(6) Vom Weg aus der Krise zum Weg in die Zukunft
Das Finanzsystem hat sich von der realen Welt entfernt. Nach dem Kollaps sollen die Staaten es mit Steuergeldern und Regulierung von oben retten. Dabei lehren fünfzig Jahre Erfahrung im Bankgeschäft: Gesundung kann nur von unten kommen.
Vor eineinhalb Jahren, um Weihnachten 2007, schrieb ich meine Gedanken zum Büchlein «Weg aus der Finanzkrise» nieder. Die Analyse der Finanzwelt brachte mich damals zur Überzeugung, dass wir Entscheid und Haftung wieder zusammenführen müssten, um die Finanzkrise zu bewältigen, die sich seit Mitte 2007 abzeichnete.
Seit der letzten Hypothekarkrise im Westen, zwischen 1991 und 1994, hatte das globale Finanzsystem von der realen Welt abgehoben. Die Ursache für diese Fehlentwicklung war das auf Kredit beruhende Geldsystem. Geld als Tauschmittel wurde zur künstlichen Ware, die sich ohne Bezug zu den Kreditnehmern, also nahezu losgelöst von den Basiswerten, handeln liess. Dies führte, zusammen mit der gewaltigen Überschuldung in den westlichen Industriestaaten, letztlich zur heutigen Finanzkrise.
Im Juni 2008 war die Arbeit am Buch endlich abgeschlossen; es kam im Verlag NZZ Libro heraus. Nicht abgeschlossen war die Krise – im Gegenteil: sie brach im September, nach dem Debakel von Lehman Brothers, erst richtig aus. Dabei nahm sie Ausmasse an, die ich beim Ordnen meiner Gedanken zu Weihnachten 2007 noch nicht für möglich gehalten hätte. Schliesslich traf der Betrug von Bernard Madoff leider auch unsere Bank. Schwerer als die Einbusse von acht Prozent, von der unser Fonds Reichmuth Matterhorn betroffen wurde, schmerzte uns dabei der Verlust des Vertrauens, das wir unseren bewährten Geschäftspartnern entgegengebracht hatten.
Während Anfang 2008 erst einzelne Rufer in der Wüste warnten, begannen in der zweiten Jahreshälfte alle an Wirtschaft interessierten Journalisten über die Krise zu schreiben. Die Hilfspakete der Staaten für die Banken liessen die Politik und die Medien nach mehr Vorschriften und Überwachung für das Finanzsystem rufen. Gerade die Überregulierung dürfte jedoch zu den nächsten Krisen führen. Statt mehr Gesetze und Regeln zu erlassen – was bei der weitverbreiteten Haltung «rules are for fools» vorwiegend zu aufwendiger Suche nach Schlupflöchern führt – müssen wir auf allen Ebenen eine neue Verantwortungskultur pflegen, beseelt von der Überzeugung, dass es eher durch Verändern der Denkhaltung von unten nach oben als durch dirigistische Massnahmen von oben nach unten zu einer Gesundung des Finanzsystems kommt.
Wie sind, eineinhalb Jahre später, die Überlegungen aus meinem Buch weiterzuführen? Ich deute es an, indem ich sechs Gedanken-Setzlinge pflanze. Dabei halte ich mich an das leserfreundliche Schema meines Büchleins, für jeden Abschnitt zuerst die Situation zu beschreiben, darauf eine Lösung vorzuschlagen und schliesslich ein Fazit zu ziehen.
1. Feste Burg oder Luftschloss?
Rückblick:
«Das Wesen des Staates», schrieb Friedrich Engels, «ist die Angst der Menschen vor sich selber.» Diese Angst herrschte im zweiten Halbjahr 2008. Fraglos war es richtig, dass angesichts der Panik der Staat zu Hilfe kam. Nur er konnte die Angstpsychose eindämmen. Ebenso fraglos müssen jedoch alle in der industrialisierten Welt wieder zum Vertrauen in die Marktwirtschaft, also in das rationale Handeln der Leute, zurückfinden. Psychosen hemmen das klare Denken. Verharrte die Gesellschaft in der Angst, wäre die Wohlstandsgesellschaft am Ende.
Eine wahre Geschichte veranschaulicht das Problem. Ein vermögender Kunde der UBS holte 7 Millionen Franken in bar ab. Sogar die Banknotenzählmaschine brauchte dafür mehr als eine Stunde. Die Notenmaschine bei der Kantonalbank, wo der Kunde seine Millionen einzahlte, lief wiederum gleich lang. Weil die Kantonalbank mit diesen 7 Millionen und vielen weiteren hereingeschwemmten Millionen nichts anzufangen wuss-te, deponierte sie das Geld bei der Nationalbank. Und diese musste es an die UBS weiterleiten, um sie vor der Illiquidität zu retten. Denn die UBS ist eine money center bank, ein grosser Teil des Zahlungsverkehrs unseres Landes hängt von ihr ab.
Dieses Beispiel zeigt auf, dass der Verlust des Vertrauens die Kreditvergabe im Bankensystem stark stören, ja vorübergehend fast lahmlegen kann. Zu noch krasseren Folgen führte der Unterbruch im Geldkreislauf im Fall einer kleinen Regionalbank. Diese vergab seit Jahrzehnten nur gutüberlegt Kredite an das heimische Gewerbe sowie an solide «Häuslebauer» in Form erster Hypotheken. Trotz ihrem sehr guten Kreditportefeuille bekam diese Regionalbank kein Geld mehr, denn im zweiten Halbjahr 2008 galt nur noch als sicher, was den Staatsstempel trug!
Lösung:
In einer ähnlichen Krise beschloss Schweden, allen Banken eine Staatsgarantie zu geben, um für die nationale Wirtschaft die lebenswichtige Durchblutung mit Geld zu gewährleisten. Auch ich habe nichts gegen den Staat einzuwenden, wenn er Patienten am Leben erhält. Sobald die Patienten gerettet sind, muss sich der Arzt aber wieder zurückziehen. Der schwedische Staat beschränkte seine generelle Bankgarantie auf zwei Jahre und verlangte für die Staatsgarantie von den Banken als Entschädigung eine Bürgschaftskommission, um Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen: Privilegien für einzelne Banken können, wie das Beispiel der Regionalbank zeigt, nicht nur den Aktionären, sondern sogar ganzen Regionen der anderen Banken massiv schaden.
Wer soll Vertrauen schaffen, wenn nicht der Staat, der zumindest zeitweilig die Solidarität erzwingt? In einer globalisierten Welt kann jedoch kein Staat die Geldwertstabilität gewährleisten. Die Verschuldung der Staaten weckt bereits jetzt Zweifel, ob die Staaten, auch die grossen und bedeutenden, ihre in der Krise nochmals aufgeblähten Versprechen je würden halten können. Ist die feste Burg der vermeintlichen Staatssicherheit letztlich nur ein Luftschloss?
Die Geschichte zeigt übrigens: immer wenn Staaten zuviel Geld pumpen konnten, folgten darauf Währungsumwälzungen. Deshalb empfehle ich eine starke Übergewichtung der Realwerte. Ausgerechnet beim Staat klaffen Entscheid und Haftung nämlich am weitesten auseinander; die Politiker können für kurzfristig populäre Massnahmen sorgen, ohne sich um die langfristig desaströsen Folgen zu kümmern. Und wenn die Marktkräfte trotz der Tendenz zu gefährlicher Überregulierung obsiegen, ist es erst recht richtig, die gegenwärtig zu tiefen Preisen gehandelten Realwerte wie Aktien und Immobilien zu bevorzugen.
Fazit:
Die Erkenntnis tut Not, dass man den Marktkräften langfristig vertrauen kann, um den irreführenden Glauben an die Sicherheit und Allmacht des Staates wieder abzubauen.
2. Eigenverantwortung oder Enteignung?
Rückblick:
Mit ihrer Maxime, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu fördern, führte die Französische Revolution dazu, dass sich der Wohlstand in den letzten 200 Jahren in alle Welt verbreitete. Inzwischen müssen wir uns bereits fragen, ob die Übertreibungen der sozialen Marktwirtschaft diesen Erfolg gefährden.
Die Grundlage des Wohlstandes, das Eigentum, wird zunehmend unterhöhlt. Für Schweizer lässt sich dies gut anhand unserer beruflichen Vorsorge erklären. Das Pensionskassen-Obligatorium wurde 1985 eingeführt. Unsere Altersvorsorge beruht seither auf drei Säulen: auf der AHV als Minimalvorsorge für das Alter, den solidarisch ausgerichteten Pensionskassen und der Eigenvorsorge. Nur die letzte ist noch eigentumsfreundlich; die zweite Säule hat das gesunde Mass zwischen Eigenverantwortung und enteignenden Vorschriften verloren. Die Gesetzgeber haben als «Schützer von Beruf» den zu Schützenden die eigenverantwortliche Einflussnahme weitgehend entzogen.
Das Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) erfasst 97 Prozent der Schweizer Arbeitnehmer. Seine Vorschriften zwingen die Kassenverwalter dazu, das Geld eines Dreissigjährigen genau gleich anzulegen wie jenes eines unmittelbar vor der Pension Stehenden. Dabei hat der Dreissigjährige einen Anlagehorizont von über 30 Jahren; er könnte also seine Sparbeträge vermehrt in Aktien, Immobilien und anderen realen Beteiligungen anlegen, deren Wert sich über die Zeit vermehrt.
Zu allem Übel der gleichmacherischen Anlagevorschriften kommt die Krankheit unserer Zeit, den Anlageerfolg nur noch kurzfristig, also über zwölf oder weniger Monate zu beurteilen, statt dem Lebenszyklus entsprechend. Deshalb ergeben internationale Vergleiche ausgerechnet für das Bankenland Schweiz ein tristes Performance-Resultat. Insbesondere bei den in den USA von Firmen, nicht dirigistisch vom Staat geführten Pensionskassen ist der Anlageerfolg im Durchschnitt fast doppelt so hoch wie in der Schweiz. Dort wird dem Aktiensparen weit grösserer Wert beigemessen, als es hier in der Schweiz erlaubt ist.
Ein aktuelles Beispiel solch antieigenverantwortlicher Tendenzen brachten die sogenannten Pensionskassenexperten im Verbund mit den Gesetzgebern in Bern zustande. Seit dem 1. Januar 2009 müssen Guthaben im Freizügigkeitsfall, also wenn jemand den Job wechselt oder verliert, in oft undurchschaubare Kollektiv-Anlagen investiert werden. Bisher konnte ein Arbeitnehmer oder ein Selbständigerwerbender in diesem Fall sein BVG-Guthaben als Ersthypothek in seinem eigenen Haus anlegen, gemäss der helvetischen Tradition, dass ein lastenfreies Haus eine der besten Vorsorge-
investitionen ist. Solche Vorschriften des Staates zeugen von schleichender Enteignung der Bürger.
Lösung:
Im letzten Beispiel bewahrheitet sich die alte Weisheit, dass ein schlechtes Gesetz immer neue schlechte Gesetze gebiert. Gerade weil weltweit die Staaten als Retter in der Not eingreifen, müssen wir jeder Regulierungstendenz skeptisch begegnen. Sogar das bereits bestehende Mass an Regulierung ist zu reduzieren; denn ausgerechnet die am stärksten regulierte Branche, die Finanzindustrie, hat am schlimmsten versagt.
Fazit:
In einer direkten Demokratie wie der Schweiz müssen die Bürger die Regulierungsskepsis einerseits und die Eigenverantwortung anderseits fördern. Der Wille zur Eigenverantwortung wächst ebenfalls eher von unten nach oben – zu süss ist den Regulierenden die Macht, als dass man diese Korrektur von oben nach unten erwarten dürfte.
3. Wettbewerb oder Staatsdirigismus?
Rückblick:
Ein Hauptgrund der Finanzkrise war das zu günstige Geld, das die Märkte weltweit antrieb. Die Banker, die als die Hauptschuldigen gelten, waren weniger Urheber als – für kurze Zeit – Profiteure dieser Fehlentwicklung. Sie nützten nur aus, dass die Kapitalressourcen falsch zugeteilt wurden, wie immer in der Geschichte, wenn der Staat zuviel dreinredet.
Die grössten Sünder im Hypothekendebakel der USA waren die beiden halbstaatlichen Hypobanken Freddy Mac und Fannie Mae, die vor allem unter der Regierung von Präsident George W. Bush das Wohneigentum fördern sollten. Zusätzlich pumpten die Staatslenker, zusammen mit Greenspan als Notenbankpräsidenten, in vier aufeinanderfolgenden Fällen unglaubliche Geldmengen ins Finanzsystem: 1991 nach der Savings-&-Loan-Krise, 1998 in der Asienkrise, 2000 nach dem Platzen der Dotcomblase, und vor allem nach dem 11. September 2001, dem Angriff auf die Zwillingstürme in New York. Nur so konnte es zu dieser grössten Immobilienblase der Geschichte kommen.
Entscheidend für die Katastrophe war meines Erachtens, dass mehr als die Hälfte des Hypothekarvolumens gleichsam durch Staatsgarantien für Freddy Mac und Fannie Mae gedeckt war. Dies führte zu einem ruinösen Wettkampf unter den Banken. Die privaten Institute konnten deshalb nicht genügend Reserve schaffen, um bei einem Einbruch der Immobilienpreise ohne staatliche Hilfe weiterexistieren zu können. Der amerikanische Staat musste also die Banken retten, weil er sie zuvor durch die Konkurrenz mit den halbstaatlichen, nicht durch die wahren Bürgschaftskosten belasteten Instituten geschwächt hatte.
Lösung:
Als anschauliches Beispiel nehme ich die Schwyzer Kantonalbank. Diese hat eine Bilanzsumme von 10 Milliarden Franken. Davon sind 7 Milliarden Einlagen der Bürger, durch Staatsgarantie gedeckt. Die Kantonalbank liefert dem Staat jährlich 35 Millionen Franken Gewinn ab. Das entspricht lediglich 3,5 Prozent auf dem ausgewiesenen Eigenkapital von 1 Milliarde. Wenn die Kantonalbank für die 7 Milliarden Einlagensicherung nur ein halbes Prozent Bürgschaftsgarantie (gleich 35 Millionen) zahlen müsste, bekämen auch andere Banken die Chance, vermehrt Spareinlagen zu sammeln.
Auch die per 2009 auf 100’000 Franken erhöhte Einlagensicherung sollte den Wettbewerb nicht verzerren, sondern fördern. Sie ist also abzugelten: jene Sparer, die die Staatsgarantie beanspruchen, bekämen ein halbes Prozent weniger, jene hingegen, die genügend Vertrauen in ihre Bank aufbringen, könnten sich für ein halbes Prozent mehr Ertrag entscheiden. 0,5 Prozent mehr Zins bedeutet bei den gegenwärtig tiefen Sätzen von unter 1 Prozent gut 50 Prozent Mehrertrag. Über den Preis lässt sich bekanntlich die Eigenverantwortung am ehesten beeinflussen.
Fazit:
Die Finanzkrise von 2008 birgt eine grosse Chance, das System dank mehr Wettbewerb resistenter zu gestalten. Mehr Wettbewerb folgt aus mehr Eigenverantwortung einerseits und weniger Wettbewerbsverzerrung anderseits.
4. Auf Kredit oder auf Werten beruhendes
Geldsystem?
Rückblick:
Das Geld hat verschiedene Funktionen, vor allem als Tauschwert und zur Wertaufbewahrung. Leider ist aber heute das Geld einfach zum wichtigsten Verständigungsmittel geworden: fast alles und jedes wird in Geldwert gemessen.
Der Vermischung der beiden Hauptfunktionen, Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel, sowie der Nebenfunktion als Massstab, widmete ich mich, zusammen mit meinem Sohn Rémy, der als Student meine These statistisch untermauerte, im Büchlein «RealUnit® – Zur Quelle der Geldwertstabilität», 2001 im Otto Verlag erschienen.
Lösung:
Der RealUnit® beruht zu zwei Dritteln auf Konsumwerten (dem Geld als Tauschmittel und Massstab) und zu einem Drittel auf den Preisen der Investitionswerte (dem Geld zur Wertaufbewahrung). Diese Aufteilung entspricht dem Alltag in allen Industriestaaten. Deren Bruttoinlandprodukt setzt sich zu rund 60 Prozent aus Konsum und zu 40 Prozent aus Investitionen zusammen. Auch die Aufteilung in zwei Drittel Inland- und ein Drittel Auslandpreise entspricht dem Import-/Export-Verhältnis in den meisten OECD-Ländern.
Nach dem Erscheinen des Büchleins zum RealUnit® investierte ich persönlich eine Mil-
lion Schweizer Franken aufgrund dieses Prinzips, das sich als private Währung wie auch als passiver Investitionsfonds für Sparer und Vorsorger eignet. Damit schlug ich die Performance von Sparheften, aber auch der Strategiefonds der Banken deutlich. Nach meinen über fünfzig Jahren Bankerfahrung muss ich leider feststellen, dass der Sparer bei der Wertaufbewahrung stets betrogen wurde, entweder durch die Inflation auf den Konsumwerten bis Mitte der 90er Jahre oder durch die Inflation der Investitionswerte, also vor allem Aktien und Immobilien, ab 1994.
Ich bin daran, meinen in sieben Jahren erprobten Indexfonds über eine Drittbank anzubieten; denn die Privatbankiers Reichmuth richten sich auf Vermögende aus. Diese können, langfristig denkend, höhere Risiken eingehen und einen auf ihre persönlichen Ziele ausgerichteten Anlagemix zusammenstellen. Die Sparer hingegen mussten sich bis jetzt immer auf die von den Staaten versprochene, aber nie eingehaltene Wertaufbewahrungsgarantie verlassen. Nur dank Strategiefonds mit hohen Kosten und starken Wertschwankungen konnten sie am Wirtschaftswachstum teilhaben.
Fazit:
Auch hier ist es wohl die beste Lösung, von unten nach oben für bessere Angebote zu sorgen. Die Konkurrenz der Systeme hilft eher, grosse Krisen zu vermeiden, als alle gutgemeinten obrigkeitlichen Eingriffe staatlicher Regulatoren.
5. Führung über Zahlen oder Menschen?
Rückblick:
Die Kritiker meines Büchleins «Weg aus der Finanzkrise» meinten oft, den von mir beschriebenen Weg könnten nur kleine Unternehmen beschreiten. Wie bisher begründet, gesundet das Finanzsystem weniger aufgrund neuer Vorschriften als vielmehr mit einer neuen, beziehungsweise wieder auf die alten Werte ausgerichteten Geisteshaltung. Und dieser Wandel muss in der Führungskultur der Banken beginnen, gerade auch der grossen. Bisher beherrschte der Glaube an die Zahlen das tägliche Leben jedes Bankangestellten. Nicht sein Erfolg für den Kunden, sondern sein Beitrag zum Erfolg der Bank bestimmte seinen Lohn.
Wir wählten 1995 für unsere Bank bewusst die Struktur «mit unbeschränkter Haftung». Damit wollten wir allen, die uns ihr Vermögen anvertrauten, auf einfache Art das innerste Wesen des Finanzsystems vermitteln: Vertrauen. Es entspricht leider dem Geist der Zeit, dass sogar das Vertrauen oft auf Zahlen beruht. So galt die Formel «Je grösser die Bilanzsumme, desto grösser die Sicherheit». Mit diesem Irrtum hat die Finanzkrise glücklicherweise aufgeräumt. Es waren die Grossen, die in Schwierigkeiten kamen, nicht die Kleinen.
Lösung:
Wir müssen das Gewicht vom Führen über Zahlen wieder zum Führen über Menschen verlagern. Das erfordert bei der Auswahl der Führungspersonen hohe Sorgfalt. Diese müssen ihre Teams mit dem eigenen Beispiel voranbringen. Gegenüber der Begründung einer Qualifikation mittels Statistik, meist von einer Stabsstelle anonym geliefert, ist die Qualifikation aufgrund des persönlichen Eindrucks aufwendiger – aber für alle Beteiligten befriedigender, weil statt der kurzfristigen Vorgaben die langfristigen Ziele des Unternehmens im Zentrum stehen.
Fazit:
Dank dem Führen über Menschen wandelt sich die Geisteshaltung bis hin zur Einstellung gegenüber dem Kunden. Die Verantwortung für die Ziele, also zumeist Werterhalt und kaum Spekulation, prägt die ganze Unternehmenskultur.
6. Geld als Medium oder Geld als Ziel?
Rückblick:
Nach über fünfzig Jahren im Bankfach schämte ich mich, als ich Ende 2008 sogar bei gut diversifizierten Portefeuilles Einbussen von 12 bis fast 20 Prozent rapportieren musste. Selbstverständlich konnte ich darauf hinweisen, dass dies aus den irrationalen Marktverhältnissen seit Oktober 2008 folgte und wir mit einem durchschnittlichen Verlust von rund 16 Prozent immer noch besser abschnitten als die meisten Konkurrenten und sogar der Pensionskassenindex.
Solche Vergleiche trösten aber kaum jemanden. Viel mehr Erfolg hatte ich – zu meiner eigenen Überraschung –, wenn ich die Kunden mit der Behauptung verblüffte, sie seien reicher geworden, weil sie weniger verloren hätten als die Märkte im Durchschnitt. Sie könnten nun beispielsweise, weil wir die ursprüngliche Aktienexposition von rund 40 Prozent seit Anfang 2007 auf 20 Prozent abbauten, ihre Aktienallokation zum Preis von 60 statt 100 wieder aufstocken. Wer also sein Geld nicht in den nächsten Jahren für den Konsum brauche, könne mit Zukäufen realer Werte – wie Aktien – reicher werden. So sind die grossen Familienvermögen entstanden. Diese Schocktherapie löste Staunen, aber zu meiner Freude auch Einsicht aus.
Auf das von Panik und Angst geprägte Finanzkrisenjahr 2008 folgen nun ein bis zwei Krisenjahre in der Realwirtschaft. Das Bruttoinlandprodukt wird meines Erachtens stärker sinken als von den vollamtlichen Prognostikern vorausgesagt. Die Welt wird trotzdem nicht untergehen. In der ebenfalls langen Rezession zwischen 1974 und 1982 erlitt die Schweiz 1975 einen Einbruch des Bruttoinlandprodukts von mehr als 6 Prozent. Ausgerechnet in jenem Jahr stieg die Schweizer Börse um 42 Prozent. Die Inflation, damals wie heute durch eine Geldschwemme aus den USA ausgelöst, liess das Kreditsystem und damit auch das Banken- und Geldsystem gesunden – eine solche Entwicklung könnte sich wiederholen.
Dieses Szenario erwarte ich zu 80 Prozent. Zu 20 Prozent könnte es anders kommen: dass tatsächlich ein neues Wertsystem unser Leben verändert. Dann müssten wir uns auf eine andere Entwicklung einstellen, entweder wie in der Depression zwischen 1929 und 1936, als sogar die Schweiz ihre damals goldgestützte Währung um 30 Prozent abwertete, oder in der «Happy Deflation», die die Welt von 1873 bis 1896 erlebte.
Damals förderte der Bau des Eisenbahnnetzes den Güteraustausch wie heute die Globalisierung. Die Warenpreise sanken stetig – und trotz Deflation nahm der Wohlstand der Menschen im Durchschnitt zu. Aus diesem Beispiel, das leider weitestgehend aus dem Erfahrungsschatz der Wissenschafter ausgeblendet wird, könnten wir eine wichtige Lehre ziehen: Der Kapitalismus hängt nicht von immer steigenden Zahlen ab!
Lösung:
Die Finanzkrise, in der sich die Staaten mit unglaublichen Schulden belasten, öffnet wahrscheinlich den Bürgern die Augen, so dass sie über Wertsicherheit nachdenken. Grossanleger haben zusammen mit ihren Beratern längst ihre eigene Strategie zur Werterhaltung entwickelt; für den Vorsorger und Sparer ist eher der RealUnit® das richtige Wertsicherungsinstrument. Die Preise werden nämlich auch in Zukunft von den Märkten und nicht vom vermeintlich für Sicherheit sorgenden Staat gemacht!
Fazit:
Versuchen wir, das Geld wieder zu dem zu machen, was es ist: ein Mittel für den Kauf von Werten – nicht ein Wert an sich!