(7) Wir fahren die Pensionskassen an die Wand
Markus Schär & René Scheu im Gespräch mit Martin Janssen Wie gebannt starren wir auf die Finanzkrise. Und vergessen dabei, dass uns weiteres Ungemach droht: die Pensionskassen sind nicht mehr finanzierbar. Die Überraschung wird gross sein. Der Schaden auch.
Die Schweizer Führung tut sich schwer mit Krisenmanagement – zuerst die Debatte um jüdische Vermögen auf Schweizer Bankkonten, dann das Swissair-Grounding und nun der Aufruhr um die grösste Schweizer Bank. Wie beurteilen Sie das Vorgehen des Bundesrats bei der UBS?
Der Staat musste eingreifen, um einen Zusammenbruch der UBS zu vermeiden. Die Art des Eingriffs war aber fragwürdig. Es war überraschend, wie bis zum letzten Augenblick zugewartet wurde und wie sich dann ein paar wenige Leute das Recht herausnahmen, 68 Milliarden Steuergelder für die Rettung eines Privatunternehmens einzusetzen, die völlig quer zu den Ideen von Obligationenrecht und Bankengesetz steht.
Was wäre die Alternative gewesen?
Ein Konkurs fällt nicht vom Himmel. Es wäre Aufgabe der Finanzmarktaufsicht gewesen, Mass-nahmen für solche Szenarien zu entwerfen. Man hätte die UBS viel früher dazu drängen müssen, aus Fremdkapitalgebern Eigentümer zu machen. Letztlich hätten diese das Risiko tragen müssen, nicht die Steuerzahler.
Bundesrat und Eidgenössische Bankenkommission haben lange weggeschaut?
Wir wissen nicht erst seit 2007, was abläuft. Viele Ökonomen haben die Fusion der alten UBS mit dem Bankverein 1997 als unangemessen bezeichnet. Später hat man dem Bilanzwachstum der UBS einfach zugeschaut, man hat die UBS mit 98 Prozent Fremdkapital gar als weltgrössten Hedge Fund bezeichnet – und plötzlich fällt man aus allen Wolken? Aber nicht im Ernst!
Haben die Schweizer Wirtschaftsführer und Politiker in den 1990er Jahren die Bodenhaftung verloren?
Ja. Es waren die bürgerlichen Politiker, die nicht mehr an die Prinzipien des freien Unternehmertums, an freie Märkte, an Transparenz und an sinnvolle Anreizsysteme glaubten. Nur wenige echte Liberale und die Linke haben auf die Grösse der UBS und auf die abgehobenen Vergütungssysteme hingewiesen.
Vor fünf Jahren hätte niemand gedacht, dass die UBS einen wesentlichen Beitrag zur Aufweichung des Bankgeheimnisses leisten würde.
Weshalb die Bank zum Zweck der Expansion in den USA zu Geschäftspraktiken Zuflucht nehmen musste, die sie nun selber als illegal bezeichnet, ist unverständlich. Wenn die damalige Eidgenössische Bankenkommission das nicht gewusst hat, hat sie ihren Auftrag nicht erfüllt. Und wenn sie es gewusst und toleriert hat? Geschah das mit der Billigung des Parlaments? Unangenehme Gedanken, ich weiss.
Die Staaten, denen das Bankgeheimnis schon lange ein Dorn im Auge ist, nutzen nun die Situation aus.
Ja, aber wir dürfen nicht so naiv sein, die Situation in ethischen Kategorien zu analysieren. Erstens hat die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug in einem System mit Selbstdeklaration absolut Sinn. Zweitens verlangt unser Staatsverständnis zwingend nach dem Bankgeheimnis. Drittens ist die Steuerhinterziehung in unserem System tiefer als fast überall sonst. Und viertens sollten die Bankgeheimnisgegner zuerst im eigenen Land beziehungsweise vor der eigenen Haustüre aufräumen, wenn sie ein ethisches Problem haben. Die Schweiz hat also keinen Grund, auf das Bankgeheimnis zu verzichten. Aber es wäre naiv zu glauben, wir könnten ungestraft Einwohner von Drittstaaten bei der Steuerhinterziehung aktiv unterstützen.
Wie geht es jetzt weiter?
Ausländische Staaten werden sich wegen des Steuer-
wettbewerbs, u.a. durch die Schweiz, längerfristig überlegen müssen, wie sie ihr Steuersystem gestalten wollen und wo die Grenzen der Steuerbelastung liegen. Die Schweiz wird angesichts der Machtsituation – so absurd die «Arbeitsteilung» auch ist – die Kapitalien von Personen mit Wohnsitz im Ausland zugunsten von Drittstaaten an der Quelle, jedoch ohne automatischen Informationsaustausch umfassender als heute besteuern. Vielleicht könnten ein paar Banken vorsorglich ein entsprechendes Projekt in Gang setzen. Aber es muss letztlich zu einem politischen Geschäft kommen: Ablieferung von Steuereinnahmen gegen eine völlige Liberalisierung des Banken- und Versicherungsgeschäfts. Ich hoffe, dass die Schweizer Regierung diesen Zug nicht auch noch verschläft.
Die Krise des Finanzplatzes Schweiz ist das eine, die globale Finanz- und Wirtschaftskrise das andere. Wie beurteilen Sie hier das Vorgehen der Schweizer Regierung?
Konjunkturpakete haben zwei Seiten. Einerseits kommen sie meist zu spät und führen zu einer Aufrechterhaltung nicht überlebensfähiger Strukturen. Anderseits heben sie die Stimmung vieler Bürger. Also: viele kleine Konjunkturprogramme und keine Monsterpakete wie im Ausland. So kann die Schweiz ihre Wirtschaftsstrukturen anpassen und in einigen Jahren als Gewinnerin aus der Krise hervorgehen.
In einigen Jahren?
Wie lange die Krise andauern und wie viele Werte und Know-how sie vernichten wird, kann heute vernünftigerweise niemand sagen.
Das klingt fatalistisch.
Eher agnostisch. Ich weiss es einfach nicht.
Die westlichen Staaten sind hoch verschuldet, auch die Schweiz – Grund zur Sorge?
Verschuldung ist per se nichts Schlechtes. Wenn ein Unternehmen zu einem grossen Teil fremdfinanziert wird, ist dies kein Problem. Anders ist es, wenn der Staat sich verschuldet, um Tätigkeiten zu übernehmen, die auch über den Markt organisiert werden können. Solche Massnahmen würden nur die Krise verlängern und das zukünftige Wirtschaftswachstum dauerhaft senken.
Wie beurteilen Sie die Situation im Bereich der Sozialversicherung?
Die AHV scheint rasch in Probleme zu rutschen, 60 Prozent der Schweizer Pensionskassen sind in Unterdeckung, die IV schiebt einen Schuldenberg vor sind hin, und die Arbeitslosenversicherung wird zusätzlich unter Druck geraten.
Wer sich ein Minimum an ökonomischem Realismus bewahrt hat, weiss: «Der Staat» wird das Problem nicht lösen; die Steuerzahler und die Begünstigten müssen das Problem mittels neuer Steuern, Verzicht oder Inflation lösen. Zu den Pensionskassen: rechnet man mit korrekten Daten, sind mehr als 95 Prozent aller Kassen in Unterdeckung, nicht nur 60 Prozent.
95 Prozent – malen Sie da nicht den Teufel an die Wand?
Der Deckungsgrad einer Pensionskasse lässt sich berechnen. Das vorhandene Kapital, die Lebenserwartung der Personen, die heute in Pension gehen, und die Zinsen, mit denen risikolose Renten finanziert werden können, sind bekannt. Man kann sich natürlich auch einreden, dass die Lebenserwartung tiefer und die Zinsen höher seien. Aber auf diese Weise streut uns die Politik nur Sand in die Augen. Der Umwandlungssatz sollte schon heute tiefer liegen als bei 6 Prozent und nicht bei 6,4 Prozent per 2015.
Was heisst das konkret?
Betrachten wir den Fall einer bekannten öffentlichen Pensionskasse. Sie weist bei einem technischen Zins von 4 Prozent und unter Verwendung von «Periodentafeln», mit denen zukünftige Erhöhungen der Lebenserwartung vernachlässigt werden, einen Deckungsgrad von weniger als 80 Prozent aus. Würden korrekte Informationen verwendet, müsste ein Deckungsgrad von weniger als 60 Prozent ausgewiesen werden. Von diesen gehören 56 Teile den Rentnern und 4 den Erwerbstätigen. Deren Deckungsgrad liegt also gerade noch bei 4/44, d.h. bei rund 9 Prozent. Diese Kasse ist nicht mehr sanierbar. Es muss endlich akzeptiert werden, wie gross das Problem ist und dass wir uns jetzt um eine Lösung bemühen müssen. Die Lebenspläne Tausender von Menschen sind gefährdet.
Was wären die Lösungsansätze?
Transparenz, eine sofortige Ausfinanzierung der Pensionskassen der öffentlichen Hand, eine rasche Neuordnung privater Pensionskassen, oder Inflation. Die Saat für die nächste Inflation ist gestreut; das haben wir der Finanzkrise zu verdanken. Die anderen Lösungselemente aber werden kaum zum Tragen kommen – sie wären zu unbequem für die Politiker. Mitte 2007 hat der Bundesrat vorgeschlagen, die Pensionskassen der öffentlichen Hand innert 30 Jahren auszufinanzieren. Die Kantone haben sogar die Ausfinanzierung über 40 Jahre abgelehnt. Dabei ginge es nur um Transparenz, die über Nacht hergestellt werden könnte. Und die Pensionskassenverantwortlichen werden die Neuordnung ihrer Kassen ebenfalls nicht aktiv an die Hand nehmen. In 20 oder 30 Jahren wird das System aber an die Wand gefahren sein – und alle werden sehr überrascht sein.