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Tage gab der Bischof von Lausanne in seinem Urteil vom Mai 1479 den Engerlingen zum Rückzug von den Äckern, Feldern, Weiden und Bäumen um Bern. Die Gemeinde Bern hatte die Insekten verklagt. Nachdem sich die Plagegeister nicht an die kirchengerichtliche Entscheidung gehalten hatten, belegte der Bischof sie mit dem Kirchenbann, verfluchte sie und verbannte sie von allen Feldern.

Tierprozesse waren im Europa des Mittelalters nicht unüblich, insbesondere in Frankreich und der Schweiz. Hunde, Pferde und Schweine wurden vor weltlichen Gerichten des Mordes oder der Körperverletzung angeklagt. Kirchliche Gerichte kümmerten sich hingegen vornehmlich um Kleinsäuger und Insekten, die sich an Feldfrüchten vergangen hatten. Sie wurden – in der Regel – in Abwesenheit verurteilt, ansonsten aber wie ihre menschlichen Zeitgenossen behandelt. Sie hatten anwaltliche Vertreter und auch die Richter waren dieselben.

Bis ins 18. und vereinzelt auch bis ins 19. Jahrhundert hinein fanden sich Tiere auf der menschengemachten Anklagebank wieder. Noch 1906 wurde in Delsberg ein Hund als Haupttäter zum Tode verurteilt, nachdem er gemeinsam mit seinem Besitzer und dessen Sohn einen Dritten getötet hatte.

Wie kurz das Zeitalter der Aufklärung erst währt, führen diese sonderbaren Prozesse besonders eindringlich vor Augen: In nur wenigen Generationen wurde vermeintliches «Wissen» als Aberglaube ad acta gelegt. Vernunftgetriebener Fortschritt ist eine Erfolgsgeschichte. Umso nötiger ist es, dass Liberale den wiederkehrenden sozialistischen und nationalistischen Aberglauben stets mindestens so entschlossen begegnen wie der Bischof von Lausanne vor über 500 Jahren der Engerlingeplage. Mit nach heutigem Wissensstand besseren Aussichten auf Erfolg.

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