«Als sich Wokeness mit dem Kapitalismus vermengte, wurde sie wahrlich unaufhaltsam»
Vivek Ramaswamy am Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken im Juni 2022. Bild: Anthony Anex/Keystone.

«Als sich Wokeness mit dem Kapitalismus vermengte, wurde sie wahrlich unaufhaltsam»

Vivek Ramaswamy ist einer der bekanntesten Gegner des neuen Moralismus von Grossunternehmen. Der Publizist erläutert die ökonomischen Gründe des identitätspolitischen Siegeszugs in den USA.

 

Als Vivek Ramaswamy auf der Bühne des diesjährigen Swiss Economic Forum (SEF) berichtete, dass immer mehr Firmen identitätspolitische Massnahmen forcieren und so ihre Mitarbeiter, Kunden oder Konsumenten ideologisch einbinden, signalisierte die Moderatorin, dass sie mit seinen Ausführungen nicht einverstanden sei, und befragte das Publikum dazu. 67 Prozent der Anwesenden befanden, dass Grosskonzerne keineswegs «zu woke» geworden seien, worauf in der Ecke der Journalisten frenetischer Applaus aufbrandete. Wir sprachen gleich anschliessend mit dem Unternehmer.

 

Herr Ramaswamy, bitte freiheraus: Wer sind Ihres Erachtens gegenwärtig die schlimmsten ­woken Ideologen in den USA?

Larry Fink, Vorstandsvorsitzender von BlackRock, Vizepräsidentin Kamala Harris und die Kongressangehörigen des sogenannten «Squad» rund um die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, ausserdem noch die meisten Angehörigen des höheren Managements im Silicon Valley.

 

Eine interessante Wahl angesichts der Debatten der letzten Jahre, die vornehmlich um Universitäten und den Kulturbetrieb kreisten. Sie hingegen richten die Aufmerksamkeit auf Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft.

Richtig. Denn diese sind es, die den Schlüssel zu den Geldern in der Hand halten, die in die Agenda der nichtkommerziellen Akteure und der Hochschulen fliessen.

 

Ihr erstes Buch, «Woke, Inc.», beschreibt die zerstörerischen ­Effekte, die Ideologen, die sich ­sogenannter «sozialer Gerechtigkeit» verschreiben, auf den amerikanischen Alltag haben. Wie Sie darlegen, schüren diese eine Kultur der Angst. Wie konnte sich diese derart schnell ausbreiten?

Die Kultur des Apologismus, also des Sichentschuldigens für unveräusserliche Merkmale oder für die eigene soziale Position, setzte in den USA nach 2008 ein. Die Finanzkrise hat hier entschieden mitgespielt. Aus denjenigen, die es dank des amerikanischen Kapitalismus geschafft hatten und zu Helden geworden waren, wurden nun Schurken gemacht. Und um sich zu entschuldigen, mussten sie einem Trend Geld zuführen, der gerade der Linken entsprang. Die alte Linke hatte einen Flügel, der sagte: «Wir müssen uns auf Umverteilung konzentrieren, das Geld der Bonzen nehmen und den Armen geben.» Dann kam aber eine neue Fraktion mit woker Theorie daher, die behauptete, dass nicht ökonomische Ungleichheit oder Armut das Problem sei, sondern Ungleichheit zwischen den Hautfarben, Misogynie, Bigotterie und der Klimawandel. Grossunternehmen stiegen hierauf ein, weil sie dachten: «Das ist nicht so bedrohlich wie die alte Linke, wir sagen einfach, was die wollen.» Das bescherte der Woke-Kultur das Kerosin.

 

Gab es weitere, bislang weniger beachtete Faktoren, die zum Erfolg dieser Ideologie beitrugen?

Ja, und zwar Verschiebungen zwischen den Generationen. Wir befinden uns im grössten intergenerationellen Wohlstandstransfer in der Menschheitsgeschichte – erwirtschaftetes Geld, das von den Babyboomern über die Generation X zu den Millennials und der Generation Z gelangt. Ludwig von Mises schrieb einmal, dass ein Sohn zwei Möglichkeiten habe, um seinen Vater zu übertrumpfen. Eine besteht darin, alles so zu machen, wie es der Vater getan hat – was für Söhne, die aussergewöhnlich sein wollen, per Definition schwierig ist. Die andere ist, als Sohn moralische Überlegenheit auszustrahlen, was weitaus einfacher ist, denn Moral ist subjektiv. Und was in den letzten Jahren geschah, ist, dass diese moralische Überlegenheit bei den Millennials und der Gen Z einem Gefühl innerer Minderwertigkeit entsprang. Firmen vermochten es, die moralischen Unsicherheiten einer ganzen Generation des gegenwärtigen Amerikas auszubeuten – ähnlich, wie der Zigarettenhersteller von Virginia Slims einst Schindluder mit der Unsicherheit von Teenagern treiben konnte, auf die dieses Produkt zugeschnitten war.

 

Sie nennen das den «woke-industriellen Komplex». Wie schaffte es die identitätspolitische Bewegung in den USA, für migrantische und nichtweisse Menschen zu stehen?

Zunächst einmal ist hier daran zu erinnern, dass die Idee, aus der Hautfarbe eines Menschen dessen Überzeugungen ableiten zu können, die Definition von Rassismus schlechthin ist. Die Kongressabgeordnete Ayanna Presley – eine Angehörige des «Squad» – sagte einmal: «Wir wollen keine Schwarzen mehr, die sagen, sie…