Aglaja Veteranyi
Barusklaptumus Plaps Menü Zutaten 93g Wortfleisch 1 Lächeln eines nicht beliebigen Menschen 3 Löffel «nicht vergessener Traum» (mit Happy End) Zubereitung Die Zutaten mit der Träne eines in diese Gruppe gehörenden Tieres mischen und zu einem kühnen Brei schlagen. Kühl lagern und 77 Träume lang ziehen lassen! Dazu empfehlen sich farbige und gerecht geformte Seifenblasenspiesschen […]
Barusklaptumus Plaps Menü
Zutaten
93g Wortfleisch
1 Lächeln eines nicht beliebigen Menschen
3 Löffel «nicht vergessener Traum» (mit Happy End)
Zubereitung
Die Zutaten mit der Träne eines in diese Gruppe gehörenden Tieres mischen und zu einem kühnen Brei schlagen.
Kühl lagern und 77 Träume lang ziehen lassen!
Dazu empfehlen sich farbige und gerecht geformte Seifenblasenspiesschen oder in Feuer gelegte Erinnerung.
Hauptwirkung
Gehirnschwund
Nebenwirkungen
Viele
Im Notfall Augen nach links drehen und Herz kräftig schütteln
Mein früheres Leben
In meinem früheren Leben war ich eine Orange. Nachdem ich von meiner Mutter und meinen kleinen Geschwistern getrennt worden war, lebte ich eine Weile auf einer silbernen Platte, bis ich eines Tages zum Dessert serviert wurde. Zuerst zerschnitt man mir die Kopfhaut und entfernte mir die Schädeldecke. Dann schälte man mir die restliche Haut ab und saugte mich langsam aus. Das war nicht angenehm.
Als ich nicht mehr ich war, entschloss ich mich, falls ich wieder einmal geboren werden sollte, als Mensch zur Welt zu kommen, denn ihm, so dachte ich mir, würde sicher nicht die Haut vom Leibe gezogen.
Die Verwandlung hat sich gelohnt: «Blut ist ein ganz besonderer Saft.»
Der Schreiber
Die Begegnung mit dem Schreiber geschah nicht zufällig. An Zufälle glaube ich nicht.
Mein Zimmer lag im Dunkel, nur ein Lichtschimmer erhellte den Schreibtisch. Mit aufgestülpter Unterlippe sah mich der Schreiber an. Einige unbeschriebene, lose Blätter lagen auf dem Schreibtisch. Ich fühlte ein Würgen im Hals.
Sie schreiben nicht mehr? fragte er nach langem Schweigen.
Seine Stimme klang fremd. Ich schwieg. Er kam mir so nah, dass sein Atem mein Gesicht streifte. Mir war, als hätte ich dieses Gesicht, diesen Ausdruck, schon oft gesehen, lange bevor ich ihn kannte. Aber wo?
Er trat ganz unvermittelt in mein Leben. Am Anfang fand ich seine Gegenwart fast ein wenig belustigend. Ich ging auch nur dann auf ihn ein, wenn ich nichts Besseres zu tun hatte. Es gab auch Zeiten, in denen ich ihn ganz aus den Augen verlor. Wie die Dinge am Anfang standen, hätte man eine solche Entwicklung nie für möglich gehalten.
An die Zeit vor unserer Begegnung habe ich fast keine Erinnerung. Und selbst bei den wenigen Bildern meiner Erinnerung weiss ich nicht, ob sie wirklich oder nur geträumt sind. Seit einiger Zeit scheinen mich die Leute nicht mehr zu kennen, oder sie tun so, als gäbe es mich nicht mehr. Das Zusammensein mit dem Schreiber verlief zunächst reibungslos. Bald fing er aber an, mir die Wörter zu entziehen. Er gab mir nur eine ganz bestimmte Anzahl Wörter, mit der ich unbedingt auskommen musste. Es kam sogar vor, dass er mir die einmal gegebenen Wörter wieder entzog und mir somit das Weiterschreiben, selbst das Reden verunmöglichte. Dann geschah es, dass er mitten in einem Gespräch aufstand und den Raum verliess. Das ärgerte mich, und so beschloss ich, diese Beziehung, an der mir ohnehin nicht viel lag, abzubrechen.
Einige Wochen später stand er aber wieder vor mir mit einem Buch in der Hand. Das Buch hätte einige unbeschriebene Seiten, sagte er ohne Einleitung. Er wolle wissen, woran ich das merke.
Ich lachte und sagte.
Das sieht doch jeder!
Worauf er erwiderte.
Das genügt nicht.
Mehr sagte er nicht.
Damals habe ich mir überlegt, ob ich ihn nicht anzeigen soll, doch liess ich diesen Gedanken bald wieder fallen. In Gegenwart anderer verhält sich der Schreiber unauffällig und zurückhaltend, ein undurchdringliches Schweigen umgibt ihn.
Gezwungen hat er mich zu nichts. Ich muss ihm gleichgültig sein, denke ich sogar.
Im Grunde sind alles nur Vermutungen, dem Schreiber bin ich tatsächlich nie begegnet.
Es gab aber auch Zeiten, in denen ich mich krankstellte, um ihn nicht sehen zu müssen. Ich blieb tagelang im Bett, verweigerte mich jeder Bewegung oder Nahrungsaufnahme. Das ist nicht verwunderlich, wenn man an die Übungen denkt, die er mir anfangs stellte. Ich führte sie nur widerwillig aus und nicht ohne ein gewisses Gefühl der Verachtung. Ich muss zum Beispiel immer noch täglich meinen Namen vor mich hersagen oder ihn wiederholt aufschreiben. Ich komme mir dabei lächerlich vor! Oft unterbricht mich der Schreiber, der bei solchen Übungen immer anwesend ist, und sagt.
Ich glaube dir nicht.
Oder er tut so, als kenne er mich plötzlich nicht oder als verstünde er meinen Namen nicht.
Wie heisst Du? wiederholt er. Wie?
Andere Übungen bestehen darin, dass ich dasitze und nichts tue. Sie sind quälend und kommen mir sinnlos vor.
Gut! ruft er dann aus. Wenn du an dem Sinn zweifelst, umso besser!
Er stellt alles, woran ich glaube, in Frage. Und als ich einmal über meinen Glauben an eine Vorsehung sprach, bemerkte ich sogar einen spöttischen Zug auf seinen Lippen. Eindeutig hat er diesbezüglich nie Stellung genommen, wie er jede Art der Festlegung vermeidet. Er hat auch mit keinem Wort angedeutet, dass er bei mir bleiben wird. Ich muss also täglich damit rechnen, dass er aus meinem Leben wieder verschwinden wird, vielleicht sogar mitten in einem Gespräch. Manchmal packt mich eine solche Wut, dass ich selbst den Gedanken, ihn umzubringen, erwogen habe. Gelegenheit dazu hätte ich genug, und da ihn scheinbar sonst niemand kennt, würde sein Verschwinden nicht weiter auffallen.
Seit ich ihm begegnet bin, gehen mir die Zeilen eines Märchens nicht mehr aus dem Kopf. «Ich habe bei dir gesessen, Stein», sagte der Narr, «wieder habe ich einen Tag an dich geglaubt und gemeint, dass du dich heute endlich, bevor die Sonne untergeht, und aus deinem Innern eine Sonne hervorbringen wirst, um sie dem Abend zu reichen – dann würde es keine Nacht mehr geben.»
Es kommt auch vor, dass er mich unvermittelt und schweigend in die Arme nimmt. Er kann von einem geradezu schmerzhaften und beschämenden Feingefühl sein, wenn er will. Danach brauche ich aber Tage, um mich aus ihm herauszuwinden. Und dann überkommt mich ein solches Verlangen, dass ich die Menschen und Dinge um mich essen könnte!
Vor einigen Tagen geschah es zum ersten Mal, dass eine Nachbarin, die den Schreiber offenbar doch gekannt haben muss, mich mit ihm verwechselt hat. Und selbst während unseres Gesprächs hat sie ihren Irrtum nicht bemerkt. Seitdem habe ich den Schreiber nicht mehr gesehen. Jetzt deutet alles darauf hin, dass er bei mir bleiben wird.
24 Wortstücke in mehreren Teilen
1. Teil
Als der Tod im Sterben lag, kam der liebe Gott und
sagte: «Nicht sterben! Nicht sterben! Wenn du stirbst, werde ich mich zu Tode langweilen!»
2. Teil
So blieb der Tod am Leben.
3. Teil
Der liebe Gott hat einen Luftlöscher. Damit löscht er einem Menschen die Luft aus.
4. Teil
Dann heisst es, der Mensch hat keine Luft bekommen.
5. Teil
Oder: Diesem Menschen ist die Luft ausgegangen.
6. Teil
Die Verwandtschaft geht dann ins Bethaus, weint und dankt dem lieben Gott.
7. Teil
Der liebe Gott ist ein lieber Gott.
8. Teil
Der liebe Gott hat dem Menschen Verstand gegeben.
9. Teil
Auch das noch.
1 . Teil
Damit kann der Mensch verstehen, dass er nicht versteht.
11. Teil
Mit dem Herzen, das der liebe Gott dem Menschen gegeben hat, kann der Mensch fühlen. Er fühlt tief und genau.
12. Teil
Der Mensch liebt den lieben Gott.
13. Teil
Der Mensch dankt dem lieben Gott für die gelungene Verwesung.
Das Spiegelzimmer
Ein Mann und eine Frau stehen mitten im Zimmer.
An der Wand hinter ihnen hängt die Photographie eines Spiegels.
Es ist nicht wahr, dass ich immer schöner werde.
Du bist so schön, Hilde!
Warum betonst du’s dann so?
Mir fallen die Haare aus.
Mir bröckeln die Lippen ab.
Wir werden uns immer ähnlicher.
Ich sehe wie ein altes Mädchen aus.
Findest du, ich habe mich sehr verändert?
Ich kann mich nicht mehr erinnern.
Hast du heute schon geweint?
Ich werde nie wieder weinen.
Denk an das Loch in deinem Fuss.
Hör auf!
Denk an das faule Fleisch rundherum.
Sie weint.
Sei nicht traurig, Liebes, alles wird wieder gut!
Das Loch wird immer grösser.
Fürchtest du’s?
Ich fürchte mich vor deinen Füssen. Sie sind noch so schrecklich gesund.
Du bist immer noch die alte, Hilde.
Meine Hände sind abgefallen.
Ich hab’ meine Hände in der Hosentasche.
Willst du was essen?
Hast du gekocht?
Ana lebt
Die Ana in Ana wackelt.
Sie fällt nach links, nach rechts, in den Arm, in ein Bein, ins Auge.
Ana weint lange Tränen.
Das Gesicht tut weh.
Die Augen.
Die Zunge.
Das Wetter.
Ana zieht die Mundwinkel hoch.
Ana zieht die Mundwinkel hoch.
Ana zieht die Mundwinkel hoch.
Wenn das Glück nicht kommt, nimmt Ana eine Pille, die ihr sagt, dass sie glücklich ist.
Wie ist das Glück klein, dass es in einer Pille Platz hat, denkt Ana.
Ich bin eine ganze, sagt Ana zu Ana.
Ana fällt vom Stuhl.
Ana fällt die Jacke aus der Hand.
Ana fällt ein Wort aus dem Mund.
Ich bin eine ganze, sagt Ana zum Spiegel.
Im Spiegel ist ein Gesicht.
Ana legt sich hin.
Ana steht auf.
Ana öffnet das Fenster.
Im Spiegel wartet das Gesicht.
Ana friert.
Ana zieht sich die Jacke an.
Ana zieht sich die Decke an.
Ana zieht sich den Schlaf an.
Ana hat die Aubergine gegessen.
Die Aubergine war klein und breit und hiess Ana.
Sie hatte ein Gesicht und lachte.
Sie hatte ein Grübchen.
Sie hatte Zähne.
Sie hatte einen lieben Gott im Auge.
Sie hatte ein Pipi, eine Mutter und eine Decke.
Ana lacht sich aus dem Schlaf.
Das Zimmer ist abwesend.
Anas Haut ist schnell geworden.
Ana hat die Angst gegessen.
Ana hat den Tod gegessen.
Der Tod ist lang.
Er liegt auf Anas Gesicht und schläft.
Aglaja Veteranyi
1962 Geburt in Bukarest als Tochter einer Artistenfamilie
1967 Flucht der Familie über Wien nach Zürich, Auftritte im Zirkus und im Variété in Europa, Afrika und Südamerika
1978 Rückkehr aus Spanien in die Schweiz
1979 bis 1982 Schauspielausbildung an der Schauspiel-Gemeinschaft Zürich
ab 1982 freischaffende Schauspielerin und Autorin
ab 1985 Schauspiellehrerin für Improvisation und Rollenstudium
ab 1988 Co-Leiterin der Schauspiel-Gemeinschaft Zürich
1993 Gründung der literarischen Experimentiergruppe «Die Wort pumpe» mit René Oberholzer
1996 Gründung der Theatergruppe «Die Engelmaschine» mit Jens Nielsen
1998 Stipendium im Literarischen Colloquium Berlin
1999 Werkjahr der Stadt Zürich und Ehrengabe des Kantons Zürich
Aglaja Veteranyi nahm sich in der Nacht zum 3. Februar 2002 in Zürich das Leben.
Bücher: «Warum das Kind in der Polenta kocht». München: DVA, 1999. «Geschenke – Ein Totentanz». Bibliophile Ausgabe mit
Originalholzschnitten von Jean-Jacques Volz. Zürich: Edition Peter
Petrej, 1999. «Das Regal der letzten Atemzüge». München: DVA, 2 2. «Vom geräumten Meer, den gemieteten Socken und Frau Butter».
München: DVA, 2 5.