Al-Qaida™
Um ihre Macht zu vergrössern, nutzen Terroristen die Marketingmethoden erfolgreicher Unternehmen.
Das wahre Ziel von Terroristen – oder, je nach Perspektive, Freiheitskämpfern – sind nicht die Menschen, denen sie das Leben nehmen. Es sind die, die dabei zusehen. Terrororganisationen kämpfen um die Köpfe und Herzen des Publikums.
Sie tun das zunehmend mit den Mitteln globalisierter Unternehmen. Mit offiziellen Logos, Markennamen, Netzkampagnen, online gestreuten Videos. Und es gibt nur einen Weg, dem zu begegnen: Entzauberung. Das Licht anzustellen. Genau zu beschreiben, was wahr ist und was behauptet, wie Verführung geschaffen und Menschen missbraucht werden.
Artur Beifuss tut genau das. Gemeinsam mit dem Grafiker Francesco Trivini Bellini hat er die Logos von Organisationen gesammelt und analysiert, die auf den Terrorlisten der USA, der EU, von Indien, Russland und Australien stehen. Die Autoren beschreiben nüchtern, mit welchen Farben und Symbolen die Gruppen arbeiten – und nehmen ihnen so einen Teil ihres Mythos.
Ihr Buch ist so spannend, weil es etwas klarmacht: Organisierter Terror ist auch ein Geschäft. Was verkaufen Terroristen?
Jede terroristische Gruppierung legitimiert sich durch Revolution, Widerstand und Rebellion. Das ist allen Organisationen gemein. Revolution, Widerstand und Rebellion sind das Produkt. Mit diesem Produkt werden verschiedene Ideologien verknüpft, und die würde ich dann als «brands» oder Marken bezeichnen.
Es gibt sozusagen ein ganzes Sortiment, aus dem ein an Widerstand Interessierter auswählen kann?
Ja, das Feld ist hart umkämpft. Es gibt weltweit zahlreiche Gruppen, teilweise mit sehr ähnlichen Zielen. Und jede von ihnen versucht, herauszustechen.
Wie versuchen sie das?
Sehr ähnlich, wie reguläre Marken auch: mit den Mitteln der Kommunikation, also mit Marketing, Branding oder Werbung. Terrorismus kann und sollte auch als eine Kommunikationsstrategie verstanden werden. Natürlich ist es eine militärische und politische Strategie. Aber eben auch eine Kommunikationsstrategie. Das macht Terrorabwehr manchmal so schwierig. Terroristische Gruppen zielen auf die Emotionen der Menschen.
Genau darum sind visuelle Merkmale wie Namen, Kleidung oder eben Logos so wichtig, wie Sie in Ihrem Buch schreiben.
Sie sind essenziell für den Erfolg einer Organisation. Terrorismus zielt darauf, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, die dann wiederum Druck auf Entscheidungsträger ausübt, sich im Sinne der Terroristen zu verhalten. Visuelle Kommunikation ist essenziell, um die Identität und Botschaft der Organisation überhaupt bekannt zu machen.
Es gibt ein paar Dinge, die an den von Ihnen gesammelten Logos auffallen. Zunächst: es gibt offenbar kulturelle Vorlieben. Die Logos von europäischen und amerikanischen Organisationen sind eher schlicht, die aus dem Nahen Osten oder Zentralasien eher romantisch und verschnörkelt. Warum ist das so?
Man darf nicht vergessen, dass ich die Logos von nur einem Bruchteil aller weltweit tätigen Organisationen analysiert habe. Daher bin ich immer vorsichtig mit Verallgemeinerungen. Darüber hinaus sind das relative Begriffe. Was in einem Kulturkreis als «verschnörkelt» und «romantisch» gilt, kann in anderen Kulturkreisen eine vollkommen andere Wirkung haben.
Es gibt ein paar Ausnahmen. Die spannendste ist der IS. Er hat die Flagge der Al-Qaida übernommen – sie aber auf dem Weg deutlich schlichter gemacht. Ein Grafiker würde sagen entschlackt.
Was meinen Sie mit «übernommen»? Der IS hat sich seit 2003 mehrmals neu erfunden und auch die Flagge verändert. 2004 hat sich die Gruppe, damals noch unter dem Namen «Jamal al Tawhid wal Jihad», mit Al-Qaida zusammengeschlossen und in «Al-Qaida Irak» umbenannt. Sie nutzte im Laufe der Zeit viele unterschiedliche Flaggen. Allen gemeinsam war die Shahada, das Glaubensbekenntnis, und ein kreisförmiges Objekt, damals noch als Symbol für den Mond. 2007 legitimierte ein islamischer Gelehrter das Design religiös. Seither gilt das Runde in der Mitte als Repräsentation eines Siegels, das der Prophet Mohammed benutzt hat. In einem Museum in Istanbul kann man dieses Siegel als Ring sehen. Die Al-Qaida-Flagge zeigt nur die Shahada.
In seiner Schlichtheit ähnelt das IS-Logo dem Logo eines Weltkonzerns. Generell wird beim IS viel darüber gesprochen, dass er die Kommunikationstools der globalisierten Wirtschaft nutze – etwa Videogames oder Filme. Teilen Sie diese Ansicht?
Viele Beobachter sind überrascht, dass eine Organisation, die als vormodern und mittelalterlich bezeichnet wird, moderne Techniken der Kommunikation besser nutzt als sie selber. Es ist ungewöhnlich. In der Geschichte nutzten Gruppen aus dem Untergrund eher billigere und technisch weniger komplexe Kommunikationsmethoden wie etwa Flugblätter.
Ist der IS eine Terrororganisation der Moderne?
Er profitiert von ihren Möglichkeiten. Genau wie Martin Luther seine Ideen schneller und besser verbreiten konnte, weil der Buchdruck gerade erfunden worden war. Und weil er sich ausserdem entschied, seine Texte auf Deutsch statt auf Latein zu verbreiten. Damit will ich nicht sagen, dass Luther ein Terrorist war – obwohl man ihn heute wohl so bezeichnen würde. Aber Kommunikationstechniken spielten bei Revolutionen schon immer eine sehr wichtige Rolle. Bei Luther war es der Buchdruck, bei den Anarchisten in Russland waren es die Zeitungen, bei den radikalen Linken in den 1970ern war es das Fernsehen. Die Islamisten um Al-Qaida nutzten früh Internetforen, und Al-Shabaab in Somalia waren Vorreiter bei Twitter, wo sie teilweise gar Geiselnahmen live begleiteten. Der IS nutzt alle, wirklich alle vorhandenen Werkzeuge, teilweise sogar selber entwickelte, wie etwa geschützte Apps zum Chatten.
Die meisten Logos arbeiten mit immer denselben Symbolen: den Farben Rot und Grün, Sternen, Waffen, Fäusten. Warum gerade diese Symbole?
Erneut: man darf nicht vergessen, dass wir bei weitem nicht alle weltweit existierenden Logos analysiert haben. Aber ja, diese Elemente und die Farben Rot, Grün und Schwarz sind Klassiker und werden wahrscheinlich auch noch lange benutzt werden. Zumindest so lange, wie die visuelle Identität der Gruppen von Amateuren gemacht wird, die sich von anderen Gruppen inspirieren lassen und Elemente anderer Logos kopieren.
Gibt es neue Trends?
Die kann man tatsächlich beobachten, zum Beispiel bei den sogenannten «color revolutions» der letzten Jahre. Die Revolution in der Ukraine in 2004 war orange, und in Kirgistan nutzte sie als Symbol eine Blume, die Tulpe. Diese Bewegungen wollen sich natürlich von ihrer sozialistischen Vergangenheit distanzieren. Waffen und Fäuste sind immer ein Zeichen des bewaffneten und gewalttätigen Widerstands. Auch manche Gruppen aus der Ukraine, meist nationalistisch geprägte, nutzen oft ein Schwert als Symbol. Damit wollen sie visuell eine historische Legitimation ihres Widerstandes kommunizieren.
Viele der Logos verbreiten die ewig faszinierende Doppelbotschaft: Krieg und Liebe. So wie bei Hisbollah: die Waffe und der Pflanzenzweig, der Wohlfahrt verspricht. Ist das eine verbreitete Botschaft?
Ja. Oder vielleicht eher Widerstand und Neubeginn. Es heisst nicht umsonst: «Des einen Terrorist ist des andern Freiheitskämpfer», um Ronald Reagan zu zitieren. Das kommt eben darauf an, wie die Ziele einer Gruppe bewertet werden.
Wie verändert sich das Logo einer Terrororganisation, wenn sie zum legitimen Staatsgebiet wird? Oder generell: Wie unterscheiden sich Staatsflaggen von Terrorflaggen?
Das kommt auf die Gruppe an. Die Taliban und die Al-Shabaab zum Beispiel nutzten die gleiche Flagge, einmal in Schwarz und einmal in Weiss. Schwarz als Kampfflagge in Anlehnung an den Propheten Mohammed und Weiss als die administrative Flagge. Auch das von Mohammeds Zeiten inspiriert. Generell muss man jedoch sagen, dass Terrorismus als politische Strategie nicht erfolgreich ist. Sehr selten entstehen Staaten. Und wenn, dann halten sich diese nicht lange an der Macht, das ist wissenschaftlich untersucht und belegt worden. Terrorismus ist eben gerade hauptsächlich erfolgreich als Kommunikationsstrategie.
Zu ein paar spezifischen Logos. Es gibt eines, das für mich eindeutig aus dem Rahmen fällt: das der iranischen NLA. Es ist sehr poetisch mit dem Huma, der einen Zweig zu küssen scheint. Was ist die Geschichte dahinter?
Laut den Quellen, die ich dazu gefunden habe, stammt der Huma aus der persischen Mythologie. Er ist der Vogel des Paradieses und des Glücks, und ihm werden sowohl weibliche als auch männliche Charakteristiken zugeschrieben. Die NLA legt in der Tat sehr viel Wert darauf, dass beide Geschlechter am Kampf beteiligt sind. Deren Ideologie ist eine Mischung aus Marxismus, Islamismus und Feminismus. Eine solche explizite Einbindung des weiblichen Geschlechts in einem Logo habe ich sonst nur noch einmal gesehen, bei der philippinischen New People’s Army. Sie ist ebenfalls marxistisch geprägt.
Dann das Logo der Tamil Tigers, LTTE. Das hat sich in allerlei, teilweise etwas gar bunte Varianten zersplittert. Spiegelt das einen Zerfall der Organisation?
Nein, eher das hohe Niveau der Streitkräfte und die militärische Organisation. LTTE waren die einzige Terrorgruppe, die ein Flugzeug und sogar eine Marine hatte. Sie haben auch als Erste Selbstmordattentate als Waffe genutzt. Erst danach haben islamistische Organisationen sich diese Technik angeeignet.
Beim Logo der japanischen Aum musste ich bei aller Tragik lachen. Die haben erst bei einem Giftgasanschlag Leute getötet, dann öffentlich bereut und tragen seither eine Friedenstraube als Logo. Das ist doch absurd.
Nach den Giftgasanschlägen von 1995 und den starken Reaktionen darauf musste sich die Organisation neu erfinden, zumindest visuell. Daher auch die Veränderung des Logos. Jede Organisation will irgendwie überleben und weiterexistieren. Das ist bei extremen Gruppen nicht anders.
Auch absurd: dieser billig aussehende Falke der TAK, der über die Umrisse Kurdistans fliegt. Das ist aber eine durchaus tödliche Organisation. Hat für sie Kommunikation einfach weniger Priorität als für andere?
Ja, das kann man so sagen. Die TAK ist eher unbekannt. Sie gilt jedoch als relativ klein, zwanzig, vielleicht dreissig Mitglieder. Sie konzentriert sich stark auf das Militärische, weniger auf das Visuelle. Der Schock kommt mit der eigentlichen Tat, ganz so wie es Al-Qaida in Paris im Februar 2015 bei «Charlie Hebdo» gemacht hat. Keine Flaggen, nichts. Einfach nur Attacken.
Zum Schluss noch eine sehr aktuelle und wichtige Frage. Steven Heller weist im Vorwort des Buches zu Recht darauf hin, dass auch das christliche Kruzifix ein mächtiges Logo sei. Viele islamistische Terrorgruppen verweisen in ihren Schriften auf «Kreuzritter» als ihre Gegner. Geht es bei den Anschlägen und dem westlichen «Krieg gegen den Terror» letztlich darum: Kruzifix gegen Al-Raya? Immer noch?
Terrorismus ist eine komplexe Angelegenheit. Die Beteiligten auf beiden Seiten haben unterschiedliche Gründe, beizutreten oder dagegen zu kämpfen. Jemand, der aus London ins syrische Raqqa reist, möchte oft endlich Anerkennung, Abenteuer und Kameradschaft erfahren. Er will vielleicht schiessen lernen, eine Frau heiraten und – nach seiner Interpretation – eins mit Gott leben. Ein Selbstmordattentäter in Palästina hingegen möchte vielleicht seinen getöteten Bruder rächen oder durch sein Martyrium der Mutter ein monatliches Einkommen garantieren. Ein ehemaliger Soldat bei einer privaten Sicherheitsorganisation im Irak wiederum möchte hauptsächlich Geld verdienen und in einer Welt leben und arbeiten, die er kennt und in der er funktioniert. Es ist nicht unbedingt gegeben, dass man nach Jahren in der Kriegszone wieder in einer «normalen» Gesellschaft funktionieren kann. Ob jemand damit das Kruzifix oder irgendwas vertritt, weiss ich nicht. Er oder sie kann durchaus Atheist oder Agnostiker sein.
Man muss allerdings feststellen, dass der Islamismus im Moment eine sehr grosse Anziehungskraft hat auf junge Menschen. Warum?
Islamismus scheint im Moment die einzige globale Bewegung zu sein für Menschen, die rebellieren oder die Welt verändern wollen. Früher waren das die Linken. Heute ist die Linke nicht mehr so attraktiv für die Unterklasse der Gesellschaft. Man verbindet nichts Glorreiches mehr damit. Gut möglich, dass das auch an der visuellen Unattraktivität liegt. Das ist bei den Rechten nicht anders. «Occupy Wallstreet», wenn man das als links bezeichnen möchte, war von oben organisiert und nur für Studenten und die Mittelklasse wirklich attraktiv. Als Zeitvertreib. Was aber macht die Unterklasse? Da bleibt nicht viel übrig, was als Utopie herhalten kann.
Wenn in einem europäischen Staat ein islamistischer Terrorakt passiert – was ist da eine sinnvolle kommunikative Antwort? Rhetorisch oder tatsächlich das Kreuz zu hissen, scheint mir genau die falsche Reaktion.
Als einzelner muss und darf das jeder für sich selber entscheiden. Genau deswegen nennen wir uns ja pluralistisch. Es kann niemandem verboten werden, Trauer zu empfinden und Anteilnahme auszudrücken. Journalisten jedoch sollten vorsichtiger sein in ihrer Berichterstattung. Man schreibt auch nicht jedes Mal ausführlich darüber, wenn vier Menschen bei einem Autounfall sterben. Ein Anschlag mit mehr Toten im irakischen Mosul oder im nigerianischen Dalori generiert weniger Schlagzeilen als ein vereitelter Anschlag in Hannover.
Ein Autounfall passiert einfach, ein Terroranschlag ist ein gewollter Angriff. Das können Sie doch nicht vergleichen?
Wir in Europa, auch in den USA, müssen lernen, mit Terrorismus umzugehen. Es wird ihn immer geben. Genauso wie Autounfälle und Überschwemmungen. Das Erschreckende am Terrorismus ist, dass er so willkürlich auftreten kann. Und wenn etwas willkürlich auftritt, nehmen Menschen tendenziell an, es könnte bald sie treffen. Psychologische Studien belegen das. Dieselbe Wahrnehmungsstörung des menschlichen Gehirnes ist auch der Grund dafür, dass Menschen Geld für Lottoscheine ausgeben.