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(5) Die 2000-Watt-Gesellschaft

Das sympathisch anmutende Experiment, im Zuge der CO2-Reduktion den Energieverbrauch auf 2’000 Watt pro Kopf zu senken, entpuppt sich als Festival des Dirigismus und als Versuch, die Lebensweise der modernen Industriegesellschaft einer romantischen Verblendung auszusetzen.

Die Energieszene ist in Bewegung. Geopolitische Verwerfungen, Energie als politischer Machtfaktor, Verschiebungen im Preissektor und vor allem die Offensive gegen den Klimawandel haben das energiepolitische Koordinatensystem durcheinandergebracht. Als Folge davon werden weitgespannte Energiestrategien und tiefgründige Szenarien entwickelt, die den Weg in eine gedeihliche Energiezukunft weisen sollen. Auch in der Schweiz zirkulieren private und amtliche Energieperspektiven zuhauf, die aber – kaum veröffentlicht – von angekündigten neuen Konzepten des Bundesrats abgelöst werden. Aus dieser Wirrnis ragt als ruhender Pol das Projekt einer 2000-Watt-Gesellschaft hervor. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass der ökologische Gedanke hochgehalten, dem überbordenden Materialismus die Stirn geboten und eine «gerechte», gleichmässige Aufteilung des globalen Energieverbrauchs auf die Erdbevölkerung angestrebt wird. Auf der Basis von 2’000 Watt pro Kopf (entspricht der heute im Durchschnitt über das Jahr beanspruchten Leistung pro Kopf der Weltbevölkerung) soll sich die industrielle Welt mit ihren hohen Watt-Ansprüchen (Schweiz rund 5’000 Watt Leistung aus Primärenergie pro Kopf und Jahr, USA 12’000) mit dem zukünftigen Bedarf der Entwicklungsländer einvernehmlich treffen, die heute noch mit wenigen 100 Watt pro Kopf auskommen müssen. Eine energetisch uniforme Solidarität unter den Völkern soll also die Richtschnur sein. So besehen, fasziniert die 2000-Watt-Idee – sie nährt die Hoffnung auf eine harmonische, umweltbewusste und bessere Welt.

Aufwallungen gegen das Überhandnehmen eines ungestümen industriellen Wachstums kommen periodisch vor. Die Ökologie war der wesentliche Inhalt des im Jahre 1969 erschienen Berichts des Club of Rome, der gegen den stürmischen Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit reagierte und der – bezüglich der Schweiz – die vom Autor dieses Berichts geleitete «Eidgenössische Kommission für die Gesamtenergie-Konzeption» (GEK) in den Siebzigerjahren nachhaltig beschäftigte. Opposition gegen die Technisierung des Alltags kam jeweils anlässlich von Volksabstimmungen über die Kernenergie auf, als – in Analogie zum heutigen Projekt der 2000-Watt-Gesellschaft – der umstrittenen Kernenergie mit dem Hinweis auf Energieeffizienz und erneuerbare Energieformen entgegengetreten wurde. Heute aber hat die Idee einer 2000-Watt-Gesellschaft in der Schweiz, im Zusammenhang mit der Sorge um das Klima und der Forderung nach CO?-Abbau, eine besondere Resonanz gefunden. Die 2000-Watt-Gesellschaft schweizerischer Prägung bedeutet nicht nur eine Verminderung des Energieverbrauchs von 5’000 auf 2’000 Watt pro Kopf, das heisst um 60 Prozent, sondern auch eine Verminderung der CO?-Emissionen von 6 auf 1 Tonne pro Kopf, das heisst um den Faktor sechs.

Mit Blick auf dieses ehrgeizige Ziel stellt sich die Gretchenfrage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz sowie der politischen wie auch wirtschaftlichen Realisierbarkeit einer solchen Prozedur. Um dieser Frage systematisch nachzugehen, ist Hans-Luzius Schmid, ehemals Stellvertretender Direktor des Bundesamts für Energie und Stabschef der genannten GEK-Kommission für Fachfragen, zugezogen worden.

Die Idee der 2000-Watt-Gesellschaft ist nicht neu. Sie wurde vom Bundesrat in seinem Bericht «Strategie Nachhaltige Entwicklung» bereits 2002 als Zielvorstellung für die Nachhaltigkeit im Energie- und Klimabereich bezeichnet. Bundesrat Leuenberger hat kürzlich seine Sympathien für dieses Ziel erneut bekräftigt. Die Schweizer Wirtschaft hat sich bisher publizistisch kaum damit befasst. Dagegen liegen verschiedene neue Analysen zum Thema vor, insbesondere die Ellipson-Studie vom April 2006 im Auftrag von vier Umweltorganisationen, genannt «Wegweiser in die 2000-Watt-Gesellschaft», und das im Rahmen der Energieperspektiven des Bundesamtes für Energie (BFE) erarbeitete Szenario IV mit dem Titel «Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft». Auch das Paul-Scherrer-Institut (PSI) hat sich kürzlich ebenfalls mit dem Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft auseinandergesetzt. Auch diese Studie wurde in die vorliegende Arbeit einbezogen. Alle diese Analysen beziehen sich auf schweizerische Verhältnisse; auf internationaler Ebene hat die 2000-Watt-Gesellschaft bisher wenig Echo gefunden.

Gemäss Ellipson-Studie (1) könnte der Energieverbrauch bei gleichbleibendem Lebensstandard bis 2050 maximal um 40 Prozent auf 3’500 Watt und bis 2100 auf 3’000 Watt pro Kopf reduziert werden, «wenn sämtliche Akteure bei jeder Konsum- und Investitionsentscheidung im Rahmen der normalen Konsum- und Erneuerungszyklen sich jeweils für die beste [effizienteste] bereits heute verfügbare Technologie entscheiden» – beispielsweise für ein Auto, das nur noch 4,3 Liter Treibstoff pro 100 km verbraucht, oder für den Minergie-P-Standard bei der Gebäudesanierung. Schon zur Erreichung dieses 3500-Watt-Niveaus wären eine dynamische staatsquotenneutrale Lenkungsabgabe auf sämtlichen erneuerbaren und nicht erneuerbaren Brenn- und Treibstoffen, eine zielgerichtete Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien, Vorschriften über den Energieverbrauch von Geräten, Motorfahrzeugen, Neubauten und Gebäudesanierungen sowie Verbote von Elektroheizungen und Elektroboilern erforderlich. Um gar das 2000-Watt-Ziel im Jahre 2050 zu erreichen, bräuchte es ferner noch zu entwickelnde, effizientere Technologien, wie Autos mit einem noch kleineren Treibstoffverbrauch, beschleunigte Gebäudesanierungen, den Verzicht auf «Pinselrenovationen» und den Ersatz schwer sanierbarer Gebäude durch Neubauten. Die Fahrleistungen im Flug- und Automobilverkehr wären mittels road pricing und verkehrsarme Siedlungsstrukturen markant zu senken; der Freizeitverkehr um zwei Drittel, der Pendlerverkehr um die Hälfte. Auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft wären Verhaltensänderungen, insbesondere im Verkehr, notwendig. Wörtlich heisst es: «Damit diese Zielperspektive auch nur annähernd eintritt, müssen … stringente politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche die reale Entwicklung rigoros auf dem Zielpfad halten.» Die finanzielle Bilanz dieser Politik wurde nicht erstellt. Wohl werden 40 Prozent Energieeinsparungen zur Erreichung des 3500-Watt-Niveaus geltend gemacht, die die Ausgaben für Energie um 10 Milliarden Franken pro Jahr vermindern würden; die dafür erforderlichen Investitions-

kosten werden aber nicht ausgewiesen.

Das Szenario IV «Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft» der im Januar 2007 veröffentlichten Energieperspektiven des BFE (2) ist das bezüglich Energieeffizienz und erneuerbarer Energien ambitiöseste von vier Szenarien, die das Amt mit akribischem Aufwand unter Beizug einer grossen Zahl von Experten im Verlauf der letzten drei Jahre erarbeitet hat. Damit das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft bis 2100 erreicht werden kann, müssten von 2000 bis 2035 bei einem weiteren Wirtschaftswachstum der Endenergieverbrauch pro Kopf und die gesamten CO?-Emissionen um je 35 Prozent verringert werden. Um dieses Zwischenziel zu erreichen, braucht es die Marktdurchdringung durch neue Schlüsseltechnolo-gien und Strukturänderungen: mehr Heimbüros, einen geringeren Flächenbedarf im Dienstleistungssektor, eine verdichtete und kompaktere Bauweise und eine starke Aufwertung des öffentlichen Verkehrs. Zentrales Instrument ist eine hohe staatsquotenneutrale Lenkungsabgabe, die zu einer Verdoppelung bis fast zu einer Verdreifachung der Energiepreise führen würde. Dazu kämen Vorschriften für Gebäude, Motorfahrzeuge und Geräte und selektive Fördermassnahmen. Als weitere Voraussetzungen werden «politische und technische Innovationen, siedlungs- und verkehrspolitische Eingriffe» genannt, sodann die für die Einführung all dieser Instrumente erforderlichen «weitgehenden gesetzgeberischen Schritte» inklusive Verfassungsänderungen für Lenkungsabgaben und Einschränkungen des Automobilverkehrs. Nicht zuletzt wird ein «breiter gesellschaftlicher Konsens», ein «energiepolitischer Paradigmawechsel» und eine «ungewöhnliche Standfestigkeit staatlicher Institutionen» vorausgesetzt.

Die Änderungen im Bereich der Verfassung und der Gesetzgebung resümiert der Bericht des BFE wie folgt: «Auf Bundesebene sind unter anderem das Raumplanungs- und das Umweltschutzgesetz mit den jeweiligen Ausführungserlassen zu ändern, auf kantonaler Ebene insbesondere die Planungs- und Baugesetze. Siedlungspolitische Eingriffe berühren auch andere Rechtsgebiete, wie das Verkehrswesen oder den Denkmal- und Heimatschutz. Die Nutzung von öffentlichen Strassen ist nach der heutigen Bundesverfassung (mit Ausnahme der Autobahnen) gebührenfrei. Dies verträgt sich nicht mit dem in Szenario IV unterstellten Mobility-Pricing. Die Bundesverfassung wäre entsprechend anzupassen. Ein umfassendes Verkehrsmanagement setzt Änderungen der Verkehrsgesetzgebung des Bundes und der Kantone voraus.»

Zur Finanzierung von Szenario IV wären Investitionen von 560 Franken pro Kopf und Jahr oder 1 Prozent des BIP erforderlich. Die CO?-Einsparungen kämen auf 212 Franken/Tonne zu stehen, verglichen mit heute 15 bis 20 Franken/Tonne für CO?-Reduktionen im Rahmen des europäischen emissions trading system und in Entwicklungsländern. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen wären «moderat negativ» (-0,4 Prozent des BIP im Jahre 2035). Zu erwarten wären «begrenzte Konsumverluste» und «geringe Beschäftigungseinbussen». Nicht enthalten sind vermiedene externe Kosten vor allem dank verminderter CO?- und Schadstoffemissionen, die «mit grosser Wahrscheinlichkeit die moderaten Konsumverluste übertreffen». All diese Schätzungen gelten nur für den Fall einer Angleichung der Ziele und Instrumente zumindest an diejenigen der EU. Für den Fall eines Alleingangs der Schweiz wurden keine Schätzungen vorgenommen. Die Kosten würden aber in diesem Fall erheblich höher und die volkswirtschaftlichen Auswirkungen deutlich negativer ausfallen. Auch wäre die Akzeptanz in der Schweiz in Frage gestellt, wenn die Nachbarn nicht mitmachten.

Die kürzlich veröffentlichte PSI-Studie (3) geht von einer Zunahme des Verkehrs und der beheizten Gebäudefläche um je 40 Prozent bis 2050 aus. Für ambitiöse Schritte in Richtung der 2000-Watt-Gesellschaft brauche es Energie- und CO?-Einsparungen mittels effizienter Technologien speziell im Verkehrs- und Gebäudebereich. Strom könne andere Energieträger, beispielsweise das Erdöl, durch die Wärmepumpe effizient ersetzen. Elektrizität werde für die Dienstleistungsgesellschaft immer wichtiger. Ihr Anteil in der Energiebilanz werde daher zunehmen. Deshalb sei eine CO?-freie Stromproduktion der Schlüssel zu einer wirkungsvollen CO?-Reduktion. Gesellschaftlich verträglich könne der schweizerische Energieverbrauch bis 2050 höchstens um 30 Prozent und die CO?-Emissionen um maximal 50 Prozent gesenkt werden. Die dafür erforderlichen Lenkungsmassnahmen und die volkswirtschaftlichen Auswirkungen wurden nicht untersucht, ein Vorgehen im europäischen Einklang aber als notwendig erachtet. Die zu 3 Prozent pro Jahr diskontierten Zusatzkosten im Energiebereich bis 2050 (Investitions-, Betriebs- und Brennstoffkosten, exklusive externe Umwelt- und Gesundheitskosten) werden auf gut 100 Milliarden Franken geschätzt.

Insgesamt zeigen alle drei Untersuchungen, dass die technischen – aber noch nicht wirtschaftlichen – Potentiale von Energieeffizienz und regenerierbaren Energien grundsätzlich vorhanden sind, um die 2000-Watt-Gesellschaft in der Schweiz als Fernziel zu realisieren. Einsparungen sind vor allem im (komplexen) Gebäudebereich möglich, bei den Treibstoffen und im Elektrizitätsbereich aber schwieriger.

Eine Reihe von Hindernissen erschwert die Umsetzung, beispielsweise die oft noch fehlende Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien, hohe Investitionskosten für Effizienzmassnahmen in der Industrie mit – im Vergleich zu betrieblichen Investitionen – längeren Rückzahlzeiten, lange Lebenszyklen von energieverbrauchenden Gebäuden, Anlagen, Fahrzeugen und Geräten, sowie die reduzierte Wirksamkeit marktwirtschaftlicher Instrumente, etwa im Gebäudebereich wegen der Mieter-Vermieter-Problematik. Um die 2000-Watt-Gesellschaft dennoch langfristig zu realisieren, wären Lenkungsabgaben, Zulassungsvorschriften und Einschränkungen des Automobilverkehrs erforderlich. Weniger weitgehende Massnahmen scheiterten bisher bereits im Parlament oder in der Volksabstimmung. Die Wirtschaft könnte derartige stringente Mass-nahmen mit Rücksicht auf ihre Wettbewerbsfähigkeit nur im Falle einer engen Kooperation mit den Haupthandelspartnern, insbesondere mit der EU, akzeptieren. Zulassungsvorschriften und hohe Lenkungsabgaben wären im Schweizer Alleingang rechtlich fragwürdig (Verstoss gegen WTO-Vereinbarungen und Staatsverträge) bzw. wirtschaftlich nicht tragbar. Unablässige staatliche Eingriffe ohne ausländische Pendants erhöhen die Bereitschaft zum Exodus von energieintensiven Schweizer Produktionsprozessen ins Ausland. Hohe staatsquotenneutrale Lenkungsabgaben auf Treibstoffen würden zufolge einer Umkehrung des Tanktourismus zu beträchtlichen Mindereinnahmen bei der Mineralölsteuer und zu einer geringeren Wirkung der Lenkungsabgabe führen. (Gemäss Vernehmlassung des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation vom Oktober 2004 zu den vier Varianten der Klimapolitik, belaufen sich die Mindereinnahmen des Bundes an Mineralölsteuern bei einer CO?-Abgabe auf Treibstoffen von 30 Rappen pro Liter bereits auf 500 Mio. Franken pro Jahr).

Der Elektrizitätsverbrauch ist in allen 2000-Watt-Studien ein wichtiger Faktor. Für das Stromangebot wurden verschiedene Varianten untersucht. Mit der allfälligen Zulassung grosser Gaskraftwerke würde der CO?-Abbau auf eine Tonne pro Kopf enorm erschwert, auch wenn ein Teil der von diesen Gaskraftwerken erzeugten CO?-Emissionen im Ausland kompensiert würde.

Sollte das Leitwort «2000 Watt» als Aufruf zur aktiven Klimapolitik gedacht sein, so hat die Schweiz einen ansehnlichen Leistungsausweis. Will man das Schweizer Verhalten im Rahmen der europäischen Anstrengungen zur Bekäm-

pfung des Klimawandels werten, so ist einmal festzustellen, dass die Schweiz bezüglich Erreichung der Ziele des Kyoto-Protokolls in guter Position ist. Sie wird die eingegangenen Verpflichtungen, die Treibhausgas-Emissionen im Schnitt der Jahre 2008 bis 2012 um 8 Prozent unter das Niveau von 1990 zu reduzieren, mit guter Aussicht einhalten. Sie ist dem generellen, beunruhigend steigenden Emissionstrend verschiedener Industrie- und Schwellenländer nicht gefolgt und reiht sich in jene Länderkategorie ein, die daran ist, den vorgeschriebenen Reduktionspfad zu verwirklichen. Gemäss aktueller Statistik liegt die Schweiz mit einem Mehrausstoss von 0,4 Prozent praktisch auf dem Emissionsniveau von 1990, dies im Gegensatz zu einer Reihe von Mitgliedstaaten der EU, deren CO?-Ausstoss gegenwärtig die 1990-Grenze um bis zu 30 bis 40 Prozent übersteigt. Gründe für das im internationalen Vergleich gute Abschneiden der Schweiz bezüglich Mässigung im CO?-Ausstoss, der CO?-Intensität ihrer Wirtschaft und der Pro-Kopf-CO?-Emissionen sind insbesondere die praktisch CO?-freie Elektrizitätsproduktion aus Wasser- und Kernkraft sowie der wachsende Anteil des Dienstleistungssektors an der inländischen Wertschöpfung.

Als wichtigste Massnahmen zur Minderung des CO?-Ausstosses wurden eingeführt: das CO?-Gesetz, die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe LSVA, die partnerschaftlichen und auf Freiwilligkeit beruhenden Programme «Energie 2000» und «EnergieSchweiz» von Bund, Kantonen, Gemeinden und der Wirtschaft, die Energie-Agentur der Wirtschaft EnAW, die CO?-Zielvereingabungen und der Klimarappen auf Treibstoffen. In der Märzsession 2007 hat das Parlament weitere wichtige Entscheide in dieser Richtung getroffen, mit der CO?-Abgabe auf Brennstoffen, der vollständigen Kompensation der CO?-Emissionen allfälliger Gaskraftwerke, der Steuerbefreiung für Biotreibstoffe sowie der Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien mit jährlich 320 Mio. Franken. Die Konferenz Kantonaler Energiedirektoren hat ebenfalls im März 2007 beschlossen, in ihren Bau- und Energiegesetzen den Minergiestandard für Neubauten und Sanierungen zu verlangen. Einiges in Richtung 2000-Watt-Gesellschaft ist im Gange, allerdings ohne das Ziel einer exorbitanten Kürzung des CO?-Ausstosses pro Kopf.

Fazit: Die 2000-Watt-Gesellschaft ist als lang-fristig angelegtes Projekt technisch realisierbar. Sie gewinnt in einer Zeit klimatischer Bedrohungen sogar an raison d’être dank dem allerdings exzessiven Ziel, den CO?-Ausstoss von sechs Tonnen pro Kopf auf eine Tonne herunterzufahren. Trotz dieser rühmlichen Absicht ist die Realisierbarkeit in Frage gestellt, weil das Unterfangen im schweizerischen Alleingang klimapolitisch ineffizient, volkswirtschaftlich nicht verkraftbar, wettbewerbsverzerrend und finanzpolitisch untragbar ist.

Was die Klimaeffizienz betrifft, wäre es unüberlegt, mit einem in diesen Studien vorgezeichneten Sonderaufwand, koste es was es wolle, eine exorbitante Kürzung des CO?-Ausstosses pro Kopf anzupeilen, da die Schweiz nur 0,15 Prozent der globalen CO?-Emissionen verursacht und die Mehrzahl aller Länder und Gross-emittenten noch gar nicht mitmachen. Ferner würden eine wirtschaftlich schwer verkraftbare Verdoppelung, ja Verdreifachung der Energiepreise und weitere angekündigte Steuervorhaben unabsehbare beschäftigungs- und wettbewerbsmässige Rückschläge zur Folge haben. Es gilt zu verhindern, dass die 2000-Watt-Idee die Ökologie überbetont und die Ökonomie vernachlässigt, was ein Verstoss gegen die Ausgleichsfunktion der Nachhaltigen Entwicklung wäre. Schliesslich würde der Finanzbedarf in Milliardenhöhe in einer Zeit angespannter Budgets die Realierbarkeit des Projekts schweizerischer Prägung vollends in Frage stellen. Dazu kommt, dass die zumindest auf OECD-Ebene zwingend nötige internationale Harmonisierung ausserordentlich schwierig sein dürfte, weil sie massive Umstellungen in der politischen Agenda aller OECD-Länder erfordern würde. Damit wäre das Projekt auch aus politischen Gründen kaum umsetzbar. Die Schweiz ist keine klimapolitische Solotänzerin und täte besser daran, sich punkto CO?-Abbau an die reduktionswilligen Länder, vorab an jene des Kyoto-Prozesses anzulehnen. Diese verfolgen der 2000-Watt-Gesellschaft vergleichbare klimapolitische Ziele, allerdings ohne den obsessiven Zwang, auf 2’000 Watt herabzusinken. Mit anderen Worten: die 2000-Watt-Gesellschaft hat keine guten Karten. Sucht sie den Erfolg im Schweizer Alleingang, wird sie mit ihrem eifrigen Etatismus am helvetischen Bürgersinn scheitern. Sucht sie ihn bei der klimabewussten, besonnenen Völkergemeinschaft, wird die extreme 2000-Watt-Idee dort kein Echo finden.

Es stellt sich die Frage, ob die 2000-Watt-Gesellschaft als Vision oder als amtlich geprägtes Planziel betrachtet werden muss. Geht es um letzteres, werden Regierung und Politik keine Gelegenheit auslassen, durch Lenkungsabgaben, ökologische Steuerreformen, Verbrauchs- und Sparvorschriften sowie etatistische Eingriffe ins Bau- und Verkehrswesen das Plansoll zu erzwingen. Liegt demgegenüber eine kommandolose Vision vor, kann die 2000-Watt-Idee in dosierter Approximation und mit Rücksicht auf Wirtschaft und Gesellschaft ohne Zeitdruck angegangen werden. Die langsamere Lösung wird ohnehin zuerst ankommen. Symptomatisch ist, dass bei der leichtfüssigen Präsentation des Projekts an der ETH Zürich von einem Vollzugshorizont 2050 bis 2100 die Rede war: mit realistischem Blick auf das ambitiöse Pensum wird immer mehr das Jahr 2150 für das Aufrichtefest genannt. Trotz diesem Fernziel ist eine kritische Beurteilung des 2000-Watt-Projekts schon zum jetzigen Zeitpunkt notwendig, da deren emsige Fürsprecher die Dringlichkeit des sofortigen Handelns betonen.

Es ist den Protagonisten der 2000-Watt-Gesellschaft zuzubilligen, dass sie aus echter Sorge um Umwelt und Klima handeln. Die vorliegende Kritik darf denn auch nicht als Abkehr von einer dauerhaften und wirksamen Klimapolitik gedeutet werden. Aber diese dürfte durch den Verzicht auf Maximalforderungen besser vorankommen. Die vorgesehene Hypertrophie staatlicher Interventionen, exzessiver Sparübungen und steuerlicher Exkursionen werden wenig zur Akzeptanz beitragen. Um diese zu fördern, bedarf es der Einsicht, dass die 2000-Watt-Idee auch

eine gesellschaftliche Komponente hat. Es werden alle Lebensgebiete berührt – die Freizeit (Velo statt Auto), die Ferien (Bahn statt Flugzeug), die Konsumgewohnheiten (Saisonprodukte und einheimische Waren statt importierter Güter), die Arbeitsmobilität (Wohnung nah statt weit entfernt vom Arbeitsort, Nutzung des öffentlichen statt des privaten Verkehrs) –, zu deren Beeinflussung es viel Zeit braucht. Eine automatische Abwehrreaktion dürfte jedoch dann auftreten, wenn persönliche Freiheiten berührt werden und wenn dem modernen Menschen, in einem Anflug unkritischer Romantik und in unzulässiger Bevormundung, zugemutet wird, seine Lebensgestaltung auf das Niveau des letzten Jahrhunderts, genauer auf das Jahr 1960, zurückzustufen. Damals, so wird werbend kundgetan, war die Schweiz punkto Energiekonsum bereits eine 2000-Watt-Gesellschaft! Der nostalgische Weg zurück wäre zum Scheitern verurteilt. Man muss den Menschen nehmen, wie er ist, und nicht, wie er sein sollte.

1 Ellipson, «Energieperspektiven 2050 der Umwelt-organisationen», 2006.

2 Bundesamt für Energie BFE, «Die Energieperspektiven 2035» (5 Bände), Januar 2007.

3 PSI, «Die 2000-Watt-Gesellschaft: Norm oder Wegweiser?», Energie-Spiegel Nr. 18, April 2007.

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(0) Auftakt

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