Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

(5) Mikrofinanz – Werkzeug zur Armutsbekämpfung

Wer investiert in Mikrofinanzinstitutionen? Wer
vergibt die Kredite? Und wer erhält sie? Zahlen, Fakten und Geschichten aus einer neuen Welt mit vielen Perspektiven.

Mikrofinanz entstand als Waffe gegen die Armut. Non-Profit-Organisationen geben kleine, ungedeckte Darlehen an Gruppen armer Mikrounternehmer. Dann werden die Darlehen weiterverteilt. Betriebskredite von durchschnittlich 100 US-Dollar gehen an einzelne Gruppenmitglieder, die gemeinsam miteinander die Rückzahlungen garantieren. Die von den Schuldnern entrichteten Zinsen dienen als Betriebskapital für weitere Darlehen an andere Mikrounternehmer. Dieses einfache, nachhaltig funktionierende Modell hat sich zu einer Industrie entwickelt, die mittlerweile den ganzen Fächer der Dienstleistungen des Einzelkundengeschäfts der Banken, wie Sparanlagen, Versicherungen und Zahlungsverkehr umfasst.

Für den Anleger stellt Mikrofinanz eine ausgewogene Kombination von finanzieller und sozialer Rendite dar. Angesichts einer Kreditrückzahlungsrate von 97 Prozent und bis heute völlig ausgebliebener institutioneller Zahlungsunfähigkeit kann von einer stabilen Geldanlage gesprochen werden. Für den Schuldner bedeutet das Darlehen häufig den Schritt zu finanzieller Handlungsfreiheit. Für die Mikrofinanzinstitution (MFI) bedeuten Wachstum und die Weiterentwicklung der Branche hin zum Status reglementierter Geschäftsbanken allenfalls enorme Möglichkeiten – gleichzeitig aber auch die Infragestellung ihrer ursprünglichen Mission des Kampfes gegen die Armut in Form von Entwicklungshilfe.

Mikrofinanz hat in den letzten Jahren grosses Interesse auf sich gezogen. Sie ist als Anlage sehr attraktiv; langfristig beläuft sich der Ertrag auf jährlich rund 6 Prozent. Gemäss dem Wirtschaftsmagazin «Forbes» kamen Investoren der ersten Stunde in MFI sogar auf noch höhere Renditen, wie der Banco Compartamos in Mexiko (23,2 Prozent), FONDEP Microcredit of Morocco (19,2 Prozent), der Banco do Nordeste do Brazil (17,2 Prozent) und die Association for Social Advancement in Bangladesch (14,4 Prozent). Dank solch beeindruckenden Resultaten gewannen Fonds, die in MFI investieren, von 2004 bis 2007 jährlich 80 Prozent Neuzugänge zu ihren Mitteln, die sich gegenwärtig auf gesamthaft 5,4 Milliarden US-Dollar belaufen. Es wird erwartet, dass der Sektor sich bis 2010 weltweit auf 20 Milliarden US-Dollar ausweiten wird. Die Finanzkrise hat seine vergleichsweise Stabilität zusätzlich unterstrichen. Da MFI-Kunden in aller Regel selbständig und oft ausserhalb des formellen Wirtschaftskreislaufes erwerbstätig sind, sind sie bis heute nur marginal betroffen.

Das Reservoir potentieller Kunden ist enorm. Gemäss Weltbank leben 1,4 Milliarden Menschen – ein Fünftel der Weltbevölkerung – von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag. Realistischerweise könnte ein Drittel dieser Leute den Schritt zum selbständigen Kleinunternehmer wagen, wenn sie Zugang zu entsprechenden Finanzdienstleistungen hätten.

Über die damit verbundene Kommerzialisierung des Sektors gehen die Meinungen der Experten auseinander. Viele vertreten die Ansicht, dass eine Umwandlung der MFIs in öffentlich regulierte Banken für den Mikrofinanzbereich ein grosses Potential vieler Millionen weiterer Mikrounternehmer aktivieren könnte. Andere – speziell Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus – halten dem entgegen, dass Kommerzialisierung die Mission der Armutsbekämpfung pervertiere. Mit Yunus’ Worten: «Mikrofinanz entstand als Waffe gegen Kredithaie. Also wollen wir nicht zusehen, wie im Namen von Mikrokredit neue Kredithaie gezeugt werden.»

Gegen die Kommerzialisierung der Mikrofinanz ist jedoch, recht bedacht, wenig einzuwenden. Sie wird sich weltweit zu einem Erfolg entwickeln, wenn sie durch einen angemessenen Schuldnerschutz ergänzt wird. Die gemeinnützige Organisation ACCION International, die MFIs technisch unterstützt, bemerkt zu Recht: «Die Herausforderung liegt darin, einen sozialen Auftrag und eine soziale Verpflichtung für das Wohlergehen der Kunden in der jene Organisationen betreffenden Mikrofinanzgesetzgebung festzuschreiben, die gewinn-

orientiert funktionieren wollen.» Dieser soziale Auftrag ist das Herzstück einer MFI.

Wie genau funktionieren MFIs? Sie unterscheiden sich nach Grösse, Standort, Auftrag und Professionalismus. Doch beruhen alle auf einem vergleichbaren Geschäftsmodell: armen, oft über keine Deckung verfügenden Kreditnehmern wird Betriebskapital zum Aufbau oder Ausbau eines kleinen Geschäfts zur Verfügung gestellt. Rückzahlungen und Zinserträge werden für Kredite an weitere arme Schuldner verwendet.

Kern des Erfolgs ist der Kreditsachbearbeiter sowie die individualisierte Art der Kreditgewährung. Es hört sich fast wie ein Roman an: der Sachbearbeiter reist häufig per Fahrrad oder Motorrad durch unwegsame Gebiete zu Kunden, die anders nicht erreichbar sind. Oft sind Gruppen die Empfänger von Krediten. Der Sachbearbeiter trifft sie wöchentlich, um sich informieren zu lassen, die Akten auf den neusten Stand zu bringen und Zahlungen in Empfang zu nehmen. Zu seinen Pflichten gehört es auch, neue Kunden zu finden. Bei kreditwürdigen Kandidaten schlagen dann der Sachbearbeiter und der Filialdirektor einen Kreditbetrag vor, der irgendwo zwischen 20 und 300 Dollar liegt.

Als Hauptquartier für diese Feldtätigkeit dient eine Filiale, wo die Dossiers geführt, Rückzahlungen entgegengenommen und kontrolliert sowie Kredite ausgezahlt werden. Ein Kreditchef koordiniert und kontrolliert die Gesamtausleihungen der MFI, analysiert das Kreditportefeuille hinsichtlich Rendite und Risiken und ist allgemein zuständig für Berichtswesen und Aktenverwaltung. Der oberste Kredit- oder Risikoverantwortliche kann auch für Planung, Koordination, Risikobeschränkung sowie Einhaltung der geltenden Geschäftsregeln und Vorschriften zuständig sein. Daneben fungiert diese Person oft auch als hochrangiger Personal- und Ausbildungsverantwortlicher.

Im Verlaufe ihrer Entwicklung, und häufig wenn sie bei den Behörden um die Lizenz einer dem Bankengesetz unterstellten Bank nachsuchen, müssen MFIs die Leistungsfähigkeit ihrer Organisation erhöhten Anforderungen anpassen und entsprechend qualifizierte Mitarbeiter einstellen. Dies bedeutet häufig, die internen Systeme und Strukturen auf internationales Niveau anzuheben, einschliesslich Organisationsaufbau, Eigentumsverhältnisse, Verhaltenskodex, Steuern, Arbeitspolitik, Berichtswesen und Betriebsinformationssystem. Das impliziert für die MFI und für jeden einzelnen Mitarbeiter die Verpflichtung zu Transparenz und rigorosem Finanzmanagement, zu sorgfältiger Kreditpolitik, soliden Kundendienstleistungen, gründlichen internen Kontrollen, sorgfältiger Anlageverwaltung, Kontrolle der Passiven und Risiken sowie zu einer leistungsfähigen Datenverarbeitung. Und während dieser gesamten Umstrukturierung muss die MFI sorgfältig auf die Erhaltung jener zentralen Stärke bedacht sein, auf der die ausserordentliche Rückzahlungsrate beruht: des persönlichen Verhältnisses zwischen dem Kreditsachbearbeiter und dem Kunden.

Bleibt die Frage, woher die MFI-Unterstützung kommt. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass nicht ganz die Hälfte der Finanzierung der Branche (47 Prozent) auf renditeorientierte Anleger zurückgeht, seien es institutionelle Investoren, seien es Einzelpersonen – oft via Mikrofinanz-Anlageprodukte wie responsAbility. Der Hauptfinanzierungsanteil (53 Prozent) besteht aus Schenkungen oder Fördergeldern. Solche Mittel fliessen vor allem aus bilateralen oder multilateralen Entwicklungsorganisationen wie etwa der Weltbank oder kommen von privaten Geldgebern, von denen manche gezielt den Aufbau lokaler Kapazitäten fördern. Schenkungen gehen vorwiegend in die subsaharischen Länder und Südasien, während Anlagekapital überwiegend nach Osteuropa, Zentralasien, Lateinamerika und in die Karibik geht. Globalbanken treten – im Rahmen ihrer in Nachhaltigkeitsprogrammen angesiedelten Mikrofinanzprojekte – sowohl als Geldgeber wie als Anleger auf.

Aus diesem Grund hat beispielsweise die Credit Suisse, die bereits seit 2001 in diesem Sektor aktiv ist, zusätzlich eine Capacity-Building-Initiative ins Leben gerufen. In Zusammenarbeit mit vier führenden Nichtregierungsorganisationen engagiert sie sich in der Qualitätsausbildung Tausender von Mikrofinanzmitarbeitern. Damit unterstützt sie die Verbreitung der Mikrofinanz-Idee und situationsgerecht auch die Transformation von MFIs in regulierte Banken. Dies alles mit dem Ziel, Hunderttausenden armer Menschen und Kleinunternehmen Zugang zu Finanzdienstleistungen zu verschaffen.

Der Erfolg der Mikrofinanz steht und fällt mit der Sachkompetenz der MFI-Mitarbeiter. Die gute Nachricht ist, dass sich in den letzten Jahren viel Wissen angesammelt hat. Dennoch bleibt noch viel zu tun.

Die Autoren arbeiten bei Public Policy der Credit Suisse. Sie vertreten ihre persönliche Meinung.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!