerika lebt noch

Amerika lebt noch

Simon Geissbühler: Amerika. Die politische Idee.

 

Europäer haben oft ein schizophrenes Verhältnis zu den USA. Zwar amüsieren wir uns gerne über die amerikanische Konsumsucht oder empören uns über die neueste Absurdität aus Washington. Zugleich übt die amerikanische Idee eine grosse Anziehungskraft auch diesseits des Atlantiks aus. Was aber ist die Essenz der amerikanischen Idee und welche Bedeutung hat sie heute? Simon Geissbühler geht in seinem Buch «Amerika. Die politische Idee» (die Selbstverständlichkeit, mit der die USA mit Amerika gleichgesetzt werden, hat vielleicht auch mit dieser Idee zu tun) diesen Fragen nach. Es ist kein wissenschaftliches Buch, sondern verbindet historische Erzählung mit persönlichen Eindrücken von Reisen und Gesprächen. Der Diplomat, der in den USA studiert und gearbeitet hat, sieht Freiheit, Individualismus, Gleichheit (der Ausgangsbedingungen, nicht der Ergebnisse) und Demokratie als Kern der amerikanischen Idee. Ihre Entstehung ist laut Geissbühler nur aus dem historischen Kontext zu erklären: aus Protestantismus und Aufklärung als geistigen Quellen, aber auch aus der Entwicklung ­einer Nation in einem kaum kontrollierten Gebiet und einer Gesellschaft ohne feudale Tradition. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Kritik an den USA viel über die jeweiligen gesellschaftlichen Hintergründe aussagt. Während der Antiamerikanismus heute vor allem im linken Spektrum en vogue ist, waren es im 19. Jahrhundert vor allem Konservative, denen die radikale Auffassung von individueller Freiheit und Chancengleichheit suspekt war.

Idee und Realität klafften und klaffen in den USA immer wieder auseinander, sei es unter der Sklaverei oder in den herunter­gekommenen Industriegebieten, wo die Opioid-Krise für Stagnation und Hoffnungslosigkeit steht. Doch für Geissbühler haben die USA auch immer wieder den ­Optimismus und die Kraft zur Erneuerung bewiesen. Obwohl die amerikanische Idee in den letzten Jahren an Dynamik verloren hat, namentlich aufgrund gesellschaftlicher Spaltung und abnehmender sozialer Mobilität, mag er deshalb nicht in den Chor jener einstimmen, die den Niedergang der USA predigen. «Die Vitalität und Resilienz und der Optimismus Amerikas bleiben – trotz der realen Probleme und Herausforderungen – bewundernswert und ansteckend.»


Simon Geissbühler: Amerika. Die politische Idee. Bern: Stämpfli, 2021.

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