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Afrikaner müssen ihre  wirtschaftliche Freiheit  zurück­gewinnen
Magatte Wade, zvg.

Afrikaner müssen ihre
wirtschaftliche Freiheit
zurück­gewinnen

Bevor die Kolonialisten kamen, gab es auf dem Kontinent jahrhundertelang freien Handel und dezentrale Institutionen. Jetzt liegt die Wiederbelebung Afrikas in den Händen seiner Bürger.

Read the English version here.

Für viele scheint es, als ob die afrikanische Geschichte mit der Ankunft der Europäer und später der Amerikaner beginne. Aber Afrika war schon Jahrtausende vorher die Heimat grosser Zivilisationen. Ich freue mich, dass Henry Louis Gates, ein bekannter Harvardprofessor, kürzlich für den US-Fernsehsender PBS eine sechsstündige Dokumentation mit dem Titel «Africa’s Great Civilizations» produziert hat. Sie bietet einen Blick auf mehr als zweihunderttausend Jahre afrikanischer Geschichte und vermittelt diese auf unterhaltsame, farbenfrohe Weise. Das ist von unschätzbarem Wert, wenn man bedenkt, dass die meisten anderen verfügbaren Quellen akademischer Natur und daher oft langweilig, wenn nicht sogar abstossend sind.

Gates weist zum Beispiel darauf hin, dass alle Menschen von afrikanischen Wurzeln abstammen. Alle acht Milliarden von uns sind Cousins und Cousinen! Gates weist auch darauf hin, dass Afrika die Quelle für vieles ist, was uns menschlich macht, einschliesslich Schrift, Kunst und Musik.

Nehmen wir Mansa Musa, den Herrscher von Mali aus dem 14. Jahrhundert. Damals war er der reichste Mann der Welt – und wahrscheinlich aller Zeiten. Seinen Reichtum erwarb Mansa Musa vor allem durch den Handel mit Gold und Salz, das er zur Eroberung neuer Länder nutzte, aber auch, um in Timbuktu nicht nur ein grosses Handels­zentrum, sondern auch eine Stadt der Universitäten und ­Gelehrten zu schaffen.

Während die erste Universität der Welt im Jahr 859 in Fes gegründet wurde (mindestens hundert Jahre vor ­Oxford), entwickelte sich die Universität von Sankore in Timbuktu (dem heutigen Mali) aus einer 989 gegründeten ­Moschee und baute unter Mansa Musa eine der grössten Bibliotheken der Welt auf – die grösste in Afrika seit der Bibliothek von Alexandria.

Mansa Musa, Herrscher des muslimischen Königreichs Mali, war im 14. Jahrhundert der reichste Mann der Welt. Ausschnitt aus einer Karte von 1413. Bild: Keystone/Erich Lessing.

Diese und andere grossartige Errungenschaften, erklärt Gates, «widerlegen eindrucksvoll» die Annahme, dass Afrika vor der Ankunft der Europäer keine Geschichte hatte: «Dieser Kontinent war schon immer ein dynamischer, vernetzter und integraler Bestandteil der Welt­geschichte.»

Afrika und Freihandel gehören zusammen

Diese Vernetzung wurde aufgebaut und aufrechterhalten, wie das immer der Fall ist: durch Handel und Gewerbe. ­Afrikanische Zivilisationen wurden an der Ostküste durch den Handel mit Asien gross. Zwischen 800 und 1600 wurden schätzungsweise 500 Tonnen Gold, das grösstenteils aus dem Inneren des Kontinents stammte, über die östlichen Häfen transportiert. Die Westküste war mit Europa und Amerika verbunden, und der Handel ermöglichte es unseren frühen Imperien, zu Wohlstand zu gelangen.

Und heute haben alle afrikanischen Staaten hohe Zollschranken? Was ist an diesem Bild falsch? Das afrikanische Freihandelsabkommen, das in den letzten Jahren von den meisten afrikanischen Staaten unterzeichnet wurde, wird die Handelsschranken endlich abbauen (wenn es tatsächlich so umgesetzt wird wie von den afrikanischen Führern versprochen). Aber warum mussten wir eigentlich bis 2021 warten, um den Freihandel innerhalb Afrikas zu bekommen, der unser Geburtsrecht ist?

Noch schlimmer ist, dass dieses Abkommen nur den Handel innerhalb Afrikas betrifft. Im Gegensatz zu den grossen afrikanischen Königreichen der Vergangenheit, die weltweit Handel trieben, werden afrikanische Staaten mit ziemlicher Sicherheit weiterhin hohe Zölle auf Waren von ausserhalb Afrikas erheben.

Wie der verstorbene Wirtschaftswissenschafter George Ayittey schrieb, gab es wirtschaftliche Freiheit schon Jahrhunderte vor der Ankunft der Kolonialisten; sie war sogar eine grundlegende Lebensweise für praktisch alle Menschen in Afrika südlich der Sahara. Das Blut der individuellen Freiheit fliesst reichlich in den Adern der afrikanischen Geschichte, bis in eine Zeit zurück, als afrikanische Stämme eine dezentralisierte Regierungsstruktur nutzten, die völlig anders war als der moderne afrikanische Staat (der im wesentlichen ein europäischer Kolonialimport ist).

«Afrikanische Stämme nutzten eine ­dezentralisierte ­Regierungsstruktur, die völlig anders war als der moderne ­afrikanische Staat, der im

wesent­lichen ein euro­päischer Kolonialimport ist.»

Menschen aus der ganzen Welt reisen an, um das Schloss von Versailles zu bewundern. Aber wenn man über Afrika spricht, dann nur über die schlechten Dinge. Stellen Sie sich vor, wie das Bild Frankreichs aussähe, wenn sich alle Berichte auf die negativen Seiten jenes Landes konzentriert hätten.

Die derzeit vorherrschende Sichtweise ist die folgende: Europa ist schön; Amerika ist cool; Afrika ist ein Drecksloch. Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, mich auf die Teile der Geschichte zu konzentrieren, die in Vergessenheit geraten sind. Ich möchte der Welt einen schönen Ort präsentieren, mit Städten und Dörfern, die so zivilisiert sind wie alle anderen auf der Welt. Ich möchte zeigen, dass Afrikaner ihrer Zeit sogar oft voraus waren. Ich möchte deutlich machen, dass wir, wären wir nicht durch die Sklaverei und den Kolonialismus eingeschränkt worden, der restlichen Welt weiterhin überlegen gewesen wären. Damit meine ich nicht irgendeine wakandische Fantasie, wie in Marvels «Black Panther»-Film. Ich meine einen Ort, an dem Menschen sowohl fehlerhaft als auch gut sind und an dem wir vielleicht weltverändernde Ideen entwickelt hätten. Vielleicht hätten wir eine Regierung aufgebaut, die der Demokratie, wie wir sie heute kennen, überlegen gewesen wäre.

Von Stämmen zum Tribalismus

Als die Europäer in Somalia ankamen, fanden sie eine Kultur vor, die in vielerlei Hinsicht ihrer eigenen glich. Sie ­fanden Stämme vor, die zusammenarbeiteten. Haben sie manchmal gekämpft? Ja, natürlich. Wir sind Menschen. Aber in den meisten Fällen herrschte Frieden. Es gab Königshöfe, und Königreiche wurden durch strategische Heiraten vergrössert. Das ist nicht vergleichbar mit dem, was wir heute haben.

Aber als die europäischen Kolonisatoren auftauchten, sagten sie: «Oh, ihr Wilden, wir werden euch die Zivilisation beibringen.» So gelangten wir von einem ausgeklügelten dezentralen System, das die Beherrschung durch starke Männer verhinderte, zu Nationalstaaten, die von Kolonisatoren geschaffen wurden. Sie führten zentralisierte Kontrollsysteme, formale Grenzen und übergeordnete Gesetze ein, die anfällig für Korruption waren und sind.

Die neuen kolonialen Grenzen stimmten nicht mit den Stammesgrenzen überein, sondern waren und sind vollkommen willkürlich. Wer auch immer innerhalb der neuen Grenzen die Macht ergreift, erhält die Macht über die Diamanten, das Öl, die ausländische Hilfe und alles andere von Wert, einschliesslich der anderen Stämme. Auf diese Weise wird die Demokratie zu einem sektiererischen oder ethnischen Schlachtfeld.

In den Vereinigten Staaten denken wir bei Recht meist an das, was der Gesetzgeber verabschiedet. Aber für Menschen, die es mit dem Common Law ernst meinen, einschliesslich der Briten, ist das Recht über Jahrhunderte von Richtern geschaffen worden. Der grösste Teil des afrikanischen Rechts war ursprünglich einem Common-Law-Rechtssystem sehr viel ähnlicher. Die neu auferlegten kolonialen «Gesetze» standen in völligem Widerspruch zu unseren Traditionen, was zu unnatürlichen Spannungen führte. Das war der Zeitpunkt, an dem wir von Stämmen zum Tribalismus übergingen, also zu dem ethnischen Konflikt, der bis heute andauert.

Dies ist die Geschichte, die wir über Afrika lehren müssen: Vor der Ankunft der Kolonialisten und Sklavenhändler verfügte Afrika über ein funktionierendes System der freien Marktwirtschaft, das mit den grossen Handelsrouten in Europa und Asien verbunden war. Die Zerstörung dieses Systems war gewollt. Es kann und muss jetzt wiederaufgebaut werden, zum Wohle jeder Generation von Afrikanern.

Lassen Sie es mich für Sie zusammenfassen. Nennen wir es mein Manifest:

1. Alle wohlhabenden Nationen müssen ihren Bürgern die Möglichkeit geben, durch Unternehmertum Werte zu schaffen.

Alle Länder schützen Eigentumsrechte, damit Bürger und Unternehmer nicht befürchten müssen, dass Kriminelle oder die Regierung ihnen willkürlich ihr Eigentum wegnehmen. Alle Länder erlauben ihren Bürgern, Unternehmen frei zu gründen, ohne unangemessene Einschränkungen durch staatliche Aufseher. Alle Nationen erlauben ihren Bürgern und Unternehmen, innerhalb eines stabilen rechtlichen Rahmens zu arbeiten, mit relativ unparteiischen Gesetzen und Gerichten, die eine faire Behandlung von Streitigkeiten ermöglichen.

Die meisten afrikanischen Staaten gewähren Unternehmen diese Grundrechte nicht. In internationalen Rankings zu wirtschaftlicher Freiheit und «Doing Business» liegt nur Mauritius, ein winziger Inselstaat, der inzwischen ein fast europäisches Wohlstandsniveau erreicht hat, in der Spitzengruppe. Einige andere, darunter Botswana und Ruanda, bewegen sich in die richtige Richtung.

Die meisten afrikanischen Länder liegen in der unteren Hälfte oder sogar im unteren Drittel. Unsere Länder sind die schlechtesten der Welt, wenn es um die Gewährleistung wirtschaftlicher Freiheit geht.

2. Afrika sollte voll mit wohlhabenden Nationen sein.

Aber warum sollte es so sein? Warum sollten wir uns um Afrika kümmern? Hier ist ein Grund, ein sehr eigennütziger für mich und für Sie: Eine steigende Flut hebt alle Boote. Wenn Afrika zu wenig produziert – und das ist momentan der Fall –, sind die Bürger des Kontinents nicht die einzigen, die verlieren. In den Vereinigten Staaten wird oft gesagt, dass unsere grösste Ressource in unseren Menschen liege. In einer globalisierten Welt ist der Verlust der Talente und Energien von mehr als einer Milliarde Menschen unermesslich. Was könnte ein entfesseltes Afrika zu jedem Aspekt menschlichen Strebens beitragen? Wir haben Künstler, Philosophen, Akademiker, Geschäftsleute, Denker und Macher jeder Art, die nur darauf warten, der Welt ihre Talente zu offenbaren! Ich glaube, es gibt acht Milliarden Genies auf der Welt. Jeder von uns ist mit einem einzigartigen Genie auf diese Erde gekommen, und dieses Genie ist ein Teil der Lösung für die Probleme auf dieser Welt. Jedes Mal, wenn ein Mensch daran gehindert wird, seine Genialität zu entfalten, wird die gesamte Menschheit geschwächt.

«In einer globalisierten Welt ist der Verlust der ­Talente und Energien von mehr als einer Milliarde Menschen unermesslich.»

3. Afrika muss eine «Can-do»-Mentalität haben und auf die Ziele des Wohlstands durch einen positiven ­kapitalistischen Weg hinarbeiten.

Wir dürfen uns nicht einer Opfermentalität hingeben. Sowohl NGO-Kräfte als auch Antikapitalisten können diese Opfermentalität schüren. Während sich einige NGO auf echtes Empowerment konzentrieren, betrachten andere die Afrikaner allzu oft als armselige Objekte, die eines weissen Retters bedürfen. Sie vermitteln diese Botschaft sowohl offen als auch indirekt.

Ja, es kann hart sein, weil es an Möglichkeiten mangelt. Antikapitalistische Intellektuelle, sowohl in Afrika als auch im Ausland, wiederholen endlos die Erzählung, dass Afrika aufgrund von Sklaverei, Kolonialismus und anhaltender Ausbeutung arm sei. Ja, Afrika war ein Opfer. Aber solange dieselben intellektuellen Kräfte nicht den positiven kapitalistischen Weg in die Zukunft artikulieren und unterstützen – der uns die Vergangenheit hinter uns lassen lässt –, sind sie Teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Sie sind die Bösewichte.

 

Ich wollte aus zwei Gründen Produkte in Afrika herstellen: Erstens bin ich sehr daran interessiert, in meiner Heimat Arbeitsplätze zu schaffen, insbesondere für hochwertige Produkte, die beweisen, dass wir die «Strohdachgrenze» durchbrechen können. Ich muss sagen, dass ich trotz all meines Wagemuts eine Weile gebraucht habe, um mich an die Produktion in Afrika zu gewöhnen.

Der zweite Grund, warum ich Produkte in Afrika herstellen wollte, ist zugegebenermassen eher idealistisch: Wenn wir nicht auf das Bedürfnis des afrikanischen Volkes nach Würde pochen, wer dann? Wenn Sie und ich uns nicht für den Wohlstand Afrikas einsetzen, wer wird es dann tun? Die meisten afrikanischen Führer sind darauf aus, ihre eigenen Taschen zu füllen. Die meisten derjenigen, die an der Spitze internationaler Hilfsorganisationen stehen, sind nicht bereit, sich im Brustton der Überzeugung für afrikanische Unternehmen, Unabhängigkeit und Selbstachtung einzusetzen. Auch heute noch ist ein herablassendes Mitleid mit den Afrikanern die Norm. Wir müssen diese alternative Bewegung selbstbewusst und beharrlich leiten.

Meine sehnlichste Hoffnung ist, dass wir uns endlich darauf einigen können, dass die Afrikaner ein Wirtschaftsumfeld und kapitalistische Institutionen von höchster Qualität verdienen, so wie sie die Bürger Dänemarks, Neuseelands, der Schweiz und der Vereinigten Staaten geniessen. Ich bitte Sie, wenn Ihnen die Schwarzafrikaner wirklich am Herzen liegen – wenn wir Ihnen wirklich am Herzen liegen –, sich mir anzuschliessen und sich mit aller Entschiedenheit für die wirtschaftliche Freiheit in Afrika einzusetzen


Dies ist ein Auszug aus dem neuen Buch von Magatte Wade, «The Heart of a Cheetah» (Cheetah Press, 2023). Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Seaman.

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