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5–7–5–7–, es hört nimmer auf

Franz Dodel: «Nicht bei Trost. Ein endlos Haiku». Wien: Edition Korrespondenzen, 2008

«Nicht bei Trost» ist ein mutiger Titel, «Ein endlos Haiku» ein ziemlich einzigartiges lyrisches Langzeitprojekt, der Autor Franz Dodel ein in Bern lebender und arbeitender Schriftsteller und Fachreferent für Theologie und Religionswissenschaft an der Zentralbibliothek der Universität Bern. 1995 promovierte er in Theologie mit einer Arbeit über die Spiritualität der Wüstenväter, wissenschaftliche Publikationen folgten. Sein erstes literarisches Werk, «Mein Haus hat keine Wände», erschien 2001. Ein Jahr später dann begann Franz Dodel mit seinem Gedichtprojekt. Die Form des Haikus ist eine dreizeilige lyrische Miniatur mit dem Silbenmuster 5–7–5. Etwa: «Der Sturm der aufzieht / wird gewöhnliches Wetter / wenn er mich antrifft.»

Diese Kürzestgedichtform setzt Franz Dodel fort ohne Ende in Sicht. Es entsteht so seit 2002 ein Kettengedicht in 5–7–5–7-Form, und dieses Kettengedicht wächst täglich um ein Haiku. Das so sich ausbreitende Textgeflecht kann im Internet auf der Site des Autors www.franzdodel.ch mitverfolgt werden. Aktueller Stand vom 11.11.2009: 15’783 Verszeilen. Hilfreich für den Rezensenten sind die zahlreichen Informationen über den Text im Text. Etwa: «Das Durcheinander / das dieser Text vergeblich / zu ordnen versucht / ist ein Modell konstruiert / aus der Wirklichkeit also / ein Ritual fast / eine Religion die / beim Verstehen hilft.»

Die ersten 6’000 Zeilen des Gedichts sind 2004 in Buchform erschienen, drei Bände unter dem Titel «Nicht bei Trost» – «a never-ending Haiku» in der Edition Haus am Gern. Dodel erhielt dafür 2004 eine Auszeichnung, die die schönsten Bücher der Schweiz prämiiert. Die Zeilen 6’001 bis 12’000 erschienen 2008 in der Edition Korrespondenzen in Wien und wurden mit dem österreichischen Staatspreis für die schönsten Bücher Österreichs ausgezeichnet. Und das zu Recht. Man nimmt dieses wunderschöne Buch gerne in die Hand und lässt sich von den Versen fesseln und mitziehen. «mein Blick tastet nach vorne / doch was mich mitnimmt / packt mich immer von hinten / deshalb: dieser Text» (S. 159).

Auf der rechten Seite ist der fortlaufende Text abgedruckt, links die Kommentare, Erläuterungen, Anspielungen, Quellenangaben, manchmal Skizzen und Zeichnungen. Links also ein eigener, nicht minder interessanter Text. Da erfährt man einiges über die Lesegewohnheiten des Autors, Marcel Proust begegnet einem regelmässig, aber auch Daniil Charms, Giacomo Leopardi, Adalbert Stifter, oder auch einmal ein Zitat aus der NZZ. Daneben viele Verweise auf Philosophen und Künstler aus vergangenen Jahrhunderten. Diese Leseangebote auf der linken Seite sind ein Mehrwert, kein Muss; das ist äusserst angenehm, und das sieht wohl auch der Autor so. Er bekennt: «ich liebe Texte / die keinen Druck ausüben / auf mein Verstehen / deren Stimmung nahezu / Gleichgültigkeit ist.»

Traditionell beschreibt ein Haiku bildhaft einen Gegenstand aus der Natur. Doch traditionell lässt diese Form auch Abweichungen zu, und so wird bei Franz Dodel daraus ein philosophisches Endlos-Haiku, eine Suche des Poetischen Ichs ohne Ziel. «ich schreibe diesen Text als / ob ich jemandem / die Füsse pflegte: ohne / zu fragen wohin».

«Nicht bei Trost» ist ein Sich-Treiben, das in den Bann zieht. Man wird – wo auch immer man einsteigt – sanft umgarnt von den Silbenbanden und kann nach einiger Zeit nicht umhin, selbst ins 5–7–5–7 Denk-, Kontemplations- und Dichtschema zu fallen. Ein sanfter Fall, der ungeahnte Türen öffnet. «Wörter sind nichts als Anlass / für ihresgleichen / Stille vielleicht dazwischen / sie bilden Grenzen / Konturen die das Denken / abdriften lassen».

vorgestellt von Markus Köhle, Wien

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