Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Altern ist heilbar

Eifrig forscht die Wissenschaft an Methoden zur Umkehrung des Alterungsprozesses – und erzielt erste bahnbrechende Fortschritte. Bis zur Massenvermarktung bleibt dennoch einiges zu tun.

Altern ist heilbar
Michael Greve und Isabelle Schiffer

 

Ganz gleich, wie gut wir uns auch an eine ideale Ernährung und Lebensweise halten: Es gibt Grenzen für das, was sich mit «gesund leben» erreichen lässt. Der menschliche Körper hat einen Hang zur Selbstzerstörung: Unser Stoffwechsel selbst schädigt unsere Zellen, von innen und aussen. Die Nebenprodukte und Schäden häufen sich im Laufe der Zeit an, gleichzeitig lassen unsere körpereigenen Reparaturmechanismen nach, bis zu dem Punkt, an dem alles zusammenbricht, unser Körper «altert» und krank wird.

Doch die Menschheit, die bis anhin unserem Alterungs­prozess völlig hilflos gegenüberstand, hat die ersten Schritte hin zu einer Ära genommen, in der das Altern unter medizinischer Kontrolle steht und altersbedingte Krankheiten der dunklen Vergangenheit angehören.

Die Zombiezellen im eigenen Körper

«Human Enhancement» besteht darin, dass wir uns den Defekten der menschlichen Biologie mit unseren wissenschaftlichen ­Methoden entgegenstemmen. Weltweite Spitzenforschung, zum Beispiel an der Harvard University oder auch dem Max-Planck-­Institut für Biologie des Alterns in Köln, hat längst mit der Arbeit an den wissenschaftlichen Grundlagen des Alterungsprozesses ­begonnen. In Zukunft wird eine Vielzahl von neuen Therapien uns ermöglichen, die durch Alterung verursachten Schäden nach und nach zu korrigieren. Sie werden uns in die Lage versetzen, den ­Alterungsprozess zu verlangsamen, aufzuhalten oder sogar vollständig umzukehren.

Ein Beispiel für eine echt «verjüngende» Therapie wäre das Entfernen von schädlichen, sogenannten seneszenten Zellen, die sich bei jedem Menschen im Zeitablauf ansammeln. Wenn eine Zelle das Ende ihrer Lebensspanne erreicht oder irreparabel geschädigt wird, tötet sie sich normalerweise entweder selbst oder signalisiert dem Immunsystem, dass es sie entfernen soll. Leider nehmen wichtige Alarmierungs- und Reparaturmechanismen mit dem Alter ab; immer mehr seneszente Zellen werden «übersehen» und nicht aufgeräumt. Die schädliche Zelle verharrt dann auf ­unbegrenzte Zeit im Gewebe und beginnt, ihre Umgebung mit Botenstoffen zu vergiften. Auf diese Art und Weise können seneszente Zellen zum Beispiel zur Entstehung von Arthrose beitragen.

«Altern ist nicht als Krankheit eingestuft, weswegen Zulassungen

für ­Medikamente ­gegen das Altern nur ­zurückhaltend erteilt ­werden.»

Forscher der Mayo Clinic in Rochester haben gezeigt, dass das Entfernen von seneszenten Zellen die Lebensspanne von Mäusen um bis zu 36% verlängern kann.1 Mehr noch: Die Mäuse leben nicht nur länger, sie haben auch weniger altersbedingte Erscheinungen und auch im hohen Alter noch seidig glänzendes Fell (im Vergleich zu dem ergrauten, stumpfen Fell der Artgenossen in demselben hohen Mäusealter). Eine entscheidende Rolle spielen bei dieser Therapie bestimmte einnehmbare Substanzen, die ­sogenannten Senolytika. Ein Senolytikum ist in der Lage, ganz gezielt seneszente Zellen zu vernichten, ohne dabei gesunde Zellen anzutasten. Hier ist die Forschung bereits relativ weit fort­geschritten: Die ersten Senolytika werden aktuell in klinischen Studien getestet, zum Beispiel im Einsatz gegen Arthrose. Das Entfernen dieser Zombiezellen ist vermutlich kein Allheil­mittel gegen das Altern, könnte wohl aber bestimmte alters­bedingte Krankheitserscheinungen beheben.

Besser als jede Kosmetikbehandlung

Ein anderer vielversprechender Therapieansatz basiert auf Forschungsergebnissen der Yale-Universität über Alterungsschäden durch die Vernetzung von Kollagen. Kollagen ist eines der am meisten vorkommenden Proteine im menschlichen Körper und ein wesentlicher, strukturgebender Bestandteil des Bindegewebes und der Haut. Im Alter nehmen bestimmte Vernetzungen des Kollagens zu. Diese Vernetzungen verursachen nicht nur Falten im Gesicht, sondern können auch zu einem Anstieg des Blutdrucks und möglicherweise zu einem Schlaganfall führen.

Die junge Biotech-Firma Revel Pharmaceuticals entwickelt Therapeutika, die in der Lage sind, besagte Vernetzungen zu spalten und so die Elastizität von Blutgefässen, Haut und anderen ­Geweben nicht nur zu erhalten, sondern sogar wiederherzu­stellen und die schädlichen Auswirkungen ihrer altersbedingten Versteifung zu verhindern. Das Aufbrechen von Kollagen-Vernetzungen in der Haut kann letztlich zu einer wirklichen Verjüngung der Haut führen, weit mehr als es jede kosmetische Massnahme imstande wäre. Es wird allerdings noch einige Jahre dauern, bis die Revel-Pharmaceuticals-Therapeutika auf dem Markt verfügbar sein werden.

Wer das nicht tatenlos abwarten will, kann heute schon einiges tun, um seine gesunde Lebensspanne dank einer Fülle an medizinischer Erkenntnis wesentlich zu verlängern. Das fängt mit den vermeintlich einfachen Dingen an, wie Schlafhygiene, gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung, und führt hin zu komplexeren Themen wie der Supplementierung von Stoffen wie Nicotinamidadenindinukleotid (kurz: NAD), einem wichtigen Faktor verschiedenster zellulärer Funktionen, unter anderem des Energiestoffwechsels. Die Forschung an Tiermodellen hat gezeigt, dass NAD-Level im Alter abnehmen. Die zusätzliche Einnahme von NAD+ kann die Konzentration im Körper wieder zurück auf jugendliches Niveau bringen und somit altersbedingten Erscheinungen vorbeugen.

Aufklärungsarbeit gefragt

Auch wenn es aus wissenschaftlicher Perspektive noch offene Fragen zum Alterungsprozess gibt, sucht die Forschung eifrig nach Antworten und konnte erste Erfolge verbuchen. Was also steht der Massenadaption konkret noch im Weg?

Altern ist nicht als Krankheit eingestuft, weswegen Zulassungen für Medikamente gegen das Altern nur zurückhaltend erteilt werden. Durch die Vermarktung eines Medikaments als Behandlung von altersbedingten Krankheiten, wie in unserem Beispiel Senolytika gegen Arthrose, hat die Forschung einen Weg gefunden, dieses Hindernis in einem gewissen Mass zu umgehen. Eine weitere Erschwerung ergibt sich bei der Beurteilung von Nebenwirkungen: Wenn wir krank sind und gesund werden wollen, nehmen wir Nebenwirkungen von Medikamenten leichter in Kauf; eine leichte Nebenwirkung ist ja schliesslich immer noch besser, als krank zu sein! Doch wenn wir eigentlich gesund sind und mit den eingenommenen Medikamenten eine optimierende Wirkung erzielen wollen, dann sollten die Substanzen verständlicherweise auf keinen Fall Schaden anrichten.

Einige Medikamente haben in Tierversuchen positive Effekte gegen das Altern bewiesen und sind nun Gegenstand von klinischen Studien. Substanzen wie NAD+ sind als Nahrungsergänzungsmittel bereits heute frei verkäuflich. Und dennoch gibt es die mentale Blockade, die viele Menschen davon abhält, den Kampf gegen das Altern aufzunehmen. Das Wort «Rejuvenation» erweckt bei den meisten Menschen noch immer ein Gefühl von Science Fiction. Das liegt vor allem daran, dass die Informationen über den Nutzen, die Risiken und die praktische Anwendung von Alterungstherapien meist lückenhaft sind und intransparente oder gar unwissenschaftliche Quellen verwendet werden. Alterungsforscher sollen die Öffentlichkeit über neue Therapien aufklären und Transparenz über den aktuellen Stand schaffen. Es gibt noch einiges zu tun, aber wir sind uns sicher: Wir stehen vor einer der grössten Veränderungen in der Geschichte der Menschheit. Bald werden wir das Alter zurückdrehen können.

  1. sueddeutsche.de/gesundheit/medizin-medikamente-lassen-maeuse-laenger-­leben-1.4058077

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!