(4) Romanze am Golf
Was passiert, wenn der Westen und der Mittlere Osten, ein Kulturmanager aus Basel und ein Bauherr aus Dubai zusammentreffen? Entsteht Kunst oder Kitsch, Kultur oder Kommerz? Ein Erfahrungsbericht.
Es gibt sicherlich sehr viele Möglichkeiten, Kulturmanager voneinander zu unterscheiden. Sie sind erfolgreich oder erfolglos, extrovertiert oder introvertiert, Durch-die-Instanzen-Marschierer oder Quereinsteiger. Wenn es ums Geld geht, gibt es ausschliesslich zwei Kategorien: risikoscheue und risikofreudige Kulturmanager.
2007 folgte ich einer Einladung nach Dubai. Und ich ahnte, soviel Risiko war nie. Ich hatte in mehrerer Hinsicht das Ufer gewechselt: von der abendländischen in eine orientalische Kultur, von einer Welt, in der öffentliche Förderung selbstverständlich ist, in eine Welt, in der bis vor kurzem selbst die Regierung wie ein Unternehmen organisiert war. Immerhin hatte mich eine staatliche Bauinvestmentfirma eingeladen, ihr bei der Errichtung eines Opernhauses beratend zur Seite zu stehen. Schon der Arbeitgeber war also ungewöhnlich. Zwar beteuerten die Leute am Golf, sie seien sich im klaren darüber, dass Oper viel Geld koste. Aber niemand hätte mir zu jenem Zeitpunkt sagen können, wo das Geld für Vorstellungen oder etwa Personal herkommen würde. Man ist in einer Umgebung wie Dubai geneigt anzunehmen, Geld spiele keine Rolle. Ich blieb dennoch vorsichtig, bis heute. Es zeigte sich nämlich bald, dass Geld unter Umständen zwar in grosser Menge vorhanden ist, aber auch dass am Ende einer Unternehmung noch mehr Geld herauskommen soll.
Seit meiner Ankunft in Dubai habe ich interessante Beobachtungen machen können, wie im Mittleren Osten Kunst und Kommerz einander seltsam umbalzen, ohne einander wirklich zu lieben. Es sind Beobachtungen, die nicht nur den Mangel an Kulturverständnis in der arabischen Welt am Golf widerspiegeln, sondern auch denjenigen bei internationalen Künstlern, Kulturagenten, Diplomaten, Journalisten oder Organisationen. Die Geschichte der grossen Kulturinitiative am Golf ist nicht ausschliesslich, aber unter anderem die Geschichte eines Kulturmissverständnisses. Und deshalb lohnt es sich, von dieser West-meets-Middle-East-Romanze zu reden. Mag sie auch voller Kitsch und Verlogenheit sein, sie berichtet von einem neuen Kapitel des Kulturaustausches, wenn nicht der Kulturgeschichte.
Es begann offiziell vor zwei Jahren, als unsere Nachbarn in Abu Dhabi den internationalen Kulturbetrieb mit der Nachricht aufscheuchten, in der Hauptstadt einen Ableger des Louvres und eine Filiale des Guggenheims eröffnen zu wollen. Meldungen über unvorstellbare Finanzbeträge (angesichts derer die Währung zu einem unbedeutenden Anhängsel wurde), die Namen von Stararchitekten und deren Modelle gingen um den Feuilleton-Globus. Die westliche Welt hatte bis dato den Mittleren Osten als Produzenten von Öl, Markt für schnelle Autos, Brutstätte von Al-Qaida, und Heimat verschleierter, kulturell angeblich vormoderner Menschen betrachtet. Die Ankündigung von Abu Dhabi hat einen Riss hervorgebracht in diesem über Jahrzehnte zuverlässigen Weltbild. Die Scheichs wollen nicht nur unser Geld (Öl), nicht nur unsere Autos (wieder Öl), jetzt wollen sie auch noch unsere Kunst (nochmal Öl)!
Der Tumult, der darauf vor allem in Frankreich losbrach und in der Anklage gipfelte, die Regierung organisiere den Ausverkauf der Kultur, hat nicht lange vorgehalten. Bald entdeckten die begünstigten Institutionen, dass man seine Haushalte aufbessern und Werke, die man bisher sowieso nur im Depot gelagert hatte, einer neuen Klientel zeigen könnte, käme man mit den «Arabern» ins Geschäft. Viele der Nichtbegünstigten denken nun darüber nach, wie sie auf sich aufmerksam machen könnten. Europas Kulturplattformen (zum Beispiel Messen und Festivals) halten Foren zum Thema «Middle East» ab, man publiziert erste Studien, spekuliert über die Tragweite des Exports. Galerien erwägen Dependancen am Golf. Logistikunternehmen und Versicherungen bieten Serviceleistungen an. Die Briten und Amerikaner sind ja eh schon in der Gegend.
«Die Wüste», anfangs noch ausschliesslich als Terminus technicus für den Ort totaler und ewiger Kulturabwesenheit benutzt, wandelt sich allmählich in eine grosse, freundliche, unschuldige Sandfläche, unter der für ein weiteres Jahrhundert weltweit begehrte Schätze lagern und in die man ungestört die Insignien unserer Hochkultur einzeichnen kann. Die westliche Projektion wechselt von negativ zu positiv. Aus der Leere wird Offenheit, aus der Todeshitze Lebenslicht. Man spricht zwar nicht gross darüber, lässt aber der betriebsinternen Phantasie ihre Leidenschaft: wieviel einfacher muss es doch sein, in einer Welt, die noch jungfräulich ist wie am ersten Tag, die keine Tradition, kein Erbe kennt, keine Kulturvoraussetzung hat, noch einmal neu anzufangen…!
Wie dieser Neuanfang aussehen könnte, liesse sich leicht aus den Einsendungen erschliessen, die ich täglich ins Dubaier Büro zugesandt bekomme: die Golfregion als Zwischenlagerstätte und Recyclingdepot für das, was bei uns zu Hause nicht gebraucht wird oder unbezahlbar geworden ist. Das Wort «Kitsch» stammt möglicherweise vom jiddischen «verkitschen» ab, was soviel bedeutet, wie jemandem etwas Unnötiges oder Minderwertiges anzudrehen. Und so erlebe ich täglich den kitsch of cultures: blättere durch Fotoalben mit Bildern von Eisskulpturen in Gestalt des Herrschers Scheich Mohammed oder des Burj Al-Arab; technische Zeichnungen für unterirdische Unterhaltungslabyrinthe, in denen das Dasein von Computerviren erzählt werden soll; prächtige Bildbände über alte und neue Meister, deren Werke gerade auf dem Markt zu haben sind; Szenenfotos von Aufführungen zu Sindbad und Saladin, die erfolgreich in Brasilien oder China touren. Und immer wieder Bewerbungen. Bewerbungen von Kuratoren, ehemaligen Sekretärinnen, Rockstars, Beleuchtungsexperten, Inhabern grosser Dinosauriersammlungen und Erfindern ausgefallener «Kunstwelt»-Reisen auf der «Queen Elizabeth». Wenn es nicht so anstrengend wäre, könnte man tatsächlich stolz sein über soviel überschüssige Kreativität im Westen, jenen Ländern, die gern von sich behaupten, sie seien müde, unbeweglich, ideenarm und überhaupt arm geworden.
Die mir am häufigsten von deutschen (und fast nur von deutschen) Medien gestellte Frage lautet: Darf man für diese Leute dort arbeiten? Für eine Clique von am Öl superreich Gewordenen, die Gastarbeiter aus Asien zu Hunderttausenden ins Land holen, sie selbst bei irrsinnigen Aussentemperaturen auf Baugerüsten zweihundert Meter über dem Sandboden arbeiten lassen, sie in miesen Wohnlagern zusammenpferchen und mit niedrigen Löhnen abfinden? Die für gigantische, zahllose Klimaanlagen Energie verschleissen, Unmengen Meerwasser entsalzen, in die natürliche Küstenökologie eingreifen lassen und damit das Umweltgleichgewicht rigoros durcheinanderbringen? Die Internetseiten nach Belieben blockieren, wenn diese relevante Kritik am System verbreiten, Homosexualität und Liebesbeziehungen ausserhalb der Ehe unter Strafe stellen, während sie sich ihre Kurtisanen halten und Luxusprostitution protegieren? Darf man in ein solches Land gehen und sich vornehmen, am Aufbau von Kunst und Kultur mitzuwirken?
Und so sieht die inzwischen vertraute Dramaturgie für ein Mediengespräch mit einem deutschen Journalisten aus: der erste Anruf erfolgt an einem Freitag (in Dubai heiliger Feiertag) nach 18 Uhr (Zeitverschiebung vergessen). Man wolle über meine Milliardenprojekte mit mir sprechen. Ob man auch Bilder von den Baustellen machen und den Herrscher sprechen könne? Ich dämpfe Erwartungen und versuche das zu kompensieren, indem ich mich vor allem selbst zur Verfügung stelle. Auch (aus Erfahrung) davor warne, ohne Drehgenehmigung eine Reise zu planen, und darauf aufmerksam mache, dass die Erteilung von Genehmigungen zwei Wochen dauern kann. Weitere Fragen drehen sich darum, wie man zwischen all den Baukränen und Verkehrsstaus, Touristen und Gastarbeitern, dieser Ausgeburt der Unnatürlichkeit (alles irgendwie richtig) überhaupt davon ausgehen könne, dass Kulturentwicklung möglich sei. Und wie gehen Sie mit den überheblichen Emiraties und ihrem Grössenwahn um? Und schon sitze ich in der Falle, spreche von dem Aufklärungswillen des Herrschers und der Gefolgschaft seiner Untertanen auf dem Weg in eine tolerante und dennoch islamische Gesellschaft. Erinnere daran, mit welchen Nachbarn es die Leute hier unten zu tun haben und dass es nicht einfach sei, in einer derart explosiv gemischten und irgendwie immer dem Extremismus zuneigenden Umgebung Weltoffenheit zu vertreten. Der Frager insistiert, dass wir uns in einer Diktatur befinden und wir von Zensur umgeben seien (wieder richtig), und ich sage (wahrheitsgemäss), dass wir bislang keine Behinderungen erfahren hätten, aber wohl wüssten, dass solche kommen würden, und dass derartige Auseinandersetzungen eben dazugehörten, wenn man eine Gesellschaft verändern wolle. Im übrigen müssten wir auch in unseren Ländern darüber nachdenken, wie wir mit den unterschiedlichen kulturellen und religiösen Werten wachsender Minderheiten in der Öffentlichkeit umgehen wollten. Und wenn ich mich dann an irgendeiner Stelle auch noch dazu hinreissen lasse, die Ambitionen der Herrscher am Golf mit der Kulturgeschichte Europas während des Barocks und der Aufklärung zu vergleichen, habe ich endgültig den Bogen überspannt. Was ist Phantasie, was Vorstellungskraft?
Denn meine Wirklichkeit in Dubai ist sehr anders, als man sie sich wünscht. Der Vorsitzende jener Firma zum Beispiel, die mich zuerst nach Dubai eingeladen hatte, war für mich schwerer ansprechbar als Angela Merkel, obwohl sich sein Büro nur zwanzig Meter von meinem entfernt befand. Bei unserem einzigen ernsthaften Gespräch über mein wichtigstes Projekt, den Aufbau eines Opernhauses (Grundfläche 140’000 m2), das von Zaha Hadid entworfen worden war und seine Firma mehrere hundert Millionen Euro kosten sollte, fragte er mich, ob das Geschrei jenes kleinen Dicken, der vor zwei Jahren im Hotel Madinat Jumeirah aufgetreten war (er meinte Pavarotti), Oper gewesen sei. Er habe «King Lion» in New York gesehen, und diese Oper habe ihm schon besser gefallen. Und dann störte ihn noch etwas anderes an dieser Oper: warum ich bloss 2 Bühnen haben wolle? Die Kinos der siebziger Jahre hätten denselben Fehler gemacht, und heute gebe es Multiplex. Seine Leute mögen mir mehrfach versichert haben, dass sie wissen, Kultur koste Geld – der Vorsitzende will auch mit der Oper am liebsten Geld machen. Also versucht er, das Projekt Oper zur Brandingaufgabe umzufunktionieren: kaufen Sie sich eine Villa direkt neben dem Opernhaus. Die Kunst als wertsteigernder Faktor. Wehe dem, der behauptet, das sei eine Erfindung geldbesessener Araber.
Hierzulande wird philosophisch beklagt, Kultur sei zur Ware geworden. In Dubai zeigt es sich, dass das eine nostalgische Feststellung ist. China, Indien und am radikalsten Dubai (im Gegensatz zu den im Grunde klassisch operierenden Nachbarn) haben in den letzten Jahren gezeigt, welches Konzept der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts sich umzusetzen anschickt: die Entwicklung der Stadt als Massenprodukt und Massenmedium. Nicht Kultur ist die Ware, sondern die Stadt ist die Ware. Und Kultur ist ein mögliches Instrument, die Massenware Stadt effizient zu verkaufen.
Doch jetzt ist das Geld knapp geworden, und sogar jene Länder, deren schnelles Wachstum auf Bodenschätzen beruht (wie Abu Dhabi oder Qatar), müssen mit dem Einsatz ihrer Mittel vorsichtiger umgehen. Erst recht Städte wie Dubai. Eine so eminent globalisierte Metropole lebt mit enormen Zukunftsrisiken: Finanzdienstleistungen, Bauinvestment, Tourismus, Logistik – alles im Keller. Was heisst das für die Kultur? Habe ich überhaupt unter den Bedingungen der Finanzkrise eine Chance, Kultur aufzubauen? – Ich weiss es noch nicht. Auch am Golf scheint man zu begreifen, wie wichtig in Zeiten der Not soziale und kulturelle Werte sein können. Und diese Werte sind eindeutig unterentwickelt. Scheich Mohammed hat seine Leute zu Besonnenheit und Weisheit im Umgang mit der Krise aufgerufen. Die Karawane Dubai, zwei Jahrzehnte lang durch die Wüste gepeitscht, braucht eine Ruhepause. Zeit zum Nachdenken und Vergewissern, wie es weitergehen soll.
Ich hoffe deshalb, in den kommenden Jahren mehr Unterstützung zu bekommen, um den demnächst drei Millionen Einwohnern dieser Stadt, die aus über zweihundert Nationen kommen, dabei aus der Klemme zu helfen, was man ausser Essen, Trinken, Baden, Shoppen und (legalem und illegalem) Sex sonst mit seiner Freizeit noch anstellen kann. Wie man seinem Nachwuchs Alternativen zu «Shrek» und «Tokio Hotel» nahebringt und sich selbst besser unterhält als mit «King Lion» oder «The Hulk».
Ich hoffe ausserdem, dass die Regierung von Dubai zu diesem Zweck nicht einfach die Kulturindustrie aus dem Westen importiert; denn wir sind hier nicht im Westen. Wir sind auch nicht in einem normalen muslimischen Land; also wäre es nicht mit einer Rekapitulation islamischer Kunst und Werte getan. In dieser Stadt leben mehr Inder als Araber, und das Geld für all den Investitionszauber kommt nicht nur aus der Börse des Herrschers, sondern vor allem aus dem Iran oder Saudi Arabien, China, Russland und Westeuropa. Die Stadt hat kulturell gesehen kein Vorbild.
Tatsächlich kann der Aufbau von Museen und Theatern in dieser Region nicht ohne ausländische Hilfe geschehen. Wenn man davon überzeugt ist, dass Dubai solche Einrichtungen nötig hat, dann braucht man die richtigen Partner, vermutlich aus Europa. Wen fragen? Die Grössten, die Berühmtesten, die Briten (weil hier am meisten verwurzelt und kulturell prägend), die Russen (weil sie sich jetzt mit geballter Macht am Golf festsetzen), die Italiener (weil der Scheich ein paarmal von der arabischen Renaissance gesprochen hat)? Die Franzosen, die schon nebenan sind?
Oder Kulturprofis aus Mitteleuropa? Menschen, die oft schon seit Jahrzehnten erfolgreich – und oft auch subventionsgesichert – künstlerische Betriebe leiten oder in ihnen arbeiten, in der Regel zum Wohle ihrer Kommunen und Regionen? Die Schweiz, Deutschland oder Österreich sind nach wie vor ein Dorado öffentlich geförderter Kultur, gemessen an dem, was irgendwo da draussen los ist.
Allerdings gibt es zwei Probleme. Mitteleuropa ist sich dieses Reichtums nicht wirklich bewusst; auch nicht der Sicherheit, die es geniesst, weil diese Kultur nicht aus dem Gemeinwesen zu eliminieren ist. Sie steht, die Kultur, mag es wirtschaftlich noch so schlecht gehen. Das zweite Problem: Mitteleuropa ist nicht sehr optimistisch, weder im allgemeinen, noch, wenn es um den Reichtum seiner Kultur geht. Wir sind oft verdammt, zu verwalten anstatt zu gestalten. Es wird interessant sein zu sehen, ob die Krise, in der wir uns alle befinden, dabei hilft, umzudenken. Gibt es zum Beispiel doch noch eine Chance für den Kulturbetrieb, seine verknöcherten Denk- und Arbeitsstrukturen zu reformieren, ohne das System der finanzierten Kunstfreiheit in Frage zu stellen?
Wie könnte man den Reichtum sichern? Da gibt es viele Aspekte. Neue Wege bei der Kulturfinanzierung, dem Marketing und der Vermittlung sind gefragt. Andere Betriebsstrukturen. Das Bedenkliche an diesen Aspekten ist, dass wir sie schon sehr lange kennen und dennoch wenig realisiert haben. In manchen Fällen gab es gute Gründe dafür, warum wir uns so schwer damit getan haben, Reformen energischer anzugehen. Die Forderung nach mehr Unabhängigkeit von staatlicher Regulierung hat ja zwei Seiten: mehr Freiheit bedeutet gegebenenfalls auch mehr Unsicherheit. Ein Blick auf die Lage der angelsächsischen Kulturlandschaft seit Beginn der Rezession zeigt den gewaltigen Unterschied. Ja, die Metropolitan Opera oder das MOMA haben einen sehr beeindruckenden Eigenwirtschaftlichkeitsgrad und bekommen sehr wenig staatliche Unterstützung. Ein wesentlicher Teil ihrer Förderung entstammt Schenkungen von Privatpersonen, die auf diesem Wege allerdings Steuern abschreiben und damit im Grunde eine indirekte öffentliche Förderung durchführen. Wird das Geld aber knapp, dann gibt es auch nichts mehr für die Kultur.
Es könnte sein, wir stehen am Anfang von etwas, das wie eine Neuordnung der politischen und wirtschaftlichen Welt aussieht. Und deshalb kommt ein neuer Aspekt als sehr dringend hinzu: die globale Vernetzung. Was Nestle oder VW längst erkannt haben, ist für staatlich geförderte und oft auch verwaltete Kulturorganisationen in Mitteleuropa oft noch neu: Die Welt ist gross, gierig und reich. Wenn du in ihr nicht untergehen willst, musst du sie erobern. Ich weiss, das klingt nach Imperialismus. Meinetwegen. Aber dann ist die Werbung um eine Frau, die man liebt, auch Imperialismus. Ich glaube, unsere Kulturbetriebe brauchen mehr Lust am Fremden. An der Welt draussen, die anders funktioniert und Kultur anders versteht und ermöglicht. Sich mit diesem Fremden einzulassen, ist ein Risiko. Unsere Kultur braucht diese Lust am Risiko. Wer sich in narzisstischer Ergötzung an der eigenen Schönheit und Erlesenheit ergeht, läuft Gefahr, morgen nicht mehr gekannt zu werden.
Die Romanze am Golf, die globale Finanzkrise, der Kitsch zwischen Kommerz und Kunst, ich würde das alles als eine seltene Chance begreifen, für Menschen, die neugierig sind. Bestimmt wird es in der nächsten Zeit viel weniger Geld und Jobs geben. Aber die Kulturräume sind grösser geworden. Das Bedürfnis nach neuen Formen des Austauschs zwischen Kulturen ebenso. Sicherheit macht ängstlich. Wir hatten viel Sicherheit in den letzten Jahrzehnten. Jetzt kommt die grosse Unsicherheit. Wir werden mit ihr nur fertig werden, wenn mit ihr der Mut wächst.