Alois Riklin: Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006
Seit sich Alois Riklin vor nunmehr zwanzig Jahren vertieft mit Platons politischer Philosophie auseinandergesetzt hat und darin – entgegen Poppers berühmter Einschätzung – ein Konzept zur Entpersonalisierung der Macht und zu einer Herrschaft der Gesetze entworfen fand, verfolgte er die Machtteilungsidee in ihrer weiteren Entwicklung, durch Epochen und Denkschulen bis zur Gegenwart. Jetzt legt er ein eindrückliches Werk vor, in dem die Resultate seiner jahrelangen Forschungstätigkeit auf diesem weiten verfassungshistorischen Feld zu einer Gesamtschau verarbeitet sind.
Der Autor begreift die heute weitgehend in Vergessenheit geratene Mischverfassung ebenso wie die nach wie vor in jedem staatsbetrachtenden Diskurs präsente Gewaltenteilung als eine von zwei Hauptformen der innerstaatlichen politischen Machtteilung. Dieser hohen historischen Bedeutung wird die sorgfältige und breit angelegte geschichtliche und philosophische Herleitung gerecht. Im Zentrum der weitgehend auf die Quellen ausgerichteten Untersuchung steht die Mischverfassung, die vom vierten Jahrhundert vor Christus bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts die westliche Verfassungstheorie weitgehend dominierte. Sie gründet auf der antiken Lehre der drei guten Staatsformen Monarchie, Aristokratie und Demokratie, wobei Elemente dieser idealtypischen Formen kombiniert und zu einer Ordnung zusammengefügt werden, die in höherem Masse als die Reinformen Ausgewogenheit und Stabilität garantiert. Zeit- und ortsabhängig veränderten sich Gewichtung und Ausgestaltung der unterschiedlichen Elemente einer Mischverfassung und verliehen dieser ein immer wieder anderes Gepräge, ohne dabei von der Grundidee des Ausgleichs abzuweichen.
Kapitel um Kapitel rekonstruiert der Autor die einstmalige Prominenz und Strahlkraft der Mischverfassung. Er führt den Leser auf verschiedene Weise an das facettenreiche Thema heran; nebst den klassischen Meisterdenkern der Antike, wie Aristoteles, Platon oder Cicero, und den bekannten Autoritäten der Aufklärung, wie Burlamaqui, Montesquieu und Sieyès, porträtiert und diskutiert er auch andere, in ihrer Bedeutung oder Klarsicht verkannte Staatsphilosophen. Die Gesellschafts- und Staatsideen der bedeutendsten Verfechter einer Mischverfassung werden jeweils vor dem Hintergrund ihrer Epoche und der geistesgeschichtlichen Voraussetzungen dargestellt sowie mit den politischen Ordnungen in Zusammenhang gebracht, die der Gegenstand ihres Schaffens waren. Einer kurzen aber illustrativen Skizze der historischen Begebenheiten und einer Schilderung der Vita des Staatsphilosophen folgt jeweils eine Auslegeordnung seines Werkes mit besonderem Fokus auf die Mischverfassung.
Die chronologische Darstellung wird ergänzt durch Querverweise auf die Entwicklungslinien politischer Theorien und die gegenseitige Inspiration der Denker. Dabei zeigt Riklin immer wieder unvermutete ideengeschichtliche Zusammenhänge auf. Der Renaissancephilosoph Giannoti sei hier als Beispiel genannt, dessen Übertragung des Tugendbegriffes vom Menschen auf die Institution eine Denkrichtung begründete, die über Harrington, Spinoza, Hume und Kant bis zu Popper und Rawls führt; oder Burlamaqui, zu dessen Gedankenfundament die Lehren Calvins, Grotius’, Lockes, Pufendorfs und Barbeyracs zählten, der seinerseits Vattel, Rousseau und Blackstone beeinflusste und durch Adams und Jefferson sowie, mit seiner Aufwertung des individuellen Strebens nach Glück zum überstaatlichen Menschenrecht, im politischen Denken Nordamerikas nachwirkt.
Nachdem die zentrale Bedeutung der Mischverfassungsidee in der abendländischen Geschichte herausgeschält worden ist, geht der Autor der Frage nach, weshalb sie ab dem ausgehenden achtzehnten Jahrhundert allmählich verblasste und durch die zweite Hauptform politischer Machtteilung, die Gewaltentrennung, abgelöst wurde. In diesem Zusammenhang erfolgt eine Würdigung der Argumente von Gegnern der Mischverfassung wie Bodin, Filmer, Hobbes, Pufendorf, Rousseau, Paine und Madison. Stärker als deren Einwände wird jedoch der Paradigmenwechsel gewichtet, der im 17. und 18. Jahrhundert die Idee der rechtsstaatlichen Demokratie in den Vordergrund stellte. Diese verbindet Machtteilung, Machtbeteiligung, die Machtbändigung durch allgemeingültige Menschenrechte, Machtbeschränkung, und – in unterschiedlichem Ausmass – Machtausgleich. Der Gedanke der Mischverfassung geht so im Ideal des demokratischen Rechtsstaates auf.
Der Autor sieht terminologische Gründe als wesentlichste Ursache dafür, dass die Mischverfassung ihren Platz im Staatsdenken verlor. Die zu eng gefasste Definition der Mischverfassung und die ebenfalls zu eng gefasste, auf die strikte Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative reduzierte Definition der Gewaltenteilung verunmöglicht es, Mischverfassung und Gewaltenteilung als zwei Aspekte desselben Phänomens zu begreifen: die Verhinderung der Machtkonzentration und Freiheitssicherung mittels Verteilung der Staatsmacht auf mehrere Träger und Herrschaftsbeteiligung verschiedener sozialer Kräfte. Alois Riklin sieht darin Anwendungsfälle derselben Grundidee. Diese Sichtweise verfolgend, möchte er den Begriff der Mischverfassung weiter gefasst wissen und die Rolle politischer Akteure, wie Parteien, Verbände und Verwaltungsapparate, als sich zusätzlich etablierende Machtträger bei der Deutung politischer Systeme berücksichtigen.
Der Leser mag sich fragen, ob mit einer derart offenen Definition der Mischverfassung der Untersuchungsgegenstand nicht in das Allgemeine und Pauschale zu entschwinden drohe: versteht man eine Gesellschaft – etwa in Anlehnung an Norbert Elias – als Interdependenzgeflecht, in dem Individuen wie auch Gruppen stets im Kontext anderer Individuen und Gruppen, mithin stets in gegenseitiger Abhängigkeit zu sehen sind, wäre letztlich jede gesellschaftliche Ordnung als Mischverfassung zu deuten; der Begriff der Mischverfassung verlöre seine Unterscheidungskraft. Und zudem verlöre er seinen historisch positiv besetzten Kerngehalt. Mischverfassung würde nicht mehr länger das sorgfältig austarierte, freiheitsschonende Staatsgefüge umschreiben, sondern auch unkontrolliert wuchernde und freiheitsgefährdende Ausformungen monokratischen oder oligarchischen Charakters mit einschliessen: die Verbandelung von Politik mit internationalen Grosskonzernen, die beschränkten Mitwirkungsmöglichkeiten der nationalen Parlamente in der Aussenpolitik, das Entstehen einer politischen Klasse, die Personalisierung der Macht im Zusammenhang mit Medienpräsenz und -instrumentalisierung, den Machtzuwachs der Verwaltung, den steigenden Einfluss von Nichtregierungsorganisationen, Dekadenzerscheinungen in der politischen Kultur, die elektronische Überwachung der Bürger durch ihre Regierung… Wichtig und richtig ist, dass Alois Riklin solche Deformationen anspricht; eher verwirrend ist, dass dies unter dem Überbegriff der Mischverfassung geschieht.
Losgelöst von der Begriffsfrage, unabhängig davon, ob als «Mischverfassung» bezeichnet oder nicht: Machtverlagerungen in den westlichen Staatssystemen verlangen nach neuen Ansätzen im Umgang mit der Macht und der Machtteilung. Eine erste Voraussetzung hierfür ist indes eine schonungslose Analyse der westlichen Staatsordnungen, die sich gerne unkritisch als Demokratien bezeichnen – eine solche legt Alois Riklin dem Leser in seinem gedanken- und diskussionsanregenden Schlusskapitel vor und setzt damit der aufschlussreichen Monographie einen angemessenen Schlusspunkt.
besprochen von MATTHIAS MÜLLER, Jurist in Zürich.