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Am Ende kam die Wende

Am Ende kam die Wende

Jens Balzer: High Energy. Die Achtziger – das pulsierende ­Jahrzehnt.

 

Als die Protagonistinnen und Protagonisten der Punk-Bewegung am Ende der 1970er Jahre bar jeglichen Interesses an der eigenen Zukunft schockierten, wo es nur ging, ahnte niemand, dass mit der zugehörigen Devise «No Future» eine gesellschaftspolitische Tendenz vorweggenommen worden war, die sich erst im folgenden Jahrzehnt vollumfänglich bemerkbar machen sollte. Die 1980er Jahre waren eine Dekade, in der die Sorge vor einer drohenden Apokalypse eine Endzeitstimmung beförderte, die in der Nachkriegszeit unbekannt gewesen war. Befeuert wurde dies unter anderem durch den hochmilitarisierten Charakter der Blockkonfrontation, durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und durch Aids. Gleichwohl war diese Kultur der Angst eine regelrechte Angstlust und als solche lediglich eine der vielen Ausprägungen einer omnipräsenten Sinnesexplosion. Abzulesen ist dies an opulenter Bekleidung und irren Frisuren, grellen Lebensmittelfarben und noch grellerem Kunststoff, Musikfernsehen, Heimcomputern oder an Aerobic.

Mit «Das entfesselte Jahrzehnt» (2019) hat Jens Balzer, Autor und u.a. Kolumnist für «Die ZEIT» und «Rolling Stone», bereits eine eindrückliche Bestandsaufnahme der 1970er Jahre vorgelegt. Mit «High Energy» schliesst er nun nahtlos an diese an. Seine Ausführungen zu den 1980er Jahren, wie gewohnt mit erhellenden Einsichten aufwartend und gewandt formuliert, sind eine Sonde in eine Ära, in welcher der Energiepegel wortwörtlich «high» war (nicht zuletzt dank Kokain). Eifrig wurde geschwitzt: in den Fitnessstudios etwa, die überall eröffneten und durchaus Sinnbild eines sich wandelnden Kapitalismus waren, welcher Individuen mittlerweile Arbeit an sich selbst ­abverlangte. Oder auch auf den Tanzflächen, jenen körperlichen Vergnügungszonen also, in denen man sich um den vermeintlich nahenden Untergang nicht weiter scherte, wie ­Balzer Prince zitierend hervorhebt: «We’re running out of time/So tonight I’m gonna party like it’s 1999.» Dass dort Cocktails kon­sumiert wurden, bei denen man sich nur wundern kann, dass sie angesichts ihrer ­kecken Namen noch nicht aus der unendlich betroffenen Gegenwart verbannt worden sind, indiziert, dass manche gesellschaftlichen Areale einst deutlich weiter und offener waren, als sie es heute sind.

Nun liegt ein besonders denkwürdiger ­Aspekt der 1980er Jahre darin, dass all diese Innovationen und Provokationen just dann Einzug hielten, als die Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Westdeutschland von konservativen Parteien regiert wurden – wobei «konservativ» hier tatsächlich wertkonservativ bis sittenstreng meint, was insbesondere im Zuge der Aids-Krise die mitunter reaktionärsten Momente in Politik und Gesellschaft beförderte und die Grenzen der Liberalisierung aufzeigte, wie Balzer darlegt. Von ihm ist auch zu erfahren, warum Helmut Kohl und Michel Foucault mehr miteinander zu tun haben, als ihnen lieb gewesen wäre, und dass ein profunder Effekt des Siegeszuges der Computer die Ausbildung einer Dienstleistungsgesellschaft war, die paradigmatisch von der Werbung symbolisiert und von der Yuppie-Kultur zelebriert wurde.

Ironie der Geschichte: Statt prognostizierter Apokalypse kulminierten die 1980er Jahre im Fall der Berliner Mauer – am Ende kam die Wende. Was davor lag, hat Balzer dankenswerterweise so an­regend aufgerollt, dass man prompt geneigt ist, Grace Jones aufzulegen und weiter in diesem Buch zu lesen.


Jens Balzer: High Energy. Die Achtziger – das pulsierende ­Jahrzehnt. Berlin: Rowohlt, 2021.

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