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Akribische Mordsarbeit

Ed McBain, der in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den modernen Polizeiroman erfand, stellte jedem Fall seiner Kriminalisten vom 87. Revier eine Erklärung voran. Zwar seien sowohl die Figuren als auch der Schauplatz der Handlung erfunden, die geschilderte Polizeiarbeit jedoch beruhe auf bewährten Ermittlungsmethoden. Einen derartigen Authentizitätsanspruch weist Roger Graf, dem wir unter anderem […]

Ed McBain, der in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den modernen Polizeiroman erfand, stellte jedem Fall seiner Kriminalisten vom 87. Revier eine Erklärung voran. Zwar seien sowohl die Figuren als auch der Schauplatz der Handlung erfunden, die geschilderte Polizeiarbeit jedoch beruhe auf bewährten Ermittlungsmethoden. Einen derartigen Authentizitätsanspruch weist Roger Graf, dem wir unter anderem die Hörspielreihe «Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney» verdanken, weit von sich. Wenn Damian Stauffer, frisch im Amt als Leiter der Abteilung Kapitalverbrechen bei der Zürcher Kriminalpolizei, und sein Team einen Mordfall aufklären, solle man nicht den Fehler begehen, die Nachforschungen der fiktiven Ermittler mit «realer Polizeiarbeit» zu verwechseln oder zu vergleichen, warnt ein Hinweis zu Beginn der in kurzem Zeitabstand erschienenen ersten zwei Romane der neuen Serie.

Mag die Sorge des Autors um den Wirklichkeitssinn seiner Leser zunächst kurios anmuten, so erscheint sie nach der Lektüre beider Krimis als durchaus berechtigt, schildern diese doch, manchmal in quälender Ausführlichkeit, die mühevolle und häufig frustrierende Suche nach Indizien und Zeugen. Da gibt es keinen Superdetektiv, der – wahlweise mit ungeheurer Intui-tion oder einem messerscharfen Intellekt gesegnet – dem Mörder auf die Schliche kommt. Stattdessen werden Theorien aufgestellt und wieder verworfen, ganze Ermittlungsstränge erweisen sich als falsch, und manchmal muss der Zufall den ratlosen Kriminalisten zu Hilfe kommen. Und das kann dauern. In «Die Frau am Fenster», dem ersten Roman der Reihe, nimmt die Schilderung der weitgehend fruchtlosen Polizeiarbeit mehr als dreihundert Seiten in Anspruch, bis ein Anruf die Ermittler auf die richtige Fährte setzt. Dass es trotzdem nur selten langweilig wird, verdankt sich Grafs Fähigkeit, Interesse für seine Figuren, ob Polizisten oder Zeugen, zu wecken. Da fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass die Geschichte um die Aufklärung zweier scheinbar unverbundener Mordfälle am Ende doch recht konstruiert wirkt.

Erheblich komplexer, und seltsamerweise überzeugender, gestaltet sich dagegen die Handlung des zweiten Romans, «Der Mann am Gartenzaun». Was hat das Skelett eines offenbar gewaltsam ums Leben gekommenen jungen Mannes mit dem Fall eines jungen Mädchens zu tun, das vor vielen Jahren spurlos verschwunden ist? Während Stauffers Team mühsam versucht, die Identität des Toten herauszubekommen, haben andere längst eine Ahnung, um wen es sich handelt, und hoffen, aus ihrem Wissen Kapital schlagen zu können. Wir Leser erfahren dies durch eingestreute anonyme Erzählpassagen in erlebter Rede, einer Technik, die sich im Genre, weil spannungssteigernd, ausgesprochener Beliebtheit erfreut. Dass Graf auch gerne einmal Verwirrung stiftet, indem er die Gebote erzählerischer Fairness sehr grosszügig auslegt, spricht ebenfalls nicht gegen diesen Kriminalroman, der von den angekündigten weiteren Bänden der Reihe einiges erwarten lässt.

vorgestellt von Joachim Feldmann, Recklinghausen

Roger Graf: Die Frau am Fenster. Bielefeld: Pendragon, 2008.

Der Mann am Gartenzaun. Bielefeld: Pendragon, 2008.

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