Ade Neutralität, hello Nato!
Die Schweiz muss ihre Neutralität verteidigen.
Auch die Armee ist zu stärken.
Nachdem Deutschland 18 eigene Leopard-2-Panzer in die Ukraine entsandt hat, sollen 25 Schweizer Panzer die Bestände der Bundeswehr wieder auffüllen. Damit unterstützen wir die Waffenlieferungen eines Nato-Mitglieds an eine Kriegspartei. Wie so manchen Schweizer besorgt mich diese Entwicklung, weil sie unsere Neutralität und unsere Verteidigungsfähigkeit unterhöhlt.
Als die Schweiz im Februar 2022 Russland sanktionierte, verkündete Bloomberg, die Schweiz habe ihre Neutralität aufgegeben. Ein Jahr später zeigt eine ETH-Studie, dass bei Schweizern eine Nato-Annäherung so populär wie noch nie ist. Während russische Flugzeuge bei uns nicht mehr landen dürfen, wirbt Wolodimir Selenskyj, Staatsoberhaupt einer Kriegspartei, im Bundeshaus um Unterstützung. Die Niederlande gehen einen Schritt weiter und verlangen 96 unserer Kampfpanzer für den Einsatz im Kriegsgebiet. Auch wenn Russland offensichtlich das Völkerrecht missachtet – können wir uns das alles leisten?
Deutschland hat versichert, dass unsere Panzer in Deutschland bleiben – zudem ist die Nato völkerrechtlich (noch) keine Kriegspartei. Dennoch ist die Schweiz in diesen Krieg verwickelt. Sie handelt pro Nato, proukrainisch und antirussisch. Panzer mag man uns noch abkaufen, unsere Neutralität wohl nicht mehr. Wie konnte es so weit kommen?
US-Machtmonopol und Nato-Annäherung
Als 1989 die Mauer fiel, war der Westen im Freudentaumel. Die bipolare Welt des Kalten Krieges war Vergangenheit – die USA standen nun als alleinige Weltmacht da. Man wähnte sich am «Ende der Geschichte», und einer friedlichen Globalisierung stand scheinbar nichts mehr im Wege. Die Schweiz war ebenso euphorisch: Beinahe 36 Prozent stimmten im gleichen Jahr für die Armeeabschaffung. Unsere Regierung war im Schockzustand – das Armeebudget musste gekürzt und die Armee neu erfunden werden. Als neue Aufträge kamen Friedensförderung und subsidiäre Einsätze hinzu.
Gleichzeitig avancierten die USA, und damit die Nato, zur «Weltpolizei». Länder mit entgegengesetzten Interessen wurden als «Schurkenstaaten» bezeichnet. In einer solchen Welt konnte die integrale Neutralität als Indifferenz gegenüber Verbrechen gedeutet werden. So verfolgt die Schweiz seit 1990 eine differenzielle Neutralitätspolitik. Seit Ende der Jugoslawienkriege 1999, direkt nach der völkerrechtlich umstrittenen Nato-Bombardierung Belgrads, beteiligt sich die Schweiz an der Nato-geführten Kosovo Force, die unter UNO-Mandat den Frieden sichern und fördern soll.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärte Präsident George W. Bush den globalen Krieg gegen den Terror. Die USA marschierten in Afghanistan ein – gefolgt von weiteren Nato-Interventionen. Erste Rückschläge folgten 2013/14: Nachdem Bashar al-Assad im Bürgerkrieg völkerrechtswidrig Chemiewaffen eingesetzt hatte, verzichteten die USA auf die angedrohte massive Intervention; so konnte sich der syrische Präsident dank russischer und iranischer Unterstützung an der Macht halten. 2014 annektierte Russland die Krimhalbinsel. Im Sommer 2021 zogen sich die letzten US-Truppen aus Afghanistan zurück. Im Februar 2022 marschierte Russland in der Ukraine ein. Was bedeutet das für die Schweizer Neutralitätspolitik?
Ende des US-Machtmonopols – Umdenken in der Neutralitätspolitik
Die USA stigmatisieren unsere Neutralität – selbst nach der Übernahme der EU-Sanktionen bezeichnete die Helsinki-Kommission die Schweiz als «lang bekannte Destination für Kriegsverbrecher» und «Russlands Förderer». Zudem dringen seit Kriegsbeginn Informationen von Nato-Geheimdiensten als «zuverlässige Quellen» ungefiltert in unseren öffentlichen Diskurs – die Resultate der ETH-Studie überraschen daher nicht.
Die Schweiz verfügte in beiden Weltkriegen über eine schlagkräftige Milizarmee und betrieb so weit als möglich eine integrale Neutralitätspolitik. Dadurch blieben ihr Zerstörung und Besatzung erspart. Heute müssen wir, bei aller Verbundenheit zu westlichen Werten, aufhören, Loyalität durch Schwächung unserer Armee und unserer Neutralität zu signalisieren – sonst sind wir im Falle eines nächsten Weltkriegs schlecht aufgestellt.