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(6) Auch in Spitzen zu Haus keine Lust

Und was, wenn die Frau und die Dessous zu Hause bleiben? Dann gehen Freiheit und Lust verloren!

Privatheit und Erotik, scheint es, gehören zusammen wie Yin und Yang, und da Frauen seit je die Repräsentantinnen des Privaten sind, ist ihnen, so könnte man annehmen, die Erotik auf den Leib geschneidert wie ein perfekt sitzendes Spitzenhöschen. Doch die kulturgeschichtlich uralte Verknüpfung von Weiblichkeit und Privatheit hat bei genauerem Hinsehen einen gänzlich anderen Effekt: die Frau wird nicht erotisiert, sondern zur Mutter Maria gemacht.

Trotz allgegenwärtigem Gleichberechtigungspostulat ist es nach wie vor eher der Mann, der sein Begehren lustvoll nach aussen richtet, während die Frau ihre Energie (mit mehr oder weniger grosser Hingabe) in die Gestaltung des Beziehungsraumes investiert. So ist auch in vermeintlich modernen Beziehungen meistens sie es, die sich für die Hausarbeit zuständig fühlt, ihre Arbeit reduziert oder ganz aufgibt und ihre eigenen Vorhaben so einrichtet, dass sie mit dem Terminkalender des Mannes (den sie stets im Kopf hat) kompatibel sind. Auf diese Weise finden sich selbst jene Frauen, die sich immer sicher waren, dass ihnen das nie passieren würde, kaum dass sie den Hausstand mit einem Mann teilen, plötzlich in der Rolle der Daheimgebliebenen, Wartenden, Passiven wieder – einer Rolle, die ihnen nicht zuletzt qua biologisches Geschlecht im Zuge unserer abendländischen Kulturgeschichte immer wieder angedichtet wurde. Während der Mann sein Geschlecht offensiv vor sich herträgt und entsprechend auch sein Begehren mit Leichtigkeit nach aussen richten kann, ist die Frau aufgrund ihrer geschlechtlichen Anatomie angeblich passiv, empfangend, hingebend und schwach. Ihr eigenes Begehren richtet sich nicht auf die Welt, sondern auf das Verlangen des Mannes – und so fühlt sich mitunter auch die emanzipierteste Frau auf eine für sie unerklärliche Weise gedrängt, nach der Arbeit, anstatt direkt, wozu sie eigentlich Lust hätte, ins Kino zu gehen, lieber noch schnell zum Supermarkt zu rennen, um fürs Abendessen zu sorgen.

Sollte die Frau dennoch dann und wann sich trauen, ihre Libido unabhängig vom Mann zum Zuge kommen zu lassen, überkommt sie nicht selten ein schlechtes Gewissen – so als würde sie, sobald sie ein eigenständiges Begehren entwickelt, die Liebe und in gewisser Weise auch sich selbst aufs Spiel setzen. Es ist, als sei die begehrende Frau in wesentlich stärkerem Masse als der Mann gefährdet, sich zu verlieren. Der Literaturwissenschafter Albrecht Koschorke erklärt diese kulturhistorisch althergebrachte Annahme folgendermassen: «[S]ein Dasein [das Dasein des Mannes] umfasst mehr als bloss seine sexuelle Begierde. Die Frau aber darf nicht begehrlich sein, denn sie würde sich von ihrer Triebhaftigkeit verschlingen lassen. Der Mann kann sich spalten, er existiert in zwei Dimensionen. Die Frau ist mit sich eins und gerade deshalb in Gefahr, sich jederzeit ohne Rest zu verlieren.» Der Mann ist immer mehr als nur sein Geschlecht, weshalb er zur Triebsublimierung und entsprechend zu kulturell wertvoller Arbeit fähig ist. Die Frau aber ist nichts anderes als ihr Geschlecht: sie ist Körper, nicht Geist, und infolgedessen ist sie – man denke nur an Eva und die Schlange – durch und durch verführbar.

Aufgrund dieser Schwäche ist die Frau seit je dazu angehalten, ihr Begehren im Zaum zu halten. Als launenhaftes sogenanntes «Frauenzimmer» muss sie es im wahrsten Sinne des Wortes domestizieren, das heisst ins Häusliche, ins ungefährliche Innen bannen, während der Mann es «draussen», im wilden Leben, ohne Risiko ausagieren kann. «Historisch gesehen», schreibt der französische Philosoph Roland Barthes, «wird der Diskurs der Abwesenheit von der Frau gehalten: die Frau ist sesshaft, der Mann ist Jäger, Reisender; die Frau ist treu (sie wartet), der Mann ist Herumtreiber (er fährt zur See, er ‹reisst auf›). Es ist die Frau, die der Abwesenheit Gestalt gibt, ihre Fiktion ausarbeitet, denn sie hat die Zeit dazu…»

Ein solches «Herumtreiben» und die damit einhergehende, bisweilen schizophren anmutende Grenzziehung zwischen Lust und Liebe gelingt Männern, der landläufigen Meinung zufolge, weitaus besser als Frauen. Es ist, als würde das nach aussen gerichtete, angehängte Geschlecht es dem Mann ermöglichen, gänzlich unbeschadet von einer Sphäre in die andere zu wechseln. Seine geschlechtliche Anatomie, so scheint es, bewahrt ihn davor, den Schmutz mit nach Hause zu bringen – lässt er doch seinen Samen, beziehungsweise die Sünde, im Körper der beschlafenen Frau zurück und kann sich auf diese Weise, im wahrsten Sinne des Wortes, schadlos aus der Affäre ziehen. Im männlichen Körper finden sich (abgesehen von etwaigen Geschlechtskrankheiten) keine Rückstände des verbotenen Aktes – ein anatomischer Vorteil, der im Falle eines von der Frau begangenen Seitensprungs oder Ehebruchs so nicht besteht. Als Penetrierte trägt sie das Ejakulat als Zeichen der Sünde tief in ihrem Leibe, und selbst wenn ein Kondom verwendet wird, ist der verbotene Penis immerhin in sie eingedrungen. Diese Grenzüberschreitung wiegt um so schwerer, als die Frau gemäss dem bürgerlichen Familienideal die Repräsentantin des familiären Heims ist, so dass der Nebenbuhler seine Spuren strenggenommen nicht nur in ihrem Körper, sondern gleichzeitig im Innersten der heilen Welt hinterlässt. Die Frau kann also die Schande nicht am Fussabtreter abstreifen wie der Mann, sondern sie trägt sie unweigerlich über die Schwelle.

Erschwerend für die Frau kommt hinzu, dass eine solche eher metaphorische Nestbeschmutzung sich durchaus zu einer gänzlich realen wandeln kann – dass also der Nebenbuhler dem rechtmässigen Stammherrn, wie man sagt, «ein Kuckucksei ins Nest legt». Die Natur bringt es nun einmal mit sich, dass Frauen immer ihr eigenes Kind gebären. Der Mann hingegen ist, wenn er sich seiner Vaterschaft sicher sein will, auf die Monogamie seiner Partnerin angewiesen. Und was läge da näher, als sie, wenn auch unter dem Deckmantel charmanter, männlicher Fürsorglichkeit, zu domestizieren?

Natürlich geht eine solche Domestizierung nicht spurlos an der Frau vorbei – ja, man gewinnt sogar den Eindruck, als würden sich Frauen, sobald sie gebunden sind, selbst domestizieren, indem sie in einem mehr oder minder schleichenden Prozess ihre sinnliche Seite abwerten. Zu beobachten ist eine solche Abwertung vor allem an Müttern. Es scheint, als vertrüge sich sexuelle Attraktivität schlichtweg nicht mit ihrer Rolle, und tatsächlich behauptet das bürgerliche Mutterideal, die Heilige Maria, auch im 21. Jahrhundert noch seine Macht. Mütter sorgen sich, kümmern sich, opfern sich auf, aber sie begehren nicht – und deshalb haben sie hochhackige Schuhe, Röcke und tief ausgeschnittene Decolletés längst in die hinterste Ecke ihres Schranks verbannt. Auch ein knappes Spitzenhöschen ist vermutlich das letzte, was eine Mutter-Maria-Frau anziehen würde – und wenn sie es doch tut, wirkt es eher verzweifelt: nur unzureichend verdeckt das Dessous die Tatsache, dass der Versuch, Emanzipiertheit zu verkörpern, ohne sich aus der Sphäre des Privaten zu befreien, gehörig in die Hose gegangen ist.

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