Aktenlektüre zumal, doch wie erregend…
Dass es bei der offiziellen Schweiz wenig Freude hervorrief, wenn Karl Barth sich, nach seinem von den Nazis erzwungenen Weggang aus Deutschland, zu den Verhältnissen dort äusserte, war früh bekannt. Erstmals ist nun aber das ganze Räderwerk der Schikanen zu besichtigen, in das er durch Regierungsinstanzen und nachgeordnete Behörden geriet – jenes Ineinandergreifen von Kontrollen, […]
Dass es bei der offiziellen Schweiz wenig Freude hervorrief, wenn Karl Barth sich, nach seinem von den Nazis erzwungenen Weggang aus Deutschland, zu den Verhältnissen dort äusserte, war früh bekannt. Erstmals ist nun aber das ganze Räderwerk der Schikanen zu besichtigen, in das er durch Regierungsinstanzen und nachgeordnete Behörden geriet – jenes Ineinandergreifen von Kontrollen, Eingriffen, Verboten und Beschlagnahmungen, einschliesslich dadurch hervorgerufener Reaktionen bei Freunden wie Gegnern.
Die von Eberhard Busch, einem der besten Kenner des Barthschen Werks, aus Archivbeständen rekonstruierte und mit einem sachkundigen Kommentar versehene Dokumentation zeigt, wie hartnäckig, wie verdruckst und beflissen auch, hier jemand beaufsichtigt wurde, der aus dem verordneten Konsens ausscherte. Wiederkehrender Vorwurf der Schweizer Stellen war, dass Barth gegen Deutschland agitiere, durch seine Stellungnahmen folglich die Neutralitätsdoktrin verletze, die der Bundesrat durch den Erlass verschiedener Dekrete zur «Überwachung» von Presse, Schrifttum und privatem Verkehr schützen wollte. Anlass für diesen Verdacht bot der streitbare Theologe allerdings genügend. In Vorträgen und Schriften, Briefen und Rundfunkbotschaften verurteilte er den Nationalsozialismus scharf und bezichtigte das eigene Land, aufgrund seiner Wirtschaftsbeziehungen, Kredite und Waffenlieferungen dessen indirekter Kriegshelfer zu sein. Auch die Behandlung der Emigranten missfiel ihm.
Ein Gesinnungsethiker, der mögliche Folgen seines Tuns für andere nicht bedachte, war Barth keineswegs. Bestimmte Prinzipien jedoch sah er als absolut an. Eine Idee von der besonderen Aufgabe der Schweizer Neutralität zählte dazu, die eben nicht bedeuten konnte, dem Zeitgeschehen «unbeteiligt» zuzusehen, sondern beispielhaft zivilisatorische Standards, ein «Stück europäischer Ordnung, … aufrechtzuerhalten». Während das Konzept des Bundesrats Friedenssicherung durch Wohlverhalten zu erreichen suchte, war Barth davon überzeugt, dass die Freiheit bereits gefährdet war, wenn man sich einschüchtern liess. Zwingli zitierend, brachte einer seiner Unterstützer im geistlichen Amt es auf den Punkt: «Nit förchten ist der Harnesch!»
Mit alledem zur «Stärkung der schweizerischen Widerstandsbereitschaft» beizutragen, war Barths Ziel. Im Kern ging es ihm dabei stets um die Bestimmung des «Orts…, von dem aus wir Christen uns heute christlich entscheiden können». Indem er dagegen verstiess, dass die «Herren» vom Bundesrat «auf ihren vollmächtigen Wegen von unsereiner nicht in Frage gestellt werden wollen», hinterliess Barth ein beeindruckendes Zeugnis intellektueller Tugenden. Über den historischen Kontext hinaus ist es für die Relativierung der Ansprüche oder Abläufe der Macht, auf welchen Ebenen auch immer, unvermindert bedeutsam.
vorgestellt von Hans-Rüdiger Schwab, Münster
Eberhard Busch (Hrsg.): «Die Akte Karl Barth. Zensur und Überwachung im Namen der Schweizer Neutralität 1938–1945». Zürich: TVZ, 2008